Natürlich positiv – Longieren mit positiver Verstärkung: Basisbausteine

Hier im Blog von „Wege zum Pferd“ und in unseren Kursen findet Ihr immer wieder den Begriff „positive Verstärkung“, denn wir arbeiten schon lange mit diesem sehr pferdefreundlichen Trainingsprinzip (siehe auch unseren Clickerkurs und unsere Blogbeiträge).

Die positive Verstärkung

Was genau ist eigentlich mit „positiver Verstärkung“ gemeint?

Positive Verstärkung bedeutet, dass statt
aktiv Hilfen zu geben, um ein Verhalten zu erreichen,
gewünschtes Verhalten konsequent belohnt wird,
damit das Pferd motiviert wird, genau das
von sich aus weiter oder öfter zu tun.

Der entscheidende Punkt ist also der,

  • dass wir nicht mehr mittels mehr oder weniger subtiler Hilfen vorgeben, was das Pferd tun soll, und entsprechend deutlicher werden oder gar strafen, wenn das Pferd nicht tut, was wir wollen,
  • sondern dass das Pferd lernt, die Dinge selbstständig und aus einer eigenen Motivation heraus zu tun (siehe dazu auch hier).

Und das ändert das Miteinander mit dem Pferd ganz entscheidend. Wir empfinden eine Kombination aus positiver Verstärkung und einer sanften, freundlichen Hilfengebung als einen wundervollen Weg, mit Pferden zu kommunizieren und mit ihnen zu arbeiten. 

Nun kommen immer häufiger Anfragen dazu, ob es unseren Longenkurs auch mit Anleitung für eine rein positive Verstärkung gibt. Was für eine tolle Entwicklung, denn das wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. Das freut uns sehr! Natürlich möchten wir das Thema deshalb hier auch aufgreifen und hier im Blog mal ganz praktisch zu zeigen, wie sich die Elemente des Longenkurses auch allein mittels positiver Verstärkung erarbeiten lassen.  

Die Grundbausteine für das Longieren mit positiver Verstärkung

Wenn wir ein Pferd über die positive Verstärkung nach dem Longenkurs arbeiten wollen, brauchen wir zunächst die Grundbausteine für die positive Verstärkung – in diesem Fall:

  • die Konditionierung auf den Click oder ein Lobwort (siehe dazu auch hier) und
  • das Targetraining als Möglichkeit, ein Pferd ohne negative Verstärkung in die Bewegung zu bekommen (siehe dazu auch hier).

Wer von Euch schon mit der positiven Verstärkung arbeitet, kennt diese Grundbausteine bereits. Aber für diejenigen, die hier neugierig auf diesen Weg geworden sind, möchte ich sie kurz vorstellen. Bitte beachten: Ich gehe hier nur auf die Basiselemente in Hinblick auf das Longieren ein, natürlich gibt es im Rahmen der Ausbildung eines Pferdes nach den Prinzipien der positiven Verstärkung viele weitere tolle und spannende Lernaufgaben und auch viele weitere Dinge zu beachten – dazu findet Ihr mehr in unserem Clickerkurs

Nehmt Euch bitte Zeit, die Basisbausteine in aller Ruhe (also in mehreren kleinen Einheiten) und mit viel Entspannung zu erarbeiten. Ein häufiges Problem, das oft dazu führt, dass das Clickertraining wieder aufgeben wird, ist dass die Pferde zu hibbelig und drängelnd werden. Das aber liegt ganz oft daran, dass der Mensch zu schnell vorgeht und nicht auf eine entspannte Grundatmosphäre achtet. Hier könnt Ihr dazu einen Blogbeitrag lesen.

Das Grundprinzip: Click = super!

Die positive Verstärkung basiert darauf, dass wir einem Pferd (oder einem anderen Tier) mit einem bestimmten Geräusch oder einem Lobwort punktgenau sagen können: „Das, was Du jetzt gerade gemacht hast, ist toll.“ Auf dieses Geräusch oder das Lobwort hin erhält das Pferd klassischerweise ein Futterlob. Bei Pferden, die es lieben, gekratzt zu werden, kann auch das Kratzen der Lieblingsstelle als Belohnung genutzt werden. Entscheidend ist, dass wir eine Belohnung wählen, die das Pferd als so attraktiv empfindet, dass es davon gerne mehr möchte. Es reicht nicht, dass wir Menschen das Lob toll finden, es muss wirklich vom Pferd als eine erstrebenswerte Sache erlebt werden, damit es motiviert ist, darauf zu achten, welches Verhalten den Click auslöst und es damit eine Belohnung verdienen kann. Das Zauberhafte an diesem kleinen Prinzip ist, dass wir damit die Basis für sehr komplexe Kommunikationsmöglichkeiten schaffen. Denn auch wenn die Belohnung an sich für das Pferd natürlich ein Anreiz ist, so verstehen die meisten Pferde sehr schnell, dass sie durch die Arbeit mit dem Click sehr viel schneller erkennen können, was genau von ihnen gewünscht ist, statt wie im herkömmlichen Umgang mittels Versuch und Irrtum (der leider oft Strafen nach sich zieht), erraten zu müssen, was der Mensch will. Und das motiviert viele Pferde sehr.

Das Geräusch wird häufig mit einem so genannten Knack-Frosch erzeugt, also mit diesem Kinderspielzeug, das das typische „Click-Geräusch“ macht (daher kommt auch die Bezeichnung Clicker-Training).  Ich persönlich nutze lieber den so genannten „Zungen-Click“, da mir der Knack-Frosch zu laut ist und ich ihn auch nicht in der Hand halten möchte. Ich mache also mit der  Zunge einen Click-Laut, der sich aber deutlich von meinem Schnalzen unterscheidet. Grundsätzlich geht jedes Geräusch, das wir wiederholt und ohne Schwierigkeiten erzeugen können, das wir ausschließlich für diesen Zweck nutzen und das dem Pferd natürlich nicht unangenehm sein darf. Man kann auch ein Lobwort nehmen, nur habe ich festgestellt, dass es kaum einem Menschen möglich ist, ein Wort zuverlässig in jeder Situation gleich zu sprechen, also unabhängig von den eigenen Emotionen. Das aber ist wichtig.

Die Konditionierung auf den Click

Als Erstes müssen wir dem Pferd die Bedeutung des Clicks vermitteln. Dafür können wir gleich den zweiten Grundbaustein nutzen, nämlich das Targettraining. Hierfür soll ein Pferd ein Zielobjekt (= Target) mit der Nase berühren. Da die meisten Pferde Dinge naturgemäß gerne neugierig mit der Nase erforschen, braucht man meist nur das Target vor die Nase des Pferdes zu halten und ein bisschen zu warten.

Hier seht Ihr ein paar Fotos aus der allerersten Einheit, die ich mit dem zu diesem Zeitpunkt vierjährigen Norwegerwallach Mucki gemacht habe. Als Target nutze ich eine Fliegenklatsche. Zuerst hat Mucki noch keine Idee, was ich von ihm möchte und interessiert sich mehr für mich. Ich warte einfach, bis er – zufällig oder bewusst – zum Target schaut und mache bei dem ersten Ansatz  meinen Zungenclick und gebe ihm etwas Futter. Die meisten Pferde brauchen nicht lange, um zu verstehen, dass es um das Target geht. Je nach Persönlichkeit werden sie es neugierig berühren und das clicke ich natürlich sofort, worauf wieder die Belohnung folgt. Mucki hatte innerhalb kürzester Zeit verstanden, dass eine Berührung der Fliegenklatsche Click + Futter bedeutet. 

Positive Verstärkung

Noch eine kleine Extra-Erklärung: Auf dem Boden steht eine Futterschüssel, in die ich das Futter für Mucki werfe. Mucki hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelernt, Futter ruhig aus der Hand zu nehmen; im Eifer erwischte er deshalb auch mal die Hand. Um das Futter überhaupt erstmal ins Spiel zu bringen und um selbst gelassen zu bleiben, warf ich es nach dem Click einfach in die Futterschüssel. 

Wichtig: Da die meisten Pferde das Prinzip des Clickertrainings fast schneller verstehen als wir Menschen, berühren sie dann das Target immer wieder von sich aus, worauf der Mensch begeistert sein Click-Geräusch macht und das Pferd belohnt. Und damit clickert das Pferd dann Euch 🙂 Damit geht Ihr am besten um, indem Ihr ein Signal zum Berühren des Targets einführt. Ich benutze dafür das Wort „Touch“ (englisch für „Berühre“). Ich halte das Target hin und sage „Touch“ und clicke, wenn das Pferd es berührt. Berührt es das Target ohne mein Signal gibt es keinen Click (aber auch keine Strafe!). Das übe ich, bis es zuverlässig sitzt. Hier spricht man davon, ein Verhalten unter Signalkontrolle zu stellen. Damit kann man eher übereifrige Pferde sanft bremsen und dazu anhalten, aufmerksam zu sein. 

Kopf- und Halsposition beeinflussen

Mit dem Target habe ich nun schon tolle Möglichkeiten, mein Pferd aufzuwärmen und zu dehnen, denn ich kann das Target und damit auch den Pferdekopf und Hals in ganz unterschiedliche Positionen bringen. Das ist hier bei Anthony prima zu sehen: 

Positive Verstärkung

Der Clou ist, dass das Pferd alle Bewegungen von sich aus ausführt. 

In die Bewegung kommen 

Beim Longieren geht es ja aber nicht ums Stillstehen, sondern um Bewegung, also müssen wir uns nun noch das Vorwärtslaufen mit der positiven Verstärkung erarbeiten. Hierfür können wir ebenfalls bestens das Targetraining nutzen. 

Auf den folgenden Fotos könnt Ihr die dreijährige Haflingerstute Ally sehen, der ich da gerade das Antreten mit dem Target erkläre. Nachdem sie verstanden hatte, dass sie das Target berühren soll, fing ich an, das Target etwas weiter weg zu halten, bis sie den ersten Schritt vorwärts machte. Da folgte natürlich gleich ein Click und reichlich Lob. Und so war es ganz einfach, ihr zu vermitteln, dass es nun darum geht, dem Target zu folgen. Auch hier kann ich dann ein Stimmkomando einführen, wie z.B. ein Schnalzen oder ein „Und Scheritt“ oder Ähnliches.

Targettraining

Damit haben wir nun also ein Pferd, das wir nur durch positive Verstärkung im Schritt antreten und vorwärtsgehen lassen können und dessen Kopf- und Halshaltung wir beeinflussen können. Auf dem dritten Bild ist gut zu sehen, wie schön sich die noch vollkommen untrainierte und unausgebildete Jungstute bereits etwas stellt und biegt. Die ersten Schritte zum guten Laufen auf dem Kreis sind damit gemacht! 

Tipp: Gewöhnt Euch gleich an, auch mal in der Bewegung zu füttern, damit das Pferd bei einem Click nicht immer automatisch stehenbleibt. So habt Ihr die Möglichkeit, auch in der Bewegung weiterzuarbeiten.

Noch ein Hinweis: Für alle, die die positive Verstärkung noch gar nicht kennen: Es ist natürlich nicht so gedacht, dass man nun ständig nur clickt und füttert. Wenn ein Lernschritt sitzt, schleicht man das Clicken und Füttern dafür sanft aus, in dem man variabel clickt und ein Verlaufslob nutzt. Wenn ich mir zum Beispiel das Antreten im Schritt erarbeite, clicke ich nicht mehr das bloße Berühren des Targets, wie zu Beginn, sondern ich clicke erst nach ein oder zwei Schritten, dann nach drei oder vier Schritten usw. 

Weiter mit Teil 2: Das Wangentarget.

31. August 2021 von Tania Konnerth • Kategorie: Clickertraining, Jungpferdausbildung, Longieren, Übungen 0 Kommentare »

Eine tolle Entwicklung – der Erfahrungsbericht von Daniela und Ebony

Hier möchten wir zwei Mails von Daniela mit Euch teilen, über die wir uns riesig gefreut haben. Es liegen anderthalb Jahre zwischen der ersten und der zweiten Mail und wir hoffen, dass sie möglichst vielen von Euch Mut machen, den ganz eigenen Weg zum Pferd zu finden, denn der ist einfach wunderschön!

 

Liebe Babette Teschen,
liebe Tania Konnerth,

Seit ca. vier Monaten arbeite ich mit meinem Pferd nach Ihrem Konzept und bin unglaublich glücklich, dass ich auf Ihre Homepage und die Bücher gestoßen bin.

Letztes Jahr im Juli habe ich mir eine zweijährige Friesenstute gekauft. Am Anfang lief auch alles super. Ebony stand im Offenstall, war ausgeglichen und lernwillig. Wir machten Spaziergänge nur mit Halfter, sie hatte viel Spaß an Zirzensik. Kurz gesagt: es war alles perfekt.

Dieser Zustand dauerte circa drei Monate an. Dann kam leider die Wende. Ebony fing an zu lahmen, sie stand eigentlich nur noch auf drei Beinen. Sämtliche Untersuchungen ergaben keinen Befund, der Verdacht auf einen Haarriss im Röhrbein war aber gegeben. Ebony musste aus dem Offenstall in eine Box umziehen und sechs Wochen fest stehen. Natürlich wurde die Unzufriedenheit immer größer. Als Ebony nach sechs Wochen die Box zur tierärztlichen Untersuchung wieder verlassen durfte, war das nur mit doppelter Sedierung möglich. Plötzlich erschreckte sie sich und trotz Sedierung kam sämtliche überschüssige Energie raus. Sie machte mehrere Bocksprünge und feuert nach hinten aus. Dabei traf sie mich mit beiden Hinterbeinen am Oberschenkel. Mir war im Endeffekt nichts Schlimmes passiert, aber Muskel, Nerven und Gewebe in dem Bereich sind irreversibel kaputt. Seit diesem Tag hatte ich Angst vor meinem Pferd. Ebony spürte diese Angst und fing an, gegen mich zu gehen, und ich fand keinen Ausweg aus diesem Teufelskreis.

Im Januar wechselten wir dann den Stall. Ich stellte Ebony auf die Koppel und fing erst Ende März ganz langsam wieder mit ihr an. Ich habe Ihren Clickerkurs gemacht, das Buch über Bodenarbeit gelesen und auch „10 Wege zu meinem Pferd“. Seit wir diesen Weg eingeschlagen haben, geht es stetig bergauf. Wir konnten gegenseitig neues Vertrauen aufbauen und auch wenn es mal nicht so gut läuft, weiß ich, dass es morgen schon wieder anders aussehen kann. Als ich vor einigen Tagen mit einer Freundin und unseren beiden Pferden spazieren war, regte sich die Stute meiner Freundin plötzlich furchtbar auf, tänzelte rum und war kaum zu bändigen. Ebony machte natürlich sofort mit. Aber mit Kopf senken, Clickern usw. brachte ich sie zur Ruhe. Wir gingen dann vor und pufferten das Ganze ab.

Vorgestern war ich mit Ebony alleine spazieren. Wir trafen auf zwei andere Pferde und sie wollte unbedingt hinterher. Sie galoppierte wild bockend um mich herum. Auch hier konnte ich ruhig bleiben und mein Pferd wieder zur Besinnung bringen. Wir gingen entspannt in den Stall zurück. Noch vor drei Monaten hätte ich mit Ebony vor Angst den Hof nicht verlassen und jetzt können wir sogar solch eine Situation gelassen angehen.
Auf dem Platz arbeiten wir oft mit dem Target-Stick und selbst longieren klappt wieder ohne Probleme. Ihren Longenkurs werde ich demnächst auch noch angehen.

Ich danke Ihnen sehr für diese super geschrieben Bücher und dafür, dass sie sehr viele Denkanstöße für verschiedene Wege geben. Machen Sie weiter so! Ich folge Ihnen auf jeden Fall.

Viele liebe Grüße,
Daniela Fietzek mit Ebony

*****

Liebe Tania,
liebe Babette,

ich hatte euch letztes Jahr im Juni schon mal eine Mail geschrieben und berichtet, dass ich durch Eure tollen Ratschläge wieder einen Weg zu meiner Stute Ebony gefunden habe. Jetzt möchte ich Euch gerne ein Feedback geben, wie es bei uns weitergegangen ist.

Ebony ist jetzt gerade fünf geworden und entwickelt sich super. Wir haben nach dem Longenkurs gearbeitet und auch viele Elemente aus dem Aufbaukurs, wie z.B. Doppellonge und klassische Handarbeit, dazu genommen. Euren neuesten Kurs habe ich natürlich auch schon gekauft und wir fangen gerade Schritt für Schritt mit dem Reiten an.

Selbstverständlich arbeiten wir auch weiterhin an gegenseitigem Vertrauen und sind inzwischen zu einem super Team geworden. Ich habe gar keine Angst mehr vor Ebony und kann jede Situation mit ruhigem Kopf meistern. Auch lange Spaziergänge zu unbekannten Orten sind problemlos möglich. Wir waren im August sogar gemeinsam schwimmen. Das war für mich immer ein großer Wunsch und ich hatte gehofft, dies mit Ebony irgendwann zu schaffen.

Auch mein neunjähriger Sohn kann inzwischen problemlos mit Ebony umgehen. Das freut mich besonders!

Alle zwei bis drei Monate wird Ebony physiotherapeutisch von Philipp Lomax behandelt. Er ist total begeistert über den Muskelaufbau von ihr und sagt, was sie in ein paar Monaten aufgebaut hat, schaffen andere erst in mehreren Jahren. Er hat mich nach dem Ausbilder gefragt und ich habe ihm gesagt, dass ich sie allein nach Eurem Kurs arbeite. Ein großes Lob daher auch von ihm an Euch und die super Übungen. 

Bleibt gesund und macht weiter wie bisher. Ihr seid super!

Liebe Grüße,
Daniela Fietzek

24. August 2021 von Gastautor • Kategorie: Allgemein, Erfahrungsberichte, Jungpferdausbildung, Reiten 1 Kommentar »

Ich bin’s, Ihr Pferd – Kapitel 32: Eine Zumutung namens Waage

Aus „Ich bin’s, Ihr Pferd“ von Tania Konnerth
– zum ersten Kapitel geht es hier.

Das Thema „Gewicht“ ist mir noch weiter durch den Kopf gegangen. Irgendwie ist es ja schon gemein, dass wir Menschen so einfach für unsere Pferde entscheiden können, was, wann und wie viel sie zu fressen bekommen, und die Menge eben auch empfindlich einschränken, auch wenn wir das aus guten Gründen tun. Es ist schon eine große Verantwortung, die man so als Pferdebesitzer hat, und es gibt viel zu bedenken. Oft bin ich selbst unsicher und halte mich für zu streng, aber dann habe ich auch wieder Sorgen, dass er mir doch krank wird, wenn ich zu großzügig füttere. Vielleicht, so denke ich, wird es für mich leichter zu entscheiden und für ihn etwas leichter einzusehen, wenn wir eine neutrale Einschätzung über sein Gewicht bekommen.

Deshalb sage ich am nächsten Tag zu ihm: „Du, Monty, ich habe mir etwas überlegt.“

Er schaut mich mit seinem typischen Und-was-kommt-jetzt-wieder-Blick an, sagt aber höflich: „Ich höre.“

„Wir hatten doch gestern über dein Gewicht gesprochen.“

„Pffffft.“, macht mein Pferd und dreht den Kopf weg. „SIE hatten darüber gesprochen, mir würde nicht im Traum einfallen, das Thema einfach so zu wählen. Ich spreche ja auch nicht IHR Gewicht an.“

Die kleine Spitze ignoriere ich.

„Ja, stimmt, ich hatte darüber gesprochen, weil DU es bist, der gerne mehr zu fressen hätte. Und da du meine Einschätzung anzweifelst, habe ich gedacht, dass wir dich doch einfach mal wiegen können, dann werden wir sehen, wer recht hat.“

Sein Kopf schießt zu mir, die Augen sind weit aufgerissen und für einen Moment verschwindet seine Reserviertheit und wird ersetzt durch Empörung.

„Wie meinen Sie das? Wiegen? Mich?“

„Keine Sorge, das ist alles ganz easy. Es gibt mobile Pferdewaagen …“

„Das ist nicht Ihr Ernst.“

„… die kommen dann in den Stall und man kann sein Pferd wiegen lassen. Ist doch eine prima Sache, dann brauchen wir nicht weiter über die Futtermenge zu streiten.“

„Das ist wirklich erniedrigend. Da macht man einmal einen kleinen Vorschlag und dann kommt so etwas. Ich werde nie wieder einen Wunsch äußern, das können Sie glauben.“, schimpft mein Pferd.

„Aber wieso erniedrigend? Es geht doch um deine Gesundheit, Monty. Ich stelle mich auch auf eine Waage. Mir ist sehr bewusst, dass auch ich auf mein Gewicht achten muss!“

Der Blick, mit dem er mich von oben nach unten mustert, spricht Bände. Mein sonst so höfliches Pferd kann schon auch echt gemein sein und trifft mich natürlich wieder einmal mitten in dem wunden Punkt meiner Schuldgefühle.

„Ja, auch mein Gewicht ist ein Thema, ich weiß. Ich verspreche, ich werde weiter an mir arbeiten, denn schließlich musst du mich tragen. Aber tatsächlich geht es jetzt gerade nicht um mich, sondern um dich. Die Pferdewaage ist bestellt und dann sehen wir weiter.“

Mein Pferd schweigt.

„Du wirst sehen, das geht alles ganz leicht und schnell. Du bist auch nicht der Einzige, fünf andere hier im Stall werden auch gewogen.“

„Fünf andere Pferde? Die werden mit dabei sein?“ Wieder sind seine Augen weit aufgerissen. 

„Ja, ab fünf Pferden ist es billiger.“

„Sie haben keine Ahnung, was Sie mir damit antun.“, zischt Monty.

Diesmal ist es an mir zu schweigen.

„Das ist mehr als erniedrigend.“

„Du wirst es überleben.“, sage ich und hoffe, dass er den Humor aufgreift. Aber Humor ist nicht gerade eine Stärke meines Pferdes, wenn er beleidigt ist.

Und für diesen Tag spricht mein Pferd kein einziges Wort mehr mit mir.

Monty hat den Wiegetermin einige Tage später übrigens tatsächlich überlebt. Er hat zwar vorher kein Wort mehr mit mir gesprochen, ist aber, um allen zu beweisen, wie souverän er ist, als Erster vollkommen entspannt auf die Waage gegangen und bekam dafür prompt Leckerlis von der Waage-Frau („Sehr nett, die Frau.“, flüsterte er mir zu. Immerhin sprach er von da an wieder mit mir). 

Dann bescheinigte sie ihm „ganz gut beieinander zu sein“ und sagte, dass er nicht mehr auf den Rippen haben sollte („Manche, die zuerst nett wirken, erweisen sich erst später als fies.“, war sein Kommentar). 

Ich lag also nicht falsch mit meiner Einschätzung und damit ist das Thema erstmal vom Tisch.

 

–> Weiter mit Kapitel 33

 

 

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Tania Konnerth

Wer erzählt Montys Geschichten?

Die Geschichten von Monty schreibt Tania Konnerth. Sie hat seit über 40 Jahren mit Pferden zu tun und hat – unter uns gesagt – inzwischen immer öfter das Gefühl, dass Pferde tatsächlich sprechen können.

Tania arbeitet als Schriftstellerin und Autorin in Bleckede. Mehr von ihr gibt es unter www.tania-konnerth.de.

17. August 2021 von Tania Konnerth • Kategorie: Geschichten von einem sprechenden Pferd, Sonstiges Kommentare deaktiviert für Ich bin’s, Ihr Pferd – Kapitel 32: Eine Zumutung namens Waage

Gewalt ist falsch – Inspiration des Monats

Mit unserer  Rubrik Inspiration des Monats nehmen wir uns jeweils ein Schwerpunktthema vor, für das wir Euch kurz und knapp Denkanstöße und Anregungen geben möchten. Lange Texte gibt es bei uns genug, aber gerade bei Basis-Themen denken wir, ist es wichtig, sie immer wieder mit in den praktischen Pferde-Alltag zu nehmen, um für eine längere Zeit im Herzen bewegt zu werden. Und meist sind es Schlüsselsätze oder -erkenntnisse, die man wirklich bei sich behält. 

Unser Tipp: Zieht Euch jeweils unsere Inspiration des Monats auf Euer Handy, damit Ihr die Fragen und Denkanstöße  für eine Weile immer dabei habt – Ihr werdet vielleicht überrascht sein, wie unterschiedlich Eure Antworten und Gedanken dazu in verschiedenen Situationen ausfallen können. 

Thema des Monats:
Gewalt ist falsch

Mit dem Thema „Gewalt“ haben wir uns schon häufig befasst, zum Beispiel hier, hierhier und hier. Aus aktuellem Anlass gibt es nun auch eine Inspiration des Monats zu diesem Thema. Vor einigen Tagen wurde bei den Olympischen Spielen ein Pferd im Fünfkampf von seiner Reiterin nach mehreren Verweigerungen auf Zuruf der Trainerin („Hau mal richtig drauf!“) geschlagen, was eine Welle der Empörung auslöste. So wichtig es ist, das Fehlverhalten einzelner Personen zu ahnden, so greift die Empörung allein über die Reiterin zu kurz. Das Problem liegt viel tiefer, nämlich im (Reit-)System selbst und in den Glaubenssätzen und Überzeugungen, die diesem System zu Grunde liegen. Ein System, das Gewalt zum Zweck der Ausbildung und des Trainings von Pferden billigt, als notwendig bezeichnet und sogar gutheißt, ist ein krankes System. Die Tatsache, dass Reiterin und Trainerin der Meinung sind, nichts Falsches getan zu haben, zeigt das mehr als deutlich.

Fakt ist: In der konventionellen Reiterei wird noch immer das „Durchsetzen“ über das Verständnis für das Tier gesetzt, was zwangsläufig zu Gewalt führen muss. Was bei den Olympischen Spielen zu sehen war, ist in vielen Reitställen „normal“: Pferde werden geschlagen, sie werden getreten und es wird an Zügeln gerissen. Zahlreiche Reiter/innen nutzen Hebelgebisse, Flaschenzüge, Sporen und Ähnliches, um Pferde zu kontrollieren. Und zahlreiche Trainer und Ausbilderinnen setzen Rollkur, Strom und andere schmerzauslösende Mittel sowie psychische Gewalt ein, um Pferde zu gewünschten Leistungen und Aktionen zu bringen. Schon Reitanfänger/innen und Kinder werden frühzeitig angeleitet, Gewalt zu nutzen, um Pferde zu dem zu bringen, was als Aufgabe gestellt ist. Auch wenn sich schon manches zum Guten geändert hat, so sind es immer noch viel zu viele, die diesen Weg gehen und viel zu viele von uns schauen weg, wenn es passiert. 

Ob Profi oder Anfänger, ob Jung oder Alt, ob Schüler oder Trainer, ob auf einem Turnier oder im Gelände, ob am Boden oder im Sattel – Gewalt ist immer der falsche Weg. Wenn ein erfolgreicher Turnierreiter ein Pferd mit der Gerte schlägt oder mit Sporen sticht, ist das für das Pferd genauso schlimm, wie wenn es ein Freizeitreiter tut. Die Schmerzen, die durch ein Hebelgebiss oder Schlaufzügel ausgelöst werden können, sind für das Pferd dieselben, egal ob sie eine erfahrene Reiterin oder ein Anfänger verursacht. Jeder „Experte“, der Gewalt gegenüber Pferden für angemessen hält, disqualifiziert sich selbst. Außer in echten Notfällen (wenn es also darum geht, schlimme Unfälle zu vermeiden oder gar Leben zu retten) gibt es keine Rechtfertigung für den Einsatz von Gewalt gegen Pferde, um sie gefügig zu machen und die eigenen Ziele durchzusetzen. Pferde dürfen nicht geschlagen oder getreten werden und Werkzeuge, die dazu geeignet sind, Pferden Schmerzen zuzufügen, können niemals zu einem harmonischen Miteinander führen. Wir alle, die wir mit Pferden zu tun haben, tragen hier eine Mitverantwortung.

Bitte seid bereit,

  • immer wieder selbstkritisch Euer eigenes Tun zu überdenken und ggf. zu ändern,
  • nein zu sagen, wenn Trainer oder Lehrerinnen Euch auffordern, gegenüber einem Pferd Gewalt anzuwenden, und
  • Euch zu Wort zu melden, wenn Ihr Gewalt gegen Pferde beobachtet.

Gewalt darf einfach nicht länger als „normal“ gelten, denn es geht auch anders! 

 

Gewalt ist falsch

10. August 2021 von Tania Konnerth • Tags: , , , , • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Reiten, Umgang 5 Kommentare »

Du darfst Dich umentscheiden – Inspiration des Monats

Mit unserer  Rubrik Inspiration des Monats nehmen wir uns jeweils ein Schwerpunktthema vor, für das wir Euch kurz und knapp Denkanstöße und Anregungen geben möchten. Lange Texte gibt es bei uns genug, aber gerade bei Basis-Themen denken wir, ist es wichtig, sie immer wieder mit in den praktischen Pferde-Alltag zu nehmen, um für eine längere Zeit im Herzen bewegt zu werden. Und meist sind es Schlüsselsätze oder -erkenntnisse, die man wirklich bei sich behält. 

Unser Tipp: Zieht Euch jeweils unsere Inspiration des Monats auf Euer Handy, damit Ihr die Fragen und Denkanstöße  für eine Weile immer dabei habt – Ihr werdet vielleicht überrascht sein, wie unterschiedlich Eure Antworten und Gedanken dazu in verschiedenen Situationen ausfallen können. 

Thema des Monats:
Du darfst Dich umentscheiden

Ganz grundsätzlich neigen wir Menschen dazu, einen einmal eingeschlagenen Weg auch dann durchzuziehen, wenn wir ahnen oder erkennen, dass er gar nicht wirklich gut ist. Dieses Phänomen lässt sich auch in der Pferdewelt sehr oft beobachten:

  • Wir bleiben bei einer Reitlehrerin oder einem Trainer, obwohl uns der Unterricht keinen Spaß macht und unser Pferd einfach nicht besser läuft, und sagen: „Ich bin doch jetzt schon so lange bei ihr/ihm …“
  • Wir folgen weiter einer Methode, obwohl sie sich nicht gut anfühlt oder uns nicht dahin bringt, wo wir eigentlich hinwollen, und begründen das dann mit einem: „Ich habe dazu schon einige Seminare gebucht und mir gerade auch noch das Online-Programm gekauft …“
  • Wir gehen mit unserem Pferd auf eine Weise um, wie es uns andere im Stall empfehlen, obwohl wir genau spüren, dass sich das Verhältnis zu unserem Pferd immer mehr verschlechtert und sagen „Das machen hier doch alle so …“
  • Wir bleiben bei unserem Schmied oder der Hufpflegerin, obwohl die Hufe immer schlechter werden und sagen: „Der/die wurde mir so sehr empfohlen …“
  • Wir reiten weiter mit einem Sattel, von dem wir selbst sehen, dass er die Muskulatur wegdrückt oder gegen den sich unser Pferd sichtbar wehrt mit Sätzen wie: „Der ist doch extra angepasst worden …“ oder „Der war richtig teuer …“

Dass wir so reagieren, liegt zum einen daran, dass unser Gehirn uns dafür belohnt, wenn wir an Gewohntem festhalten, und zum anderen fällt es vielen von uns grundsätzlich sehr schwer, Fehler einzugestehen, vor allem dann, wenn wir vielleicht schon viel Zeit, Kraft und/oder Geld investiert haben. Hinzu kommt dann oft noch ein erheblicher Gruppendruck, der uns verunsichert, schließlich wollen wir doch eben nichts falsch machen!

Es ist sehr wichtig, sich klarzumachen,  dass aber oft gerade unsere Angst davor, etwas falsch zu machen zu viel Leid führen kann, einmal auf Seite des Pferdes aber eben auch bei uns selbst.

Fühle Dich durch die folgenden Sätze ermutigt, Entscheidungen auch immer mal wieder zu überdenken:

  • Einen einmal eingeschlagenen Weg müssen wir nicht zwingend weitergehen, sondern wir können und dürfen jederzeit dazulernen und uns weiterentwickeln.
  • Jeder kann sich irren, jeder kann Fehler machen und falsche Entscheidungen treffen – wichtig ist, sie zu erkennen und zu ändern!
  • Investiertes Geld oder Energie zahlt sich nicht aus, nur weil wir an dem festhalten, wofür wir es investiert haben, im Gegenteil: Die Kosten werden immer größer, wenn es keine gute Entscheidung war
  • Neue Wege können Wundervolles ermöglichen.

Bitte frage Dich also immer wieder ganz liebevoll und achtsam, ob die bisherigen Entscheidungen für Methoden, für Fachleute, für Zubehör und dergleichen mehr wirklich gut sind für Dich UND Dein Pferd. Wenn nicht, sei bereit und mutig, neue Entscheidungen zu treffen!

Umentscheiden

13. Juli 2021 von Tania Konnerth • Tags: , , , • Kategorie: Erkenntnisse, Inspiration des Monats, Reiten, Umgang 3 Kommentare »

Typische Probleme mit Pferden: Mein Pferd gibt seinen Huf nicht

In dieser Kategorie widme ich mich ganz typischen Problemen mit Pferden, zu denen mich immer mal wieder Mails erreichen oder die in Gesprächen über Pferde auftauchen. Besonders soll es hier um Probleme gehen, bei denen herkömmlicherweise oft Druck oder Strafen angewendet werden, damit das Pferd etwas tut oder lässt. Ich möchte zeigen, wie es anders gehen kann. Wenn Ihr auch so eine Frage habt, schreibt sie gerne an tania@wege-zum-pferd.de

„Mein Pferd gibt seinen Huf nicht“

Ein sehr häufiges Problem, das man so ziemlich allen Ställen beobachten kann: Der Mensch möchte seinem Pferd die Hufe auskratzen, aber es gibt seinen Huf nicht. Daraufhin wird der Mensch „deutlicher“ und das Pferd gibt seinen Huf immer weniger gern. Irgendwann reißt dem Menschen der Geduldsfaden und er wird sauer. „Der ist nur bockig“ heißt es dann oder: „Die will mich mal wieder in den Wahnsinn treiben“ und im schlimmsten Fall kommt dann die Gerte ins Spiel, bis das Pferd endlich seinen Huf gibt. Wie so oft, wird versucht, das gewünschte Verhalten notfalls zu erzwingen, anstatt sich die Sache gemeinsam mit dem Pferd zu erarbeiten.

Schauen wir uns dieses Problem einmal genauer an. 

Worum geht es hier eigentlich? 

Zunächst müssen wir uns Folgendes klarmachen: Für ein Lauf- und Fluchttier sind seine Füße noch wichtiger als für uns Menschen. Ein Bein, das nicht zu nutzen ist, weil es zum Beispiel festgehalten wird, ist, solange das Pferd nicht gelernt hat, dass ihm dabei nichts passiert, eine hochbedrohliche Angelegenheit. Aus der Balance zu kommen, ist ebenfalls kein angenehmer Zustand. So haben wir schon mal zwei nachvollziehbar gute Gründe für ein Pferd, uns seinen Huf nicht geben zu wollen. Und dann kann es auch sein, dass körperliche Beschwerden es dem Pferd unangenehm bis schmerzhaft machen können, seinen Huf länger zu heben (das bei einem Verdacht unbedingt mit einem guten Physiotherapeuten oder Arzt abklären lassen und entsprechend Rücksicht nehmen). 

Wenn ein Pferd seinen Huf nicht geben will, rucken und zerren viele Menschen an dem Bein herum oder lehnen sich auch mit ihrem Gewicht gegen das Pferd, in der Hoffnung, so den Huf zu bekommen. Genau das löst in den meisten Fällen aber nur aus, dass sich das Pferd seinerseits verstärkt gegen uns lehnt, denn es wird instinktiv gegen das Gefühl „umgekippt zu werden“ angehen. Oder es macht einen Schritt zur Seite, steht dann aber auch wieder auf allen vier Hufen, eher noch mehr davon überzeugt, dass es keine gute Idee ist, dem Menschen seinen Huf anzuvertrauen. 

Wenn wir nun aber zum Beispiel ein Pferdebein bandagieren oder einen Verband anlegen oder es auch einfach nur putzen wollen, reagieren wir hingegen schnell genervt, wenn das Pferd seinen Huf hebt (weil ihm das vielleicht ungewohnt, unangenehm oder unheimlich ist). In diesen Fällen bekommt das Pferd nicht selten Ärger fürs „Herumzappeln“, ohne dass wir uns klarmachen, dass es ja gar nicht wirklich wissen kann, wann es nun den Huf heben soll und wann nicht,  wenn wir immer dasselbe machen – also das Bein anfassen. Mal gibt es Ärger fürs Nichtheben des Beines, dann gibt es welchen für das Heben des Hufes. Das ist natürlich höchst verwirrend für ein Pferd und so kann das Hufegeben schnell stressbehaftet oder sogar vergiftet werden. 

Klare Signale für eine klare Kommunikation

Überlegen wir doch einmal: Jedes Pferd hebt problemlos sein Bein, wenn es eine Fliege verscheuchen will. Hier tut es das aus eigenem Antrieb heraus. Es steht dabei sicher und ausbalanciert und hat keinen Stress, höchstens vielleicht durch das Kitzeln der Fliege. 😉

Und genau das können wir prima nutzen! 

Ich bringe meinem Pferd bei, auf ein kleines Signal hin seinen Huf von sich aus zu heben – eine Anleitung dazu findet Ihr hier. Das ist viel leichter als oft vermutet, erfordert nur ein bisschen Konsequenz von uns. Ich beachte dabei die folgenden Punkte:

  1. Zunächst überlege ich mir ein eindeutiges Signal, welches das Pferd gut erkennen kann und das ihm nicht unangenehm ist, also zum Beispiel ein Stimmsignal oder ein Antippen oder auch nur ein Zeigen zum Bein. 
  2. Ich belohne jede noch so kleine richtige Reaktion prompt, also auch schon das erste Zucken des Beines. 
  3. Hebt das Pferd sein Bein nicht, wirke ich nicht stärker ein und ich schimpfe und strafe auch nicht, sondern ich warte auf den entscheidenden Moment, den ich belohnen kann. Für den Anfang kann ich mit einer Gerte ein bisschen „Fliege“ spielen (vorausgesetzt, das Pferd hat keine Angst vor Gerten!).
  4. Wenn das Pferd das Bein hebt, schnappe ich mir nicht sofort seinen Huf und halte ihn fest, sondern ich etabliere erst einmal das Heben des Beines als etwas vollkommen Selbstverständliches. Erst wenn das wirklich sitzt, berühre ich sanft das Bein und schau, ob es für das Pferd okay ist, wenn ich meine Hand darum lege. Das längere Halten des Hufes erarbeite ich mir dann einfühlsam und Schritt für Schritt – immer darauf achtend, dass mein Pferd freiwillig und entspannt mitmacht. Den Huf lasse ich dann auch nicht einfach fallen, sondern setze ihn sanft ab.
  5. Sollte mal durch ein doofes Erlebnis, wie z.B. ein Hufgeschwür oder ein Erschrecken beim Auskratzen die Sache wieder nicht mehr so gut laufen, erarbeite ich es mir neu (das geht in der Regel sehr schnell). 

Hier seht Ihr, wie Anthony seinen Huf nur auf ein Zeichen hin von sich aus anhebt – vorne und auch hinten:

Parallel dazu übe ich, dass er den Huf am Boden lässt, wenn ich sein Bein anfasse und entlangstreiche, da ich zum Beispiel beim Verarzten von Wunden oder beim Putzen gerne möchte, dass er den Fuß nicht hochhebt: 

Hier noch mal gut zu sehen: Anthony hebt den Huf selbst und erst dann erst nehme ich ihn, um ihn auszukratzen: 

Und dasselbe hinten: 

Wie auf den Bildern zu sehen ist, kann ich Anthony frei die Hufe auskratzen, denn für ihn ist dabei nichts Stressiges. Das ist immer ein guter Test für mich. Ich lobe und belohne das Hufegeben auch später immer wieder, damit es eine positiv besetzte Sache bleibt!

Extra-Tipp: Es sehr sinnvoll sein, das Heben der Hufe mit verschiedenen Personen zu erarbeiten und zu üben, denn nur weil ein Pferd lernt, einem Menschen zu vertrauen, wird es nicht automatisch jedem seinen Huf geben wollen. Da aber das Heben der Hufe auch bei anderen Menschen wichtig ist, also zum Beispiel bei der Hufpflege oder für nötige Kontrollen oder Behandlungen, sollte es auch daran gewöhnt werden und es entspannt auszuführen.

6. Juli 2021 von Tania Konnerth • Kategorie: Jungpferdausbildung, Sonstiges, Umgang, Verhalten 0 Kommentare »

Ich bin’s, Ihr Pferd – Kapitel 31: Mehr ist wirklich nicht drin

Aus „Ich bin’s, Ihr Pferd“ von Tania Konnerth
– zum ersten Kapitel geht es hier.

Wir sind am Futterplatz und ich befülle gerade Montys Schüssel mit aufgeweichten Heucobs und einer Handvoll Hafer.

„Ähm …“, sagt mein Pferd.

„Ja, Monty?“

„Sie sagen ja immer, dass ich sagen soll, was ich so denke.“

„Klar, Monty, raus damit!“

„Also, ich würde gerne einmal die Futtersituation besprechen.“

„Okay.“

„Vielleicht könnte es etwas, wie soll ich sagen, etwas mehr und etwas leckerer sein?“

„Oh, bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass du dein Futter nicht magst. Es ist jedenfalls immer sehr schnell weg.“, sage ich mit einem Augenzwinkern.

Monty ignoriert die kleine Spitze.

„Na ja, sehr groß sind die Portionen ja nicht gerade. Und, wissen Sie, ein bisschen mehr Hafer wäre schön. Bananen mag ich auch gern und Sie haben da öfter diese kleinen Kekse, die so laut krachen, wenn man sie kaut, von denen könnten gerne auch welche drin sein … und …“

„Moooment, Moment, Monty. Das glaub ich dir sofort, dass du von all dem gerne mehr hättest, aber ich fürchte, das geht nicht. Über ein bisschen mehr Hafer können wir reden, aber nur, wenn du davon nicht zu wild wirst.“ Ich zwinkere ihm noch einmal zu. „Aber sehr viel mehr ist leider nicht drin. Ich will doch nicht, dass du krank wirst.“

„Krank?“, fragt er mich.

„Tja, Monty, du bist nicht gerade der Schlankste.“

„Pffft.“, macht mein Pferd und zieht den Bauch ein. „Ich und dick?“

„Ich habe nicht gesagt, dass du dick bist, aber ich möchte verhindern, dass du es wirst.“ Ich fahre mit meinen Fingern über seine Rippen, die sich beim besten Willen nicht ertasten lassen.

Er weicht zur Seite. „Bitte lassen Sie das, das ist unangenehm.“

„Tut mir leid, aber eigentlich soll man die Rippen bei einem Pferd gut ertasten können. Deine finde ich nicht mal, wenn ich bohre.“

„Sie sind ganz schön gemein heute.“

„Tut mir leid, Monty, aber das mit dem Futter ist eben schwierig. Ich würde es dir ja gönnen, aber es gehört zu meinem Job, dafür zu sorgen, dass du gesund bleibst.“

„Wissen Sie was, vergessen Sie es. Ich habe ja nur mal gefragt. Da sagen Sie immer, ich soll was sagen, doch wenn ich es tue, bringt das nichts außer Fiesheiten.“ Er dreht den Kopf weg von mir. 

„Ach, Monty, jetzt sei nicht beleidigt. Schau, ich mach ein bisschen mehr Hafer rein, ja?“, und greife eine zweite Handvoll.

Er schaut zu mir, hebt eine Augenbraue und ich komme mir furchtbar kleinlich und geizig vor.

„Monty, das ist nicht fair. Zu viel ist nicht gut für dich.“

Die Augenbraue bleibt oben. Wie lange kann ein Pferd eigentlich eine Augenbraue anheben? Ich fasse nochmal in den Hafersack und streue noch einige Körner mehr über die Heucobs. Die Augenbraue bleibt unverändert oben.

„Sorry, aber da bleibe ich jetzt eisern. Mehr gibt es nicht. Voilá, es ist angerichtet.“, sage ich und stelle ihm die Futterschüssel hin.

Er schaut mich noch für einen Moment länger an, den Kopf hoch, die Augenbraue noch höher, und ich frage mich, ob er jetzt das Futter verweigert. Aber dann höre ich nur ein kurzes „Pffft“ und seine Nase verschwindet in der Schüssel.

„Du magst doch Möhren, oder?“, fragte ich, während er frisst. „Davon kann ich ja ein paar mehr mitbringen. Was hältst du davon?“

„Ja, das wäre nett.“, sagt er mit vollem Maul und die Stimmung ist gleich wieder besser.

 

–> Weiter mit Kapitel 32

 

Monty – Wege zum Pferd

 

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Tania Konnerth

Wer erzählt Montys Geschichten?

Die Geschichten von Monty schreibt Tania Konnerth. Sie hat seit über 40 Jahren mit Pferden zu tun und hat – unter uns gesagt – inzwischen immer öfter das Gefühl, dass Pferde tatsächlich sprechen können.

Tania arbeitet als Schriftstellerin und Autorin in Bleckede. Mehr von ihr gibt es unter www.tania-konnerth.de.

29. Juni 2021 von Tania Konnerth • Kategorie: Geschichten von einem sprechenden Pferd, Sonstiges Kommentare deaktiviert für Ich bin’s, Ihr Pferd – Kapitel 31: Mehr ist wirklich nicht drin

Jungpferdausbildung mit Tania: Die ersten Schritte unter einem Reiter

Vor kurzem habe ich hier gezeigt, wie das erste Aufsteigen bei einem Jungpferd für mich auf eine pferdefreundliche Art erfolgen kann. Hier soll es nun um die ersten Schritte unter dem Reiter gehen. 

Selbstkritisch hinterfragen: Wer soll der erste Reiter sein?

Zunächst ist es wichtig, dass die Person, unter der das Pferd seine ersten Schritte machen soll, so viel Ruhe und Gelassenheit wie möglich ausstrahlt. So verständlich es ist, dass die meisten Besitzer/innen natürlich gerne selbst die Ersten sein wollen, die das Pferd reiten, so ist das nicht immer die beste Entscheidung. Jede/r sollte sich hier gut prüfen:

  • Kann ich einem jungen Pferd genug Sicherheit und Ruhe vermitteln?
  • Bin ich ohne Angst und frei von inneren Bildern dazu, was alles passieren könnte?
  • Bin ich mir meiner Atmung und Körperspannung bewusst und kann ich zuverlässig einschätzen, ob ich wirklich Ruhe und Gelassenheit ausstrahle? 
  • Bin ich vom Sitz und meiner eigenen Balance her sicher genug, mit einem kleinen Hüpfer oder einem Losrennen liebevoll umgehen zu können, ohne zu schimpfen oder grob zu werden?
  • Und auch diese Frage sollten wir uns stellen: Bin ich leicht genug für den komplett untrainierten Rücken des Jungpferdes?

Gelassenheit vermitteln und immer im Tempo des Pferdes vorgehen!

Dann ist das Wichtigste: Geduld, Geduld und nochmal Geduld. Einen Menschen auf dem Rücken zu tragen ist für viele Pferde im Stand gar kein so großes Problem (vorausgesetzt, man nimmt sich die Zeit, das gemeinsam mit ihnen zu arbeiten). Aber mit dem ungewohnten Gewicht tatsächlich zu laufen, ist etwas ganz anderes. Und da kann es leider selbst bei einem „ganz ruhig“ wirkenden Pferd zu Schreckreaktionen kommen. Je achtsamer wir hier auf das Pferd achten und wirklich nur weitermachen, wenn es entspannt und offen dafür ist, desto sicherer wird alle Beteiligten.

Wir müssen uns bewusst machen, dass unser Gewicht ein Pferd sehr stark in seiner Balance beeinflusst – und aus der Balance zu geraten, ist für viele Pferde unangenehm oder sogar beängstigend. Um zu vermeiden, dass das Pferd unsicher wird oder gar Angst bekommt, sollte die Entscheidung für die ersten Schritte vom Pferd selbst getroffen werden. Also bitte nicht am Strick oder Zügel ziehen oder es mit der Gerte antreiben, sondern einfach erstmal abwarten (und bitte erst recht nicht mit den Beinen treiben, denn diese Hilfe ist dem Pferd ja noch vollkommen unbekannt und kann sensible Gemüter wirklich sehr verunsichern).

Tipp: Der Helfer vom Boden kann sich ein Stück vom Pferd entfernen und es dazu ermutigen, ihm zu folgen. Sollte das Pferd darauf hin aber nicht vorwärtsgehen, dann wartet einfach ein bisschen ab oder probiert es in der nächsten Einheit noch einmal. 

Tritt das Pferd tatsächlich an, zeigt ihm ruhig und liebevoll Eure Freude! Versucht, auch wenn sich die Schritte sehr schwankend anfühlen, es so wenig wie möglich zu stören, sondern geht jede Bewegung weich und mit einem ruhigen Atem mit. Lasst das Pferd dann nach wenigen Schritten anhalten und lobt es freudig. Gebt ihm Zeit, bewusst nachzuspüren, wie sich der Mensch auf dem Rücken anfühlt, und dafür, all das, was es gerade erlebt, zu verarbeiten. Wenn es noch einmal antreten mag, super, aber dann reicht es auch! Hier können wir schnell den Fehler machen, zu viel zu wollen. Bitte widersteht der Versuchung, gleich ganze Runden laufen zu wollen, sondern gebt Euch bitte wirklich mit wenigen Schritten zufrieden. So klein diese Schritte vielleicht auch wirken mögen, sie sind ein riesiger Schritt in der Ausbildung und sie bilden das Fundament für das weitere Gerittenwerden.

Hier könnt Ihr in einem kleinen Video sehen (Link führt zu Youtube) sehen, wie Mucki seine ersten Schritte mit einem Menschen auf dem Rücken machte.

Die ersten Schritte unter einem Reiter

Und noch ein Lesetipp: Mit dem Herzen voran – der Reitkurs von „Wege zum Pferd“. 

21. Juni 2021 von Tania Konnerth • Tags: , , , , , • Kategorie: Aus der Bereiterpraxis, Jungpferdausbildung, Reiten, Umgang 0 Kommentare »

Lerne, über Dich selbst zu lachen – Inspiration des Monats

Mit unserer  Rubrik Inspiration des Monats nehmen wir uns jeweils ein Schwerpunktthema vor, für das wir Euch kurz und knapp Denkanstöße und Anregungen geben möchten. Lange Texte gibt es bei uns genug, aber gerade bei Basis-Themen denken wir, ist es wichtig, sie immer wieder mit in den praktischen Pferde-Alltag zu nehmen, um für eine längere Zeit im Herzen bewegt zu werden. Und meist sind es Schlüsselsätze oder -erkenntnisse, die man wirklich bei sich behält. 

Unser Tipp: Zieht Euch jeweils unsere Inspiration des Monats auf Euer Handy, damit Ihr die Fragen und Denkanstöße  für eine Weile immer dabei habt – Ihr werdet vielleicht überrascht sein, wie unterschiedlich Eure Antworten und Gedanken dazu in verschiedenen Situationen ausfallen können. 

Thema des Monats:
Lerne, über Dich selbst zu lachen

Pferde sind unsere Liebe und Leidenschaft und das tollste Hobby auf der Welt – und doch sind viele von uns im Umgang, aber vor allem im Training schrecklich streng und ernst. Wir erlauben uns selbst oft nicht den kleinsten Fehler und geben genau das auch unbewusst und damit ungewollt an unsere Pferde weiter. Was uns hier oft am meisten fehlt, ist die Fähigkeit, auch mal über uns selbst zu lachen.

Auch mal über sich selbst lachen zu können, ist aus meiner Sicht mit die wichtigste Zutat für ein freudvolles und leichtes Miteinander mit Pferden (und eigentlich auch für alle anderen Beziehungen in unserem Leben). Und so sollten wir uns viel öfter auf eine liebevolle Art den Witz und die Komik vieler Situationen und Begebenheiten mit Pferden und unseres eigenen Verhaltens bewusst machen. Das ändert sehr viel zum Guten, vor allem bei den so genannten „schwierigeren“ Pferden, die sich häufig als gar nicht sooo schwierig erweisen, wenn wir etwas lockerer werden und uns selbst nicht so furchtbar ernst nehmen. Manchmal wollen sie uns nämlich genau das abgewöhnen. Pferde haben ganz oft einen tollen Sinn für Humor und weisen uns auf vielfältige Weise darauf hin, wenn „es“ mal wieder mit uns durchgeht (… leider wird das aber oft als „Unart“ oder auch „Widersetzlichkeit“ interpretiert und mit Rügen oder gar Strafen beantwortet…). 

Lerne also, innerlich immer mal wieder einen Schritt zur Seite zu machen und Dir mit etwas Abstand selbst zuzuschauen, vor allem dann, wenn Du merkst, dass Du wütend oder gereizt bist und immer verbissener und ernster wirst. Vieles ist wirklich ziemlich lustig, wenn wir uns etwas mehr Spaß und Leichtigkeit erlauben. Und gemeinsam lachen zu können, tut einfach allen gut! 

Lach mal über dich selbst

Lesetipp: Der Freudekurs

15. Juni 2021 von Tania Konnerth • Kategorie: Aus dem Reitunterricht und Coaching, Erkenntnisse, Inspiration des Monats, Reiten, Umgang 0 Kommentare »

Ich bin’s, Ihr Pferd – Kapitel 30: Wir könnten die Welt verändern!

Aus „Ich bin’s, Ihr Pferd“ von Tania Konnerth
– zum ersten Kapitel geht es hier.

Ganz ehrlich, manchmal würde ich lieber keine Reiterin sein.

Ich habe gestern Bilder von einem internationalen Turnier gesehen, so ein richtig Großes und Bekanntes, und wünschte, das hätte ich mir erspart. Da thronen die Sieger strahlend auf Tieren, die ihre Erschöpfung, ihre Schmerzen, ihre Verwirrung und ihre Angst nicht deutlicher zeigen könnten, und ich frage mich wirklich, wie diese Leute stolz auf das sein können, was sie da tun und auch noch Preise und Medaillen dafür bekommen.

Eine Freundin bei Facebook hatte einen Bericht geteilt und da waren sie, die Bilder, die ich normalerweise meide, weil ich den Profisport kritisch sehe, Turniere eh nicht mag und davon überzeugt bin, dass das alles mit mir nichts zu tun hat.

Hat es aber doch.

Ob ich will oder nicht, ich bin als Reiterin Teil des Systems. Vor einer Weile hatte ich mein Pferd gefragt, warum nicht alle Pferde sprechen, weil die Welt dann doch auf jeden Fall eine bessere werden würde. Als ich die Bilder sah, liefen mir die Tränen, weil mir sehr klar wurde, wie Recht Monty mit seinen Zweifeln daran hat.

Was würde wohl passieren, wenn sich Pferde tatsächlich beschweren würden, wenn sie protestieren und anklagen würden? Würden wir Menschen ihre Mäuler dann nicht noch fester verschnüren oder sie für wahre Worte genauso verprügeln wie für Verweigerungen?

Manchmal frage ich mich wirklich, warum wir Pferden, die wir doch lieben, so viel Schlimmes antun? Warum werden sie zu Sklaven gemacht, misshandelt und ausgenutzt? Wie können so viele vor sich selbst rechtfertigen, was sie da tun? 

Aber wer bin ich, dass ich über die Profis urteilen will? Viele werfen uns Laien Neid und Missgunst vor. Wir würden den Erfolgreichen nur nicht gönnen, dass sie besser sind als wir. Laien, wie ich, die nicht mal einen starken Trab aussitzen können und bei jedem Sprung über einen halben Meter kneifen, dürfen wir denn überhaupt mitreden, wenn es um den großen Sport geht?

Falsche Frage! Die richtige lautet: Darf ich denn überhaupt NICHT mitreden? Darf ich mich ausruhen darauf, dass ich ja selbst keine Turniere reite? Darf ich die anderen machen lassen, weil es immer schon so gemacht wurde und weil sie alle viel besser reiten als ich? Nein, darf ich nicht. Ich müsste laut brüllend über Turnierplätze rennen, anklagend und aufrüttelnd. Ich müsste Initiativen gründen, die Presse mobilisieren, für Strafen und Verbote sorgen. Ich müsste mich engagieren.

Müsste ich – aber mache es nicht. Ich kann reden. Ich habe eine Stimme. Und … tue nichts.

„Was ist denn mit Ihnen los?“, fragt mich Monty, als ich etwas später bei ihm bin. Offenbar sieht er mir an, dass es mir gerade gar nicht gut geht.

„Ach, ich fühle mich mies.“

Monty schaut mich fragend an.

„Wegen euch.“

„Wegen uns?“

„Ja, wegen euch Pferden. Weil alles so maßlos falsch läuft, weil wir Menschen so viel Mist mit euch machen und es auch noch gut finden.“, bricht es aus mir heraus.

„Na, na.“, sagt Monty.

„Weißt du, ich habe diese schrecklichen Bilder von den Siegerehrungen auf einem großen Turnier gesehen, und die Pferde taten mir so leid, weil es falsch ist, was mit ihnen gemacht wird, nur um Preise zu gewinnen und Geld zu verdienen.  Manchmal schäme ich mich echt, ein Mensch zu sein.“

„Aber Sie machen das doch gar nicht.“

„Aber ich unternehme auch nichts dagegen.“

„Was wollen Sie denn dagegen unternehmen?“

„Ich weiß auch nicht, Leute mobilisieren, böse Briefe schreiben, Demos organisieren, was weiß ich, irgendwas halt.“

„Und das würde etwas ändern?“

„Hey, auf wessen Seite stehst du denn? Du als Pferd müsstest selbst auf die Barrikaden gehen!“

„Ich? Was hab ich denn damit zu tun? Ich mache nichts Schlimmes mit Pferden und mir geht es gut.“

„Na, das ist ja eine tolle Einstellung. Du bist doch ein Pferd und du kannst sprechen. Ja, das ist es – wir gehen in die Medien! Du wirst zum Fürsprecher aller Pferde, Monty, das könnte wirklich etwas bewegen.“ Ich bin echt begeistert von dieser Idee.

Mein Pferd schaut mich nur an.

„Wir könnten eine Webseite basteln, ein Buch schreiben, Artikel in Magazinen veröffentlichen und natürlich Interviews geben, am besten direkt auf den Veranstaltungen. Stell dir doch mal vor, wenn endlich ein Pferd der Menschheit sagen würde, was alles falsch läuft!“ Ich sehe es genau vor mir, wie Monty und ich die Welt verändern.

„Ein Pferd, das bestens versorgt ist und einen sehr leichten Job hat.“, gibt Monty zu bedenken.

„Na, du müsstest dich natürlich in die Pferde einfühlen, denen es schlecht geht und die geschunden werden und über die sprechen! Ist doch klar!“

„Warum sollte ich das tun? Nein danke, ich will nicht herumfahren, ich will vor niemanden sprechen. Ich bin zufrieden mit meinem Leben, so wie es ist.“

„Mensch, Monty, denk’ doch nicht nur an dich! Du könntest etwas für die gesamte Pferdewelt erreichen.“ Ich habe gerade meine Mission gefunden.

Mein Pferd zieht beide Augenbrauen hoch. „Tut mir leid, aber das ist wirklich nicht meine Aufgabe als Pferd.“ Und damit ist die Sache für ihn vom Tisch.

Mein schöner Enthusiasmus, der mich gerade so hoch hat fliegen lassen, verpufft und ich lande unsanft auf dem Boden der Tatsachen. Mein schlechtes Gewissen liegt mir wie ein  großer Stein im Magen. „Ich hatte uns beide Seite an Seite für eine bessere Welt kämpfen sehen, aber es stimmt schon, dass ist nicht deine Aufgabe. Wir Menschen sind es, die den Mist bauen, da können wir nicht auch noch von euch erwarten, dass ihr aktiv werdet …“ 

„Ähm, wäre es dann jetzt möglich, etwas zu essen zu bekommen?“, fragt mein Pferd.

„Ja, klar.“, sage ich und kann so wenigstens dafür sorgen, dass einer von uns ein gutes Gefühl im Bauch hat.

 

–> Fortsetzung  Kapitel 31

 

 

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Tania Konnerth

Wer erzählt Montys Geschichten?

Die Geschichten von Monty schreibt Tania Konnerth. Sie hat seit über 40 Jahren mit Pferden zu tun und hat – unter uns gesagt – inzwischen immer öfter das Gefühl, dass Pferde tatsächlich sprechen können.

Tania arbeitet als Schriftstellerin und Autorin in Bleckede. Mehr von ihr gibt es unter www.tania-konnerth.de.

8. Juni 2021 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Geschichten von einem sprechenden Pferd, Sonstiges Kommentare deaktiviert für Ich bin’s, Ihr Pferd – Kapitel 30: Wir könnten die Welt verändern!

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