Beim Reiten gibt es ein Problem, das zwar viele haben, über das aber wenig geschrieben oder gesprochen wird: und zwar geht es um das ruhige Stehenbleiben an der Aufstieghilfe. In unserem Reitkurs „Mit dem Herzen voran“ gibt es zu diesem Thema ein ganzes Kapitel, denn für uns ist ein entspanntes und ruhiges Aufsteigen unerlässlich für das pferdefreundliche Reiten. Meist aber sieht man leider noch immer das:
- Pferde, die an der Aufstieghilfe nicht stillstehen oder erst gar nicht hingehen wollen,
- Reiter die ungehalten werden und schimpfen,
- Leute, die das Pferd festhalten, damit überhaupt aufgestiegen werden kann.
Für viele ist es „normal“, dass der Anfang der Reitstunde so beginnt, aber genau so sollte und so muss es auch nicht sein.
Beim Aufsteigen hat das Pferd die Möglichkeit, uns sehr klar zu zeigen, ob es geritten werden möchte oder nicht und es ist an uns, das Signal unseres Pferdes wahr und ernst zu nehmen. Ein Pferd, das beim Aufsteigen nicht still steht, ist vor allem eines: eine Chance, wirklich pferdefreundlich zu handeln. Aus meiner Sicht ist es falsch und unfair, das Pferd dafür zu bestrafen oder zu versuchen, trotzdem irgendwie in den Sattel zu kommen, „weil man dem Pferd das nicht durchgehen lassen darf“. Pferde können nicht mit Worten reden, aber sie sprechen durch ihr Verhalten mit uns und zeigen uns oft sehr klar, wenn etwas nicht stimmt. Da für ein gutes und pferdefreundliches Reiten Kooperation unerlässlich ist, müssen wir uns hier konstruktiv mit der Aussage des Pferdes auseinandersetzen. Wenn wir sie hingegen ignorieren oder übergehen, handeln wir nicht pferdegerecht.
Mögliche Ursachen erkennen
Ein Pferd, das nicht an eine Aufstieghilfe treten will oder dort unruhig und zappelig wird, macht deutlich, dass ihm das Aufsteigen Stress bereitet. Das kann ganz unterschiedliche Gründe haben, wie zum Beispiel diese:
- Das Pferd hat nie auf eine positive Weise gelernt, ruhig und entspannt an der Aufstieghilfe zu stehen.
- Das Aufsteigen selbst ist unangenehm für das Pferd, zum Beispiel wenn ohne Aufstieghilfe aufgestiegen wird, wenn die Zügel zu fest aufgenommen werden, wenn der Mensch das Pferd unachtsam mit den Füßen bufft oder sich zu hart und schwer in den Sattel plumpsen lässt.
- Das Pferd nimmt ein unter Umständen unbewusstes Gefühl wie Unsicherheit oder Angst beim Menschen wahr oder spürt Wut oder Aggression und reagiert darauf.
- Das Pferd verbindet Ungutes mit einem Menschen auf seinem Rücken, wie zum Beispiel ein zu grobes Reiten oder ein zu hartes Training, zu viel Gewicht, einen unpassenden Sattel oder Ähnliches.
- Das Pferd ist abgelenkt oder wegen irgendetwas besorgt, es ist hungrig oder vielleicht nicht auf dem rechten Posten oder es will an diesem Tag einfach lieber nicht geritten werden.
Je nach Ursache gilt es dann gegebenenfalls, zunächst auf das Reiten zu verzichten und gemeinsam an dem Problem zu arbeiten.
Das Aufsteigen als Lektion
Wenn ich ein Pferd reiten möchte, dann soll es damit einverstanden sein. Ich möchte mich eingeladen fühlen, auf seinen Rücken zu steigen und es nicht erzwingen. Deshalb steige ich nicht auf ein Pferd, dass mich nicht ruhig und entspannt aufsteigen lässt.
Ich sehe das Aufsteigen bereits als eine „Lektion“, die ich mir gemeinsam mit dem Pferd erarbeite. Ich übe das zunächst frei, denn damit stelle ich sicher, dass ich das Pferd nicht unbewusst dazu bringe, stehen zu bleiben, obwohl es eigentlich gar nicht will. Viele Pferde, die gerne zeigen würden, dass sie nicht möchten, dass der Reiter aufsteigt, trauen sich genau das gar nicht mehr, da sie grob dazu gebracht wurden, still zu stehen.
Hier seht Ihr eine kleine Sequenz mit meinem Anthony, wie ich das freie Aufsteigen angehe und auch immer wieder übe, oft auch ohne dann tatsächlich zu reiten:
Zunächst geht es dabei nur um ein ruhiges Stehen an der Aufstieghilfe. Erst wenn das der Fall ist, probiere ich, ob ich auch aufsteigen darf. Anthony kann mir jederzeit zeigen, ob er einverstanden ist, dass ich mich auf seinen Rücken setze oder nicht. Manchmal tut er das schon, wenn ich nur an der Aufstieghilfe stehe, während er an anderen Tagen vollkommen selbstverständlich stehen bleibt und deutlich einverstanden ist. Da es auch Tage gibt, an denen er sich die Sache erst überlegen muss, frage ich immer ein paar Mal freundlich nach, wenn er nicht stehen bleibt und zum Beispiel rückwärts geht oder seitwärts tritt.
Auch wenn ich ein anderes Pferd reite, steige ich nur auf, wenn es damit einverstanden ist. Hier seht Ihr Skjöran, der meiner Stallbesitzerin gehört und den ich für unseren Reitkurs reiten durfte:
Wie Ihr sehen könnt, nehme ich die Zügel zum Aufsteigen nicht auf, sondern lasse sie locker auf dem Hals liegen. Ich möchte ehrlich wissen, ob das Pferd ruhig stehen bleibt oder eben nicht. Mir dieses Ja zu Beginn einer Reiteinheit abzuholen, gehört für mich so selbstverständlich dazu, wie man beim Tanzen einen Partner fragt und nicht einfach auf die Tanzfläche zerrt. Äußert mein Pferd Bedenken oder Abwehr, dann schaue ich, was nötig ist, damit mich mein Pferd gerne auf seinen Rücken lässt.
Fazit
Für mich gilt: Wir sollten immer eine klare Einwilligung von unserem Pferd zum Aufsteigen bekommen und es nicht erzwingen wollen. Für mich gilt:
Wenn ein Pferd nicht möchte,
dass ich aufsteige, dann lasse ich es und
frage mich stattdessen, warum es das wohl nicht will.
(Und nein, ich habe nicht ein einziges Mal die Erfahrung gemacht, dass Pferde so etwas „ausnutzen“, ganz im Gegenteil: Pferde, die die Erfahrung machen, dass man auf sie und ihre Bedürfnisse eingeht, sind viel motivierter und freudvoller dabei, etwas für uns zu tun.)