Ich bin’s, Ihr Pferd – Kapitel 30: Wir könnten die Welt verändern!

Aus „Ich bin’s, Ihr Pferd“ von Tania Konnerth
– zum ersten Kapitel geht es hier.

Ganz ehrlich, manchmal würde ich lieber keine Reiterin sein.

Ich habe gestern Bilder von einem internationalen Turnier gesehen, so ein richtig Großes und Bekanntes, und wünschte, das hätte ich mir erspart. Da thronen die Sieger strahlend auf Tieren, die ihre Erschöpfung, ihre Schmerzen, ihre Verwirrung und ihre Angst nicht deutlicher zeigen könnten, und ich frage mich wirklich, wie diese Leute stolz auf das sein können, was sie da tun und auch noch Preise und Medaillen dafür bekommen.

Eine Freundin bei Facebook hatte einen Bericht geteilt und da waren sie, die Bilder, die ich normalerweise meide, weil ich den Profisport kritisch sehe, Turniere eh nicht mag und davon überzeugt bin, dass das alles mit mir nichts zu tun hat.

Hat es aber doch.

Ob ich will oder nicht, ich bin als Reiterin Teil des Systems. Vor einer Weile hatte ich mein Pferd gefragt, warum nicht alle Pferde sprechen, weil die Welt dann doch auf jeden Fall eine bessere werden würde. Als ich die Bilder sah, liefen mir die Tränen, weil mir sehr klar wurde, wie Recht Monty mit seinen Zweifeln daran hat.

Was würde wohl passieren, wenn sich Pferde tatsächlich beschweren würden, wenn sie protestieren und anklagen würden? Würden wir Menschen ihre Mäuler dann nicht noch fester verschnüren oder sie für wahre Worte genauso verprügeln wie für Verweigerungen?

Manchmal frage ich mich wirklich, warum wir Pferden, die wir doch lieben, so viel Schlimmes antun? Warum werden sie zu Sklaven gemacht, misshandelt und ausgenutzt? Wie können so viele vor sich selbst rechtfertigen, was sie da tun? 

Aber wer bin ich, dass ich über die Profis urteilen will? Viele werfen uns Laien Neid und Missgunst vor. Wir würden den Erfolgreichen nur nicht gönnen, dass sie besser sind als wir. Laien, wie ich, die nicht mal einen starken Trab aussitzen können und bei jedem Sprung über einen halben Meter kneifen, dürfen wir denn überhaupt mitreden, wenn es um den großen Sport geht?

Falsche Frage! Die richtige lautet: Darf ich denn überhaupt NICHT mitreden? Darf ich mich ausruhen darauf, dass ich ja selbst keine Turniere reite? Darf ich die anderen machen lassen, weil es immer schon so gemacht wurde und weil sie alle viel besser reiten als ich? Nein, darf ich nicht. Ich müsste laut brüllend über Turnierplätze rennen, anklagend und aufrüttelnd. Ich müsste Initiativen gründen, die Presse mobilisieren, für Strafen und Verbote sorgen. Ich müsste mich engagieren.

Müsste ich – aber mache es nicht. Ich kann reden. Ich habe eine Stimme. Und … tue nichts.

„Was ist denn mit Ihnen los?“, fragt mich Monty, als ich etwas später bei ihm bin. Offenbar sieht er mir an, dass es mir gerade gar nicht gut geht.

„Ach, ich fühle mich mies.“

Monty schaut mich fragend an.

„Wegen euch.“

„Wegen uns?“

„Ja, wegen euch Pferden. Weil alles so maßlos falsch läuft, weil wir Menschen so viel Mist mit euch machen und es auch noch gut finden.“, bricht es aus mir heraus.

„Na, na.“, sagt Monty.

„Weißt du, ich habe diese schrecklichen Bilder von den Siegerehrungen auf einem großen Turnier gesehen, und die Pferde taten mir so leid, weil es falsch ist, was mit ihnen gemacht wird, nur um Preise zu gewinnen und Geld zu verdienen.  Manchmal schäme ich mich echt, ein Mensch zu sein.“

„Aber Sie machen das doch gar nicht.“

„Aber ich unternehme auch nichts dagegen.“

„Was wollen Sie denn dagegen unternehmen?“

„Ich weiß auch nicht, Leute mobilisieren, böse Briefe schreiben, Demos organisieren, was weiß ich, irgendwas halt.“

„Und das würde etwas ändern?“

„Hey, auf wessen Seite stehst du denn? Du als Pferd müsstest selbst auf die Barrikaden gehen!“

„Ich? Was hab ich denn damit zu tun? Ich mache nichts Schlimmes mit Pferden und mir geht es gut.“

„Na, das ist ja eine tolle Einstellung. Du bist doch ein Pferd und du kannst sprechen. Ja, das ist es – wir gehen in die Medien! Du wirst zum Fürsprecher aller Pferde, Monty, das könnte wirklich etwas bewegen.“ Ich bin echt begeistert von dieser Idee.

Mein Pferd schaut mich nur an.

„Wir könnten eine Webseite basteln, ein Buch schreiben, Artikel in Magazinen veröffentlichen und natürlich Interviews geben, am besten direkt auf den Veranstaltungen. Stell dir doch mal vor, wenn endlich ein Pferd der Menschheit sagen würde, was alles falsch läuft!“ Ich sehe es genau vor mir, wie Monty und ich die Welt verändern.

„Ein Pferd, das bestens versorgt ist und einen sehr leichten Job hat.“, gibt Monty zu bedenken.

„Na, du müsstest dich natürlich in die Pferde einfühlen, denen es schlecht geht und die geschunden werden und über die sprechen! Ist doch klar!“

„Warum sollte ich das tun? Nein danke, ich will nicht herumfahren, ich will vor niemanden sprechen. Ich bin zufrieden mit meinem Leben, so wie es ist.“

„Mensch, Monty, denk’ doch nicht nur an dich! Du könntest etwas für die gesamte Pferdewelt erreichen.“ Ich habe gerade meine Mission gefunden.

Mein Pferd zieht beide Augenbrauen hoch. „Tut mir leid, aber das ist wirklich nicht meine Aufgabe als Pferd.“ Und damit ist die Sache für ihn vom Tisch.

Mein schöner Enthusiasmus, der mich gerade so hoch hat fliegen lassen, verpufft und ich lande unsanft auf dem Boden der Tatsachen. Mein schlechtes Gewissen liegt mir wie ein  großer Stein im Magen. „Ich hatte uns beide Seite an Seite für eine bessere Welt kämpfen sehen, aber es stimmt schon, dass ist nicht deine Aufgabe. Wir Menschen sind es, die den Mist bauen, da können wir nicht auch noch von euch erwarten, dass ihr aktiv werdet …“ 

„Ähm, wäre es dann jetzt möglich, etwas zu essen zu bekommen?“, fragt mein Pferd.

„Ja, klar.“, sage ich und kann so wenigstens dafür sorgen, dass einer von uns ein gutes Gefühl im Bauch hat.

 

–> Fortsetzung  Kapitel 31

 

 

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Tania Konnerth

Wer erzählt Montys Geschichten?

Die Geschichten von Monty schreibt Tania Konnerth. Sie hat seit über 40 Jahren mit Pferden zu tun und hat – unter uns gesagt – inzwischen immer öfter das Gefühl, dass Pferde tatsächlich sprechen können.

Tania arbeitet als Schriftstellerin und Autorin in Bleckede. Mehr von ihr gibt es unter www.tania-konnerth.de.

8. Juni 2021 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Geschichten von einem sprechenden Pferd, Sonstiges Kommentare deaktiviert für Ich bin’s, Ihr Pferd – Kapitel 30: Wir könnten die Welt verändern!

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