Was tun, wenn das Pferd schnappt?

Schnappende Pferde sind nicht gerade ein Vergnügen. Herkömmlicherweise wird ein schnappendes Pferd bestraft, entweder mit einer scharfen stimmlichen Ermahnung oder auch handfest mit einem Klaps oder Schlag. Aus unserer Sicht ist dieses Vorgehen kontraproduktiv und nicht zu empfehlen. Es ist vielmehr wichtig, zu verstehen, dass ein Pferd mit seinem Schnappen und auch Beißen etwas auszudrücken versucht – das kann Frust sein oder Stress, es kann damit Schmerzen ausdrücken oder Überforderung, es kann Ärger damit zeigen oder Übermut und vieles mehr. Allein diese kleine Aufzählung zeigt, wie entscheidend es ist, das Verhalten eines Pferdes zu verstehen. Denn nur so können wir zu guten Lösungen kommen. 

Bei der Arbeit nach unserem Longenkurs arbeiten wir zum Teil ja sehr nah am Pferd und gerade bei Übungen wie dem „Führen in Stellung“ oder dem „Übertreten lassen“ kann uns ein Pferd, das schnappt oder gar beißt, ganz schön die Laune verderben. Wir möchten Euch deshalb hier einen Audio-Track aus unserem Audio-Programm Der Longenkurs im Ohr zur Verfügung stellen, in dem Babette sehr ausführlich auf das Problem des Schnappens eingeht. Ihre Tipps helfen Euch ganz sicher auch beim normalen Führen oder im Umgangen ganz allgemein. Wir hoffen, dass möglichst viele mit diesen Anregungen, das Schnappen ihres Pferdes in Zukunft anders sehen und so auch andere Wege finden, damit umzugehen – denn es lässt sich tatsächlich in den allermeisten Fällen gut in den Griff bekommen, wenn WIR uns ändern und lernen, besser auf unser Pferd einzugehen. 

Den Audio-Track könnt Ihr hier herunterladen – viel Freude damit! Eure Babette

Hörprobe Audiokurs zum Longenkurs

23. März 2021 von Tania Konnerth • Kategorie: Jungpferdausbildung, Longieren, Umgang, Verhalten 0 Kommentare »

Geh nicht von Dir aus, sondern von Deinem Pferd – Inspiration des Monats

Mit unserer  Rubrik Inspiration des Monats nehmen wir uns jeweils ein Schwerpunktthema vor, für das wir Euch kurz und knapp Denkanstöße und Anregungen geben möchten. Lange Texte gibt es bei uns genug, aber gerade bei Basis-Themen denken wir, ist es wichtig, sie immer wieder mit in den praktischen Pferde-Alltag zu nehmen um für eine längere Zeit im Herzen bewegt zu werden. Und meist sind es Schlüsselsätze oder -erkenntnisse, die man wirklich bei sich behält. 

Unser Tipp: Zieht Euch jeweils unsere Inspiration des Monats auf Euer Handy, damit Ihr die Fragen und Denkanstöße  für eine Weile immer dabei habt – Ihr werdet vielleicht überrascht sein, wie unterschiedlich Eure Antworten und Gedanken dazu in verschiedenen Situationen ausfallen können.

Thema des Monats:
Geh nicht von Dir aus, sondern von Deinem Pferd

Es heißt immer, dass man Pferde nicht vermenschlichen soll und doch tun wir – oft unbewusst – genau das! Scheut ein Pferd auf der bekannten Geländetour, reagieren viele mit einem „So ein Spinner!“. Will ein Pferd nicht durch eine Pfütze gehen, heißt es, dass das Pferd nur „testen“ will. Zappelt ein Pferd beim Satteln, schimpfen viele, dass es sich mal nicht so anstellen und gefälligst stillhalten soll. Und das sind nur einige Beispiele von leider vollkommen falschen Interpretationen von Pferdeverhalten.

Ein Pferd ist immer ein Pferd und wir können sein Verhalten nur dann richtig einordnen und auch beantworten, wenn wir uns seine Beweggründe und Motive klarmachen. Ein im Gelände scheuendes Pferd, „spinnt“ in diesem Moment nicht, sondern es reagiert instinktiv auf etwas, das es verunsichert oder erschreckt hat. Ein Pferd, dass nicht durch eine Pfütze gehen will, ist in diesem Moment unsicher, weil es die Bodenverhältnisse nicht einschätzen kann oder hat andere, aus seiner Sicht gute Gründe, das Durchqueren zu vermeiden. Ein Pferd, das beim Satteln zappelt, zeigt damit, dass es etwas unangenehm findet (entweder den vielleicht unpassenden Sattel, die Art des Sattelns oder was nach dem Satteln kommt). Reagieren wir in solchen oder ähnlichen Situationen vorschnell mit Unverständnis, weil es unserer Ansicht nach, keinen Grund für das Verhalten gibt, tun wir unseren Pferden Unrecht.

Wir müssen verstehen, dass Pferde vieles grundlegend anders als wir erleben und bewerten. Ihre Sinne nehmen die Umgebung anders wahr als unsere und manches erleben sie viel intensiver oder feiner als wir. Für sie sind andere Dinge wichtig oder auch gefährlich als für uns. Sie können nicht sagen, wenn ihnen etwas wehtut oder unangenehm ist, aber sie können es uns zeigen. Doch wir Menschen gehen viel zu oft vorschnell davon aus, im „Recht“ zu sein in unseren Erwartungen und Forderungen an Pferde, weil wir eine Situation nur aus unserer eigenen Sicht betrachten. Sich hier immer wieder ganz bewusst in das Pferd hineinzuversetzen und zu versuchen, die Sache mit seinen Augen zu sehen, kann das Verhältnis zu Pferden wesentlich zum Guten ändern. Mehr noch: Nur so können wir überhaupt pferdefreundlich handeln.

Frage Dich also viel öfter mal: „Wie sieht mein Pferd das Ganze gerade wohl?“ – vor allem dann, wenn Du Dich über Dein Pferd ärgerst oder Dich von ihm genervt fühlst.

19. Januar 2021 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Inspiration des Monats, Umgang, Verhalten 2 Kommentare »

Anthony und das Schaf: So kann Vertrauen wachsen

Mein Anthony gehört zu den eher unsicheren Pferden. Ich habe ihn von Beginn an immer dazu ermutigt, sich Gruseliges anzuschauen, was ihn neugierig und auch etwas selbstbewusster gemacht hat (siehe dazu auch diesen Text), aber er neigt nach wie vor zu Angst und Angespanntheit, wenn er etwas gruselig findet. Das gehört einfach zu ihm. Seinen inneren Stress zeigt er fast gar nicht (siehe auch diesen Blogbeitrag zu den unterschiedlichen Stresstypen), so dass er von außen betrachtet auf viele ruhig und gelassen wirkt. Tatsächlich aber gleicht er einem Dampfkessel, in dem sich immer mehr Druck aufbaut, der sich, wenn man die Situation nicht entschärft, irgendwann unkontrollierbar entlädt – sprich: er flieht dann kopflos. 

Leider ist es in der Pferdewelt immer noch weit verbreitet, ängstlichen Pferde durch die so genannte Desensibilisierung „beibringen zu wollen“, dass sie keine Angst zu haben brauchen (Babette hat dazu schon vor vielen Jahren diesen Text geschrieben und siehe dazu auch diesen Blogbeitrag). Für mich ist das ein unsensibler, ja oft sogar grausamer Irrweg, denn weder eine hohe Sensibilität noch Angst lassen sich mit Druck verringern, im Gegenteil: Ein solches Vorgehen kann zu unvorhersehbaren Gegenreaktionen führen, die Unsicherheit des Pferdes noch erhöhen oder zu einer inneren Aufgabe und dem führen, was man erlernte Hilflosigkeit nennt. Ich möchte Euch hier einmal zeigen, wie Anthony und ich uns gruselige Sachen erarbeiten (wer darüber mehr wissen will, schaut am besten einmal in unseren Anti-Angst-Kurs). 

Anthony und das Schaf

Eine Miteinstellerin hatte ein geschorenes Schaffell mit zum Stall gebracht und es am Reitplatz über den Zaun gelegt. Mir war klar gewesen, dass das Anthony beunruhigen würde, aber ich hatte doch mal wieder unterschätzt, wie stark seine Angst werden kann. Ich hatte ursprünglich vorgehabt, ihn, wie ich es immer mache, behutsam zu dem Schaf zu führen, ihn die Sache beschnuppern und erkunden zu lassen und mit viel Lob ein gutes Erlebnis daraus zu machen. Tatsächlich aber konnte ich bei dem ersten Versuch eigentlich nur zusehen, dass ich nicht von ihm über den Haufen gerannt werde, denn er war kaum noch in der Lage, mich wahrzunehmen, geschweige denn auf mich zu hören, so besorgt war er. Jedes Schimpfen oder Strafen wäre in diesem Moment vollkommen kontraproduktiv und unangemessen gewesen, denn er war nicht „unartig“, er hatte Angst. Also nahm ich das zum Anlass, daraus ein kleines Projekt zu machen und einmal mein Vorgehen bei der Vertrauensarbeit mit Videos zu dokumentieren. Das Ergebnis sind die folgenden vier Videos aus insgesamt drei Einheiten, die Ihr Euch mit einem Klick auf die Fotos bei Youtube anschauen könnt: 

Einheit 1: Wir nähern uns dem Schaf

In dieser Einheit ging es mir allein darum, dass es Anthony möglich wird, sich in der Nähe des Schafs wenigstens ein bisschen zu entspannen. Man muss schon ziemlich genau hinschauen, um zu erkennen, wie stark seine Anspannung ist, als passiver Stresstyp wirkt er viel ruhiger als er es tatsächlich war. Ich hätte ihm am Ende der Einheit gerne noch etwas lockerer gehabt und wahrscheinlich hätte ich das früher auch mehr forcieren wollen. Heute aber weiß ich, dass Druck gar nichts bringt, sondern den Stress noch verstärkt. Es war an diesem Tag einfach so und genau so war es auch okay. Wir waren eine gute Viertelstunde mit dem Schaf beschäftigt, eine Verlängerung hätte nur dazu geführt, dass er irgendwann komplett überfordert gewesen wäre. In Sachen Angst ist weniger ganz oft mehr!

VertrauenstrainingHier geht es zum Video (Link führt zu youtube).

Einheit 2: Anthony findet Mut und hat sogar Spaß

Zur zweiten Einheit habe ich zwei Videos erstellt. Zunächst setze ich genau da an, wo die erste Einheit aufhörte. Ich ließ Anthony wieder alle Zeit, die er brauchte und nach und nach konnte er sich etwas besser entspannen – auch wenn es vielleicht nicht spektakulär aussieht, so empfand ich es als einen großen Erfolg! 

Vertrauenstraining

Hier geht es zum Video (Link führt zu youtube)

Aus dem Bauch heraus beschloss ich dann noch, das Schaf auf den Boden zu legen und von Anthony wegzubewegen. Daraus entwickelte sich eine ganz wundervoll verspielte Sequenz, in der Anthony das Schaf gar nicht mehr gruselig fand und immer gelöster wurde. Es war mir dann sogar möglich, ihn damit zu berühren, wobei ich sehr gut aufpasste, ihn damit nicht zu überfallen und zu überfordern. Ich holte mir seine Einwilligung darüber, dass ich ihn erst ein stationäres Target berühren ließ und das als Signal nahm, weitermachen zu können (mehr dazu hier und hier). 

VertrauenstrainingHier geht es zum Video (Link führt zu youtube)

Einheit 3: Wir reiten zum Schaf

Ich hatte keine konkreten Pläne für die dritte Einheit, wäre Anthony wieder ängstlich gewesen, hätten wir genauso weitergemacht, wie Ihr es in den ersten Videos sehen konntet. Da er aber dieses Mal beim Heranführen ein ganzes Stück gelassener und mutiger wirkte, probierte ich aus, ob wir vielleicht auch zum Schaf hin und vielleicht sogar am Schaf vorbereiten können würden. Hier könnt Ihr sehen, wie ich da vorging und wie Anthony diese Herausforderung meisterte:

Vertrauenstraining

Hier geht es zum Video (Link führt zu youtube)

Das Ziel für mich ist mehr (Selbst-)Vertrauen!

Abschließen möchte ich mit einem Foto, das Anthony als stolzes Pferd zeigt, als ein Pferd, der die Zeit bekommen hat, Mut aus sich heraus zu entwickeln und der gewachsen ist durch die Einheiten. Vergleicht seine Ausstrahlung einmal mit den Pferden, die mittels „Desensibilisierung“ dazu gebracht werden, neben einem angstauslösenden Gegenstand zu stehen …

Vertrauensförderung

Nachtrag – ein Wiedersehen mit dem Schaf

Recht kurz nachdem die Videos aufgenommen worden waren, kam Anthony mit seinen Kumpels auf die Sommerweide. In der Zeit gab es keine neuen Einheiten mit „dem Schaf“. Als er dann wieder zurück zum Stall kam, war ich sehr gespannt, wie bei einem Wiedersehen mit dem Schaf reagieren würde. Ich hätte mir seine Reaktion im Traum nicht ausmalen können – schaut selbst in diesem Video, das für mich nicht schöner zeigen könnte, dass Geduld und Einfühlungsvermögen ängstlichen Pferden zu Selbstvertrauen und vor allem Freude verhelfen können. 

Vertrauenstraining – Wege zum Pferd

Hier geht es zum Video (Link führt zu youtube)

 

27. Juli 2020 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Jungpferdausbildung, Umgang, Verhalten, Vertrauenstraining 3 Kommentare »

Was wir als Pferdemenschen verstehen müssen

Zum Erscheinen der 500. Ausgabe unseres Newsletters hatten wir mal wieder zu einer Mitmach-Aktion eingeladen. Dafür hatten wir unseren Monty, das sprechende Pferd, als Anlass genommen, um Euch diese Frage zu stellen: 

„Wenn Pferde sprechen könnten,
welchen Satz sollten wir Menschen
– als Reiter/innen oder auch ganz allgemein –
am dringendsten von ihnen hören?“

Wir haben 200 Einsendungen erhalten, von denen uns viele sehr berührt haben. Es ist wundervoll, wie viele tief gehende und mitfühlende Gedanken Ihr Euch gemacht habt und wie oft wir nicken mussten, weil wir auch denken, dass uns genau das Pferde sagen wollen würden.

Wir haben hier eine kleine Auswahl als Video aufbereitet, von dem wir hoffen, dass es möglichst viele Pferdemenschen erreicht und vielleicht noch viel mehr Verständnis schaffen kann. In unserem Newsletter werden wir immer wieder noch weitere Sätze veröffentlichen.  Klickt auf das Bild, um das Video anschauen: 

Pferde verstehen

(Ein Klick auf das Bild führt zu unserem Youtube-Kanal.)

26. Mai 2020 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Umgang, Verhalten 2 Kommentare »

Wie wirke ich auf mein Pferd?

Wenn wir mit Pferden arbeiten, dann beobachten wir sie meist sehr genau. Dabei übersehen wir aber oft, welche große Bedeutung unsere eigene Ausstrahlung hat. 

Die Pferde fest im Blick

Pferde gut sehen und spüren zu lernen, ist im Umgang und Training sehr wichtig, damit wir jederzeit bedarfsgerecht reagieren können. Wir achten dabei sowohl auf die Mimik des Pferdes als auch auf den Körper, darauf, ob unser Pferd gestresst wirkt oder entspannt, wie es sich bewegt, was ihm Probleme macht und vieles mehr. So können wir uns idealerweise jederzeit ein Bild davon machen, ob unser Pferd gerade losgelassen ist, wie es sich fühlt, ob seine Hinterhand aktiv und seine Haltung gut ist, um es dann mit passenden Übungen darin zu unterstützen, immer besser und freudvoller zu laufen und mitzuarbeiten. Soweit so gut.

… aber was ist mit uns selbst?

Wir wünschen uns ein Pferd, welches möglichst vom Genick bis hin zur Schweifrübe losgelassen und zufrieden ist. Aber was ist mit uns? Oftmals übersehen wir, dass wir so in unserer Konzentration versunken sind, dass wir gar nicht merken, wie verkniffen wir starren, wie fest wir unseren Po anspannen, wie sehr wir die Schultern hochziehen. Und genau deshalb ist es ganz wichtig, den Fokus hin und wieder auch mal weg vom Pferd hin zu sich selbst zu lenken und darauf zu achten, mit welcher Ausstrahlung wir auf unser Pferd einwirken – innerlich und äußerlich.

Sie merken alles

Pferde sind naturgemäß sehr sensibel und empathisch. Sie spüren unsere Anspannung sehr genau und bekommen sogar unsere inneren Bilder mit und reagieren oft sehr stark darauf. Und das macht es uns nicht immer ganz so leicht. Wer kennt es nicht, dass wir beim Reiten so etwas denken, wie „Hoffentlich erschrickt sich mein Pferd nicht vor dem komischen Gegenstand dort …“ und prompt scheut das Pferd? Oder dass man nur ans Antraben denkt und schon trabt das Pferd? 

Ich erlebe immer wieder, wie wenig sich viele von uns eigentlich ihrer eigenen Ausstrahlung bewusst sind. Zum Beispiel glauben viele, eigentlich ganz ruhig zu wirken, tatsächlich aber gehen sie mit einer sehr hohen Körperspannung zum Pferd, worauf dieses bereits in eine Hab-Acht-Stellung gerät. Weit verbreitet ist auch ein geradezu böse wirkender Gesichtsausdruck, obwohl wir nur sehr konzentriert sind. Auf unser Pferd wirken wir aber dadurch unter Umständen sogar bedrohlich. Genauso merken viele von uns nicht, wie unzufrieden wir wirken, denn obwohl wir eigentlich ganz stolz auf unser Pferd sind, reden wir nur über das, was noch nicht klappt … 

Wenn es uns gelingt, mit einer sanften, liebevollen Energie und positiven Ausstrahlung ans Pferd zu gehen, erhöht das unsere Chance für ein harmonisches und entspanntes Miteinander sehr und dem Pferd wird die Arbeit mit uns viel mehr Freude bereiten. 

Kleiner Selbst-Check mit Tipps

Dieser kleine Selbst-Check für eine gute Ausstrahlung eignet sich unabhängig davon, ob wir nun longieren, reiten, unser Pferd putzen oder führen wollen. Richtet hin und wieder Euren Fokus mal ganz auf Euch selbst und achtet auf die folgenden Punkte: 

  • Fließt mein Atem ruhig? Atme ich tief und ruhig? Wenn Ihr merkt, dass Ihr oberflächlich und hektisch atmet, dann versucht Euch bewusst zu entspannen und verlängert Eure Atemzüge: erst für zwei Schritte ein- und für zwei Schritte ausatmen, dann für drei, für vier und für fünf… 
  • Ist mein Blick sanft?  Ein konzentriertes (und dabei oft auch kritisches) Anstarren empfinden viele Pferde als sehr unangenehm. Außerdem verkürzt ein starrer Blick unsere Atmung und macht uns insgesamt „fester“. Übt Euch deshalb in einem weiten, weichen Blick, mit dem Ihr nicht nur einen einzelnen Punkt fixiert, sondern auch die Umgebung sehen könnt. Versucht immer, Euer Pferd mit ganz sanften Augen anzuschauen, habt, wie ich es immer nenne, „Herzchen in den Augen“ und lächelt mindestens innerlich, am besten aber auch sichtbar. 
  • Ist mein Gesicht entspannt? Wenn wir sehr konzentriert oder angespannt sind, neigen wir dazu, die Kiefer zusammenzupressen und die Stirn zu runzeln. Wenn Ihr das bei Euch merkt, dann löst bewusst die Zunge vom Gaumen, macht leichte Kaubewegungen, so als wenn Ihr ein Kaugummi kauen würdet, und lockert die Kiefergelenke. Entspannt auch die Stirn und die Augenbrauen. Und lächelt 🙂
  • Sind meine Schultern locker? Sehr häufig ziehen wir unbewusst die Schultern hoch und werden dabei im ganzen (Ober-)Körper fest. In meinen Longenkursen kann ich häufig beobachten, dass diese meist unbewusste Haltung bei sensiblen Pferden schon ausreicht, um sie z.B. antraben zu lassen. Oftmals versteht der Longenführer gar nicht, warum sein Pferd plötzlich losläuft, aber es hat nur auf die Spannung seines Menschen reagiert. Ähnliches gilt für das Reiten. Deshalb rate ich Euch, immer mal wieder in die Schultern zu spüren und sie genüsslich nach hinten kreisen und dann sanft nach hinten-unten sinken zu lassen. 
  • Lasse ich meine Oberarme entspannt am Körper fallen? Wenn wir angespannt sind, sind unsere Oberarme oftmals ganz fest, obwohl wir eigentlich nur unsere Unterarme brauchen, um z.B. die Bewegungen an der Longe auszuführen oder die Zügel zu halten. Wir tragen die Arme oft auch viel höher als nötig oder spannen auch den Arm an, der gerade gar nichts tun muss. Auch hier immer mal wieder hineinspüren und ganz bewusst die Spannung loslassen – keine Sorge: die Arme fallen nicht ab, wenn man sie lockert 😉
  • Ist meine Bauchdecke weich? Gerade Frauen ziehen oft unbewusst dauerhaft den Bauch ein, wodurch eine hohe Körperspannung entsteht. Eine gewisse Aufrichtung für eine gute Körperhaltung brauchen wir natürlich, aber achtet mal darauf, was passiert, wenn Ihr beim Reiten oder Longieren, bewusst die Bauchdecke an- und dann entspannt. Nicht selten schnauben Pferde ab, wenn wir Spannungen bei uns lösen. Findet hier das richtige Maß. 
  • Ist mein Po entspannt? Das ist besonders beim Reiten ein ganz wichtiger Punkt, denn ein angespanntes Gesäß macht es dem Pferd sehr schwer, im Rücken loszulassen und Euch, die Bewegungen weich zu sitzen. Hier deshalb immer mal wieder ganz bewusst die Pobacken in den Sattel schmelzen lassen. 
  • Klemmen meine Beine? Auch dieser Punkt ist für das Reiten wichtig. Mit klemmenden Beinen kann man keine feinen Schenkelhilfen geben. Wir blockieren damit auch in der Hüfte und können die Bewegungen des Pferdes nicht weich mitgehen. Mit so einer Kralle auf seinem Rücken können Pferde nur schwer loslassen und manche reagieren auch mit deutlichem Stress. Also: immer wieder die Beine lösen. Ein sicherer Sitz entsteht nicht dadurch, dass wir unser Pferd mit unseren Beinen einklemmen, sondern durch das flexible und weiche Mitgehen in den Bewegungen. 
  • Kann ich Bewegung in meinen Gelenken zulassen? Die Gelenke in unserem Körper ermöglichen uns Bewegung. Blockieren wir ein Gelenk, entsteht sowohl ein Bewegungs- als auch ein Energiestau. Beides nehmen Pferde deutlich wahr und reagieren manchmal sehr stark darauf. Nicht umsonst können wir mit einem einfachen Abkippen des Beckens ein Pferd durchparieren. Geht deshalb immer mal wieder bewusst alle entscheidenden Gelenke durch: Seid Ihr zum Beispiel beim Reiten beweglich in der Hüfte, kann das Becken frei mit der Bewegung des Pferdes mitgehen? Sind Eure Fußgelenke locker, so dass sie die Bewegungen gut auffangen können? Sind Eure Handgelenke geschmeidig, damit sie die Bewegungen der Zügel oder der Longe ganz weich ausführen und durchlassen können?
  • Welche Bilder habe ich im Kopf? Oftmals sehen wir vor unserem inneren Bild genau das, was wir nicht wollen, also das, was wir befürchten, was alles passieren könnte. Diese negativen Bilder oder zumindest die Stimmung daraus kann sich auf unser Pferd übertragen. Versucht, statt dessen immer das zu sehen, was Ihr haben oder erreichen möchtet: also zum Beispiel ein entspanntes Pferd, auch wenn es gerade noch aufgeregt ist, ein Pferd, welches loslässt, auch wenn es gerade noch angespannt ist, ein Pferd, welches ruhig durchpariert, auch wenn es gerade noch hektisch um Euch herumläuft. Und das tiefe, ruhige Atmen dabei nicht vergessen – und, ja genau: immer schön lächeln 🙂
  • Wie ist meine Erwartungshaltung? Oftmals gehen wir mit sehr hohen Erwartungen in die Arbeit mit unserem Pferd und übersehen dabei, dass unser Pferd in diesem Moment noch nicht in der Lage ist, diese zu erfüllen, sei es aus körperlichen oder psychischen Gründen. Es spürt aber genau, dass wir eigentlich mehr von ihm wollen, und kann deshalb verunsichert oder gestresst werden. Versucht, möglichst immer frei von Erwartungen zu sein. Ihr könnt schöne Zielbilder im Kopf formen, aber seht immer auch den Weg dorthin ganz positiv und liebevoll und nehmt ohne Groll oder Frust das an, was gerade möglich ist.
  • Welche persönlichen Themen belasten mich im Moment? Auch was wir von außen mit in den Stall bringen, ist für viele Pferde spürbar. Sie reagieren zum Teil sehr sensibel auf unseren Stress auf der Arbeit, unsere Sorge um ein Familienmitglied, unsere Krise mit unserem Partner. Hier ist es wichtig, sich immer wieder zu prüfen, ob man diese Themen vielleicht für die Trainingseinheit loslassen kann und wenn nicht, die Arbeit mit dem Pferd entsprechend zu gestalten, zum Beispiel lieber mit einer Spiel- und Kraulstunde als mit konzentriertem Training.

Ein Grundsatz

Für mich gibt es einen simplen Grundsatz für die Arbeit mit Pferden: Ich versuche, immer das auszustrahlen, was ich mir von meinem Pferd wünsche. 

  • Möchte ich ein freundliches, entspanntes Pferd? Dann strahle ich Freundlichkeit und Entspannung aus!
  • Möchte ich ein fröhliches und motiviertes Pferd? Dann bringe ich mich mit meinen eigenen fröhlichen und motivierten Anteilen in Kontakt!
  • Möchte ich, dass mein Pferd in einer guten Haltung läuft, achte ich auch auf meine eigene Haltung!

Es gibt einen schönen Spruch, der die Kindererziehung betrifft: „Wie erziehen keine Kinder, sie machen uns eh nach.“ Das gilt für mich auch für den Umgang mit Pferden 🙂

Ausstrahlung bei der Arbeit mit dem Pferd

17. März 2020 von Babette Teschen • Kategorie: Arbeit an der Hand, Aus dem Reitunterricht und Coaching, Longieren, Reiten, Umgang, Verhalten 3 Kommentare »

Atme! – Inspiration des Monats

Mit unserer  Rubrik Inspiration des Monats nehmen wir uns jeweils ein Schwerpunktthema vor, für das wir Euch kurz und knapp Denkanstöße und Anregungen geben möchten. Lange Texte gibt es bei uns genug, aber gerade bei Basis-Themen denken wir, ist es wichtig, sie immer wieder mit in den praktischen Pferde-Alltag zu nehmen, um für eine längere Zeit im Herzen bewegt zu werden. Und meist sind es Schlüsselsätze oder -erkenntnisse, die man wirklich bei sich behält. 

Unser Tipp: Zieht Euch jeweils unsere Inspiration des Monats auf Euer Handy, damit Ihr die Fragen und Denkanstöße  für eine Weile immer dabei habt – Ihr werdet vielleicht überrascht sein, wie unterschiedlich Eure Antworten und Gedanken dazu in verschiedenen Situationen ausfallen können. 

Thema des Monats:
Atme!

Ob wir reiten, ein Pferd führen oder es einfach nur putzen, es gibt eine Sache, die so ziemlich alles, was wir mit einem Pferd tun, beeinflusst – und doch achten wir so gut wie nie bewusst darauf. Und das ist unser Atem. 

Wir atmen zwar normalerweise ganz automatisch, aber wir atmen nicht immer automatisch auch gut im Sinne von ruhig und gleichmäßig. Wenn wir zum Beispiel nervös, unsicher oder sogar ängstlich sind, atmen wir flach und schnell oder stockend und manchmal halten wir ungewollt den Atem sogar an. Nun nehmen Pferde unsere Art zu atmen deutlich wahr, da unsere Atmung unsere Körperhaltung und Körperspannung, unsere Bewegungen, Gesten und Hilfengebung, unsere Stimmlage, unsere Mimik und anderes mehr beeinflusst. Pferde als Herdentiere sind wahre Experten darin, selbst kleinste Veränderung an anderen zu erkennen und zu interpretieren. Nur so ist beispielsweise gewährleistet, dass im Falle einer Gefahr auch wirklich alle Pferde flüchten. Wenn wir also „unnormal“ atmen, vermitteln wir unserem Pferd damit ungewollt, dass etwas nicht in Ordnung ist, und es wird vielleicht unruhig, zappelig und scheut. Dadurch spannen wir uns wiederum mehr an oder reagieren unwirsch und atmen noch flacher und schneller, worauf wiederum das Pferd wirklich ängstlich werden kann. Aber nicht nur Unsicherheit vermitteln wir durch unsere Atmung, auch Missbilligung, Wut, Aggression und anderes mehr.  

Je bewusster wir uns unseres Atems sind, desto schneller merken wir, wenn wir Signale senden, die wir gar nicht senden wollen und können auch Reaktionen eines Pferdes auf uns viel besser verstehen. Mittels Atemtechniken können wir lernen, erst einmal überhaupt ein Gefühl für unseren Atem zu bekommen, um bei Bedarf immer wieder zu ruhigen und entspannten Atemzügen zu finden. Mit einem ruhigen Atem können wir unserem Pferd viel leichter Gelassenheit und Leichtigkeit und auch Freude am Miteinander vermitteln und uns auch selbst entspannen. Hier findet Ihr vier  kleine Übungen für den Anfang, die sich gut im (Pferde-)Alltag umsetzen lassen: 

Es gibt natürlich viele weitere Atemmethoden. Recherchiert ruhig mal danach und probiert verschiedene aus. Sucht Euch dann ein, zwei Atemtechniken aus, mit denen Ihr gut klar kommt, damit Ihr sie quasi immer „dabei“ habt, wenn Ihr zum Pferd geht. Es lohnt sich wirklich! 

 

Atme

3. März 2020 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Inspiration des Monats, Reiten, Umgang, Verhalten 1 Kommentar »

Buchtipp: Im Kreis der Herde von Marc Lubetzki

„Im Kreis der Herde: Von wilden Pferden lernen“ von Marc Lubetzki
Stuttgart: Kosmos, 2019. – 160 S.
ISBN:978-3440164365
30,– EUR (gebunden, durchgehend farbige Fotos)

 

Auf dieses Buch haben wir uns sehr gefreut! Wir kennen und schätzen Marc und seine Arbeit schon lange und haben selbst viel wertvolles Wissen und zahlreiche Anregungen für Themen und Artikel aus seinen Filmen und Vorträgen ziehen können. Marc hätte mit seinen Kenntnissen einen praktischen Ratgeber schreiben oder aus den wundervollen Fotos einen Bildband ohne viele Worte machen können, und tatsächlich ist „Im Kreis der Herde“ beides zugleich  – aber darüber hinaus noch etwas ganz Anderes, viel Besseres geworden!

Im Kreis der Herde

Man merkt dem Buch von der ersten Seite an, dass es von einem Filmemacher stammt, denn hier ist das Lesen wie im Kino sitzen: Sein Buch nimmt uns  an die Hand und führt uns in die Welt der wild lebenden Pferde, die Marc so gut kennt wie kaum ein anderer. Marc lässt uns diese Welt aber nicht nur mit seinen Augen entdecken, sondern durch die anschaulichen Beschreibungen auch hören, riechen und fühlen. Und so können wir zusammen mit ihm auf die Suche nach den Pferden gehen: Wir klettern mit ihm auf Hügel, wir laufen gemeinsam durch den Wald und mit der Herde zum Wasserloch. Wir dösen in der Sonne oder warten den Sturm ab. Wir kommen einzelnen Pferdepersönlichkeiten ganz nah, stellen uns seine Fragen, finden mit ihm zusammen Antworten heraus und lernen auf diese Weise Pferde ganz neu kennen. Marc belehrt uns nicht, er erklärt nicht einmal wirklich, sondern er lässt uns neue Erkenntnisse regelrecht selbst entdecken. Und das macht das Buch zu etwas ganz Besonderem.

„Im Kreis der Herde“ ist ein wirklich zauberhaftes Buch geworden und eines, das man nie wieder vergisst, weil es tief berührt, Pferde einmal so zu erleben, wie sie wirklich sind. Die meisten von uns kennen Pferde nur in der Obhut von uns Menschen, wie sie aber in freier Wildbahn leben, ist vielen unbekannt. Und da gibt es so viel zu erfahren! 

Wir hoffen, dass dieses Buch es schafft, dass wir Menschen uns etwas weniger wichtig nehmen und dafür begreifen, welch große Bedeutung Pferde füreinander haben und wie wichtig es für sie ist, Teil einer Herde zu sein. Wir hoffen, dass noch viel mehr Menschen klar wird, dass das Bild, welches herkömmlicherweise von wild lebenden Pferden gezeichnet wird, oft nur dazu dient, leider meist nicht pferdegerechte Trainingsmethoden zu rechtfertigen, aber mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Wir sind davon überzeugt, dass die Einblicke, die Marc uns schenkt, dabei helfen, Pferdeverhalten mit anderen Augen zu sehen und besser zu verstehen. Und wir sind uns sicher, dass jeder, der dieses Buch liest, Pferde danach noch wunderbarer finden wird als zuvor. 

Fazit: „Im Kreis der Herde“ leistet einen ganz wichtigen Beitrag dafür, dass diese oft noch immer so missverstandenen Tiere endlich so gesehen werden, wie sie wirklich sind. 

 

Im Kreis der Herde

Direkt beim Kosmos-Verlag bestellen. 

 

26. November 2019 von Tania Konnerth • Kategorie: Buchtipps, Engagement und Pferdeschutz, Haltung, Verhalten 1 Kommentar »

So unterschiedlich zeigen Pferde Stress

Vor einiger Zeit hatten wir gezeigt, wie man Schmerzen beim Pferd erkennt, weil immer noch zu viele Menschen, die mit Pferden zu tun haben, nicht wirklich wissen, wie sich Schmerzen beim Pferd äußern. Und ganz Ähnliches gilt für die Frage, wie sich Stress bei Pferden erkennen lässt!

Na, das ist doch ganz einfach!? 

Viele werden nun sagen, dass sich Stress ja bei Pferden sehr einfach erkennen lässt. Aber ist das wirklich so? Machen wir mal einen kleinen Test: 

Erlebt dieses Pferd gerade Stress? 

Stress beim Pferd

Und wie sieht es mit diesem Pferd aus?

Stress bei Pferden

Und was ist mit diesen beiden Ponys?

Stress bei Pferden

Natürlich ist eine Beurteilung nach einem Standbild nur begrenzt möglich, aber ich denke, die meisten Menschen würden wohl sagen, dass die Pferde auf den ersten beiden Fotos eher gestresst wirken, während die beiden auf dem unteren Foto ziemlich entspannt aussehen. 

Stress bei Pferden hat viele Gesichter

Tatsächlich aber sind auf allen Bildern Pferde zu sehen, die zum Zeitpunkt der Aufnahme Stress erlebten.

  • Das erste Foto entstand auf einem Turnier auf dem Abreitplatz. Das Pferd war sehr nervös und durch die vielen Reize und fremden Pferde abgelenkt, worauf der Reiter versuchte, es durch leider sehr grobe Einwirkung unter Kontrolle zu bringen.
  • Auf dem zweiten Bild ist positiver Stress zu sehen, nämlich die freudige Erregung durch das Anweiden. Die Herde wurde kurz zuvor auf den Sommer-Paddock gebracht und tobte wie wild herum. Freudiger und negativer Stress können ziemlich ähnlich aussehen (fühlen sich aber natürlich für das Pferd sehr unterschiedlich an).
  • Die beiden Pferde auf dem dritten Foto werden für die meisten sicher eher entspannt als gestresst wirken, aber das ist ein Irrtum. Sie standen zwar die meiste Zeit (vermeintlich) ruhig herum, wer sie aber kennt und genau hinschaute, konnte beobachten, dass sie z.B. nicht wie sonst fraßen oder dösten, sondern immer mal wieder an verschiedenen Stellen am Zaun standen, mehr als sonst in die Gegend schauten und gelegentlich kurz wieherten. Tatsächlich standen die Ponys zum Zeitpunkt der Aufnahme schon für einige Stunden ohne ihre beiden Pferdekumpels auf dem Paddock, die an diesem Tag auf einem Turnier waren. Sie waren sehr besorgt und erwarteten sehnlichst die Rückkehr ihrer Gefährten. 

Und das macht eines deutlich: Stress kann bei Pferden sehr unterschiedlich aussehen! 

Stresstypen beim Pferd

Wir können zwei grundlegend unterschiedliche Stresstypen bei Pferden unterscheiden:

  • Erstens gibt es die so genannten „aktiven“ oder „extrovertierten“ Stresstypen –  Pferde diesen Typs zeigen ihren Stress je nach Ausprägung deutlich durch Unruhe, sie tänzeln oder rennen wild umher, richten ihre Hälse hoch auf, haben aufgerissene Augen und geblähte Nüstern, sie schnauben und prusten und atmen schnell, sie schwitzen, schlagen mit dem Kopf, äppeln häufig und neigen zu Übersprungshandlungen, wie Schnappen, Scheuen oder Losreißen. Sie entsprechen damit dem Bild, das die meisten Menschen im Kopf haben, wenn man vom Stress beim Pferd spricht. Bei der Arbeit bieten solche Pferde unter Stress oft alles Mögliche an, nehmen Signale vorweg und sind kopflos, übereifrig und „hibbelig“. Leider reagieren viele Menschen auf dieses Verhalten mit Strenge. Die Pferde werden dann angeherrscht, dass sie sich zusammenreißen sollen, oder auch körperlich durch Rucken am Zügel, Klapsen u.ä. bestraft. Natürlich erhöhen solche Maßnahmen den Stress der Pferde.
  • Dann gibt es aber noch die „passiven“ oder „introvertierten“ Stresstypen – Pferden, die zu diesem Typ gehören, merkt man Stress kaum an. Sie wirken auch unter großem Stress ruhig und unbewegt, was viele fälschlich als „gelassen“ deuten. Sie werden oft als faul oder stur bezeichnet, weil sie unter Stress immer mehr dichtmachen, Signale ignorieren und unter Umständen komplett die Mitarbeit verweigern und regelrecht erstarren: ihr Körper ist dann bretthart, sie sind nicht mehr ansprechbar und nehmen häufig auch kein Leckerli mehr. Ein typisches Beispiel ist das vor dem Pferdeanhänger „festgefrorene“ Pferd, welches zu keinem, weiteren Schritt in den Hänger bereit ist, aber dabei einen „ruhigen und gelassenen“ Eindruck macht. Da viele Menschen bei diesen Pferden nicht auf die Idee kommen, dass die Tiere unter Stress stehen, werden sie oft falsch und ungerecht behandelt. Nicht selten erleben auch sie Gewalt, weil der Mensch meint, sich „durchsetzen“ zu müssen. Auch für diese Pferde erhöht das natürlich den Stress, der sich dann – scheinbar vollkommen unerwartet – explosiv entladen kann. Das sind dann die Fälle, in denen ach so „gemütliche Dicke“ durchgehen und es richtig gefährlich wird … 

Fazit – Drei wichtige Erkenntnisse  

  1. Es ist wichtig, unseren Blick zu schulen und unser Einfühlungsvermögen zu trainieren, um auch Stress bei Pferden zu erkennen, die dem passiven Stresstyp angehören, denn Stress zeigt sich nicht immer nur durch Aufregung. Auch ein scheinbar ruhiges Pferd kann je nach Stresstyp gestresst sein. Es gibt sogar Pferde, bei denen gerade ihre vermeintliche „Ruhe“ ein Anzeichen für Stress ist.
  2. Ein gestresstes Pferd braucht immer Verständnis und eine beruhigende Ausstrahlung, die dem Pferd Sicherheit vermittelt. Wenn wir den Stress als Not des Pferdes erkennen – und zwar unabhängig davon, welchem Typ das Pferd angehört – können wir überlegen, welche Maßnahmen geeignet sind, den Stresspegel des Pferdes in der jeweiligen Situation zu senken. 
  3. Stress bei Pferden löst oft auch Stress bei uns selbst aus. Der Stress bei Pferden vom aktiven Stresstyp macht vielen Menschen Angst, die Stressreaktionen des passiven Stresstyps hingegen lösen häufig Wut und/oder Aggressionen aus. Es ist wichtig, dass wir solche Reaktionen bei uns bewusst wahrnehmen und lernen, wirkungsvoll gegenzusteuern, damit wir die Situation auf eine gute Weise entschärfen können. 

Bei Stress sind wir alle gefragt

Leider ist das Wissen über die unterschiedlichen Stresstypen bei Pferden noch nicht allzu verbreitet. Hier sind wir alle gefordert, in der Praxis all jene freundlich aber bestimmt auf die Tatsache hinzuweisen, dass sich Stress bei Pferden nicht immer klar zeigt, um zu verhindern, dass passive Stresstypen vor allem Grobheit und Gewalt statt Verständnis und Unterstützung erleben. Genauso können wir Hilfe und Unterstützung anbieten, wenn jemand mit der Aufregung eines Pferdes, das zum aktiven Stresstyp gehört, überfordert ist, und das mit Gewalt in den Griff zu bekommen versucht. 

Stress ist unvermeidlich – für uns Menschen genau wie für unserer Pferde. Deshalb ist es wichtig, sich mit diesem Thema zu befassen, zu lernen, die Reaktionen von Pferden besser einzuordnen und auch ganz gezielt den Umgang mit gestressten Pferden zu üben. Je souveräner wir mit Stressreaktionen umgehen können, desto besser lässt sich der Stress auflösen.

Lies hier auch über die Beschwichtigungssignale beim Pferd.

Tipp: In unserem Kurs „Vertrauen statt Angst“ gibt es ganz praktische Tipps, Übungen und Anregungen, wie sich Stress- und Angst-Situationen für Mensch und Pferd konstruktiv gestalten lassen. 

29. Oktober 2019 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Gesundheit, Verhalten 2 Kommentare »

Was ist ein Problempferd?

So ziemlich jeder, der mit Pferden zu tun hat, kennt auch so genannte „Problempferde“. Problempferde sind zum Beispiel solche, die ihre Reiter abwerfen, die buckeln und steigen oder die davonstürmen und durchgehen. Problempferde sind aber auch die, die beißen oder treten. Und die, die faul sind und nicht vorwärtsgehen wollen. Und die, die Hilfen ignorieren und nicht tun, was sie sollen. Und die, die am Sprung verweigern oder einfach nicht angaloppieren, wenn der Mensch es will … 

Kurz und gut, Pferde gelten dann als Problempferde, wenn der Mensch sie nicht so nutzen kann, wie er es sich vorstellt – oder anders gesagt: Das Pferd macht dem Menschen Probleme und wird damit zum Problem.

Vielleicht aber ist es genau anders herum?

Nun möchte ich zu einem Gedankenexperiment einladen und die Sache einfach einmal umdrehen. Dazu können wir einmal die folgende Frage stellen:  

Ist ein Problempferd vielleicht ein Pferd,
das ein Problem mit uns Menschen hat? 

Wenn wir uns einmal klarmachen, dass Pferde natürlicherweise so gut wie nichts von dem tun, was wir Menschen von ihnen wollen, dann liegt der Gedanke nicht mehr so fern, dass genau unsere Forderungen und Erwartungen das Tier vor große Herausforderungen stellen. Wird es verständnisvoll behandelt, bekommt es Zeit zum Lernen und werden ihm seine Aufgaben auf eine pferdegerechte und angenehme Weise vermittelt, so wird es die vielen Herausforderungen meistern können, die wir ihm stellen und es wird Freude am Miteinander mit Menschen entwickeln können (viele Anregungen dazu gibt es auch hier). 

In sehr vielen Fällen aber gehen Menschen leider nicht mit den nötigen Kenntnissen über das Wesen von Pferden an die Ausbildung und das Training heran und oft bringen sie auch nur wenig Geduld, Einfühlungsvermögen oder Verständnis mit. Da sollen die Dinge möglichst schnell klappen und wenn ein Pferd nicht spurt, na, dann setzt man sich halt durch und bringt es zu dem, was man will. Die Folgen sind in weiten Bereichen überforderte und verängstigte oder auch frustrierte und abgestumpfte Pferde, die nicht lernen, aktiv und mit Spaß an Herausforderungen heranzugehen, sondern die vor allem Strafen vermeiden wollen und deshalb irgendwie funktionieren. 

Zu Problempferden werden dann solche Pferde, die nicht in diesem Sinne „funktionieren“:

  • Pferde, die vielleicht einfach nicht verstehen, was man von ihnen will.
  • Pferde, die überreizt sind angesichts all der Dinge, die Menschen von ihnen wollen.
  • Pferde, die Angst haben und nicht vertrauen.
  • Pferde mit einem starken Willen, die sich lieber auf sich selbst verlassen. 
  • Pferde, die Menschen respektlos finden und sich wehren, wenn sie unfair behandelt werden. 
  • Pferde, die aus gesundheitlichen oder psychischen Gründen nicht funktionieren können. 
  • Pferde, für die der Mensch kein Freudenanlass ist, sondern Störfaktor oder Schlimmeres.

Sind das wirklich Problempferde, nur weil sie nicht erfüllen können, was wir uns in den Kopf gesetzt haben? Wenn wir ehrlich bereit sind, über diese Frage nachzudenken, ist schon viel gewonnen für die Pferdewelt.

Problempferd

25. Juni 2019 von Tania Konnerth • Kategorie: Aus der Bereiterpraxis, Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Jungpferdausbildung, Umgang, Verhalten 3 Kommentare »

Pferde sind vielschichtige Wesen

Ich stelle immer wieder fest, wie viele Menschen annehmen, dass Pferde eher einfach gestrickt sind, ja, gar nicht wenige halten Pferde sogar für dumme Tiere. Das macht mich traurig, denn ich habe ganz andere Erfahrungen mit diesen wundervollen Tieren gemacht. 

Labels greifen zu kurz

Man mag die Vielschichtigkeit der oft stark ausgeprägten Persönlichkeiten von Pferden nicht immer auf den ersten Blick erkennen. Wenn man ein Pferd zum Beispiel nur aus dem Stall holt, um eine Reitstunde zu absolvieren, und es dann wieder zurückstellt, kann man durchaus einen eher eindimensionalen Eindruck von dem Pferd bekommen. Da ist dann vielleicht „der Brave“, der immer macht, was man von ihm will oder „die Zicke“, die schon beim Putzen ausschlägt und keine anderen Pferde mag oder „der Faule“, den man im Unterricht kaum vorwärts bekommt oder „die Dominante“, bei der man aufpassen muss, sich nichts gefallen zu lassen.

Keines solcher Etiketten wird einem Pferd gerecht – und doch sind die wenigsten davon frei, Pferden ein Label aufzudrücken.

Tipp: Überprüft Euch da doch gleich einmal selbst: Habt Ihr auch Schubladen, in denen Ihr Pferde steckt? 

Wir sehen Pferde oft durch die Augen anderer

Wenn wir mit Pferden zu tun haben, dann schauen wir sie oft beeinflusst durch verschiedene Faktoren an, derer wir uns nicht immer bewusst sind.

Zum Beispiel werden wir beeinflusst durch

  • das, was andere uns über Pferde allgemein oder auch über ein bestimmtes Pferd erzählt haben,
  • das, was wir über Pferde gelesen haben, 
  • das, was wir in Workshops vermittelt bekommen haben. 
  • unsere eigenen Erfahrungen, die wir mit Pferden in der Vergangenheit gemacht haben,
  • das, was wir in einem Pferd sehen wollen,
  • den aktuellen Fokus, den wir gerade haben,
  • unsere Wünsche und Erwartungen,
  • unsere blinden Flecken, die uns nicht alles wahrnehmen lassen, obwohl es da ist,
  • unsere Ängste
  • und vieles mehr.

Die Filter, mit denen wir auf ein Pferd schauen, sorgen dafür, dass wir Pferde oft ziemlich schablonenhaft sehen: der faule Haflinger, der durchgeknallte Araber, der ehrgeizige Hannoveraner und so weiter. So sind wir leider nicht immer offen dafür, die Eigenheiten und Besonderheiten an jedem einzelnen Pferd zu erkennen und zu würdigen. Wir sind es gewohnt, nur auf bestimmte Sachen zu achten, oder interpretieren ein Verhalten immer auf eine bestimmte Art. Manchmal wollen wir etwas auch gar nicht wahrnehmen und denken uns die Welt, wie sie uns gefällt, weil wir nicht von unseren eigenen Vorstellungen und Wünschen ablassen wollen.

Vereinfachung hat negative Folgen

Die Tendenz, Pferde schablonenhaft zu sehen, hat negative Folgen. Ein sehr anschauliches Beispiel ist die inzwischen länge überholte, aber leider immer noch weiter propagierte Dominanztheorie. Danach werden verschiedenste, ganz unterschiedlich motivierte Verhaltensweisen als so genanntes „dominantes“ Verhalten gedeutet und so gut wie immer mit Härte beantwortet. Es wird nicht erkannt, dass ein Pferd vielleicht aus ganz anderen Gründen schlägt, zum Beispiel weil es kitzlig ist oder überfordert oder Schmerzen hat oder dass ein Pferd nicht aufdringlich ist, weil es ein Bully ist, sondern weil es unsicher ist.

Verallgemeinerungen und Pauschalannahmen geben uns das Gefühl, die Welt besser ordnen zu können. Indem wir Pferde in bestimmte Schubladen stecken, glauben wir zu wissen, wie wir mit ihnen umgehen müssen, was uns ein (in der Regel irrtümliches) Gefühl von Kontrolle gibt. Wir sind dann oft nicht nur in unserem Umgang mit dem Pferd auf dem Holzweg, wir versäumen auch, das Pferd mit seiner ganz eigenen Persönlichkeit kennenzulernen. Und das ist schade! Pferde haben so viel zu schenken und wir können endlos viel von ihnen lernen, wenn wir bereit sind, sie in ihrem tatsächlichen Wesen zu erkennen. Für mich sind es zunehmend die Vielschichtigkeit und Tiefe von Pferdepersönlichkeiten, die mich begeistern und verzaubern. 

Und so möchte ich laut in die Pferdewelt rufen: Habt mehr Mut, ein Pferd wirklich kennenzulernen! Gesteht ihnen eine eigene Persönlichkeit zu und lasst Euch davon überraschen, wie vielschichtig sie sind.

Pferde sind vielschichtig

14. Mai 2019 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Verhalten 3 Kommentare »

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