Mehr Mitsprache fürs Pferd – so geht’s!

Im herkömmlichen Umgang haben Pferde selten ein Mitspracherecht. Auf mehr oder weniger nette Art setzt der Mensch seinen Willen durch und wenn das Pferd aufmuckt, wird immer noch viel zu wenig gefragt, warum es das tut. Statt dessen werden nötigenfalls härtere Maßnahmen eingesetzt, um das Pferd eben doch zu dem zu bringen, was man von ihm will. Dabei gibt es viel schönere Wege, solche Herausforderungen gemeinsam MIT dem Pferd anzugehen und zu lösen. 

Wir möchten hier einen von diesen Wegen zeigen. Inspiriert wurde er von dem so genannten Initiatorsignal aus dem Clickertraining (wer mehr darüber wissen will, kann das in diesem Beitrag nachlesen) und abgewandelt für den Einsatz auch für Pferdeleute, die nicht klassisch clickern. 

Das ist Caruso: 

Initiatorsignal Fliegenspray(Fotos von Martin Paasch)

Caruso findet es ziemlich schrecklich, mit Anti-Fliegenspray eingesprüht zu werden (sein Blick hier zeigt sehr gut seine Skepsis). Da ihm aber Bremsen, Mücken und Fliegen das Leben im Sommer schwer machen, haben seine Menschen immer wieder versucht, ihn doch davon zu überzeugen, dass Fliegenspray gar nicht so schlimm ist. Caruso entzog sich aber immer und immer wieder deutlich dem Einsprühen, indem er auswich und den Kopf hochnahm. Selbst mit mehreren Personen und mit viel liebevollem Zureden und Leckerlis war es oft so gut wie unmöglich, ihn einzusprühen.

Ich erzählte seiner Besitzerin Maja dann von dem Initiatorsignal und schickte ihr einen Videolink. Nun clickert Maja selbst nicht, übernahm aber die Grundidee, Caruso ein Mitspracherecht in der Sache zu geben. Und das hat sehr vieles geändert: Bis heute ist Caruso zwar noch immer kein großer Fan vom Fliegenspray – ABER: Er lässt es sich inzwischen gefallen, und zwar, weil er den Prozess aktiv mitgestalten kann.

Das Pferd entscheidet

Und so geht’s: Zunächst achtete Maja sehr genau darauf, was Caruso den größten Stress bei der Prozedur bereitet und fand auf diese Weise heraus, dass er einen mit dem Spray getränkten Schwamm etwas besser ertragen konnte als das Ansprühen. Und damit begann sie zu arbeiten. Allein das zeigt schon, was dieser Ansatz bewirkt: nämlich, dass wir achtsam für das Pferd und sein Problem werden und nicht einfach nur unsere Vorstellung durchziehen.

Carusos Reitbeteiligung Isabell zeigt hier, welchen Ablauf Carusos Menschen und er zusammen erarbeitet haben: Sie gibt das Spray auf einen Schwamm und hält Caruso diesen Schwamm hin, so dass er genau sehen und riechen kann, was das ist. Wenn Caruso den Schwamm berührt, darf der Mensch ihn ein Stück weit damit einreiben: 

Initiatorsignal Fliegenspray

Initiatorsignal Fliegenspray

Zeigt Caruso, dass es ihm zu viel wird, hört der Mensch sofort auf! 

Initiatorsignal Fliegenspray

Stattdessen wird wieder der Schwamm eingesprüht und Caruso hingehalten. Durch Berühren des Schwammes gibt er das Signal, wann weiter gemacht werden kann.

Initiatorsignal Fliegenspray

Auf diese Weise ist es inzwischen möglich, ihn relativ entspannt allein am ganzen Körper einzureiben, was noch zu Beginn des Sommers undenkbar war.

Initiatorsignal Fliegenspray

Gut investierte Zeit

Vielen, denen ich bei Problemen eine solche Vorgehensweise vorschlage, scheint der Zeitaufwand zu groß. Und ja, zu Beginn kann dieses Vorgehen, zugegebenermaßen, schon länger dauern. Aber der Einsatz lohnt sich, denn man bekommt auf diese Weise echte Freiwilligkeit. 

Dem Pferd ein Mitspracherecht zu geben, ist ein sehr respekt- und liebevoller Weg, die Meinung des Pferdes anzunehmen und MIT ihm zu arbeiten. Es geht nicht darum, dem Pferd komplett seinen Willen zu lassen, sondern Ziel ist, ein Problem GEMEINSAM mit dem Pferd zu lösen. 

Ganz wichtig: Schlägt man diesen Weg ein, darf man nicht zwischendurch, weil es mal schnell gehen soll, doch wieder in einer Hauruck-Aktion das Pferd gegen seinen Willen einsprühen. Damit verspielt man sich das zuvor erarbeitete Vertrauen! Wenn mal keine Zeit ist, ist es besser, auf das Einsprühen zu verzichten und es sollten unbedingt auch alle Beteiligten an einem Strang ziehen.

10. Oktober 2017 von Tania Konnerth • Kategorie: Gesundheit, Ideen, Umgang, Verhalten 5 Kommentare »

 

5 Reaktionen zu “Mehr Mitsprache fürs Pferd – so geht’s!”

 

Von Chrisa • 10. Oktober 2017

Liebe Tania,
vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag. Denn ich erlebe (leider) noch sehr oft, dass viele, die zwar pferdegerecht „arbeiten“ wollen und Rollkur und andere (offensichtliche) Zwangsmaßnahmen ablehnen, dann bei so (angeblich grundlegenden) Dingen wie Einsprühen, Verladen, etc. doch in solche Hauruck-Muster zurückfallen – frei nach dem Motto „Da muss der Gaul jetzt durch“. Nein, muss er nicht!

Meiner hat manchmal Probleme, sich „hinter“ dem Genick putzen zu lassen (er neigt dort zu Verspannungen) und ich habe das Problem genauso gelöst:
ich zeige ihm die Bürste, er berührt sie mit der Nase und ich lasse sie an der Nase, bis ich „putzbereit“ bin (erst muss ich nämlich noch die Mähne beiseiteschaffen 😉 ) und wenn dann noch alles „ok“ ist, putze ich. Es gibt Tage, da läufts super, und an anderen Tagen zwackts etwas – so sehe ich immer schon beim Putzen, was Sache ist und mein Pferd hat ein echtes Mitspracherecht.

 

Von Jasmin • 11. Oktober 2017

Hallo Tania
Mein Pferd ist ein vierjähriger Warmblut/Kaltblut Mix. Dementsprechend hat er viel Kraft, die er auch einsetzt. Er hat ein Problem mit dem Hufe auskratzen. Hast du eine Idee, ob/wie man hier das Initiatorsignal einsetzen kann?
LG

_____________________

Hallo Jasmin,

das Hufheben stellt vor allem junge Pferde oft vor ein Balance-Problem. Sie sind einfach sehr unsicher und es ist für sie bedenklich, dem Menschen ein Bein anzuvertrauen, wenn sie sich selbst nicht sicher auf drei Beinen fühlen. Wichtig ist, denke ich, das Hufheben nicht zu fordern (schon gar nicht mit Kraftaufwand), sondern dem Pferd zu zeigen, wie es das Problem selbstständig lösen kann, so dass es sein Bein freiwillig auf ein Antippen geben mag.

Schau Dir dazu mal diese Übung an: https://www.wege-zum-pferd.de/2008/09/25/bein-hoch-eine-ubung-fur-mehr-balance/ – die sollte weiterhelfen. Zu Beginn jeden noch so kleinen Ansatz begeistert loben!

Herzlich,
Tania

 

Von Christiane • 16. Oktober 2017

Hallo Tanja, das ist ein sehr schöner Beitrag! Ich finde es immer wiede so wichtig, dem Pferd zuzuhören und genau hinzusehen, wozu es schon bereit ist und wo es noch Bauchschmerzen hat.
Mit meiner Stute habe ich genauso das „Schwamm-Verfahren“ geübt. Heute steht sie wie ein Baum und lässt sich überall einsprühen. Sie hat in kleinen Schritten verstanden, dass ihr nichts Böses von dem Geruch und von der Sprühflasche drohte und jetzt voll akzeptiert.

Viele Grüße Christiane

 

Von Birgit Zimmermann • 17. Oktober 2017

Ich fülle das Zeug einfach in einen Deoroller, das geht super und man verbraucht auch deutlich weniger. Ich machs aber nicht in der Nasengegend. Den Geruch kann sie nicht leiden, egal wie oft ich frage, ob ich darf.
Nur leider wirkt bei mir bis jetzt nix wirklich gut gegen diese Bister und ich habe wirklich viel probiert.
Liebe Grüße Birgit

 

Von Gina • 23. Oktober 2017

Hallo ihr Lieben,

mein Pferd mag auch überhaupt nicht eingesprüht werden. Ich kam ebenfalls schon vor Jahren auf die Idee, das Spray auf einen Schwamm zu sprühen und dann vorsichtig damit zu arbeiten. Dagegen ist der Widerwille längst nicht so groß. Außerdem hat mir mein Pferd erlaubt, das Antimücken-Spray direkt auf den Schweif zu sprühen – somit kann das Mittel zum Teil wenigstens vom Pferd selbst auf seinem Körper verteilt werden. Ihr schreibt mir hier aus der Seele, denn schon immer fand ich dass man dem Pferd ein wenig entgegen kommen sollte und auch darauf achten, wie seine Reaktionen sind. Bei extremem Widerwillen oder Angst muss man sich schlaue Methoden und Kompromisse ausdenken, damit es für beide Seiten erträglich sowie praktikabel wird. Das gilt ja für fast alle Probleme, nicht nur Abneigung gegen Sprays.

Diese Website ist toll!

LG Gina

 

 

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