Schmerzen beim Pferd erkennen
Im letzten Blogbeitrag ging es darum, dass Pferde oft trotz Schmerzen genutzt werden. Dabei taucht schnell die Frage auf, wie man eigentlich Schmerzen beim Pferd erkennt. Wir haben hier einmal eine ganze Reihe von Verhaltensauffälligkeiten und körperlichen Anzeichen für mögliche Schmerzen zusammengetragen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Schmerzen sind immer individuell und können sich deshalb auch sehr unterschiedlich zeigen.
Mögliche Anzeichen von Schmerzen anhand des Verhaltens des Pferdes
Pferde zeigen durch vielfältige Reaktionen, dass ihnen etwas unbehaglich ist oder Schmerzen bereitet. Einige sind als Schmerzäußerungen allgemein bekannt, viele von ihnen werden aber leider noch immer als „Unarten“ interpretiert und sogar bestraft:
Als Schmerzäußerung weitestgehend bekanntes Verhalten:
- Lahmen (von leichtem Humpeln bis hin zu einem Stehen auf drei Beinen, das schmerzende Bein wird nicht mehr aufgesetzt, sondern hochgehalten),
- Entlastungshaltung, wie z.B. dem Nach-Hinten-Lehnen eines an Rehe erkrankten Pferdes,
- ein auffälliges und wiederholtes Zum-Bauch-Schauen bei Bauchschmerzen und Koliken,
- eine „aufgezogene“ Atmung, bei der es aussieht, als würde das Pferd den Bauch einziehen (siehe dazu auch weiter unten),
- Zittern.
Mögliche Schmerzanzeichen, die weniger bekannt sind:
- Rücken wegdrücken,
- Kopf hochreißen oder Kopfschlagen,
- wiederholtes Stolpern vorne und/oder hinten,
- ein Wegsacken der Hinterhand,
- Flehmen,
- auffällig häufiges Gähnen,
- Zungenspiele oder Aufreißen des Mauls,
- Unruhe, Nervosität und Stress,
- Schwitzen.
Mögliche Schmerzanzeichen, die viel zu oft als Unarten oder Widersetzlichkeiten interpretiert werden:
- Scharren,
- Losstürmen oder Verweigerung vorwärts zu gehen,
- ein Ausweichen bei Berührungen durch die Hand des Menschen oder durch Gegenstände, wie Sattel & Co,
- Unruhe und Zappeligkeit beim Satteln oder Aufsteigen, beim Putzen, bei der Hufpflege usw.,
- Schnappen und Beißen,
- mit der Hinterhand drohen und auch ausschlagen,
- ungewohntes, aggressives Verhalten in der Herde,
- Desinteresse an Futter oder anderen Dingen, die dem Pferd eigentlich Freude machen,
- bei manchen Pferden auch apathisches Herumstehen und „Totalverweigerung“ (was leider häufig als „Ungehorsam“ oder „Sturheit“ interpretiert wird),
- plötzliche Verhaltensänderungen.
Es wird anhand dieser Liste deutlich, dass es sehr viele mögliche Anzeichen für Schmerzen gibt und bevor wir ein Pferd rügen oder strafen, sollten wir uns immer nach der Ursache für sein Verhalten fragen. Deshalb ist es wichtig, das eigene Pferd so gut zu beobachten und kennen zu lernen, dass man in der Lage ist Abweichungen im Verhalten zuzuordnen und sie nicht einfach vorschnell als „unerwünscht“ zu bestrafen oder zu übergehen.
Darüber hinaus werden manche Schmerzäußerungen durch gezielte Maßnahmen unterbunden. So wird z.B. das Maulaufreißen als Schmerzausdruck bei zu starkem Zügelzug oder Beschwerden durch das Gebiss durch Sperrriemen verhindert, indem dem Pferd das Maul zugeschnürt wird. Oder Zungenspiele als Reaktion auf zu groben Zügeleinsatz oder durch Zahnschmerzen werden durch Spezialgebisse verhindert u.Ä. Auch hier gilt: Wir müssen die Signale des Pferdes als Anlass nehmen, nach der Ursache zu suchen, und dürfen nicht einfach dem Pferd seine Ausdrucksmittel nehmen.
Das Schmerzgesicht
Neben dem Verhalten gibt auch die Mimik eines Pferdes oft deutlichen Aufschluss über mögliche Schmerzen. Man spricht hier von einem Schmerzgesicht beim Pferd. Wie das aussieht, kann man gut auf den beiden folgenden Fotos einer Stute in den Wehen sehen: Der Blick ist in sich gekehrt, die Adern treten deutlich hervor, die Nüstern sind zusammengezogen, die Kaumuskulatur ist fest angespannt und tritt hervor.
An der Augenpartie sieht man Schmerzen bei Pferden ganz besonders, wie auf dem folgenden Bild deutlich wird:
Die Augen können auch tränen oder geschlossen gehalten werden. Bei sehr starken Schmerzen kann das Weiße im Auge sichtbar werden. Der Blick des Pferdes kann aber auch stark in sich gekehrt und wie „abgeschaltet“ wirken, das ist oft bei chronischen Schmerzen der Fall.
Und auch am Maul kann sich zeigen, dass es einem Pferd nicht gut geht:
Die Nüstern können auch deutlich hochgezogen sein (sichtbar an den Falten darüber), sehr klein oder auch stark gebläht sein. Oft wirkt auch das Kinn spitz, da die Unterlippe fest angespannt ist.
Die Ohren hat ein Pferd mit Schmerzen fast immer nach hinten gerichtet oder auch deutlich angelegt.
Wichtig! Bei akuten Schmerzen sind Schmerzreaktionen und Schmerzgesicht meist ausgeprägter und deutlicher zu erkennen als bei Pferden, die unter chronischen Schmerzen leiden oder denen immer wieder aufs Neue Schmerzen z.B. durch grobes Reiten oder unpassendes Zubehör zugefügt wird. Solche Pferde resignieren und ziehen sich oft in sich selbst zurück. Ein geschultes Auge kann aber das Leid eines Pferdes auch dann noch erkennen und ein offenes Herz kann es fühlen.
Der aufgezogene Bauch
Hier haben wir noch ein Foto von einem Pferd mit einer akuten Stresskolik. Deutlich zu sehen ist die aufgezogene Bauchmuskelpartie, markiert durch die drei Pfeile in der Mitte des Bildes. Der Pfeil links oben zeigt eine stark abgekippte Kruppe, das Pferd zieht regelrecht den Hintern ein.
Darüber hinaus treten oft auch deutlich die Adern am Oberschenkel des Hinterbeins hervor, was man allerdings beim Winterfell meist nicht so gut sieht. Werft auch einen Blick auf die After-Partie, diese kann durch die Anspannung tief eingezogen sein.
Hier noch einmal die vor Schmerzen aufgezogene Bauchpartie ohne Pfeile, es sieht aus, als würde das Pferd den Bauch einziehen:
Ein Pferd, das so aussieht, braucht einen Tierarzt!
Verantwortung übernehmen aus Liebe zum Pferd
Das Thema Schmerz ist ein trauriges, schwieriges und unbequemes Thema. Es ist verbunden mit Sorgen und der Unsicherheit, was man tun soll, mit Entscheidungen, die getroffen werden müssen und Kosten, die sie verursachen. Es ist auch damit verbunden, dass wir ein Pferd nicht so nutzen können, wie wir das gerne würden, fürs Erste, vielleicht aber auch dauerhaft. Und oft ist es auch verbunden mit Schuldgefühlen und einem schlechten Gewissen. So ist es durchaus nachvollziehbar, dass wir manchmal am liebsten gar nicht so genau hinschauen würden.
Aber wir haben es mit lebendigen Wesen zu tun und damit haben wir eine Verantwortung für dieses Wesen.
Bitte trainiert Euren Blick und lernt, Schmerzen beim Pferd zu erkennen. Sie haben keine Stimme, aber sie „sprechen“ mit uns auf vielfältigste Weise. Es ist unsere Pflicht zu lernen, ihre Signale zu verstehen und ihnen zu helfen.
10. Juli 2018 von Tania Konnerth • Kategorie: Anatomie und Körper, Engagement und Pferdeschutz, Gesundheit, Verhalten • 12 Kommentare »