Mein Anthony wirkt auf die meisten Menschen cool und gelassen und viele schauen mich ziemlich zweifelnd an, wenn ich sage, dass er der deutlich Nervösere von meinen beiden Hafis ist. Tatsächlich nämlich sieht es in ihm oft ganz anders aus, als er vermuten lässt, und nur wenn man wirklich aufmerksam ist, bekommt man mit, dass er oft Angst hat und dann extrem aufgeregt ist. Das war mir selbst über lange Zeit nicht bewusst und so habe ich ihn unwissentlich in vielen Situationen überfordert und ihm Unrecht getan. Mit diesem Blogbeitrag möchte ich gerne ein bisschen dafür sensibilisieren, dass Pferde manchmal nach außen ganz anders wirken können, als sie tatsächlich sind.
Tobende Kühe!
Neulich wurden zum Ausmisten die Kühe, die mit unseren Pferden auf dem Hof wohnen, auf die kleine Wiese neben dem Pony-Paddock getrieben. Das war, obwohl die Pferde die Kühe inzwischen gut kennen, natürlich ein Anlass zum Gucken und Staunen für unsere Ponys. Und für mich war es mal wieder sehr spannend zu erleben, wie unterschiedlich meine beiden Pferde sind.
Das hier sind die Kühe, die fröhlich buckelnd über das Stück Wiese tobten:
Und hier ist gut zu sehen, wer der Mutigere meiner Hafis ist – Aramis vorne weg, Anthony schön im Hintergrund, noch hinter den anderen:
Aramis bei der Kontaktaufnahme:
Wirklich interessant ist, dass Aramis oft viel aufgeregter wirkt als Anthony. Seine Körperhaltung ist wach und gespannt:
Anthony hingegen wirkt von seiner Ausstrahlung her auch in solchen Reaktionen eigentlich ruhig und es ist kaum zu merken, wie sehr er dabei unter Strom steht. Erkennbar ist das z.B. an dreimal äppeln in zwei Minuten und blitzschnellem Losstürmen (mit dem man aber eben bei ihm gar nicht rechnen würde). Er ist in solchen Situationen manchmal überhaupt nicht mehr ansprechbar, während Aramis auf Zuruf sofort kommt.
Ich habe Anthony lange Zeit für ein mutiges Pferd gehalten. Zum einen habe auch ich mich von seiner Ausstrahlung täuschen lassen und da Aramis ziemlich mutig ist, ging ich davon aus, Anthony sei genauso (und ein bisschen wollte ich wohl einfach auch, dass meine Pferde beide mutig sind). Erst nach einigen Situationen, in denen Anthony aus Angst ziemlich unhändelbar wurde, habe ich langsam begriffen, wie weit äußerer Eindruck und inneres Befinden bei einem Pferd auseinandergehen können. Inzwischen kann ich Anthony immer besser lesen und erkenne seine Nervosität und Angst schon lange vor anderen. Ich kann immer besser erkennen, wenn er sich anspannt, und reagiere dann ganz anders als früher (s. dazu auch In seinem Tempo). Ich lasse mich auch nicht mehr beirren, wenn andere so etwas sagen wie „Wieso, der ist doch ganz ruhig, der macht doch gar nichts.“, denn ich weiß inzwischen, dass Anthony tatsächlich erst „nichts“ macht (sich aber innerlich immer mehr hochpuscht) und die Reaktion dann in einer Explosion kommt (für viele aus dem Nichts, was aber so nicht stimmt, wenn man weiß, worauf man achten muss). Aramis hingegen ist schnell mal guckig, tänzelt auch mal, aber ist genauso schnell zu beruhigen und bleibt auch bei Angst immer ansprechbar. Anthony lässt sich, wenn er erstmal in seinem Film ist, kaum noch erreichen und damit auch nicht beruhigen. Hier habe ich gelernt, schon zu Beginn zu reagieren, damit die Situation eben nicht eskaliert.
Mut und Angst
Zusammen mit Aramis wird Anthony mutiger und stellt sich zu ihm. Aber wer genau hinschaut, kann auf dem folgenden Foto erkennen, dass Aramis sich zu den Kühen hin ausrichtet, während Anthony sich etwas nach hinten lehnt. Das ist nicht viel, aber es zeigt mir ganz deutlich, dass er in dieser Phase noch wie eine gespannte Spirale ist, jeden Moment bereit nach hinten zu explodieren. Und genau auf solche kleinen Details habe ich zu achten gelernt.
Nach einigen Minuten hat sich die Gesamtaufregung gelegt und auch Anthony ist ansprechbar. Aber selbst jetzt ist er noch sehr aufgeregt und ich würde mich auf keinen Fall in Fluchtrichtung neben ihn stellen, während ich bei Aramis ganz locker an seiner Seite stehen könnte, ohne befürchten zu müssen, umgerannt zu werden.
Das ist für mich ein sehr schönes Beispiel dafür, dass, wie sich ein Pferd präsentiert, nicht unbedingt etwas damit zu tun haben muss, wie es in ihm aussieht. Und ich denke, dass wir Pferden oft Unrecht tun, wenn wir sie nur nach dem äußeren Eindruck bewerten, ohne genauer hinzuschauen. So sind gerade oft die ach so „sturen“ Pferde oft sehr sensibel, die angeblich so „dominanten“ oft nur schrecklich unsicher und die scheinbar schreckhaften Pferde manchmal viel mutiger als man ahnt.
Ich bin dankbar dafür, dass ich durch meine beiden Pferde gelernt habe, genauer hinzuschauen und vor allem hinzufühlen, denn nur wenn wir die wahre Persönlichkeit eines Pferdes erkennen, können wir ihm auch gerecht werden.
