Einfach mal hineinfühlen

Ich habe neulich auf einem Spaziergang mit Anthony ein kleines Experiment gemacht: Ich habe versucht, mich ganz auf seine Wahrnehmung einzulassen, ganz darauf, wie er wohl all das um uns herum erlebt, und zwar mit all seinen Sinnen.

Das Spannende dabei war, dass ich dadurch tatsächlich vieles ganz anders erlebte: die Geräusche im Wald waren plötzlich viel präsenter, die Lichtspiele viel bewegter, der Wind war fühlbarer und ich roch mehr. Und ja, ich nahm auch seine Stimmung sehr viel deutlicher wahr.

Ich hatte immer schon den Verdacht gehabt, dass Anthony lange nicht so cool ist, wie er den Eindruck vermittelt, sondern dass er geradezu hochsensibel ist. Irgendwie schien mir das aber doch übertrieben und ich fand, er solle sich nicht so anstellen. Aber nun konnte ich seine Nervosität direkt selbst fühlen, es war regelrecht in mir. Auf dem Weg an der Weide entlang fühlte sich alles noch locker und unbeschwert an, doch im Wald veränderte sich die Stimmung. Da war plötzlich immer mehr Unruhe und ich spürte die Sorgen meines Pferdes in mir, das Halfter am Kopf kratzen und die Fliegen nervten.

Vielleicht klingt das alles mal wieder ein bisschen versponnen, aber das seid Ihr ja inzwischen von mir gewohnt. 😉 Ich folge im Moment sehr stark meiner Intuition und schaue, wohin es mich bringt, mich immer mehr auf Anthony einzulassen. Und vielleicht kann mein kleines Experiment ja auch Euch dazu anregen, Euch mal ganz bewusst in Euer Pferd hineinzufühlen,  also den Kopf auszuschalten und all das loszulassen, was wir zu wissen glauben, um einfach nur zu fühlen.

Wie oft habe ich mich darüber geärgert, dass Anthony beim Spazierengehen zu hapsen anfing und oft auch grantig war. Und man ist so schnell dabei, ein unerwünschtes Verhalten bei einem Pferd als „Unart“ oder „Frechheit“ abzutun. Jetzt sehe ich das alles ein bisschen anders, denn ich bin mir inzwischen sicher, dass das seine Art ist, mit seiner Unruhe umzugehen oder mir zu zeigen, dass er überfordert ist.

Wenn ich jetzt losgehe, bleibe ich bei ihm. Ich nehme mit ihm zusammen Veränderungen im Außen wahr und bekomme ein immer besseres Gefühl dafür, wann es für ihn Anlass zu Sorgen gibt. Ich kann so viel besser auf ihn eingehen und ihm Sicherheit geben. Statt Quengeleien schauen wir uns nun alles zusammen an. Manchmal kann er sich entspannen, manchmal bleibt er unruhig.

Ich bin gespannt, was Du mir noch alles zeigen wird, Kleiner!

fuehlen

7. Oktober 2014 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Umgang, Verhalten 10 Kommentare »

 

10 Reaktionen zu “Einfach mal hineinfühlen”

 

Von Nadine • 10. Oktober 2014

Hallo Tania,

das kenne ich gut von meinem Ponymann. Nach außen hin wirkt er völlig cool und mir glaubt immer keiner, dass er im tiefsten Inneren ein Hysteriker ist.
Vor kurzem erst hatte ich ein Erlebnis, dass mir zeigte wie sehr ich MIT meinem Pferd bin.
Mein Pferd muss krankheitsbedingt in einer Box stehen, wo er doch sonst im Offenstall lebt. Ich wollte ihn rausholen und er sollte kurz warten. Natürlich tat er das nicht, da er viel zu viel Energie hatte.
Er ist auf den Paddock gelaufen und weiter auf die Wiese, wo er sich erstmal wälzte. Dort holte ich ihn ab.

Auf dem Rückweg begann er an jedem Haufen zu schnuffeln. Seine Neugier, gemischt mit einer gewissen Sehnsucht, konnte ich sogar selbst wahrnehmen.

Also bin ich am Strick hinter ihm hergelaufen, bis er alles abgeschnuffelt hatte, was ihn interessierte. Jeden Haufen musster er inspizieren, den Birnbaum besuchen und die Liegeecken, als würde er die aktuellen Stallnews lesen 🙂

Danach ging es ihm mental wesentlich besser!

LG

 

Von Anthony • 13. Oktober 2014

Schön! Aber sag´ nicht immer „mein Kleiner“ zu mir!

😉

 

Von andrea • 13. Oktober 2014

Hallo Tania, ein sehr schöner Bericht. Ich bin auch wieder einmal an einem Punkt anbelangt wieder mich mehr hinein zu fühlen in mein Pferd. Gestern war ich auf dem Reitplatz und wir sind seit Februar 13 das Vorwärts/Abwärts am üben (mit einer Reitlehrerin). Am Kappzaum geht das super jedoch sobald ich auf dem Platz reite klappt es einfach nicht so wie es sein sollte. Es fühlt sich auch nicht gut an und wenn ich erhlich bin vermeide ich es auf dem Platz zu reiten. Ich werde auf mein Bauchgefühl hören und mal eine andere Trainingsstunde nehmen bei einer anderen Reitlehrerin. Vielleicht schadet dies nichts.

 

Von Hildegard Wiegand • 13. Oktober 2014

Liebe Tanja,
Du schreibst, dass unsere Pferde Fluchttiere sind und uns
durch ihr Verhalten nicht ärgern wollen.In diesem Zusammenhang sollten wir uns auch immer wieder bewußt machen, wie
oft sich unsere Pferde überwinden,und Dinge tun, die sie normalerweise nicht tun würden, sondern nur tun, weil wir
es ihnen antrainiert haben,z.B.sich reiten lassen, sich nicht vor dem Schirm erschrecken,ein Gebiss ins Maul nehmen u.v.m.
Wenn wir uns das immer wieder bewußt machen, können wir noch mehr schätzen, daß unsere Pferde sehr viel für uns tun und u. U. auch gerne tun!
In diesem Sinne liebe Grüße
Hildegard

 

Von Eva • 13. Oktober 2014

Ich kann auch nur jedem empfehlen, immer wieder in sich und sein Pferd hinein zu hören und ernst zu nehmen was da an Informationen kommt! Ich bin selber – inspiriert durch dich, Tanja! – sehr am Üben und vergesse es auch immer mal wieder und gebe meinem Kopf den Vorrang. Wenn ich dies später feststelle und ändere, stelle ich IMMER fest, das es die besssere Entscheidung ist, auf das Bauchgefühl zu hören. Hier nur 2 von vielen Beispielen: Mein Kopf sagt, wir können noch etwas üben, es wird schon nicht regnen; mein Bauch sagt: Nee, irgendwie mag ich nicht, will lieber nach Hause; Mein Pferd sagt ebenfalls: Nein, ich will nicht runter von der Weide. Was passiert: 10 Min später stehen wir auf dem Platz und ein dickes Gewitter zieht über uns hinweg!! 2. Beispiel: Mein Kopf sagt: Deine Trainerin ist super, die hat viel mehr Ahnung als du und du solltest daher immer uneingeschränkt auf sie hören; mein Bauch sagt: Sie ist zwar gut, aber einige Übungen würde ich lieber anders angehen, mit weniger Druck, kleinschrittiger und mehr Lob. Nachdem ich den Mut hatte, nicht auf meine Trainerin zu hören und es einfach mal anders auszuprobieren, klappte es viel besser, mein Pferd verstand worauf es ankam, bot selber die richtigen Tendenzen an und es machte uns beiden viel mehr Spaß!! Mit weniger Druck und Hilfsmitteln mehr erreicht!! Ich werde definit versuchen, die Botschaften, die mein Bauch und mein Pferd mir senden, ernster zu nehmen! Ausprobieren schadet schließlich nicht; wenn es nicht funktioniert kann ich immer noch auf den Kopf hören….

 

Von Birgit • 13. Oktober 2014

Oh ja liebe Tanja
genauSO ergeht es mir auch. Ich gehe mit meinem Pflegepferd an der Hand auch ALLEIN ins Gelände. Wir sehen, fühlen, riechen, nehmen alles gemeinsam wahr. Wir sind SO eine Einheit, die es uns inzwischen erlaubt, dass mein Pflegepferd ganz frei mit mir im Gelände läuft.
Ich lehne jede Begleitung ab, wenn mein Pflegepferd und ich durch´s Gelände streifen. Jede Unterhaltung stört.
Das ist etwas, was viele nicht verstehen.

 

Von Verona • 13. Oktober 2014

Liebe Tania,
toll, dass du dieses Thema ansprichst. Meine früheren Erfahrungen in engen Stallgassen, in denen man die Pferde zum Putzen und Satteln anbinden musste, jagte mir regelmäßig Stresshormone durch meinen Körper. Meine erfahrene und friedliche Herdenleitstute, die noch niemals ein Pferd verletzt hat, legte nicht nur die Ohren an, sondern trat auch regelmäßig aus – auch wenn es nur Drohgebärden waren – wenn ein Pferd hinter ihr vorbeigeführt und teilweise noch geparkt wurde, weil die Besitzerin noch mit jemandem in Ruhe quatschen wollte. Dies war vor allem dann problematisch, wenn das andere Pferd nicht in der gleichen Herde stand und somit die Rangordnung nicht geklärt war. Dass Pferde, zumal Leitstuten, ihren Raum und Abstand brauchen und diesen nicht friedlich klären können, wenn sie angebunden und die Räume eng sind, haben viele nicht verstanden. Für diese Menschen sind solche Verhaltensweisen bösartig und müssen gewaltsam ausgeprügelt werden, damit das Pferd seelisch gebrochen stillhält. Wie oft habe ich das gesehen…

Wenn man sich immer mal wieder stundenlang zu einer gemischten Herde auf die Wiese setzt und das Verhalten der Tiere beobachtet und sonsnt gar nichts tut, erfährt man meiner Erfahrung nach mehr über diese wunderbaren Lebewesen als durch die meisten Bücher und Zeitschriftenartikel.

 

Von Miriam • 13. Oktober 2014

Liebe Tania,

dieses in das Pferd hineinfühlen, ist manchmal so schwer und trotzdem wichtig.
Bei meinem eigenen Pony zeigt sich Angst in der Regel dadurch, dass er stehen bleibt. Er wird „stur“ und „bockig“. Geht nicht vorwärts sondern schleicht hinter mir her. Anfangs habe ich das nicht verstanden. Ich hatte dieses Verhalten fehlinterpretiert und wusste nicht damit umzugehen. Irgendwann habe ich auf der Weide mit ihm eine Situation beobachtet, die mir klar gemacht hat, dass das sein Umgang mit Angst ist. Dann habe ich erst Mal das Spazieren gehen vom Trainingsplan gestrichen, so weit waren wir noch nicht. Ich habe das Training in den Hof verlegt und dort immer so lange und so weit vorne nur trainiert wie es für ihn okay war. Erst als er im Hof genauso entspannt war wie in der Halle oder auf dem Reitplatz haben wir uns aus dem Hof rausgetraut. Hier ging er dann sogar deutlich schneller vor als ich das wollte. Aber er ist eines Tages einfach losmarschiert ganz ohne Zögern und mit viel Motivation. Ich glaube, wenn ich ihm nicht irgendwann zugehört und gesehen hätte, dass sein Verhalten Angst ist sondern ihn gezwungen hätte, würden wir heute nicht so freudig spazieren gehen.
Um zu erkennen, dass ich auf dem falschen Weg bin, musste ich aber erst erspüren was in ihm vorgeht.

Liebe Grüße
Miriam

 

Von Brigitte Schneider • 14. Oktober 2014

Hallo liebe Tanja,

ich weiß nicht, wie viele Pferdefreunde (den Ausdruck Pferdebesitzer mag ich einfach nicht!) tatsächlich auch das sind: Freunde ihrer Pferde!

Ich finde es immer wieder erstaunlich, wenn etwas wie von Dir Beschriebenes als ganz besonders, ganz außergewöhnlich erzählt wird. Einerseits freue ich mich über solche Erkenntnisse – sehr sogar! Andererseits aber sehe ich die andere Seite dieser Medaille, nämlich das Wissen, dass doch immer noch die Mehrheit der Pferdefreunde sich nicht nur anders verhält, sondern obendrein auch noch diese von Dir geschilderte, wunderbare Annäherungs- und Umgangsweise mit unseren Freunden als abwegig erachtet. Seine Pferde als Reitgerät zu sehen, das gefälligst zu parieren hat, ist leider immer noch gängige Praxis – zum Leidwesen dieser hochsensiblen und liebenswerten Wesen.

Meine Pferde sind meine Freunde. Ich gebe Ihnen alles, was sie brauchen. Für mich ist jedes Ohrenanlegen nichts weiter als ein Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Nur eine mit Liebe geführte Kommunikation nehmen sie an. Das ist das große Zauberwort: LIEBE. Wahre Liebe beinhaltet Verstehen und Vertrauen. Das ist schon alles. Liebe, Verstehen, Vertrauen.

Ich behaupte nicht, dass es leicht ist, denn wie in jeder Beziehung sind wir alle ständig gefordert, unser Gegenüber zu begreifen. Immer wieder holt uns Unkenntnis ein und lässt uns mitunter verzweifeln. Dann müssen wir innehalten, im wahrsten Sinne des Wortes anhalten. Wir müssen uns mit dem auseinandersetzen, was uns an Disharmonien, vielleicht sogar Angriffen entgegenspringt, und zwar ganz gleich, ob von Pferd oder Mensch.

Ich sage Euch: Die Pferde sind wesentlich ehrlicher und gerechter. Sie verzeihen uns jeden Fehler, wenn wir ihn erkennen und sie um Vergebung bitten. Meine besten Freunde, das sind meine beiden Pferde für die ich alles gebe. Immer!

Im Augenblick sein – das lehren sie uns. Ohne falsche Romantik lieben – das lehren sie uns. Stark sein – das lehren sie uns. Geduldig sein – das lehren sie uns. Authentisch sein – das lehren sie uns.

Wer zu verstehen beginnt, wird sein Leben ändern, wird fühlen, was wirklich zählt im Leben, wird sich nicht mehr am Konsum (im weitesten Sinne, also auch geistigen Konsum!) festhalten müssen, wird Freiheit verspüren, wird das Absolute erfahren, wird lieben und geben ohne Bedingung. Das lehren sie uns, die Pferde, die Tiere, die Natur, und auch dies: wir sind alle miteinander verbunden, immer. Wir können uns nicht verbinden oder nicht verbinden, weil wir immer miteinander verbunden sind. Wir können es nur sehen oder nicht sehen. Alles, was wir also lernen müssen, ist, hinzusehen, hinzuhören, aufmerksam zu sein. Das lehren sie uns.

Bitte: Hört einfach hin, seid einfach da, gebt Euer Herz, das ganze Herz, immer, dann sind sie Euch so nah, wie Ihr es niemals vorher gespürt habt. So nah…..

Alles Liebe von Brigitte aus Worpswede

 

Von Steffi • 21. Oktober 2014

Hallo Tania,

ich habe auch schon öfters in der Nähe der Pferde gebracht und überlegt, was sie wohl warum tun, was sie dabei empfinden. Ob das nur beim putzen war, oder beim satteln von den Jungpferden.
In meine eigene Stute habe ich mich bisher noch nicht so hereingefühlt…nach deinem Eintrag werde ich das aber wirklich mal versuchen, mich einfach ganz darauf einzulassen. Ich bin gespannt, was ich dabei so empfinde.

LG, Steffi

 

 

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