So unterschiedlich zeigen Pferde Stress

Vor einiger Zeit hatten wir gezeigt, wie man Schmerzen beim Pferd erkennt, weil immer noch zu viele Menschen, die mit Pferden zu tun haben, nicht wirklich wissen, wie sich Schmerzen beim Pferd äußern. Und ganz Ähnliches gilt für die Frage, wie sich Stress bei Pferden erkennen lässt!

Na, das ist doch ganz einfach!? 

Viele werden nun sagen, dass sich Stress ja bei Pferden sehr einfach erkennen lässt. Aber ist das wirklich so? Machen wir mal einen kleinen Test: 

Erlebt dieses Pferd gerade Stress? 

Stress beim Pferd

Und wie sieht es mit diesem Pferd aus?

Stress bei Pferden

Und was ist mit diesen beiden Ponys?

Stress bei Pferden

Natürlich ist eine Beurteilung nach einem Standbild nur begrenzt möglich, aber ich denke, die meisten Menschen würden wohl sagen, dass die Pferde auf den ersten beiden Fotos eher gestresst wirken, während die beiden auf dem unteren Foto ziemlich entspannt aussehen. 

Stress bei Pferden hat viele Gesichter

Tatsächlich aber sind auf allen Bildern Pferde zu sehen, die zum Zeitpunkt der Aufnahme Stress erlebten.

  • Das erste Foto entstand auf einem Turnier auf dem Abreitplatz. Das Pferd war sehr nervös und durch die vielen Reize und fremden Pferde abgelenkt, worauf der Reiter versuchte, es durch leider sehr grobe Einwirkung unter Kontrolle zu bringen.
  • Auf dem zweiten Bild ist positiver Stress zu sehen, nämlich die freudige Erregung durch das Anweiden. Die Herde wurde kurz zuvor auf den Sommer-Paddock gebracht und tobte wie wild herum. Freudiger und negativer Stress können ziemlich ähnlich aussehen (fühlen sich aber natürlich für das Pferd sehr unterschiedlich an).
  • Die beiden Pferde auf dem dritten Foto werden für die meisten sicher eher entspannt als gestresst wirken, aber das ist ein Irrtum. Sie standen zwar die meiste Zeit (vermeintlich) ruhig herum, wer sie aber kennt und genau hinschaute, konnte beobachten, dass sie z.B. nicht wie sonst fraßen oder dösten, sondern immer mal wieder an verschiedenen Stellen am Zaun standen, mehr als sonst in die Gegend schauten und gelegentlich kurz wieherten. Tatsächlich standen die Ponys zum Zeitpunkt der Aufnahme schon für einige Stunden ohne ihre beiden Pferdekumpels auf dem Paddock, die an diesem Tag auf einem Turnier waren. Sie waren sehr besorgt und erwarteten sehnlichst die Rückkehr ihrer Gefährten. 

Und das macht eines deutlich: Stress kann bei Pferden sehr unterschiedlich aussehen! 

Stresstypen beim Pferd

Wir können zwei grundlegend unterschiedliche Stresstypen bei Pferden unterscheiden:

  • Erstens gibt es die so genannten „aktiven“ oder „extrovertierten“ Stresstypen –  Pferde diesen Typs zeigen ihren Stress je nach Ausprägung deutlich durch Unruhe, sie tänzeln oder rennen wild umher, richten ihre Hälse hoch auf, haben aufgerissene Augen und geblähte Nüstern, sie schnauben und prusten und atmen schnell, sie schwitzen, schlagen mit dem Kopf, äppeln häufig und neigen zu Übersprungshandlungen, wie Schnappen, Scheuen oder Losreißen. Sie entsprechen damit dem Bild, das die meisten Menschen im Kopf haben, wenn man vom Stress beim Pferd spricht. Bei der Arbeit bieten solche Pferde unter Stress oft alles Mögliche an, nehmen Signale vorweg und sind kopflos, übereifrig und „hibbelig“. Leider reagieren viele Menschen auf dieses Verhalten mit Strenge. Die Pferde werden dann angeherrscht, dass sie sich zusammenreißen sollen, oder auch körperlich durch Rucken am Zügel, Klapsen u.ä. bestraft. Natürlich erhöhen solche Maßnahmen den Stress der Pferde.
  • Dann gibt es aber noch die „passiven“ oder „introvertierten“ Stresstypen – Pferden, die zu diesem Typ gehören, merkt man Stress kaum an. Sie wirken auch unter großem Stress ruhig und unbewegt, was viele fälschlich als „gelassen“ deuten. Sie werden oft als faul oder stur bezeichnet, weil sie unter Stress immer mehr dichtmachen, Signale ignorieren und unter Umständen komplett die Mitarbeit verweigern und regelrecht erstarren: ihr Körper ist dann bretthart, sie sind nicht mehr ansprechbar und nehmen häufig auch kein Leckerli mehr. Ein typisches Beispiel ist das vor dem Pferdeanhänger „festgefrorene“ Pferd, welches zu keinem, weiteren Schritt in den Hänger bereit ist, aber dabei einen „ruhigen und gelassenen“ Eindruck macht. Da viele Menschen bei diesen Pferden nicht auf die Idee kommen, dass die Tiere unter Stress stehen, werden sie oft falsch und ungerecht behandelt. Nicht selten erleben auch sie Gewalt, weil der Mensch meint, sich „durchsetzen“ zu müssen. Auch für diese Pferde erhöht das natürlich den Stress, der sich dann – scheinbar vollkommen unerwartet – explosiv entladen kann. Das sind dann die Fälle, in denen ach so „gemütliche Dicke“ durchgehen und es richtig gefährlich wird … 

Fazit – Drei wichtige Erkenntnisse  

  1. Es ist wichtig, unseren Blick zu schulen und unser Einfühlungsvermögen zu trainieren, um auch Stress bei Pferden zu erkennen, die dem passiven Stresstyp angehören, denn Stress zeigt sich nicht immer nur durch Aufregung. Auch ein scheinbar ruhiges Pferd kann je nach Stresstyp gestresst sein. Es gibt sogar Pferde, bei denen gerade ihre vermeintliche „Ruhe“ ein Anzeichen für Stress ist.
  2. Ein gestresstes Pferd braucht immer Verständnis und eine beruhigende Ausstrahlung, die dem Pferd Sicherheit vermittelt. Wenn wir den Stress als Not des Pferdes erkennen – und zwar unabhängig davon, welchem Typ das Pferd angehört – können wir überlegen, welche Maßnahmen geeignet sind, den Stresspegel des Pferdes in der jeweiligen Situation zu senken. 
  3. Stress bei Pferden löst oft auch Stress bei uns selbst aus. Der Stress bei Pferden vom aktiven Stresstyp macht vielen Menschen Angst, die Stressreaktionen des passiven Stresstyps hingegen lösen häufig Wut und/oder Aggressionen aus. Es ist wichtig, dass wir solche Reaktionen bei uns bewusst wahrnehmen und lernen, wirkungsvoll gegenzusteuern, damit wir die Situation auf eine gute Weise entschärfen können. 

Bei Stress sind wir alle gefragt

Leider ist das Wissen über die unterschiedlichen Stresstypen bei Pferden noch nicht allzu verbreitet. Hier sind wir alle gefordert, in der Praxis all jene freundlich aber bestimmt auf die Tatsache hinzuweisen, dass sich Stress bei Pferden nicht immer klar zeigt, um zu verhindern, dass passive Stresstypen vor allem Grobheit und Gewalt statt Verständnis und Unterstützung erleben. Genauso können wir Hilfe und Unterstützung anbieten, wenn jemand mit der Aufregung eines Pferdes, das zum aktiven Stresstyp gehört, überfordert ist, und das mit Gewalt in den Griff zu bekommen versucht. 

Stress ist unvermeidlich – für uns Menschen genau wie für unserer Pferde. Deshalb ist es wichtig, sich mit diesem Thema zu befassen, zu lernen, die Reaktionen von Pferden besser einzuordnen und auch ganz gezielt den Umgang mit gestressten Pferden zu üben. Je souveräner wir mit Stressreaktionen umgehen können, desto besser lässt sich der Stress auflösen.

Lies hier auch über die Beschwichtigungssignale beim Pferd.

Tipp: In unserem Kurs „Vertrauen statt Angst“ gibt es ganz praktische Tipps, Übungen und Anregungen, wie sich Stress- und Angst-Situationen für Mensch und Pferd konstruktiv gestalten lassen. 

29. Oktober 2019 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Gesundheit, Verhalten 2 Kommentare »

Was ist ein Problempferd?

So ziemlich jeder, der mit Pferden zu tun hat, kennt auch so genannte „Problempferde“. Problempferde sind zum Beispiel solche, die ihre Reiter abwerfen, die buckeln und steigen oder die davonstürmen und durchgehen. Problempferde sind aber auch die, die beißen oder treten. Und die, die faul sind und nicht vorwärtsgehen wollen. Und die, die Hilfen ignorieren und nicht tun, was sie sollen. Und die, die am Sprung verweigern oder einfach nicht angaloppieren, wenn der Mensch es will … 

Kurz und gut, Pferde gelten dann als Problempferde, wenn der Mensch sie nicht so nutzen kann, wie er es sich vorstellt – oder anders gesagt: Das Pferd macht dem Menschen Probleme und wird damit zum Problem.

Vielleicht aber ist es genau anders herum?

Nun möchte ich zu einem Gedankenexperiment einladen und die Sache einfach einmal umdrehen. Dazu können wir einmal die folgende Frage stellen:  

Ist ein Problempferd vielleicht ein Pferd,
das ein Problem mit uns Menschen hat? 

Wenn wir uns einmal klarmachen, dass Pferde natürlicherweise so gut wie nichts von dem tun, was wir Menschen von ihnen wollen, dann liegt der Gedanke nicht mehr so fern, dass genau unsere Forderungen und Erwartungen das Tier vor große Herausforderungen stellen. Wird es verständnisvoll behandelt, bekommt es Zeit zum Lernen und werden ihm seine Aufgaben auf eine pferdegerechte und angenehme Weise vermittelt, so wird es die vielen Herausforderungen meistern können, die wir ihm stellen und es wird Freude am Miteinander mit Menschen entwickeln können (viele Anregungen dazu gibt es auch hier). 

In sehr vielen Fällen aber gehen Menschen leider nicht mit den nötigen Kenntnissen über das Wesen von Pferden an die Ausbildung und das Training heran und oft bringen sie auch nur wenig Geduld, Einfühlungsvermögen oder Verständnis mit. Da sollen die Dinge möglichst schnell klappen und wenn ein Pferd nicht spurt, na, dann setzt man sich halt durch und bringt es zu dem, was man will. Die Folgen sind in weiten Bereichen überforderte und verängstigte oder auch frustrierte und abgestumpfte Pferde, die nicht lernen, aktiv und mit Spaß an Herausforderungen heranzugehen, sondern die vor allem Strafen vermeiden wollen und deshalb irgendwie funktionieren. 

Zu Problempferden werden dann solche Pferde, die nicht in diesem Sinne „funktionieren“:

  • Pferde, die vielleicht einfach nicht verstehen, was man von ihnen will.
  • Pferde, die überreizt sind angesichts all der Dinge, die Menschen von ihnen wollen.
  • Pferde, die Angst haben und nicht vertrauen.
  • Pferde mit einem starken Willen, die sich lieber auf sich selbst verlassen. 
  • Pferde, die Menschen respektlos finden und sich wehren, wenn sie unfair behandelt werden. 
  • Pferde, die aus gesundheitlichen oder psychischen Gründen nicht funktionieren können. 
  • Pferde, für die der Mensch kein Freudenanlass ist, sondern Störfaktor oder Schlimmeres.

Sind das wirklich Problempferde, nur weil sie nicht erfüllen können, was wir uns in den Kopf gesetzt haben? Wenn wir ehrlich bereit sind, über diese Frage nachzudenken, ist schon viel gewonnen für die Pferdewelt.

Problempferd

25. Juni 2019 von Tania Konnerth • Kategorie: Aus der Bereiterpraxis, Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Jungpferdausbildung, Umgang, Verhalten 3 Kommentare »

Pferde sind vielschichtige Wesen

Ich stelle immer wieder fest, wie viele Menschen annehmen, dass Pferde eher einfach gestrickt sind, ja, gar nicht wenige halten Pferde sogar für dumme Tiere. Das macht mich traurig, denn ich habe ganz andere Erfahrungen mit diesen wundervollen Tieren gemacht. 

Labels greifen zu kurz

Man mag die Vielschichtigkeit der oft stark ausgeprägten Persönlichkeiten von Pferden nicht immer auf den ersten Blick erkennen. Wenn man ein Pferd zum Beispiel nur aus dem Stall holt, um eine Reitstunde zu absolvieren, und es dann wieder zurückstellt, kann man durchaus einen eher eindimensionalen Eindruck von dem Pferd bekommen. Da ist dann vielleicht „der Brave“, der immer macht, was man von ihm will oder „die Zicke“, die schon beim Putzen ausschlägt und keine anderen Pferde mag oder „der Faule“, den man im Unterricht kaum vorwärts bekommt oder „die Dominante“, bei der man aufpassen muss, sich nichts gefallen zu lassen.

Keines solcher Etiketten wird einem Pferd gerecht – und doch sind die wenigsten davon frei, Pferden ein Label aufzudrücken.

Tipp: Überprüft Euch da doch gleich einmal selbst: Habt Ihr auch Schubladen, in denen Ihr Pferde steckt? 

Wir sehen Pferde oft durch die Augen anderer

Wenn wir mit Pferden zu tun haben, dann schauen wir sie oft beeinflusst durch verschiedene Faktoren an, derer wir uns nicht immer bewusst sind.

Zum Beispiel werden wir beeinflusst durch

  • das, was andere uns über Pferde allgemein oder auch über ein bestimmtes Pferd erzählt haben,
  • das, was wir über Pferde gelesen haben, 
  • das, was wir in Workshops vermittelt bekommen haben. 
  • unsere eigenen Erfahrungen, die wir mit Pferden in der Vergangenheit gemacht haben,
  • das, was wir in einem Pferd sehen wollen,
  • den aktuellen Fokus, den wir gerade haben,
  • unsere Wünsche und Erwartungen,
  • unsere blinden Flecken, die uns nicht alles wahrnehmen lassen, obwohl es da ist,
  • unsere Ängste
  • und vieles mehr.

Die Filter, mit denen wir auf ein Pferd schauen, sorgen dafür, dass wir Pferde oft ziemlich schablonenhaft sehen: der faule Haflinger, der durchgeknallte Araber, der ehrgeizige Hannoveraner und so weiter. So sind wir leider nicht immer offen dafür, die Eigenheiten und Besonderheiten an jedem einzelnen Pferd zu erkennen und zu würdigen. Wir sind es gewohnt, nur auf bestimmte Sachen zu achten, oder interpretieren ein Verhalten immer auf eine bestimmte Art. Manchmal wollen wir etwas auch gar nicht wahrnehmen und denken uns die Welt, wie sie uns gefällt, weil wir nicht von unseren eigenen Vorstellungen und Wünschen ablassen wollen.

Vereinfachung hat negative Folgen

Die Tendenz, Pferde schablonenhaft zu sehen, hat negative Folgen. Ein sehr anschauliches Beispiel ist die inzwischen länge überholte, aber leider immer noch weiter propagierte Dominanztheorie. Danach werden verschiedenste, ganz unterschiedlich motivierte Verhaltensweisen als so genanntes „dominantes“ Verhalten gedeutet und so gut wie immer mit Härte beantwortet. Es wird nicht erkannt, dass ein Pferd vielleicht aus ganz anderen Gründen schlägt, zum Beispiel weil es kitzlig ist oder überfordert oder Schmerzen hat oder dass ein Pferd nicht aufdringlich ist, weil es ein Bully ist, sondern weil es unsicher ist.

Verallgemeinerungen und Pauschalannahmen geben uns das Gefühl, die Welt besser ordnen zu können. Indem wir Pferde in bestimmte Schubladen stecken, glauben wir zu wissen, wie wir mit ihnen umgehen müssen, was uns ein (in der Regel irrtümliches) Gefühl von Kontrolle gibt. Wir sind dann oft nicht nur in unserem Umgang mit dem Pferd auf dem Holzweg, wir versäumen auch, das Pferd mit seiner ganz eigenen Persönlichkeit kennenzulernen. Und das ist schade! Pferde haben so viel zu schenken und wir können endlos viel von ihnen lernen, wenn wir bereit sind, sie in ihrem tatsächlichen Wesen zu erkennen. Für mich sind es zunehmend die Vielschichtigkeit und Tiefe von Pferdepersönlichkeiten, die mich begeistern und verzaubern. 

Und so möchte ich laut in die Pferdewelt rufen: Habt mehr Mut, ein Pferd wirklich kennenzulernen! Gesteht ihnen eine eigene Persönlichkeit zu und lasst Euch davon überraschen, wie vielschichtig sie sind.

Pferde sind vielschichtig

14. Mai 2019 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Verhalten 3 Kommentare »

Unser Bild vom Pferd

Ich komme so gut wie täglich an einem Reiterdenkmal vorbei. Es ist ein ungewöhnliches Denkmal, denn es stellt Pferd und Mensch ganz anders dar als gewohnt. Sonst werden Pferde fast immer in spektakulären Posen gezeigt, stürmend und steigend, man kann ihr scharfes Ausatmen förmlich hören und ihr erhitztes Gemüt spüren. Der Mensch auf ihrem Rücken kontrolliert das überschäumende Temperament mit Zügeln, scharfen Gebissen und Sporen und wird als Sieger über das Biest dargestellt. Er macht aus dem Wildfang einen gezähmten Untertan, weil er es will und weil er es kann.

Das Denkmal, an dem ich so oft vorbei komme, ist ein ganz anderes. Es zeigt ein gelassen dastehendes Pferd, das den Kopf erhoben trägt und in die Ferne schaut. Auf seinem blanken Rücken sitzt ein nackter Reiter und er hat keine Zügel in der Hand. Seine linke Hand ruht auf dem Mähnenkamm des Pferdes. Das Maul und der ganze Gesichtsausdruck des Pferdes ist weich und entspannt, sein Auge ist rund, es hat keine Stresskuhlen. Hier ist kein Kampf zu sehen, sondern ein Miteinander. Auch wenn der Mensch auf dem Pferd sitzt, so steht er nicht über ihm und hat es nicht gebrochen. Er wird mit dem Einverständnis des Pferdes getragen, das sich seiner entledigen könnte, wenn es wollte. Das tut es aber nicht, denn es wirkt einverstanden. Es sagt ja.Unser Bild vom Pferd

Für mich handelt es sich bei diesem Denkmal um eine der schönsten Darstellungen von Pferd und Mensch, die ich kenne, und ich habe bisher nichts Vergleichbares gesehen. Wenn ich in die Pferdewelt schaue, dann wird mir immer wieder deutlich, wie weit verbreitet dort noch immer das andere Bild ist – der Mensch im Kampf gegen das Pferd mit verbissenen Mienen, Zwangsmitteln und einem alles andere als pferdegerechten Umgang. Aber, so wie es das Denkmal gibt, das ein anderes Miteinander von Pferd und Mensch zeigt, so gibt es überall in der Pferdewelt auch immer mehr Menschen, die das Pferd als Mitgeschöpf sehen und nicht als Sportgerät. Die nicht kämpfen und nicht siegen wollen, sondern die bereit sind, sich in das Wesen Pferd einzufühlen und denen ein gemeinsamer Weg wichtig ist. Ein Weg, zu dem beide Ja sagen und der nur so zu einem echten Wir führen kann. 

Fragt Euch doch mal, welche Bilder Ihr von Pferd und Mensch im Kopf habt und ob Euch diese als energievolles Leitbild für den Weg dienen können, den Ihr Euch mit Eurem Pferd wünscht.

Ein inneres Leitbild kann einem Kraft für den eigenen Weg geben, wenn einem andere raten, sich doch „durchzusetzen und dem Pferd zu zeigen, wer das Sagen hat“. Kampf, Gewalt und Zwang können nie zu Harmonie führen, das können nur Achtung, Respekt und Einfühlungsvermögen.

Welches Bild vom Pferd hilft Euch dabei, das anzustreben? 

Unser Bild vom Pferd

4. Dezember 2018 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Sonstiges 8 Kommentare »

Über Gratwanderungen, oder: Die Pferdewelt ist bunt

In der letzten Zeit gab es eine Reihe von, sagen wir mal, „schwierigen“ Blogbeiträgen bei uns, zum Beispiel solche, in denen es um Schmerzen bei Pferden ging darum, was nicht gut läuft in der Pferdewelt und darum, was es besser zu machen gilt. Diese Texte zu schreiben, war wahrscheinlich genauso wenig leicht, wie es ist sie zu lesen, denn sie rühren vieles an, mit dem sich keiner von uns gerne beschäftigen mag. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, genau dazu wieder einmal etwas sehr Persönliches, weil ich glaube, es geht hier um eine ganz wichtige Gratwanderung, die uns alle verbindet.

Das Ziel ist gemeinsame Freude

Ganz klar: Wir alle wollen Freude mit unseren Pferden haben, deshalb schaffen wir uns Pferde an und verbringen so viel Zeit mit ihnen wie möglich. Mit Pferden zusammensein zu können, ist doch das Schönste, was es gibt! Und es ist vollkommen verständlich, dass wir uns diese Freude nur ungern durch erhobene Zeigefinger oder Hinweise auf Unrecht trüben lassen – das geht uns nicht anders als Euch…

Wir haben“Wege zum Pferd“ immer sehr bewusst als ein Angebot geführt, das Wege zu einem freudvollen Miteinander aufzeigen will, und gerade mir war es immer extrem wichtig, gezielt einen positiven Fokus einzunehmen. Negatives haben wir zum Teil sehr bewusst ausgeblendet, weil wir glauben, dass es wichtig ist, vor allem Energie in das zu geben, was man erreichen möchte und nicht in den Kampf gegen etwas.

So habe ich mich auch lange innerlich gewehrt, Schmerzbilder rauszusuchen und Ungutes anzuprangern, weil mir die Auseinandersetzung damit selbst ins Herz schneidet. Doch auch wir leben nicht in einem Elfenbeinturm. Wir bekommen täglich mit, was in der Pferdewelt los ist und fragen uns manchmal wirklich, was all unser Einsatz eigentlich bringt, wenn sich in der Summe so wenig zu ändern scheint. Die letzten Texte sind aus aktuellen, persönlichen Erlebnissen heraus entstanden und damit aus meiner eigenen Ohnmacht heraus, vor Ort mitansehen zu müssen, was Pferde alles erleiden müssen, ohne dass ich real und praktisch etwas tun kann. Und bei mir ist das so: Wenn ich praktisch nichts tun kann, schreibe ich eben darüber, denn das Schreiben ist mein Weg. Zugegeben, dabei kann durchaus auch mal etwas ins Negative kippen,  … ganz einfach weil es das Negative eben auch tatsächlich gibt. 

Das aber heißt wiederum nicht, dass ALLES negativ ist! Schaut Euch in unserem Blog um, all die vielen positiven Ansätze überwiegen bei weitem und das wird auch so bleiben! Wir wollen niemanden lähmen, wollen nicht frustrieren und nicht ohnmächtig machen, aber um nicht selbst in ein Gefühl der Ohnmacht und Lähmung zu kommen, müssen wir hin und wieder unser Angebot auch dafür nutzen, ein bisschen wachzurütteln. Leider ist es dann so, dass sich meist vor allem diejenigen angesprochen fühlen und in Frage stellen, die eh schon zu viel über sich selbst grübeln, aber deshalb gar nichts mehr anzusprechen, ist auch keine Lösung, weil uns unser Angebot die Möglichkeit gibt, eben auch die zu erreichen, die einfach noch ein bisschen zu wenig nachdenken und fühlen.

Letztlich geht es immer wieder darum, Vielfalt zu erkennen. Die (Pferde-)Welt ist bunt. Es gibt alle Farben, nie nur eine. Manchmal ist einem allerdings eine Farbe besonders nah, je nachdem, was man gerade selbst erlebt oder wie man sich fühlt, und in diese Farbe wird dann erstmal alles getaucht, das kenne ich von mir selbst nur allzu gut. Um bei Frust nicht alles schwarz zu malen, fordert das Schreiben von Texten für so ein Blog also immer auch ähnlich viel Selbstreflexionsvermögen wie die Arbeit mit Pferden 😉 

Bestätigung ist wichtig, Aufklärung aber auch

Ich persönlich weiß sehr genau, wie wichtig ein positiver Fokus im Leben ist und dass Ermutigung und Bestätigung die entscheidenden Energien für positive Veränderungen sind. Das gilt für alle Bereiche im Leben. Deshalb werden wir uns unsere positive Ausrichtung auf jeden Fall bewahren – einmal für uns selbst, aber natürlich vor allem auch für Euch, um all diejenigen weiter zu nähren und zu stützen, die auf guten Wegen unterwegs sind – Ihr seid diejenigen, die Pferde brauchen!

Gleichzeitig ist aber auch Wissensvermittlung nötig, denn Unwissenheit ist ganz oft eine Quelle von unschönen Dingen. Wie sollen Leute Schmerzen bei Pferden erkennen, wenn man ihnen nicht zeigt, wie Schmerz beim Pferd aussieht? Nein, es ist nicht schön, Fotos von leidenden Pferden zu sehen, aber sie sind wichtig, weil immer noch viele einfach nicht wissen, wie sie überhaupt Schmerzen erkennen können! Ein Stück weit halten wir es tatsächlich für unsere Pflicht, unsere Präsenz dafür zu nutzen, klar zu sagen, wo es hakt, denn die Unwissenheit und Ignoranz ist in vielen Bereichen immens. Deshalb bewegen sich unsere Texte zwangsläufig zwischen warmem Wohlgefühl und bohrender Unbequemlichkeit. 

Mein Traum…  

Nach wie vor ist unser Motto „Es geht auch anders!“. Wie es anders gehen kann, zeigen die meisten unserer Blogbeiträge und vor allem auch unsere Kurse, in denen wir ganz viele praktische, schöne und freudvolle Wege auffächern. Aber hin und wieder ist es aus unserer Sicht auch nötig, Klartext zu reden, um Augen zu öffnen, sonst wird uns zu Recht das Tragen einer rosaroten Brille vorgeworfen.  Rückmeldungen darüber, dass dann tatsächlich der eine oder die andere durch einen Artikel bei uns wachgerüttelt wurde und erst durch die Anstöße etwas geändert hat, machen mir Mut, dass es richtig ist, auch dafür zu schreiben – keinesfalls nur, aber eben auch.

Und nun verrate ich Euch noch etwas: Meine ganz persönliche Traumvorstellung ist die, dass die Pferdewelt irgendwann gar kein „Wege zum Pferd“ mehr braucht – wäre das nicht wundervoll?

Bis es so weit ist, denke ich, sind aber unsere Impulse – positive, wie aber auch die unbequemen – wichtig und berechtigt. Ich ganz persönlich fühle mich dabei immer wieder aufs Neue gefordert, diese Impulse konstruktiv zu setzen, sodass sie annehm- und verarbeitbar bleiben und werde dafür weiterhin mein Bestes geben. Eure vielen schönen Geschichten und all die tollen Beispiele, wie es tatsächlich anders geht, helfen uns sehr dabei! 

Gradwanderung

Foto von Horst Streitferdt für Kosmos

6. November 2018 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Sonstiges 7 Kommentare »

10 Jahre Longenkurs oder: Neue Wege sind nicht immer leicht

Arbeit nach dem Longenkurs

Babettes Longenkurs gibt es jetzt seit 10 Jahren.

Zu diesem Jubiläum haben wir unsere Leserschaft nach Erfahrungsberichten zur Arbeit nach dem Longenkurs gefragt und dazu sind uns ganz wundervolle Texte und Fotos geschickt worden. Dafür ein dickes Dankeschön für alle Einsendungen und Gratulationen, wie beispielsweise die von Daniela und ihrer Stute links auf dem Foto 🙂 

Aus einigen Erfahrungsberichten werden wir noch extra Blogbeiträge machen, doch an dieser Stelle möchten wir schon mal ein paar Ausschnitte und Bilder mit Euch teilen. Wir hoffen, dass diese Euch Mut machen, wenn es mal nicht so gut vorangeht, oder auch neugierig, falls Ihr diese Arbeit selbst noch nicht kennt. 

Als erstes möchten wir Victorias Video mit Euch teilen. Ihre Geschichte hat uns sehr berührt und sie zeigt, was für ein wunderschöner Weg die Arbeit nach dem Longenkurs sein kann. Klickt hier oder direkt auf das folgende Bild, um Euch den kleinen Film bei Youtube anzuschauen:

Video 10 Jahre Longenkurs

Henrikje hat uns dann mit einer sehr berührenden Offenheit geschrieben, was sie mit dem Longenkurs verbindet: „Die Frage ist schwierig zu beantworten, tatsächlich würde ich sagen, der Longenkurs ist unbequem. Denn er ist für mich wirklich unbequem gewesen, diese Selbstreflexion, das ständige Hinterfragen und dann hat auf einmal auch das Pferd eine Meinung. Eiieiieii, ich sag euch, das war schockierend. Denn mein Training war bis dato schockierend … „ –  und damit trifft sie wohl einen der entscheidendsten Punkte: Der Longenkurs ist keine reine „Trainingsmethode“, sondern er ist eine Einladung und auch eine Aufforderung, unser eigenes Tun zu prüfen und zu hinterfragen. Er ist für die allermeisten ein neuer Weg.

Arbeit nach dem LongenkursAm einfachsten haben es sicher diejenigen, die schon in jungen Jahren eine „andere“ als die herkömmliche Herangehensweise im Umgang mit Pferden kennen lernen konnten und deshalb gleich neu- und weniger um-lernen mussten, wie zum Beispiel Carina, die unseren Longenkurs mit 15 entdeckte, hier rechts in der Anfangsphase zu sehen. 

Für diejenigen von uns, die in normalen Reitschulen groß geworden sind, ist der Weg oft schwieriger. Und das kann unter Umständen zu  Unsicherheit und Frust führen, denn rückwirkend zu erkennen, dass manches nicht so gut war, was man gemacht hat, kann auch lähmen. Die meisten treffen irgendwann auf die Frage, wie man denn nun damit umgehen soll, wenn ein Pferd nicht mitmachen will und man eben keine Gewalt anwenden will. Bisher schien die Antwort klar: man setzt sich durch, … aber genau das will man ja nicht mehr tun. Da fragt sich manch‘ einer möglicherweise sogar, ob man überhaupt noch etwas mit Pferden tun sollte und stellt für den Moment vielleicht alles in Frage. Ja, ein neuer Weg wirft immer auch viele Fragezeichen auf…

Unsere Antwort darauf war nie, Pferde einfach in Ruhe zu lassen, wenn sie nicht mitmachen wollen, sondern unsere Anregungen zielen konsequent darauf, ein freudvolles Miteinander von Mensch und Pferd zu erreichen, also ein Training, das beiden Spaß macht. Das ist und bleibt auch eines der Hauptziele der Arbeit nach dem Longenkurs. Denn: Es gibt sie, die schönen Wege, das echte Miteinander und die Freude am gemeinsamen Tun! Und wer Babette in ihren Kursen mit den Pferden erlebt, kann immer wieder sehen, wie sie auch solche Pferde wieder ins „aktive“ Leben holen kann, die eigentlich schon dicht gemacht haben. 

Also, ja, der Longenkurs kann anstrengend sein, für Körper, Geist und Seele – aber er ist bei weitem NICHT NUR anstrengend, sondern im Gegenteil: Diese Arbeit ist in der Folge dann eben auch gewinnbringend für Körper, Geist und Seele zusammen – und das bei Mensch und Pferd.

Ein neuer Weg kann zu viel Wundervollem führen, das man sonst nie erlebt hätte! 

Arbeit nach dem LongenkursFeedbacks, wie das von Beate: „Du mit deinem Training, Babette, damals noch auf deinem Hof, ganz für mich allein ;-), ganz intensiv und Tania mit ihren Gesprächen, Ihr habt mich im Laufe der Zeit völlig umgekrempelt.“ oder von Helen: „… Irgendwas fehlte da noch für die gute Laufmanier, ich wusste einfach nicht weiter, bis der Tag X kam, ich las einen Bericht von Babette (…), wie die Pferde gesund laufen lernen, an der Longe (…) Ich war sehr begeistert, verschlang buchstäblich alles von ihr und dann probierte ich es aus, und die Pferde liefen einfach viel schöner, auch gerade in der Volte (und nicht mehr auf der Vorhand wie ein Motorrad) konstanter an der Longe, es war kaum zu beschreiben.“ zeigen, dass sich das Umlernen und Dranbleiben wirklich lohnt. 

Claudia  geht noch auf einen weiteren Punkt ein: „Für mich tat sich eine neue Welt auf und ich begriff, wie viel Spaß es macht, mit dem Pferd gemeinsam vom Boden aus zu arbeiten.“ Tatsächlich liegt für viele der Fokus des Zusammenseins mit Pferden vor allem beim Reiten, aber nicht alle Pferde können oder wollen geritten werden, manchmal nur phasenweise nicht, manchmal auch dauerhaft. Und auch uns Menschen tut es oft gut, nicht nur auf das Reiten fixiert zu sein, vor allem dann, wenn wir immer mal wieder auch mit Ängsten zu tun haben oder merken, dass unser Ehrgeiz nicht immer kontrollierbar ist. Der Longenkurs bietet ein sinnvolles, gesundheitserhaltendes und fitness-förderndes Miteinander, das Freude macht – und führt letztlich durchaus oft auch wieder zurück zum Reiten und zwar auf eine für beide Seiten gute Art.

Ganz besonders freuen uns auch immer wieder die vielen Geschichten, in denen die Arbeit nach dem Longenkurs kranken Pferden helfen konnte. Stellvertretend dafür  ein Foto von Katharinas Aramis, bei dem kurz nach dem Kauf das Kissing-Spines-Syndrom diagnostiziert wurde. Heute schreibt sie: „Nicht nur Aramis, sondern auch mir hat unser anfangs oft steiniger Weg geholfen, da ich heute deutlich selbstbewusster und strukturierter an unser Training gehe und wir eine gute und abwechslungsreiche Mischung haben, unsere Zeit miteinander zu gestalten. Wir haben uns gemeinsam weiterentwickelt, sind zusammen durch Höhen und Tiefen gegangen und genießen heute endlich unbeschwert und ohne viele Gedanken an das KSS unsere gemeinsame Zeit.“

Arbeit nach dem Longenkurs

Und zum Abschluss haben wir noch ein tolles Gedicht, das uns Carolin geschickt hat: 

Als der Longenkurs 2008 erschien,
dachte ich sofort: “Das ist was für ihn!“

Ihr fragt euch, für wen? Wofür?
Na, für meinen Islandwallach Birtingür!

2002 lernte ich diese gute Seele kennen,
ab 2005 durfte ich ihn mein Eigen nennen.

Wir waren beide in den besten Jahren,
sind von Turnier zu Turnier und von Kurs zu Kurs gefahren.

Aber schon nach kurzer Zeit hab ich kapiert,
mein Pferd braucht etwas andres, damit es wieder fröhlich galoppiert!

Der arme Kerl war ganz tief in sich gekehrt,
hat sich schon bald gegen nichts mehr gewehrt.
Hat sich bei allem nur noch fest gemacht,
und Frauchen hat kaum noch gelacht.

Reiten war keine Freude mehr,
also musste eine Alternative her.

Der Longenkurs kam gerade zur rechten Zeit,
das damalige Forum dazu hat uns befreit!

Anfangs taten wir uns schwer,
wir kannten nichts Entspanntes mehr.
Doch als ich das Clickern noch begann,
war es für uns der Neuanfang!

Birtingur lernte sich zu freuen,
sagte endlich JA zu allem Neuen!
Konnte traben wie ein großer Held,
aus dem Kopf war der feste Tölt!

Auch neue Freunde traf ich beim LK,
die wohnten sogar ganz nah!

Aber nicht nur Birtingur durfte profitieren,
auch mein Jungpferd konnte ich inspirieren!
Mit dem Longenkurs begann er seine Karriere,
– ob er ohne ihn auch schon so weit wäre?!

Meine eigene Persönlichkeit hat sich ebenfalls sehr entfaltet,
die Arbeit mit dem Pferd habe ich vollkommen neu gestaltet.
Wir sagen sehr oft ja zueinander,
gehen alle Wege MITeinander.

Lieber Longenkurs, wir danken dir so sehr!
Das Leben gibt uns mit dir so viel mehr!

10 Jahre Longenkurs

In diesem Sinne: Auf die nächsten 10 Jahre Longenkurs! 

16. Oktober 2018 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erfahrungsberichte, Erkenntnisse, Jungpferdausbildung, Longieren 4 Kommentare »

Pferdeschutz beginnt bei uns selbst

Im Großteil unserer Beiträge hier bei „Wege zum Pferd“ geht es – natürlich – um Pferde. Vielleicht verlieren wir da manchmal ein bisschen uns Menschen aus dem Blick. Heute will ich deshalb einmal bewusst die Seite wechseln und etwas für und über uns Pferdeleute schreiben. 

Warum es wichtig ist, auch mal an uns zu denken

Im Miteinander von Mensch und Pferd kommt es immer wieder zu einem Phänomen, das auf den ersten Blick verblüffen mag: Alle, die Pferde lieben, möchten, dass es Pferden gut geht – und doch kommt es im Umgang, beim Reiten und in Pferdeställen ganz allgemein immer wieder zu unschönen Szenen, in denen wir Menschen Pferde nicht nur unfair behandeln, sondern es leider oft auch zu Gewalt kommt. Es gibt leider nur wenige Ställe, in denen es nicht vollkommen normal ist, dass Pferde mit Gerten geschlagen oder mit Sporen gestochen werden, dass an Stricken oder Zügeln gerupft wird, dass gebrüllt, gebufft oder gehauen wird. Und immer wieder fragt man sich, wieso gerade an einem Ort, wo Menschen mit ihren Lieblingstieren doch eigentlich nur eine gute Zeit verbringen wollen, so viel Mist passiert. 

Um zu verstehen, was da genau geschieht – denn die wenigsten von uns handeln vorsätzlich und bewusst so – und auch wie sich die Sache zum Positiven verändern lässt, müssen wir einen kleinen Ausflug in die Psychologie machen. 

Wie wir mit uns selbst umgehen, bestimmt, wie wir mit anderen umgehen

Aus der Psychologie ist bekannt, dass wir andere nur dann lieben und annehmen können, wenn wir uns selbst lieben und annehmen, dass wir anderen gegenüber nur dann respektvoll sein können, wenn wir uns selbst respektieren, und dass wir erst dann für andere gut sorgen können, wenn wir gut für uns selbst sorgen. 

Nun einmal Hand aufs Herz: Wie viele von uns sind sich selbst wirklich nah? Wie viele von uns nehmen sich an und mögen sich selbst? Und wie viele von uns sorgen wirklich gut für sich? 

Hadern nicht viel mehr ganz viele mit sich, finden sich selbst zu dick, zu doof, zu hässlich, zu unfähig und so weiter und so fort? Beschimpfen wir uns oft nicht selbst in Gedanken und auch laut („Ich bin so dämlich!“ oder „Was bin ich nur für eine doofe Kuh!“)? Vergleichen wir uns nicht immer und immer wieder mit anderen und stellen fest, dass die viel besser reiten können, viel toller aussehen und die viel besseren Pferde haben? Kurz und gut: Behandeln wir uns selbst nicht oft so, wie wir niemals wollen würden, dass jemand, der uns nahe steht, behandelt wird? 

Und was soll daraus entstehen? Wie wollen wir einfühlsam, verständnisvoll und geduldig mit unseren Pferden sein, wenn wir uns selbst nur fertig machen? Wie fair glauben wir anderen im Stall gegenüber sein zu können, wenn wir uns selbst gegenüber so mies behandeln? Wie wollen wir überhaupt etwas geben können, wenn wir uns selbst nichts gönnen? 

Das Leben ist leider oft genau wie auf dem Ponyhof

Pferdeställe werden gerne vollkommen verklärt dargestellt: lauter nette Mädels mit lauter netten Pferden, alle haben Freude, alle haben Spaß. Und so mag das, was ich hier schreibe, für viele überzogen klingen, aber meiner Erfahrung nach sieht die bittere Realität leider so aus, dass in vielen Reitställen sehr viele wirklich unschöne menschliche Charakterzüge gelebt werden. Ja, es gibt auch Gegenbeispiele (und das ist wundervoll!), die aber sind zumindest meiner Einschätzung nach leider noch immer die Ausnahmen.

Überlegen wir einmal: Der Großteil von uns kommt zu den Pferden, wenn wir kurz vor oder schon in der Pubertät sind – eine der schwierigsten Zeiten überhaupt. Wir treffen mit unserer Unsicherheit und unserem Weltfrust auf Tiere, die durchaus nicht immer leicht zu handhaben sind und die allein schon durch ihre Kraft und Körpergröße Angst machen können. In vielen Reitställen wird dann den meisten von uns vermittelt, dass man sich durchsetzen muss und wer das am besten kann, wird bewundert. Schleifen bekommen leider auch nicht die, die pferdegerecht handeln, sondern oft ausgerechnet die, die in Rollkur-Manier trainieren und kein Problem damit haben, Sporen und Gerte zu nutzen. 

Hinzu kommt noch die Tatsache, dass Mädchen (und Frauen) untereinander extrem fies sein können. In Pferdeställen geht es letztlich immer um eine ebenso begehrte wie auch begrenzte Ressource, denn nicht jede, die gerne ein Pferd hätte, darf auch eines haben, also wird oft mit allem gekämpft, was zur Verfügung steht.  Wie gesagt, es gibt Ausnahmen, aber was ich hier skizziere ist leider noch immer „ganz normal“ …

Keine konstruktiven Energien in Sicht

Nur selten gibt es in den Ställen Erwachsene, die bereit oder in der Lage sind, die vielen Emotionen, die in Pferdeställen aus den unterschiedlichsten Gründen hochkochen, überhaupt zu erkennen, geschweige denn in halbwegs vernünftige Bahnen zu leiten. Zu oft sind wir alle selbst viel zu sehr emotional verstrickt und selbst wenn jemand versucht etwas zu verändern, wird nicht selten genau diese Person gemeinschaftlich gemobbt. 

Die Leidtragenden in dem Spiel sind nicht nur wir selbst, sondern eben immer auch die Pferde, denn der Frust, die Wut, die Angst, der Ärger, die Traurigkeit und viele andere negative Gefühle, die in Reitställen einen leider perfekten Nährboden finden, entladen sich fast immer auch im Umgang mit den Tieren. So kommt es, dass selbst Kinder und Jugendliche schon tierschutzrelevantes Verhalten zeigen – niemand hat ihnen vermittelt, dass das falsch ist und niemand hat ihnen gezeigt, wie es anders geht. Und als Erwachsene machen wir dann oft weiter, weil wir es nicht besser wissen und können. 

Wir müssen lernen, anders mit uns selbst und mit anderen umzugehen

Einmal mehr geht es darum, bei uns selbst anzusetzen – und das im denkbar besten Sinne! 

Ich weise ja oft darauf hin, wie wichtig Selbstreflexion ist, also die Bereitschaft, das eigene Tun immer wieder zu hinterfragen. Dabei geht es aber keinesfalls nur um Selbstkritik, ganz im Gegenteil: es geht auch um Selbstversöhnung, Selbstannahme und Selbstfürsorge. Denn all das ist wichtig, damit wir überhaupt in der Lage sind, etwas zu geben – anderen Menschen, anderen Wesen. 

Selbstreflexion ermöglicht uns zu erkennen, wenn es uns nicht gut geht, also dass wir zum Beispiel traurig sind, frustriert, wütend, gereizt, müde oder erschöpft. Selbstreflexion ermöglicht uns herauszufinden, was wir brauchen, damit es uns wieder besser geht, und was wir uns Gutes tun können, damit wir wieder zu Kräften kommen. Selbstreflexion ist auch die Basis dafür, im Miteinander mit anderen Menschen klare Grenzen setzen zu können und konstruktive Beziehungen zu gestalten.

Damit es unseren Pferden gut geht, muss es auch uns selbst gut gehen – das ist eine Lektion, die ich selbst über viele Jahre und leidvolle Irrwege begriffen habe. Mit Artikeln wie diesen möchte ich Euch dazu ermutigen, Euch selbst besser kennen zu lernen und zu entdecken, wie Ihr seid, wenn Ihr in Eure Kraft kommt und was Ihr zu geben habt, wenn es Euch gut geht. Ich bin fest davon überzeugt, dass es diese Kräfte sind, die Reitställe zu den Oasen machen können, die wir uns doch eigentlich alle wünschen – denn: Die Pferde warten schon auf uns, um genau das mit uns zu leben!

Pferdeschutz beginnt bei uns selbst

2. Oktober 2018 von Tania Konnerth • Kategorie: Allgemein, Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse 8 Kommentare »

Reite ich mein Pferd schmerzfrei?

Die Überschrift zu diesem Blogbeitrag stellt eine Frage, die für viele von uns ziemlich unangenehm ist. Unangenehm deshalb, weil bekannt ist, dass Pferde eigentlich nicht dazu gemacht sind, unser Gewicht zu tragen. Unangenehm, weil wir nicht immer sicher sein können, dass die Art, wie wir reiten, gut für das Pferd ist. Und vielleicht auch unangenehm, weil viele von uns Reiter/innen schon manches getan haben (und tun), von dem wir wissen, dass es nicht richtig war (und ist). Mir geht es jedenfalls so.

Aber, so unangenehm sie ist, so sollte sie uns präsent sein, zumindest immer mal wieder. Denn nur, wenn wir unser Tun (in diesem Fall unsere Reiterei) selbstkritisch hinterfragen, können wir erkennen, ob wir unserem Pferd vielleicht ungewollt Schmerzen bereiten (s. zu diesem Thema auch unsere Artikel Der hat nichts, der läuft doch und Schmerzen beim Pferd erkennen) und damit die Freude am Miteinander nehmen.

Ist Reiten denn etwas Schlimmes? 

Grundsätzlich kann Reiten etwas Wundervolles sein. Wenn Pferd und Mensch als Paar einen gemeinsamen Weg finden, kann Reiten zum Tanz und zur Quelle von Freude von beiden werden – ein Lesetipp dazu: „Mit dem Herzen voran“ – der Reitkurs.

Damit das aber möglich wird, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein: 

  • Das Pferd muss in der Lage sein, den Menschen schmerzfrei und schadlos zu tragen; zu beachten sind hier insbesondere das Alter des Pferdes, sein Gesundheitszustand, sein Ausbildungsstand und anderes.
  • Der Mensch muss einen Weg der Kommunikation finden, in dem er dem Pferd seine Wünsche mitteilen kann, ohne ihm dabei wehzutun oder es einzuschüchtern. 
  • Das Pferd muss den Menschen freiwillig tragen und nicht, weil es Angst vor Strafen und Schmerzen hat. 
  • Das Pferd muss dem Menschen vertrauen.
  • Das Reiten muss in dem Maße stattfinden, in dem das jeweilige Pferd in der jeweiligen Situation ihm sowohl körperlich als auch seelisch gewachsen ist. 

Zeichen für Schmerzen bei gerittenen Pferden

Wenn Pferde beim Reiten Schmerzen haben, dann kann sich das sehr unterschiedlich äußern: 

  • Sie ticken oder lahmen deutlich. 
  • Sie drücken den Rücken weg. 
  • Sie stürmen oder schleichen. 
  • Sie schlagen mit dem Kopf oder verkriechen sich hinter dem Zügel. 
  • Im schlimmsten Fall buckeln oder steigen sie, um den Menschen (also den Schmerzauslöser) loszuwerden. 

Wodurch können wir Schmerzen beim Reiten auslösen?

Hier sind die Möglichkeiten leider vielfältig: 

  • Durch tierschutzrelevante Ausbildungs- und Reitmethoden, wie z.B. die Rollkur,
  • wenn das Pferd uns auf eine ungute Weise zu tragen versucht,
  • wenn wir es mit zu viel Gewicht belasten,
  • wenn wir ein junges Pferd zu früh reiten oder ein altes Pferd zu lange, 
  • durch eine harte Hand oder grobe Zügeleinwirkung und/ oder einen zügelabhängigen Sitz („an den Zügeln festhalten“), sowie durch ein Strafen durch Zügelzug oder gar ein Reißen an den Zügeln, 
  • durch einen unausbalancierten Sitz, durch den wir dem Pferd in den Rücken fallen, 
  • durch eine zu starken Schenkeleinwirkung, auch Bolzen genannt, 
  • wenn wir mit der Gerte schlagen,
  • wenn wir mit Sporen pieksen oder gar zustechen,   
  • durch scharfe Gebisse, vor allem solche, die durch eine Hebelwirkung unsere Kraft verstärken (und Pferden im Schlimmsten Fall den Kiefer oder das Nasenbein brechen), 
  • durch Hilfszügel, die unsere Kraft verstärken, wie z.B. Schlaufzügel, 
  • durch unpassendes Zubehör, insbesondere unpassende Sättel, aber auch kneifende oder zu eng geschnallte Zäumungen
  • und anderes mehr.

Schmerzen unter dem Reiter erkennen lernen

Wir möchten hier ein bisschen dafür sensibilisieren, wie es aussieht, wenn ein Pferd einen Reiter auf eine ungute und eben auch schmerzhafte Weise trägt.

Anregung: Vergleicht die folgenden Bilder einmal mit dem, was Ihr landauf, landab in Reitbahnen oder auf Turnieren sehr, leider selbst auf Weltsport-Veranstaltungen. 

Auf dem folgenden Foto ist ein Pferd zu sehen, dass unter seinem Reiter deutlich den Rücken weg- und den Unterhals herausdrückt. Die eingezeichneten Linien und Pfeile verdeutlichen die entscheidenden Punkte und weist darüber hinaus auf den vor Anspannung und/oder Schmerz abgestellten Schweif und den riesigen Abstand von Hinterbein zum Vorderbein. Das Pferd kann auf diese Weise kein Gewicht auf der Hinterhand aufnehmen.

Dieses Pferd trägt seinen Reiter in diesem Moment auf die denkbar ungünstigste Art. Wir müssen davon ausgehen, dass ihm das nicht nur unangenehm ist, sondern Schmerzen bereitet. Wird ein Pferd oft oder gar dauerhaft so geritten, wird es davon erhebliche Verspannungen und Schmerzen und sehr wahrscheinlich auch gesundheitliche Schäden davon tragen. So sollte kein Pferd unter dem Sattel aussehen! 

Schmerzen durch das Reiten

Wichtig: Diesem Pferd nun einfach mit Hilfszügeln den Kopf herunterzwingen, würde NICHTS an der Situation ändern, sondern den Schmerz, die Verspannungen und das Unvermögen, das Reitergewicht auf eine gute Art tragen zu können, noch verstärken. Hier muss an der Basis neu und behutsam aufgebaut werden, damit das Pferd lernen kann, das Reitergewicht auf eine gute Art zu tragen – und das gilt für Pferd und Reiter. 

Auf dem folgenden Bild lassen sich anhand der Mimik und des Halses des Pferdes viele Details benennen, die zeigen, dass sich dieses Pferd nicht wohl fühlt und sehr sicher Schmerzen hat. Gekennzeichnet sind hier im Uhrzeigersinn:

  • der in sich gekehrte Blick,
  • der viel zu eng verschnürte Sperrriemen, der es dem Pferd unmöglich macht, dem Schmerz, der durch den harten Zügeleinsatz ausgelöst wird, Ausdruck zu verleihen (es würde in dieser Situation das Maul weit aufreißen!),
  • die geblähten Nüstern,
  • die durch den Zug am Zügel und den eng zugeschnürten Sperrriemen eingeklemmten Maulwinkel,
  • der herausgedrückte Unterhals
  • und die eingequetschte Ohrspeicheldrüse durch den vom Reiter ausgelösten Ganaschenzwang

Schmerzen durch das Reiten

Und zum Schluss noch ein Bild von einem Pferd, dessen Blick uns alles sagen sollte. Die leider noch immer „moderne“ und verbreitete Reitweise des „Deep and Low“ oder auch Hyperflexion oder Rollkur genannt, zwingt Pferde durch schmerzhaften Zügelzug in eine vollkommen unnatürliche Haltung, die es ihm unmöglich macht, das Reitergewicht auf eine gesunderhaltende oder entspannte Weise zu tragen. Zu den körperlichen Beschwerden, die diese Reitweise auslöst, kommt auch noch die psychische Komponente, denn Pferde, die so geritten werden, werden ihres natürlichen Sichtfeldes beraubt, was unter anderem zur so genannten erlernten Hilflosigkeit führt. Eine solche Art zu reiten ist schlicht und einfach Tierquälerei, auch wenn damit leider noch immer Medaillen gewonnen werden…

Schmerzen durch das Reiten

Hinweis: Auf all diesen Fotos sind noch nicht einmal Hebelgebisse oder Schlaufzügel zu sehen, mit denen Pferden in einem vielfachen Maß Schmerzen zugefügt werden können. Leider ist Reitsportzubehör, welches physikalische Prinzipien nutzt, um die Kraft, die wir ausüben können, um ein Vielfaches zu erhöhen, noch immer frei käuflich. Die Schmerzen, die wir Pferden mit Stangengebissen, Schlaufzügeln & Co gewollt oder ungewollt zufügen können, sind immens und können zu schweren Verletzungen wie Kieferbrüchen oder Wirbelverletzungen führen. Hilfsmittel dieser Art gehören nicht einmal in „Profihände“, sondern schlicht und einfach verboten.

Bitte schaut hin und schenkt Pferden Eure Stimme

Reiten, das so aussieht, wie auf den hier gezeigten Bildern, ist Reiten, das Pferden Schmerzen und Qualen bereitet. Kein verantwortungsvoller Reiter, der von sich behauptet, Pferde zu lieben, sollte sein Pferd so reiten oder von einem „Ausbilder“ reiten lassen. Und wir alle sollten auch nicht länger zuschauen, wenn Pferde so geritten werden, sondern hier müssen wir eingreifen und zur Stimme unserer Pferde werden, denn sie leiden stumm. 

Pferdeleid ansprechen

 

Tipp: Wer dieses Thema vertiefen möchte, dem sei das neue Buch von Marlitt Wendt empfohlen, dass wir nächste Woche ausführlich vorstellen werden: „Was fühlt das Reitpferd?“

4. September 2018 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Gesundheit, Reiten 5 Kommentare »

Der verantwortungsvolle Umgang mit Schmerzen und Beschwerden beim Pferd

In den letzten Beiträgen hier im Blog ging es darum, wie wichtig es ist, Schmerzen und Beschwerden bei unseren Pferden zu erkennen, damit wir sie nicht einfach nutzen, obwohl es ihnen nicht gut geht – siehe dazu Der hat nichts, der läuft doch und Schmerzen beim Pferd erkennen. Heute möchte ich hier noch einige meiner Gedanken auf die Frage, wie wir verantwortungsvoll und pferdegerecht mit Schmerzen und Beschwerden unserer Pferde umgehen können, teilen.

Manchmal gibt es einfache Lösungen

Manchmal gibt es klare und einfache Lösungen: 

  • Ein Pferd zeigt starke Schmerzen in seinem rechten Vorderbein. Es kann damit kaum auftreten und läuft mehr oder weniger auf drei Beinen. Die Diagnose lautet „Hufgeschwür“, das Pferd wird behandelt und erhält einen Angussverband. Nach einigen Tagen geht es ihm deutlich besser, nach einer Woche läuft es wieder lahmfrei. 
  • Ein anderes Pferd zeigt plötzlich beim Reiten Zungenspiele, sperrt das Maul auf und reißt den Kopf hoch. Seine Reiterin vermutet, dass es Probleme mit dem Gebiss hat. Der gerufene Tierarzt findet einen entzündeten Wolfszahn und zieht ihn. Nachdem die Wunde abgeheilt ist, läuft das Pferd wieder zufrieden unter dem Reiter. 

In beiden Fällen wurden die Signale des Pferdes richtig gedeutet und es wurden Maßnahmen eingeleitet, die dem Pferd helfen konnten, so dass es ihm nach kurzer Zeit wieder besser ging. 

… oft aber nicht

In vielen Fällen sieht es aber anders aus. 

  • Ein Pferd geht immer mal wieder lahm. Der gerufene Tierarzt macht Beugeproben, die mal negativ und mal positiv ausfallen. Der Schmied wird gewechselt und das Pferd bekommt einen Beschlag. Dennoch läuft es immer wieder unrund. Selbst das Röntgen der Beine bringt keine neuen Erkenntnisse.
  • Ein anderes Pferd mag sich immer weniger bewegen. Während es früher eher schnell und temperamentvoll war, verweigert es nun mehr und mehr die Mitarbeit. Es sind keine eindeutigen Zeichen für eine Erkrankung zu erkennen. 
  • Und noch ein anderes Pferd reagiert plötzlich aggressiv auf Artgenossen und auch auf Menschen. Keiner kann sich das Verhalten erklären, da das Pferd sonst gesund wirkt. Ein Tierarzt wird nicht gerufen, stattdessen wird das Pferd allein gestellt und das Drohen nach dem Menschen bestraft. 

Schmerzen und Beschwerden bei Pferden werden keineswegs immer gleich als solche erkannt. Sie können durchaus nur sporadisch auftreten, worauf viele dem Pferd unterstellen, dass es simuliert und es trotz Schmerzen weiter (be)nutzen und sich zur Not auch entsprechend „durchsetzen“. Manche Reaktionen oder Verhaltensweisen eines Pferdes werden gar nicht mit möglichen Schmerzen oder Erkrankungen in Beziehung gesetzt, wie z.B. Bewegungsunlust, die dann viel zu oft als „Faulheit“ oder „Sturheit“ gedeutet wird, obwohl vielleicht eine noch nicht erkannte Atemproblematik oder anderes ihm die Bewegung so schwer macht. Solange ein Pferd „nur“ sein Verhalten ändert, ohne dass klare Schmerzsignale zu erkennen sind, reagieren leider viele auf von den eigenen Wünschen abweichendes Verhalten eines Pferdes unwirsch und bestrafen solche „Unarten“ oder „Widersetzlichkeiten“. Dabei zeigt das Pferd so vielleicht nur auf seine Art, dass es nicht kann oder ihm etwas weh tut.

Wenn wir nicht erkennen, dass ein Pferd Schmerzen oder andere Beschwerden hat, können wir dadurch, dass wir es weiter „normal nutzen wollen“ und gegebenenfalls diese Nutzung mit Nachdruck oder gar Gewalt durchsetzen, das Vertrauen des Pferdes verspielen und die Beziehung vergiften. Hinzu kommt unser eigenes ungutes Gefühl, das schlechte Gewisse und die Tatsache, dass alles immer weniger Spaß macht…  

Den Weg MIT dem Pferd gehen

Ein verantwortungsvoller Umgang mit einem Pferd heißt für mich, den Weg immer MIT dem Pferd zusammen zu gehen und nicht gegen es. Das gilt ganz allgemein und eben auch für den Umgang mit Krankheiten, Schmerzen und Beschwerden. Natürlich sind wir Menschen es, die die Entscheidungen treffen, aber wir sollten das nie tun, ohne genau auf unser Pferd zu achten, auf seine Reaktionen, seine Signale, seine Stimmungen. Sie zeigen uns so viel, wenn wir bereit sind, hinzuschauen und hinzufühlen. 

Hier habe ich einmal einige Punkte zusammengestellt, die ich für wichtig halte, wenn das Pferd sich anders als gewohnt oder gewünscht verhält, wenn es krank wird oder Schmerzen hat: 

  • Wann immer sich etwas ändert im Verhalten unserer Pferde, sollten wir innehalten und hineinspüren: Was könnte uns das Pferd damit sagen wollen? Welche Ursachen kann sein Verhalten haben? Wen können wir um eine Einschätzung bitten, wenn wir selbst unsicher sind?
  • Wenn wir die Vermutung haben, dass es unserem Pferd nicht gut geht oder das es Schmerzen hat, sollten wir uns fachlichen Rat holen – und zwar nicht von irgendjemanden, sondern von Menschen, die wirklich Ahnung haben, also einem guten Tierarzt, einen guten Physiotherapeuten/Osteopathen, einem guten Hufpfleger, je nachdem in welchem Bereich die Beschwerden vermutet werden. 
  • Bei jeder Behandlung und Therapiemaßnahme gilt es ebenfalls, gut auf das Pferd und seine Reaktionen zu achten. Wenn das Pferd zu einer Behandlung deutlich nein sagt, wird sie nur schwer durchzuführen oder durchzuziehen sein. Auch hier gilt es, MIT dem Pferd zu arbeiten und nicht einfach blind Anweisungen zu folgen, selbst wenn sie eigentlich sinnvoll und richtig sind. Für eine Genesung und Heilung ist in gewissem Maße das Ja des Pferdes und seine Bereitschaft zur Mitarbeit nötig. 
  • So sehr wir auch wollen, dass unser Pferd möglichst schnell wieder beschwerdefrei ist, so sollten wir nicht alles, was möglich ist, auf einmal angehen. Zu viele Behandlungsansätze gleichzeitig schaden oft mehr als sie nutzen. Wichtig ist eine wirklich auf das jeweilige Pferd abgestimmte Behandlung, die den Körper, aber auch die Psyche des Pferdes berücksichtigt. Manchmal ist weniger mehr und oft braucht es vor allem Zeit und Geduld. 
  • Es gilt sich vor zu vielen „guten Ratschlägen“ zu schützen, denn davon kommen meist reichlich, wenn ein Pferd erkrankt. Jeder weiß dann genau, was wir tun sollten und jeder hat noch eine Methode parat, die wir noch nicht ausprobiert haben. So gut das gemeint sind, so basieren viele „Tipps“ leider oft auf Halbwissen, Einzelerfahrungen oder auch persönlichen Vorlieben und Interessen. Hier gilt es, besonnen zu sein und in Absprache mit den Menschen, denen man wirklich vertraut, Entscheidungen zu treffen, die sich rund und stimmig anfühlen. 
  • Die Frage, ob und wie ein Pferd, das Beschwerden oder Schmerzen hat, genutzt werden kann oder soll, ist nie leicht zu beantworten. Pauschalvorgaben wie „Bewegung tut immer gut“ können genauso falsch sein wie ein Pferd aufgrund gesundheitlicher Probleme abrupt zum Rentner zu erklären und aufs Abstellgleis zu schieben. Hier gilt es ganz besonders, gut auf das Pferd und seine Reaktionen zu achten. Sie können uns durchaus zeigen, ob ihnen Bewegung guttut, ob sie auch mit Schmerzen Freude am Tun haben und ob sie die Aktivitäten mit uns schätzen oder nicht. Hier ist unser Einfühlungsvermögen genauso gefragt, wie ein zu schulendes Auge, um immer besser zu erkennen, was in der jeweiligen Situation angemessen ist und was nicht. 
  • Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich Beschwerden bei unseren Pferden nicht immer durch einfache Maßnahmen beheben lassen. Oft ist es schon schwer genug, die tatsächliche Ursache zu finden und selbst wenn das der Fall ist, gehen Heilungsprozesse von Krankheiten oft ihre eigene Wege und dauern viel länger als gedacht. Dann sind Geduld und starke Nerven gefragt. Oft gibt es auch keine klare Besserung, so dass das Pferd und sein Mensch mit den Schmerzen und Beschwerden leben lernen müssen. Das ist oft eine sehr schwierige Herausforderung, da hier Sorgen, Zweifel, Ängste, Frust und vieles mehr hineinspielt.
  • Ob und inwieweit ein Leben mit Schmerzen oder anderen Beschwerden lebenswert für ein Pferd ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden. So wie auch wir Menschen mit Schmerzen leben lernen können, können auch Pferde fröhlich sein, obwohl ihnen etwas weh tut. Andere geben sich innerlich auf und wollen nicht mehr. Wenn wir hier bereit sind, sehr aufmerksam in unser Pferd fühlen und achtsam für das sind, was sie uns mitteilen, können wir auch hier eine Entscheidung MIT dem Pferd darüber treffen, was zumutbar ist und was nicht. Es kann zusätzlich sehr gut tun, sich mit jemanden auszutauschen, der selbst schon in einer ähnlichen Situation war und dem man vertrauen kann. Ein Blick von außen und auch Gedanken eines anderen können manchmal sehr hilfreich sein – allerdings nur in Maßen, wenn sich zu viele einmischen, schadet es fast immer mehr, als dass es nutzt. 
  • Wichtig ist vor allem bei längeren Krankheitsprozessen oder chronischen Erkrankungen, dass wir auch immer wieder bei uns selbst bleiben und uns über unsere eigenen Gefühle und Bedürfnisse bewusst werden. Ein krankes Pferd kann vieles auslösen: Sorgen, Angst, Frust, manchmal auch Hilflosigkeit, Ohnmacht, Wut und anderes mehr. All das ist menschlich und verständlich, nur sollten wir unsere Gefühle nicht unbewusst ungefiltert am Pferd auslassen, wie es leider immer wieder zu erleben ist. 
  • In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, sehr bewusst darauf  achten, dass wir unser Pferd nicht „krank gucken“ oder „krank denken“. Gerade wenn wir dazu tendieren, uns immer viele Sorgen zu machen, liegt unser Fokus oft zu sehr auf dem, was nicht ok ist und wie verlieren das Gesamtbild aus den Augen. Pferde können, genau wie wir Menschen, trotz einer Erkrankung oder Beschwerden ein fröhliches und zufriedenes Leben führen, sofern sie entsprechend der Problematik behandelt werden. Je besser wir selbst ja zu der Situation sagen können, desto weniger belasten wir unser Pferd mit unseren eigenen Sorgen und Ängsten.

Keiner kann wissen, was kommt

Indem wir uns ein Pferd anschaffen, übernehmen wir eine Verantwortung, derer wir uns zwar vom Kopf her meist bewusst sind, aber deren Tragweite sich nie wirklich erfassen lässt. 20 Jahre lang ein kerngesundes Pferd zu haben, das einem nichts krummnimmt und das von Natur aus ein Sonnenschein ist, ist eine ganz andere Nummer als zum Beispiel einen starken Ekzemer, einen chronischen Huster oder ein Pferd mit regelmäßig wiederkehrenden Koliken zu haben… 

So sehr wir uns alle ein gesundes Pferd wünschen, so entwickeln sich die Dinge in der Realität oft anders. Wenn wir uns ein Pferd anschaffen, haben wir oft viele schöne Vorstellungen: Wir träumen vielleicht von langen Ausritten, von Tuniersiegen, Kutschfahrten oder Vorführungen von Zirkuslektionen. Wird unser Pferd mal krank oder verletzt es sich, geben wir ihm gerne eine Pause und warten, bis es ihm wieder gut geht. Doch dann kommt es vielleicht zu einer langwierigen Erkrankung oder einem Unfall, wodurch unser Pferd dauerhaft nicht geritten oder gearbeitet werden kann. Vielleicht erreicht es nie wieder seine volle Einsatzfähigkeit, sondern, im Gegenteil, sein Zustand wird immer schlechter. Auf diese Weise werden Ziele, Träume und Hoffnungen durch Angst, Frust und Geldsorgen abgelöst. Und damit müssen wir leben lernen – je bewusster wir das tun, desto besser wird es uns gelingen. 

Der Verantwortung gerecht werden

Ein verantwortungsvoller Umgang mit Schmerzen und Beschwerden bei unseren Pferden ist eine große Aufgabe und eine nicht immer einfache Herausforderung.

  • Es geht um die Bereitschaft, sich intensiv mit dem Wesen Pferd zu befassen, um es immer besser zu verstehen und ihm gerecht zu werden.
  • Es geht darum zu verstehen, dass Pferde keine Sportgeräte sind und dass wir kein Recht auf Nutzung haben, nur weil wir viel Geld für sie bezahlen. 
  • Es geht darum, eigene Erwartungen und Bedürfnisse manchmal nicht nur für eine gewisse Zeit zurückzustellen, sondern vielleicht auch ganz loszulassen.
  • Es geht darum, dem Pferd auch trotz Beschwerden die Möglichkeit zu geben, ein lebenswertes Pferdeleben zu führen – einerseits indem wir die dafür nötigen Voraussetzungen schaffen (das betrifft die Haltung, Fütterung, Behandlungen u.a.) und andererseits daran arbeiten, dass nicht die Beschwerden und unsere Sorgen im Mittelpunkt stehen, weil wir sonst ausbrennen, sondern die gemeinsame Beziehung und das, was trotz allem noch Schönes zusammen gemacht und erlebt werden kann, damit wir daraus immer wieder Kraft schöpfen können. 
  • Es geht in manchen Fällen darum, zu lernen mit immer wieder aufkeimenden und enttäuschten Hoffnungen umzugehen, wenn Therapien erst zu greifen scheinen, aber es dann doch wieder zu Verschlechterungen kommt, obwohl man viel Geld für Tierärzte und Behandlungen ausgibt; und manchmal steht auch eine endgültige Entscheidung an.
  • Und so gut wie immer geht es auch darum, sich mit persönlichen Schlüsselthemen zu befassen, wie zum Beispiel Verlustängste, Ehrgeiz, Umgang mit Frust, Selbstfürsorge und anderes mehr.

Es geht auch um uns selbst

Ich weiß aus eigener Erfahrung nur allzu gut, wie schwer die Verantwortung wiegen kann, die wir mit dem Kauf eines Pferdes übernehmen. Wir dürfen dabei aber nicht die Verantwortung vergessen, die wir für uns selbst haben. Nur wenn wir wenigstens halbwegs gut für uns selbst sorgen, können wir auch gut für ein anderes Wesen sorgen.

Es ist wichtig, dass wir uns zwar immer wieder selbst hinterfragen, aber gleichzeitig müssen wir uns auch bewusst machen, unser Bestes zu geben. Manches können wir beeinflussen und aufhalten, aber nicht alles verhindern. Ich denke, es ist eine Aufgabe, dass wir lernen ja zu sagen zu dem, was ist, also zu akzeptieren, dass es nicht so gekommen ist, wie wir es uns gewünscht haben, aber dass wir tun, was wir können. Es ist ganz wichtig, bei allem nicht die Freude am Miteinander zu verlieren. Und genauso dürfen auch mal einfach nur traurig oder frustriert sein darüber – das alles gehört dazu.

Tipp: Für alle, die sich hier berührt fühlen, kann mein Freudekurs eine gute Unterstützung sein. 

Wenn wir merken, dass uns die Sache aufzufressen beginnt, steht an, dass wir uns Hilfe suchen – Hilfe bei der Betreuung und Versorgung unseres Pferdes, aber vielleicht auch Hilfe dabei, mit den Sorgen umzugehen, mit der Angst um unser Pferd, mit den Ansprüchen, die wir an uns selbst haben oder mit der Wut in uns oder der Ohnmacht. Eine Erkrankung unseres Pferdes kann uns sehr klar zu einem Punkt führen: und zwar zu uns selbst.  

Verantwortung Pferd

17. Juli 2018 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Gesundheit 6 Kommentare »

Schmerzen beim Pferd erkennen

Im letzten Blogbeitrag ging es darum, dass Pferde oft trotz Schmerzen genutzt werden. Dabei taucht schnell die Frage auf, wie man eigentlich Schmerzen beim Pferd erkennt. Wir haben hier einmal eine ganze Reihe von Verhaltensauffälligkeiten und körperlichen Anzeichen für mögliche Schmerzen zusammengetragen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Schmerzen sind immer individuell und können sich deshalb auch sehr unterschiedlich zeigen.

Mögliche Anzeichen von Schmerzen anhand des Verhaltens des Pferdes

Pferde zeigen durch vielfältige Reaktionen, dass ihnen etwas unbehaglich ist oder Schmerzen bereitet. Einige sind als Schmerzäußerungen allgemein bekannt, viele von ihnen werden aber leider noch immer als „Unarten“ interpretiert und sogar bestraft: 

Als Schmerzäußerung weitestgehend bekanntes Verhalten: 

  • Lahmen (von leichtem Humpeln bis hin zu einem Stehen auf drei Beinen, das schmerzende Bein wird nicht mehr aufgesetzt, sondern hochgehalten),
  • Entlastungshaltung, wie z.B. dem Nach-Hinten-Lehnen eines an Rehe erkrankten Pferdes,
  • ein auffälliges und wiederholtes Zum-Bauch-Schauen bei Bauchschmerzen und Koliken, 
  • eine „aufgezogene“ Atmung, bei der es aussieht, als würde das Pferd den Bauch einziehen (siehe dazu auch weiter unten), 
  • Zittern.

Mögliche Schmerzanzeichen, die weniger bekannt sind: 

  • Rücken wegdrücken, 
  • Kopf hochreißen oder Kopfschlagen,
  • wiederholtes Stolpern vorne und/oder hinten,
  • ein Wegsacken der Hinterhand, 
  • Flehmen,
  • auffällig häufiges Gähnen,
  • Zungenspiele oder Aufreißen des Mauls, 
  • Unruhe, Nervosität und Stress, 
  • Schwitzen.

Mögliche Schmerzanzeichen, die viel zu oft als Unarten oder Widersetzlichkeiten interpretiert werden:

  • Scharren,  
  • Losstürmen oder Verweigerung vorwärts zu gehen, 
  • ein Ausweichen bei Berührungen durch die Hand des Menschen oder durch Gegenstände, wie Sattel & Co,
  • Unruhe und Zappeligkeit beim Satteln oder Aufsteigen, beim Putzen, bei der Hufpflege usw., 
  • Schnappen und Beißen,
  • mit der Hinterhand drohen und auch ausschlagen,
  • ungewohntes, aggressives Verhalten in der Herde,
  • Desinteresse an Futter oder anderen Dingen, die dem Pferd eigentlich Freude machen,
  • bei manchen Pferden auch apathisches Herumstehen und „Totalverweigerung“ (was leider häufig als „Ungehorsam“ oder „Sturheit“ interpretiert wird), 
  • plötzliche Verhaltensänderungen.

Es wird anhand dieser Liste deutlich, dass es sehr viele mögliche Anzeichen für Schmerzen gibt und bevor wir ein Pferd rügen oder strafen, sollten wir uns immer nach der Ursache für sein Verhalten fragen. Deshalb ist es wichtig, das eigene Pferd so gut zu beobachten und kennen zu lernen, dass man in der Lage ist Abweichungen im Verhalten zuzuordnen und sie nicht einfach vorschnell als „unerwünscht“ zu bestrafen oder zu übergehen. 

Darüber hinaus werden manche Schmerzäußerungen durch gezielte Maßnahmen unterbunden. So wird z.B. das Maulaufreißen als Schmerzausdruck bei zu starkem Zügelzug oder Beschwerden durch das Gebiss durch Sperrriemen verhindert, indem dem Pferd das Maul zugeschnürt wird. Oder Zungenspiele als Reaktion auf zu groben Zügeleinsatz oder durch Zahnschmerzen werden durch Spezialgebisse verhindert u.Ä. Auch hier gilt: Wir müssen die Signale des Pferdes als Anlass nehmen, nach der Ursache zu suchen, und dürfen nicht einfach dem Pferd seine Ausdrucksmittel nehmen.  

Das Schmerzgesicht

Neben dem Verhalten gibt auch die Mimik eines Pferdes oft deutlichen Aufschluss über mögliche Schmerzen. Man spricht hier von einem Schmerzgesicht beim Pferd. Wie das aussieht, kann man gut auf den beiden folgenden Fotos einer Stute in den Wehen sehen: Der Blick ist in sich gekehrt, die Adern treten deutlich hervor, die Nüstern sind zusammengezogen, die Kaumuskulatur ist fest angespannt und tritt hervor. 

Schmerzgesicht

Schmerzgesicht

An der Augenpartie sieht man Schmerzen bei Pferden ganz besonders, wie auf dem folgenden Bild deutlich wird: 

Schmerzgesicht beim Pferd

Die Augen können auch tränen oder geschlossen gehalten werden. Bei sehr starken Schmerzen kann das Weiße im Auge sichtbar werden. Der Blick des Pferdes kann aber auch stark in sich gekehrt und wie „abgeschaltet“ wirken, das ist oft bei chronischen Schmerzen der Fall.

Und auch am Maul kann sich zeigen, dass es einem Pferd nicht gut geht: 

Schmerzgesicht beim Pferd

Die Nüstern können auch deutlich hochgezogen sein (sichtbar an den Falten darüber), sehr klein oder auch stark gebläht sein. Oft wirkt auch das Kinn spitz, da die Unterlippe fest angespannt ist.  

Die Ohren hat ein Pferd mit Schmerzen fast immer nach hinten gerichtet oder auch deutlich angelegt. 

Wichtig! Bei akuten Schmerzen sind Schmerzreaktionen und Schmerzgesicht meist ausgeprägter und deutlicher zu erkennen als bei Pferden, die unter chronischen Schmerzen leiden oder denen immer wieder aufs Neue Schmerzen z.B. durch grobes Reiten oder unpassendes Zubehör zugefügt wird. Solche Pferde resignieren und ziehen sich oft in sich selbst zurück. Ein geschultes Auge kann aber das Leid eines Pferdes auch dann noch erkennen und ein offenes Herz kann es fühlen.

Der aufgezogene Bauch

Hier haben wir noch ein Foto von einem Pferd mit einer akuten Stresskolik. Deutlich zu sehen ist die aufgezogene Bauchmuskelpartie, markiert durch die drei Pfeile in der Mitte des Bildes. Der Pfeil links oben zeigt eine stark abgekippte Kruppe, das Pferd zieht regelrecht den Hintern ein. 

Schmerzbauch beim Pferd

Darüber hinaus treten oft auch deutlich die Adern am Oberschenkel des Hinterbeins hervor, was man allerdings beim Winterfell meist nicht so gut sieht. Werft auch einen Blick auf die After-Partie, diese kann durch die Anspannung tief eingezogen sein. 

Hier noch einmal die vor Schmerzen aufgezogene Bauchpartie ohne Pfeile, es sieht aus, als würde das Pferd den Bauch einziehen: 

Kolik

Ein Pferd, das so aussieht, braucht einen Tierarzt

Verantwortung übernehmen aus Liebe zum Pferd

Das Thema Schmerz ist ein trauriges, schwieriges und unbequemes Thema. Es ist verbunden mit Sorgen und der Unsicherheit, was man tun soll, mit Entscheidungen, die getroffen werden müssen und Kosten, die sie verursachen. Es ist auch damit verbunden, dass wir ein Pferd nicht so nutzen können, wie wir das gerne würden, fürs Erste, vielleicht aber auch dauerhaft. Und oft ist es auch verbunden mit Schuldgefühlen und einem schlechten Gewissen. So ist es durchaus nachvollziehbar, dass wir manchmal am liebsten gar nicht so genau hinschauen würden.

Aber wir haben es mit lebendigen Wesen zu tun und damit haben wir eine Verantwortung für dieses Wesen.

Bitte trainiert Euren Blick und lernt, Schmerzen beim Pferd zu erkennen. Sie haben keine Stimme, aber sie „sprechen“ mit uns auf vielfältigste Weise. Es ist unsere Pflicht zu lernen, ihre Signale zu verstehen und ihnen zu helfen.

10. Juli 2018 von Tania Konnerth • Kategorie: Anatomie und Körper, Engagement und Pferdeschutz, Gesundheit, Verhalten 12 Kommentare »

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