Pferdeschutz beginnt bei uns selbst

Im Großteil unserer Beiträge hier bei „Wege zum Pferd“ geht es – natürlich – um Pferde. Vielleicht verlieren wir da manchmal ein bisschen uns Menschen aus dem Blick. Heute will ich deshalb einmal bewusst die Seite wechseln und etwas für und über uns Pferdeleute schreiben. 

Warum es wichtig ist, auch mal an uns zu denken

Im Miteinander von Mensch und Pferd kommt es immer wieder zu einem Phänomen, das auf den ersten Blick verblüffen mag: Alle, die Pferde lieben, möchten, dass es Pferden gut geht – und doch kommt es im Umgang, beim Reiten und in Pferdeställen ganz allgemein immer wieder zu unschönen Szenen, in denen wir Menschen Pferde nicht nur unfair behandeln, sondern es leider oft auch zu Gewalt kommt. Es gibt leider nur wenige Ställe, in denen es nicht vollkommen normal ist, dass Pferde mit Gerten geschlagen oder mit Sporen gestochen werden, dass an Stricken oder Zügeln gerupft wird, dass gebrüllt, gebufft oder gehauen wird. Und immer wieder fragt man sich, wieso gerade an einem Ort, wo Menschen mit ihren Lieblingstieren doch eigentlich nur eine gute Zeit verbringen wollen, so viel Mist passiert. 

Um zu verstehen, was da genau geschieht – denn die wenigsten von uns handeln vorsätzlich und bewusst so – und auch wie sich die Sache zum Positiven verändern lässt, müssen wir einen kleinen Ausflug in die Psychologie machen. 

Wie wir mit uns selbst umgehen, bestimmt, wie wir mit anderen umgehen

Aus der Psychologie ist bekannt, dass wir andere nur dann lieben und annehmen können, wenn wir uns selbst lieben und annehmen, dass wir anderen gegenüber nur dann respektvoll sein können, wenn wir uns selbst respektieren, und dass wir erst dann für andere gut sorgen können, wenn wir gut für uns selbst sorgen. 

Nun einmal Hand aufs Herz: Wie viele von uns sind sich selbst wirklich nah? Wie viele von uns nehmen sich an und mögen sich selbst? Und wie viele von uns sorgen wirklich gut für sich? 

Hadern nicht viel mehr ganz viele mit sich, finden sich selbst zu dick, zu doof, zu hässlich, zu unfähig und so weiter und so fort? Beschimpfen wir uns oft nicht selbst in Gedanken und auch laut („Ich bin so dämlich!“ oder „Was bin ich nur für eine doofe Kuh!“)? Vergleichen wir uns nicht immer und immer wieder mit anderen und stellen fest, dass die viel besser reiten können, viel toller aussehen und die viel besseren Pferde haben? Kurz und gut: Behandeln wir uns selbst nicht oft so, wie wir niemals wollen würden, dass jemand, der uns nahe steht, behandelt wird? 

Und was soll daraus entstehen? Wie wollen wir einfühlsam, verständnisvoll und geduldig mit unseren Pferden sein, wenn wir uns selbst nur fertig machen? Wie fair glauben wir anderen im Stall gegenüber sein zu können, wenn wir uns selbst gegenüber so mies behandeln? Wie wollen wir überhaupt etwas geben können, wenn wir uns selbst nichts gönnen? 

Das Leben ist leider oft genau wie auf dem Ponyhof

Pferdeställe werden gerne vollkommen verklärt dargestellt: lauter nette Mädels mit lauter netten Pferden, alle haben Freude, alle haben Spaß. Und so mag das, was ich hier schreibe, für viele überzogen klingen, aber meiner Erfahrung nach sieht die bittere Realität leider so aus, dass in vielen Reitställen sehr viele wirklich unschöne menschliche Charakterzüge gelebt werden. Ja, es gibt auch Gegenbeispiele (und das ist wundervoll!), die aber sind zumindest meiner Einschätzung nach leider noch immer die Ausnahmen.

Überlegen wir einmal: Der Großteil von uns kommt zu den Pferden, wenn wir kurz vor oder schon in der Pubertät sind – eine der schwierigsten Zeiten überhaupt. Wir treffen mit unserer Unsicherheit und unserem Weltfrust auf Tiere, die durchaus nicht immer leicht zu handhaben sind und die allein schon durch ihre Kraft und Körpergröße Angst machen können. In vielen Reitställen wird dann den meisten von uns vermittelt, dass man sich durchsetzen muss und wer das am besten kann, wird bewundert. Schleifen bekommen leider auch nicht die, die pferdegerecht handeln, sondern oft ausgerechnet die, die in Rollkur-Manier trainieren und kein Problem damit haben, Sporen und Gerte zu nutzen. 

Hinzu kommt noch die Tatsache, dass Mädchen (und Frauen) untereinander extrem fies sein können. In Pferdeställen geht es letztlich immer um eine ebenso begehrte wie auch begrenzte Ressource, denn nicht jede, die gerne ein Pferd hätte, darf auch eines haben, also wird oft mit allem gekämpft, was zur Verfügung steht.  Wie gesagt, es gibt Ausnahmen, aber was ich hier skizziere ist leider noch immer „ganz normal“ …

Keine konstruktiven Energien in Sicht

Nur selten gibt es in den Ställen Erwachsene, die bereit oder in der Lage sind, die vielen Emotionen, die in Pferdeställen aus den unterschiedlichsten Gründen hochkochen, überhaupt zu erkennen, geschweige denn in halbwegs vernünftige Bahnen zu leiten. Zu oft sind wir alle selbst viel zu sehr emotional verstrickt und selbst wenn jemand versucht etwas zu verändern, wird nicht selten genau diese Person gemeinschaftlich gemobbt. 

Die Leidtragenden in dem Spiel sind nicht nur wir selbst, sondern eben immer auch die Pferde, denn der Frust, die Wut, die Angst, der Ärger, die Traurigkeit und viele andere negative Gefühle, die in Reitställen einen leider perfekten Nährboden finden, entladen sich fast immer auch im Umgang mit den Tieren. So kommt es, dass selbst Kinder und Jugendliche schon tierschutzrelevantes Verhalten zeigen – niemand hat ihnen vermittelt, dass das falsch ist und niemand hat ihnen gezeigt, wie es anders geht. Und als Erwachsene machen wir dann oft weiter, weil wir es nicht besser wissen und können. 

Wir müssen lernen, anders mit uns selbst und mit anderen umzugehen

Einmal mehr geht es darum, bei uns selbst anzusetzen – und das im denkbar besten Sinne! 

Ich weise ja oft darauf hin, wie wichtig Selbstreflexion ist, also die Bereitschaft, das eigene Tun immer wieder zu hinterfragen. Dabei geht es aber keinesfalls nur um Selbstkritik, ganz im Gegenteil: es geht auch um Selbstversöhnung, Selbstannahme und Selbstfürsorge. Denn all das ist wichtig, damit wir überhaupt in der Lage sind, etwas zu geben – anderen Menschen, anderen Wesen. 

Selbstreflexion ermöglicht uns zu erkennen, wenn es uns nicht gut geht, also dass wir zum Beispiel traurig sind, frustriert, wütend, gereizt, müde oder erschöpft. Selbstreflexion ermöglicht uns herauszufinden, was wir brauchen, damit es uns wieder besser geht, und was wir uns Gutes tun können, damit wir wieder zu Kräften kommen. Selbstreflexion ist auch die Basis dafür, im Miteinander mit anderen Menschen klare Grenzen setzen zu können und konstruktive Beziehungen zu gestalten.

Damit es unseren Pferden gut geht, muss es auch uns selbst gut gehen – das ist eine Lektion, die ich selbst über viele Jahre und leidvolle Irrwege begriffen habe. Mit Artikeln wie diesen möchte ich Euch dazu ermutigen, Euch selbst besser kennen zu lernen und zu entdecken, wie Ihr seid, wenn Ihr in Eure Kraft kommt und was Ihr zu geben habt, wenn es Euch gut geht. Ich bin fest davon überzeugt, dass es diese Kräfte sind, die Reitställe zu den Oasen machen können, die wir uns doch eigentlich alle wünschen – denn: Die Pferde warten schon auf uns, um genau das mit uns zu leben!

Pferdeschutz beginnt bei uns selbst

2. Oktober 2018 von Tania Konnerth • Kategorie: Allgemein, Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse 8 Kommentare »

 

8 Reaktionen zu “Pferdeschutz beginnt bei uns selbst”

 

Von Svenja • 2. Oktober 2018

<3

 

Von Axel Lohse • 3. Oktober 2018

Dieser Artikel spricht ein viel vernachlässigtes Thema, welches nicht nur in der Reiterei so für wachsame und achtsame Beobachter wahrzunehmen ist. Es gilt gleichermaßen für alle anderen Lebensbereiche. Die Autorin spricht von einem Gesetz des Verhältnisses zu sich selbst. Dies ist ein eher juristischer Begriff oder der Naturwissenschaft und suggeriert, wenn ich es dem Gesetz entsprechend umsetze, klappt das schon. Das Widerspricht dem Anliegen des Artikels. Wenn ich einer Normierung eines Gesetzes folge, bin ich dabei meine Individualität und mich selbst zu verlassen und öffne die Tür zur Vernachlässigung meiner selbst, meist, ohne es zu bemerken.

___________________

Hallo Axel,

vielen Dank für den wichtigen Hinweis. „Gesetz“ war an dieser Stelle tatsächlich kein guter Begriff. Ich habe die Passage geändert.

Herzlich,
Tania

 

Von Manuela • 4. Oktober 2018

Liebe Tania,

Dein Artikel macht mich sprachlos und traurig – weil er leider so wahr ist. Ich erlebe es ständig in den Ställen, in denen ich unterwegs bin, sehe die Jugendlichen, wie sie ewig damit beschäftigt sind, ihr Pferd in Glitzergamaschen und farblich passende Abschwitzdecke zu wickeln. Aber wehe, das Pferd hält nicht geduldig still dabei – dann setzt es aber was …
Die mangelnde Empathie, die Herzlosigkeit und die Abgestumpftheit, mit der da mit hoch sensiblen Lebewesen umgegangen wird, entsetzt mich immer wieder, und ich bin oft traurig, weil ich einfach nicht weiß, was ich dagegen tun kann. Es müsste ein grundlegendes Umdenken stattfinden. Aber das muss von denen kommen, auf die diese jungen Menschen hören: Die Erwachsenen, zu denen sie aufschauen. Aber die sind ja leider auch nicht besser …
Ich habe schon das Gefühl, dass langsam ein Umdenken stattfindet. Ich glaube, vor 10 Jahren waren die Dinge noch schlimmer. Einfach auch deshalb, weil man über Pferdepsyche und -verhalten einfach nicht so viel wusste. Aber oft denke ich auch, dass das nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Die breite Basis ist immer noch roh, stumpf und unwissend.
Trotzdem will ich positiv denken, selbst mit gutem Beispiel vorangehen und durch konstruktive Gespräche Änderungen herbeiführen. Aber manchmal könnte ich einfach nur verzweifeln beim Anblick der traurigen, verwirrten Pferdeaugen …

Vielen Dank für eure unermüdliche Aufklärungsarbeit!
Liebe Grüße
Manuela

 

Von Beate • 8. Oktober 2018

Liebe Tania, ich freue mich sehr, diesen Artikel von dir heute morgen zu lesen. Denn er relativiert etwas, das ich schon seit einer ganzen Weile als nicht so positiv empfinde. Das „sich ständig selbst Hinterfragen“, das „immer ist der Mensch schuld“, den ewigen Versuch, aus sich selbst ein perfektes Wesen zu machen. Ob Gewicht, Gedanken oder Gesellschaft. Nein. Ich bin wie ich bin. wichtig ist doch, dass ich darüber nachdenke, ob ich (schon) gut ( genug) bin, für das, was ich von und mir anderen erwarte. Ob Mensch oder Tier. Ist das nicht so, müssen die Erwartungen temporär nach unten verschoben werden. Gut genug müssen nicht 100% vom Ideal ein. Denn das erreicht man eh nie. Unsere Pferde und auch die Menschen um uns herum sind zufrieden, wenn ich authentisch bin und wenn ich Fehler erkenne oder zumindest eine Hinweis auf diese annehme und das Thema überdenke. Wenn ich in respektvolem Ton ehrlich bin und wenn man mich erkennen und einschätzen kann. Fachlich theoretisch kann man sich nie genug bilden, technisch auch nicht. Das ist wichtig und richtig. Denn allein damit räumt man die meisten Probleme eh schon aus dem Weg. Beim Rest und bei der praktischen Umsetzung tun auch kleine Schritte manchmal Wunder. Wer sich nicht ständig fragt, ob er allen genügt, hat viel mehr Zeit für Spass am Leben. Und den haben dann auch alle um einen herum. 😉 In diesem Sinne ganz liebe Grüße aus Berlin von Beate

 

Von Linda • 8. Oktober 2018

Liebe Tania,

ich bin gerade in einer Phase des Umbruchs und wurde durch unschöne Ereignisse von außen „gezwungen“ an mir selbst zu arbeiten. Dafür bin ich jetzt unendlich dankbar.
Im Umgang mit meinen Tieren u. insbesondere mit meiner sehr sensiblen Stute kommt mir das jetzt zugute.
Ich kann nur bestätigen, was du da schreibst. Der Weg ist anstrengend mit Höhen u. Tiefen, aber es lohnt sich.
Mich so anzunehmen wie ich bin gelingt mir immer besser und es gibt mir soooo viel Leichtigkeit.

Vielen Dank für den schönen Artikel
Herzliche Grüße aus dem Süden in den wunderschönen Norden

von Linda

 

Von Anja Dietz • 8. Oktober 2018

Ich kann nur sagen: voll in`s Schwarze getroffen. Leider werden Pferde viel zu oft nur als Sportgerät gesehen.Ich erlebe oft, wie empathielos mit diesen wundervollen Lebewesen umgegangen wird.Natürlich muss man Pferde im Umgang erziehen, aber nicht mit Gewalt, sondern nur mit Liebe , Respekt und Geduld. Wer hat aber dafür schon die Zeit? Viele kommen schon genervt an den Stall, haben ihr Programm schon im Kopf und wehe es läuft nicht so, wie man sich das vorgestellt hat. Dann wird gebrüllt, das Pferd bekommt eins mit der Gerte verpasst und so weiter.Gott sei Dank gibt es aber noch Menschen, die vernünftig mit den Tieren umgehen. Ich kann nur sagen, ich bin stolz darauf, dass mir mein Pferd mit seinen 230 kg auf Schritt und Tritt folgt. Ich freue mich jeden Tag auf ihn und er bereichert mein Leben um 1000%.

 

Von Sabine • 8. Oktober 2018

Liebes Wege-zum-Pferd-Team,
danke für diesen Artikel! Eine meiner Vorrednerinnen hat es schon geschrieben, dass wir endlich damit anfangen müssen, die Ansprüche an uns selbst herunterzuschrauben und uns auch an den allerkleinsten Dingen erfreuen. Oft bemerken wir diese Dinge gar nicht und uns entgeht damit so viel Freude im Leben. Ich bin zwar nicht in der Pubertät zu den Pferden gekommen, sondern erst in den Wechseljahren, aber auch diese Jahre sind keine einfache Zeit, das Wechselspiel der Hormone lässt auch unsere Stimmungen böse schwanken. Dennoch ist es mein oberstes Bestreben, die Zeit mit mir für mein Pferd zu einer besonders schönen Zeit zu machen. Und mir geht regelmäßig das Herz auf, wenn mein Pferdchen auf der Weide zu mir gelaufen kommt – das ist soooo schön!!! Mit einem freudigen Spielgesicht. Mein 23jähriger Andalusier sieht dann aus wie ein kleiner Junge. Allein dieser Moment lässt mich unendlich glücklich und dankbar sein, was braucht man mehr?
In diesem Sinne wünsche ich euch allen
viele glückliche Momente mit euren Vierbeinern
und sende herzliche Grüße
Sabine

 

Von Susann • 9. Oktober 2018

Hallo zusammen,
wieder ein wundervoll geschriebener Artikel. Jeder der mit Pferden arbeitet, sollte sich bewusst machen wie sehr wir ihnen im täglichen Umgang schaden können.
Auch ich sehe aus beruflichen Gründen sehr häufig, dass es leider viel zu Viele gibt die ungeduldig, gestresst und mit Zorn ihre Pferde händeln.
Man selber wird häufig nur belächelt wenn man andere Wege einschlägt. Häufig bekomme ich zu hören „diese Methode ist eben nichts für jedes Pferd“.
Ich würde mir wünschen das viel mehr Pferdebesitzer ihre Pferde mit Respekt und Liebe behandeln und nicht bei jeder Kleinigkeit „völlig ausrasten“. Zu häufig sieht man Menschen die Pferde anschreien, hauen oder sogar treten.
Werte die einem im Kindesalter mitgegeben wurden zählen im Pferdesport plötzlich nicht mehr. WIESO?
Leider kann ich darauf keine Antwort finden, um so mehr freue ich mich über Menschen mit viel Empathie zu ihren Tieren. Sie sind unsere treuesten und bedingungslosesten Begleiter und wir sollten ihnen davon ein Stück zurück geben.
VIELEN DANK FÜR DEN TOLLEN ARTIKEL!

Glg Susann

 

 

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