Reite ich mein Pferd schmerzfrei?

Die Überschrift zu diesem Blogbeitrag stellt eine Frage, die für viele von uns ziemlich unangenehm ist. Unangenehm deshalb, weil bekannt ist, dass Pferde eigentlich nicht dazu gemacht sind, unser Gewicht zu tragen. Unangenehm, weil wir nicht immer sicher sein können, dass die Art, wie wir reiten, gut für das Pferd ist. Und vielleicht auch unangenehm, weil viele von uns Reiter/innen schon manches getan haben (und tun), von dem wir wissen, dass es nicht richtig war (und ist). Mir geht es jedenfalls so.

Aber, so unangenehm sie ist, so sollte sie uns präsent sein, zumindest immer mal wieder. Denn nur, wenn wir unser Tun (in diesem Fall unsere Reiterei) selbstkritisch hinterfragen, können wir erkennen, ob wir unserem Pferd vielleicht ungewollt Schmerzen bereiten (s. zu diesem Thema auch unsere Artikel Der hat nichts, der läuft doch und Schmerzen beim Pferd erkennen) und damit die Freude am Miteinander nehmen.

Ist Reiten denn etwas Schlimmes? 

Grundsätzlich kann Reiten etwas Wundervolles sein. Wenn Pferd und Mensch als Paar einen gemeinsamen Weg finden, kann Reiten zum Tanz und zur Quelle von Freude von beiden werden – ein Lesetipp dazu: „Mit dem Herzen voran“ – der Reitkurs.

Damit das aber möglich wird, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein: 

  • Das Pferd muss in der Lage sein, den Menschen schmerzfrei und schadlos zu tragen; zu beachten sind hier insbesondere das Alter des Pferdes, sein Gesundheitszustand, sein Ausbildungsstand und anderes.
  • Der Mensch muss einen Weg der Kommunikation finden, in dem er dem Pferd seine Wünsche mitteilen kann, ohne ihm dabei wehzutun oder es einzuschüchtern. 
  • Das Pferd muss den Menschen freiwillig tragen und nicht, weil es Angst vor Strafen und Schmerzen hat. 
  • Das Pferd muss dem Menschen vertrauen.
  • Das Reiten muss in dem Maße stattfinden, in dem das jeweilige Pferd in der jeweiligen Situation ihm sowohl körperlich als auch seelisch gewachsen ist. 

Zeichen für Schmerzen bei gerittenen Pferden

Wenn Pferde beim Reiten Schmerzen haben, dann kann sich das sehr unterschiedlich äußern: 

  • Sie ticken oder lahmen deutlich. 
  • Sie drücken den Rücken weg. 
  • Sie stürmen oder schleichen. 
  • Sie schlagen mit dem Kopf oder verkriechen sich hinter dem Zügel. 
  • Im schlimmsten Fall buckeln oder steigen sie, um den Menschen (also den Schmerzauslöser) loszuwerden. 

Wodurch können wir Schmerzen beim Reiten auslösen?

Hier sind die Möglichkeiten leider vielfältig: 

  • Durch tierschutzrelevante Ausbildungs- und Reitmethoden, wie z.B. die Rollkur,
  • wenn das Pferd uns auf eine ungute Weise zu tragen versucht,
  • wenn wir es mit zu viel Gewicht belasten,
  • wenn wir ein junges Pferd zu früh reiten oder ein altes Pferd zu lange, 
  • durch eine harte Hand oder grobe Zügeleinwirkung und/ oder einen zügelabhängigen Sitz („an den Zügeln festhalten“), sowie durch ein Strafen durch Zügelzug oder gar ein Reißen an den Zügeln, 
  • durch einen unausbalancierten Sitz, durch den wir dem Pferd in den Rücken fallen, 
  • durch eine zu starken Schenkeleinwirkung, auch Bolzen genannt, 
  • wenn wir mit der Gerte schlagen,
  • wenn wir mit Sporen pieksen oder gar zustechen,   
  • durch scharfe Gebisse, vor allem solche, die durch eine Hebelwirkung unsere Kraft verstärken (und Pferden im Schlimmsten Fall den Kiefer oder das Nasenbein brechen), 
  • durch Hilfszügel, die unsere Kraft verstärken, wie z.B. Schlaufzügel, 
  • durch unpassendes Zubehör, insbesondere unpassende Sättel, aber auch kneifende oder zu eng geschnallte Zäumungen
  • und anderes mehr.

Schmerzen unter dem Reiter erkennen lernen

Wir möchten hier ein bisschen dafür sensibilisieren, wie es aussieht, wenn ein Pferd einen Reiter auf eine ungute und eben auch schmerzhafte Weise trägt.

Anregung: Vergleicht die folgenden Bilder einmal mit dem, was Ihr landauf, landab in Reitbahnen oder auf Turnieren sehr, leider selbst auf Weltsport-Veranstaltungen. 

Auf dem folgenden Foto ist ein Pferd zu sehen, dass unter seinem Reiter deutlich den Rücken weg- und den Unterhals herausdrückt. Die eingezeichneten Linien und Pfeile verdeutlichen die entscheidenden Punkte und weist darüber hinaus auf den vor Anspannung und/oder Schmerz abgestellten Schweif und den riesigen Abstand von Hinterbein zum Vorderbein. Das Pferd kann auf diese Weise kein Gewicht auf der Hinterhand aufnehmen.

Dieses Pferd trägt seinen Reiter in diesem Moment auf die denkbar ungünstigste Art. Wir müssen davon ausgehen, dass ihm das nicht nur unangenehm ist, sondern Schmerzen bereitet. Wird ein Pferd oft oder gar dauerhaft so geritten, wird es davon erhebliche Verspannungen und Schmerzen und sehr wahrscheinlich auch gesundheitliche Schäden davon tragen. So sollte kein Pferd unter dem Sattel aussehen! 

Schmerzen durch das Reiten

Wichtig: Diesem Pferd nun einfach mit Hilfszügeln den Kopf herunterzwingen, würde NICHTS an der Situation ändern, sondern den Schmerz, die Verspannungen und das Unvermögen, das Reitergewicht auf eine gute Art tragen zu können, noch verstärken. Hier muss an der Basis neu und behutsam aufgebaut werden, damit das Pferd lernen kann, das Reitergewicht auf eine gute Art zu tragen – und das gilt für Pferd und Reiter. 

Auf dem folgenden Bild lassen sich anhand der Mimik und des Halses des Pferdes viele Details benennen, die zeigen, dass sich dieses Pferd nicht wohl fühlt und sehr sicher Schmerzen hat. Gekennzeichnet sind hier im Uhrzeigersinn:

  • der in sich gekehrte Blick,
  • der viel zu eng verschnürte Sperrriemen, der es dem Pferd unmöglich macht, dem Schmerz, der durch den harten Zügeleinsatz ausgelöst wird, Ausdruck zu verleihen (es würde in dieser Situation das Maul weit aufreißen!),
  • die geblähten Nüstern,
  • die durch den Zug am Zügel und den eng zugeschnürten Sperrriemen eingeklemmten Maulwinkel,
  • der herausgedrückte Unterhals
  • und die eingequetschte Ohrspeicheldrüse durch den vom Reiter ausgelösten Ganaschenzwang

Schmerzen durch das Reiten

Und zum Schluss noch ein Bild von einem Pferd, dessen Blick uns alles sagen sollte. Die leider noch immer „moderne“ und verbreitete Reitweise des „Deep and Low“ oder auch Hyperflexion oder Rollkur genannt, zwingt Pferde durch schmerzhaften Zügelzug in eine vollkommen unnatürliche Haltung, die es ihm unmöglich macht, das Reitergewicht auf eine gesunderhaltende oder entspannte Weise zu tragen. Zu den körperlichen Beschwerden, die diese Reitweise auslöst, kommt auch noch die psychische Komponente, denn Pferde, die so geritten werden, werden ihres natürlichen Sichtfeldes beraubt, was unter anderem zur so genannten erlernten Hilflosigkeit führt. Eine solche Art zu reiten ist schlicht und einfach Tierquälerei, auch wenn damit leider noch immer Medaillen gewonnen werden…

Schmerzen durch das Reiten

Hinweis: Auf all diesen Fotos sind noch nicht einmal Hebelgebisse oder Schlaufzügel zu sehen, mit denen Pferden in einem vielfachen Maß Schmerzen zugefügt werden können. Leider ist Reitsportzubehör, welches physikalische Prinzipien nutzt, um die Kraft, die wir ausüben können, um ein Vielfaches zu erhöhen, noch immer frei käuflich. Die Schmerzen, die wir Pferden mit Stangengebissen, Schlaufzügeln & Co gewollt oder ungewollt zufügen können, sind immens und können zu schweren Verletzungen wie Kieferbrüchen oder Wirbelverletzungen führen. Hilfsmittel dieser Art gehören nicht einmal in „Profihände“, sondern schlicht und einfach verboten.

Bitte schaut hin und schenkt Pferden Eure Stimme

Reiten, das so aussieht, wie auf den hier gezeigten Bildern, ist Reiten, das Pferden Schmerzen und Qualen bereitet. Kein verantwortungsvoller Reiter, der von sich behauptet, Pferde zu lieben, sollte sein Pferd so reiten oder von einem „Ausbilder“ reiten lassen. Und wir alle sollten auch nicht länger zuschauen, wenn Pferde so geritten werden, sondern hier müssen wir eingreifen und zur Stimme unserer Pferde werden, denn sie leiden stumm. 

Pferdeleid ansprechen

 

Tipp: Wer dieses Thema vertiefen möchte, dem sei das neue Buch von Marlitt Wendt empfohlen, dass wir nächste Woche ausführlich vorstellen werden: „Was fühlt das Reitpferd?“

4. September 2018 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Gesundheit, Reiten 5 Kommentare »

 

5 Reaktionen zu “Reite ich mein Pferd schmerzfrei?”

 

Von Anja • 4. September 2018

Hallo liebes Weg-zum-Pferd-Team,
vielen Dank für diesen gelungenen Artikel! Ich finde es wichtig, dass Reiter immer mehr sehen und fühlen lernen. Mir persönlich ist der Artikel allerdings leider noch ein bisschen zu wenig in die Tiefe gegangen, sprich ich würde gerne noch mehr auch über weniger offensichtliche Schmerzen bzw. Schmerzursachen lesen. Außerdem werden in dem Hinweis unter dem letzten Bild Stangengebisse generell mit Schlaufzügeln & Co. auf eine Ebene gestellt. Ein einfaches Stangengebiss ohne Hebelwirkung fällt doch eher in die Kategorie Wassertrense bzw. Trensengebiss allgemein, oder? Wobei auch diese genaugenommen unter „Reitsportzubehör, welches physikalische Prinzipien nutzt, um die Kraft, die wir ausüben können, um ein Vielfaches zu erhöhen“ fallen.
Zum Schluß: Ein herzliches Dankeschön an Eure Arbeit und Euer Engagement zum Wohle der Pferde, Anja

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Hallo Anja,

lieben Dank für Deinen Kommentar. Ja, stimmt, das könnte auf jeden Fall alles noch ausführlicher sein, siehe dazu den Hinweis auf das Buch von Marlitt Wendt – in so einem Buch hat man doch sehr viel mehr Raum als in so einem Blog-Beitrag.

In der Gleichsetzung wurden im Artikel nicht nicht Stangen- sondern Hebelgebisse genannt, da diese, wie eben auch wie Schlaufzügel gezielt physikalische Wirkungsmechanismen nutzen, um die Einwirkungsmöglichkeiten zu verstärken. Wenn ein Pferd mit einem einfachen Stangengebiss gut zurechtkommt, spricht für mich nichts dagegen, wenngleich ich persönlich gebisslose Varianten bevorzuge.

Herzlich,
Tania

 

Von Sabine • 10. September 2018

Hallo zusammen,
Ihr habt wieder einen schönen Beitrag geschrieben, den man, da schließe ich mich Anja an, noch ausführlicher hätte schreiben können – aber mehr geht ja immer. Umso besser finde ich euren Hinweis auf Marlitts neues Buch. Das werde ich mir auf jeden Fall kaufen, denn bisher hat mich jedes Buch, das ich von ihr habe, sehr berührt und die Augen geöffnet. Einfach eine tolle Frau. Ihre Bücher sollten für jeden Pferdebesitzer, Reiter, Trainer Pflichtlektüre sein!
Herzliche Grüße
Sabine

 

Von Felix • 30. September 2018

Richtig schöner Beitrag. Sollte man auf jeden Fall immer im Auge behalten und viele sind sich gar nicht bewusst was sie ihrem Pferd eigentlich antun.

 

Von heike • 31. Oktober 2018

Hallo, zu Widersetzlichkeit und Schmerzen beim Reiten möchte ich etwas fragen. Mein Pony geht weg, wenn ich mit dem Halfer komme. Es mag nicht gerne geputzt werden. Wenn ich sattele, wird er sehr ungehalten. Der Sattel wird regelmäßig von zwei Fachleuten geprüft. Der Longiergurt wird auch ungerne genommen. Beim Deckenauflegen ist er auch unfreundlich. Es ist jetzt aber so, wenn ich aufsitze, sind die Ohren vorne, er zeigt keine Abwehrreaktion. Er macht mit, ist mit den Ohren bei mir und läuft gut über den Rücken. Mein Dressurreitlehrer ist sehr zufrieden. Wir üben gerade fliegende Wechsel und er kennt die Linien und wechselt manchmal allein… Er geht freiwillig allein auf den Anhänger, wenn wir in die Halle fahren. Gesundheitlich ist er durchgescheckt. Er war in der Ganzkörperszintigraphie und wird regelmäßig chiropraktisch durchgescheckt. Er steht im Offenstall mit fast Heu zur freien Verfügung. Woran kann es noch liegen, dass er „nein“ sagt? Ich reite 3 x in der Woche und gehe sonst im Gelände spatzieren. Beim ersten Schritt gehe ich auch nebenher…Könnt ihr mir hier noch etwas helfen? Viele Grüße Heike

 

Von Natascha • 2. Dezember 2018

Hallo Tania, vielen Dank für diesen informativen Artikel.
Ich habe vor Kurzem die Dokumentation „Der Weg des Pferdes“ von Stormy May gesehen. Darin werden wissenschaftliche Studien zitiert, nach denen durch das Reiten immer Schäden am Pferd verursacht werden, ganz unabhängig von Reitweise und Sattel. Ich war bisher der Meinung, dass ein Pferd mit passendem Zaumzeug, angemessenem Training und bei artgerechter Haltung und Fütterung nicht beim Reiten leidet.
Jetzt bin ich verunsichert. Was hältst du davon?
Herzlich,
Natascha

 

 

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