Gutes Pferd, böses Pferd?
Wir versuchen hier bei „Wege zum Pferd“ immer wieder die Seite der Pferde zu beleuchten, weil wir glauben, dass so gut wie alle Probleme mit Pferden ihre Ursache bei uns Menschen haben. Nun sagte jemand mal zu mir, dass anzunehmen, dass Pferde nur gut sein, kontraproduktiv ist. Dass man Pferde damit verklärt und nicht mehr realistisch einschätzt. Dass Pferde oft alles andere als „gut“ sind, sondern z.B. untereinander fies sein können und eben auch zu Menschen, um damit dann sämtliche Maßnahmen im Beherrschen von Pferden (von Dominanzgetue bis hin zu handfester Gewalt) zu rechtfertigen…
Ehrlich gesagt halte ich schon allein die Frage, ob Pferde eigentlich eher „gut“ oder doch eher „böse“ ist, für den falschen Ansatz.
Pferde sind einfach. Sie sind nicht „gut“ oder „schlecht“, sondern sie sind Pferd. Und ich glaube, dass die meisten Probleme entstehen, wenn man genau das nicht akzeptiert, sondern wenn man als Mensch von einem Pferd fordert, mehr zu sein oder auch anders zu sein als ein Pferd (nämlich z.B. ein Sportgerät, ein Partner- oder Kindersatz, der beste Freund usw.).
Unsere Erwartungen bestimmen unsere Bewertung
Wir Menschen erwarten so viel von Pferden und übersehen dabei leider, dass fast alles, was wir mit ihnen machen oder von ihnen wollen, für sie NICHT natürlich ist.
Pferde in freier Wildbahn werden nicht angebunden, nicht gesattelt, nicht geritten. Keiner fasst sie überall an, reitet sie eine Stunde im Kreis oder fordert sie auf, über Oxer und Kombinationen zu springen. Pferde in der Natur ziehen keine Kutschen, machen keine Zirkuslektionen und müssen nicht im Straßenverkehr oder auf Umzügen laufen. All das und vieles mehr erwarten wir aber – oft ganz selbstverständlich – von unseren Pferden. Und dann bewerten wir Pferde, die sich unseren Erwartungen entziehen als „schlecht“ und nur die, die brav alles machen, was wir wollen, sind „gut“.
Fair ist das nicht, oder?
Anerkennen heißt wertschätzen
Ich denke, wir sollten uns viel öfter einmal klarmachen, in wie vielen Bereichen uns Pferde entgegenkommen:
- Wie oft sie z.B. Dinge für uns tun, die vollkommen gegen ihre Natur gehen,
- wie oft sie ihre Ängste für uns überwinden,
- wie oft sie uns unsere Ungeduld, Launen und Ungerechtigkeiten verzeihen,
- wie brav sie sich oft auch mit schlechten Haltungsbedingungen, zu wenig Futter und Trennungen von Artgenossen arrangieren,
- wie oft sie sich von uns vom Futter wegführen oder aus einer Schlummerstunde holen lassen,
- wie viel sie bereit sind zu lernen,
- wie schwer es ihnen oft fällt zu verstehen, was wir von ihnen wollen und wie sehr sie sich aber dennoch bemühen,
- welche großen Leistungen sie oft für uns bringen,
- wie oft sie Unangenehmes (drückende Sättel, zu viel Reitergewicht, einengende Hilfszügel, Reiterfehler usw.) ertragen und wie oft sogar Schmerzen und
- wie oft sie sich von uns schubsen, treten, buffen und sogar schlagen lassen, ohne sich zu wehren.
Ich glaube, dass die Bewertung unserer Pferde direkt aus unseren Erwartungen an sie entsteht – erfüllen sie diese, sind sie gut, erfüllen sie diese nicht, sind sie schlecht. Und das ist deshalb unfair, weil unsere Erwartungen sehr oft weit über das gehen, was Pferden eigen ist. Wenn wir einmal ganz bewusst anerkennen, was sie alles für uns tun, lernen wir diese Wesen noch mal auf eine ganz andere Art wertzuschätzen.
Ein Pferd ist ein Pferd ist ein Pferd
Obwohl es eigentlich nicht nötig sein sollte, das überhaupt zu erwähnen, aber Pferde sind keine Maschinen oder Spielzeuge, die für uns Menschen entwickelt wurden, sondern Pferde sind lebendige Wesen, deren Daseinsberechtigung zunächst einfach nur ihr Sein ist. Der Mensch schafft sie sich zwar an, um bestimmte Dinge mit ihnen zu tun, aber er hat deshalb nicht auch gleichzeitig das Recht auf die Erfüllung dieser Dinge. Und ich glaube, davon gehen leider noch viele von uns aus.
Wenn ich Pferde Pferde sein lasse, bin ich diejenige, die sich auf sie einstellen muss und die von ihnen und über sie lernen muss. Ich akzeptiere sie dann in ihrem Tier-Sein und erwarte von ihnen nicht, was ich vielleicht auch von anderen Menschen oder mir selbst erwarte (denn genau das tun viele von uns!).
Wenn ich akzeptiere, dass Pferde Pferde sind, kann ich ihnen in ihrer Welt begegnen und sie von dort einladen und verlocken, gemeinsam mit mir etwas zu unternehmen. Es ist dann mein Job, dem Pferd zu zeigen, dass meine Ideen toll sind und Spaß machen und wenn ich sie nicht überzeugen kann, ist es nicht ihr Fehler, sondern meiner.
Gut, dass es Pferde gibt!
Um noch einmal zur Ausgangsfrage zurückzukommen: Nach rund 35 Jahren, die ich nun mit Pferden zu tun habe, kann ich aus der Tiefe meines Herzens sagen, dass Pferde für mich ganz wundervolle Wesen mit großen Seelen sind und ja, ich glaube, Pferde sind von Natur aus „gut“.
Gut, dass es sie gibt!
13. Mai 2014 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Umgang, Verhalten • 16 Kommentare »