Selbstreflexion, ja bitte!

Wir hatten in der letzte Woche diese Inspiration bei Facebook veröffentlicht:

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Die Reaktionen darauf waren einfach unglaublich! Das Bild wurde in einem Ausmaß geliked und geteilt, den wir nicht für möglich gehalten hätten. Wir waren tatsächlich ein bisschen wie im Rausch, so sehr begeisterte uns die Resonanz. Herzlichen Dank an alle, die da beteiligt waren!

Mit diesem Bild wollten wir nachdenklich machen und zur Selbstreflexion anregen und hoffen, dass uns das auch ein bisschen gelungen ist. Wir selbst empfinden die auf dem Bild gestellte Frage durchaus als ernst und unbequem, wenn wir sie konsequent aus Pferdesicht beleuchten. Und wir persönlich müssen zugeben: Es gab Zeiten und Momente, in denen wir die Frage ehrlicherweise mit einem Nein hätten beantworten müssen…

Natürlich hatten wir, wie die meisten, immer „das Beste“ für unser Pferd im Sinn, aber wir sind dabei auch manchen Irrweg gegangen. Wir haben zum Teil abstruse Methoden angewandt und Zubehör verwendet, das wir heute ablehnen. Manchmal hat unser Ehrgeiz überhandgenommen und oft genug haben wir unsere Stimmungen an unseren Pferden ausgelassen und wurden ungerecht. Auch was die Haltung angeht oder in Fragen der Ernährung und Gesundheit haben wir Fehler gemacht und zum Teil schlechte Entscheidungen getroffen.

Waren wir uns all dieser Sachen bewusst? Nein, wohl nicht. Vielleicht hätte uns eine ehrliche und selbstkritische Auseinandersetzung mit der Frage auf dem Bild manches Mal schneller erkennen lassen, dass wir auf einem Holzweg waren, vielleicht auch nicht. Mit dem Blick auf unsere gemachten Fehler sind wir jedenfalls heute bereit, uns diese Frage selbstkritisch immer und immer wieder aufs Neue zu stellen: 

  • Lebt unser Pferd so artgerecht wie möglich? –> Hier geht es um Punkte wie Platz, Sozialkontakte, Möglichkeiten zum Pferd-Sein, Bewegungsanreize, pferdegerechte Ernährung, die es nicht krank macht, sinnvolle Beschäftigung, förderndes Training usw.
  • Haben wir Erwartungen und Ansprüche an unser Pferd, die es nicht erfüllen kann? –> Hier schauen wir auf Leistungen, die wir von unserem Pferd fordern und stellen in Frage, ob wir wirklich erwarten können, dass unser Pferd so „funktioniert“, wie wir es gern hätten. Und wir fragen uns auch, ob unser Pferd vielleicht Löcher in uns stopfen soll, die wir eigentlich anders heilen sollten usw.
  • Was müssen wir selbst noch lernen oder an uns trainieren, um unserem Pferd gerecht zu werden? –> Hier denken wir an reiterliche Mankos, aber auch fehlendes Wissen u.ä.
  • Sind wir im Umgang mit unserem Pferd fair und respektvoll? –> Oder fallen wir doch wieder in alte Muster und werden aus Ungeduld ungerecht oder unwirsch?
  • Nehmen wir unser Pferd in seiner ganz eigenen Persönlichkeit an? –> Oder versuchen wir ständig, es zu ändern?

Das Ziel kann sicher nicht Perfektion sein, aber für uns gehört eine tägliche Portion Selbstreflexion inklusive der Bereitschaft, wenn nötig auch Konsequenzen zu ziehen, dazu. Letztlich geht es darum, immer wieder neu dazuzulernen, um nicht vorschnell anzunehmen, alles sei schon gut, wie es ist – und genau dafür empfinden wir eine Frage wie auf dem Bild als sehr hilfreich.

6. Oktober 2015 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse 2 Kommentare »

Ideen, um die Welt der Pferde zu verbessern

Wir hatten Anfang September in einer Aktion dazu aufgerufen, uns Ideen zu schicken, mit denen sich die Welt der Pferde verbessern lässt. Und es sind viele gute Ideen zusammen gekommen! Wir haben ein Weilchen überlegt, was wir mit den tollen Gedanken und Ansätzen machen. Fürs Erste stellen wir im Folgenden eine gut gemischte Auswahl an Ideen zu allen möglichen Bereichen vor und die eher konkreten und praktischen Ideen veröffentlichen wir dann immer mal wieder als Tipps zwischendurch.

Nun besteht bei solchen Listen das Problem, dass viele Ideen nicht wirklich neu sind und auch woanders schon zu lesen sind, aber dennoch wenig passiert, weil keiner so recht weiß, wo man beginnen soll.  Gleichzeitig sind solche Listen aber auch sinnvoll, weil gar nicht oft genug darauf hingewiesen werden kann, wo noch Handlungsbedarf und vor allem auch erst einmal Diskussionsbedarf besteht. Denn eines ist klar: so gut eine Idee erstmal klingt, so müssen immer auch ganz verschiedene Aspekte beachtet werden, so dass sich manches bei genauerem Hinsehen dann doch wieder als kritisch erweist. Aber genau darum geht es ja: Im Austausch Ideen zu entwickeln, die tatsächlich etwas Gutes bewirken und die vielfältige Sammlung unserer Leser-Einsendungen kann genau dafür eine gute Grundlage bieten.

Wir werden in der nächsten Zeit immer mal wieder einige Punkte in anderer Form zur Diskussion stellen (sei es als einzelne Artikel, als Aufrufe oder Inspirationen) und hoffen so, immer wieder zum Umsetzen anzuregen. Teilt auch Ihr die Ideen mit anderen und werdet nicht müde, immer wieder neu anzusetzen – es braucht viele, viele aktive Menschen, damit sich wirklich etwas ändert! 

Eine exzellente Frage!

Am allerbesten hat uns der Denkanstoß von Daniela gefallen. Sie regte an, sich immer wieder selbst in den unterschiedlichsten Situationen zu fragen:

Würde ich mein eigenes Pferd sein wollen?

Bei einer ehrlichen Beantwortung dürfte das wohl zu so mancher Änderungen führen…

Grundsätzliches

Am häufigsten kam der Vorschlag, einen Pferdeführerschein einzuführen, und zwar zusätzlich zum bereits bestehenden Basispass Pferdekunde. Diesen Pferdeführerschein müsste dann jeder machen, der sich ein Pferd anschaffen will. Damit soll sichergestellt werden, dass wenigstens die wichtigsten Fakten darüber bekannt sind, was ein Pferd braucht, wie es gehalten werden soll und wie mit ihm umzugehen ist. Hier wurde immer wieder die Wichtigkeit von Infos über die Gesunderhaltung von Pferden betont (vor allem Ernährung). Aus unserer Sicht gäbe es hier noch viel Klärungsbedarf z.B. darüber, wer wie über die Inhalte und Infos für einen solchen Führerschein entscheidet, durch wen dann die Prüfungen abgenommen werden sollen usw. Wir alle wissen ja, dass die Ansichten darüber, was gut für Pferde ist, doch sehr weit auseinandergehen  und es dürfte eine große Herausforderung sein, hier wirklich etwas im Sinne der Pferde zu bewegen (und nicht zum Beispiel einfach nur Bestehendes zu festigen, weil es eben immer schon so „richtig“ war…).

Alternativ könnte eine Beratungsstelle für Menschen eingerichtet werden, die sich ein Pferd anschaffen wollen, bei der es Infos und Antworten zu allen möglichen Themen und Fragen gibt (Kosten, Versicherungen, Ernährung, Gesundheit, Training usw.).

Ein weiterer Vorschlag war der, eine überregionale, unabhängige Internetseite aufzubauen, auf der Dienstleister rund ums Pferd seriös bewertet werden, so dass Pferdeleute eine Chance haben, gute Leute zu finden. Und hierzu noch eine originelle Idee: Die jährliche Kür des unnötigsten Produkts in der Pferdewelt (denn es gibt tatsächlich haarsträubende Erfindungen).

Angeregt wurde auch, bestimmtes Pferdezubehör nur mit einer Beratung verkäuflich zu machen, in letzter Konsequenz zu allem, was geeignet ist, Pferden Schmerzen zuzufügen.

Tierärzte sollten verpflichtet werden, Missstände zu benennen, also nicht nur die gerufene Verletzung oder Krankheit behandeln, sondern z.B. auch auf Übergewicht und andere Gesundheitsaspekte hinweisen. Hier wurde auch gefordert, dass Tierärzte für die Kontrolle von nötigen Veränderungen eingesetzt werden könnten.

Und es wurde ein Verbot des Einsatzes von Pferden auf Jahrmärkten, Kirmessen und als touristische Attraktionen gefordert.

Ein sehr wichtiger Aspekt war dann noch die Forderung, für mehr Miteinander unter Pferdeleuten zu sorgen, also die Grabenkriege zu beenden, weniger aus Neid und Missgunst zu handeln, sondern einander zu helfen und offen zu sein für unterschiedliche Gedanken und verschiedene Ansätze im Umgang mit Pferden.

Unterricht

Für den Reitunterricht gab es viele gute Ideen, wie z.B.:

  • Hinterfragen von alten Traditionen,
  • vermehrtes Einfließenlassen von neueren Erkenntnissen und Ansätzen,
  • im Reitunterricht auch Wissen über Anatomie vermitteln, damit die Auswirkungen von falschem Training klar werden,
  • zusätzliche „Pferdestunden“ statt „Reitstunden“ einführen, in denen es um das Wesen Pferd geht und um ein harmonisches Miteinander, nicht um das Nutzen des Tieres,
  • mehr Sitzlongenstunden
  • anderes mehr.

Umgang und Miteinander

Für den alltäglichen Umgang gefielen uns vor allem folgende Denkanstöße:

  • Pferde nicht länger als Sportgeräte zu sehen,
  • positive Verstärkung als Basis für den Umgang mit Pferden durchsetzen,
  • mehr Zeit im Miteinander und vor allem auch in der Ausbildung,
  • Abschied vom Perfektionszwang,
  • Bereitschaft vom Pferd zu lernen,
  • Selbstreflexion und 
  • Ähnliches.

Haltung

Diese Ideen kamen in Bezug auf die Haltung von Pferden:

  • Genehmigung und Führung von Pferdeställen sollte nicht mehr der Gewerbeordnung oder landwirtschaftlicher Regelungen unterliegen, sondern mehr dem Umweltschutz – das könnte zu deutlich artgerechteren Anlagen führen,
  • unabhängige Kontrollen von Ställen in Hinblick auf eine artgerechte Haltung,
  • reine Boxenhaltung verbieten bzw. grundsätzlich gute Lauf- und Offenstallkonzepte einführen,
  • Bewegungsanreize durch Trails und Hügel schaffen,
  • flächendeckend Extra-Gruppen für rehegefährdete, übergewichtige und kranke Pferde einrichten,
  • umfassender und gezielter über Giftpflanzen und deren Beseitigung informieren (z.B. Jakobskreuzkraut),
  • Trinkwasser für Pferde testen lassen.

Sport- und Turnierreiten

Und noch einige Ideen zum Sportreiten:

  • Reform des Dressursports (was gilt als richtig usw.),
  • Berücksichtigung des psychischen und physischen Zustands der vorgestellten Pferde (zu nervös, zu ängstlich, zu jung, zu schlecht bemuskelt, zu klein für den Reiter usw.),
  • bei den Bewertungen mehr Gewicht auf das gesunderhaltende Reiten legen anstatt auf spektakuläre Bewegungen,
  • strengere Kontrolle des Zubehörs (z.B. zu enge Sperr- und Nasenriemen abstrafen usw.),
  • Kameras auf Abreitplätzen und Sichtung des Materials, bei tierquälerischen Aktionen Disqualifikation,
  • grundsätzlich auch alternatives Zubehör wie z.B. gebisslose Zäumungen und baumlose Sättel zulassen,
  • Einsatz von Gewalt konsequent ahnden,
  • Rollkur, Low-and-deep und ähnlich tierquälerische Trainingsmethoden verbieten und jeden Verstoß ahnden,
  • Preisgelder reduzieren, um damit dafür zu sensibilisieren, dass es um die Pferde gehen muss, nicht ums Geld.

Ihr könnt die Kommentar-Funktion hier gerne dazu nutzen, nicht nur Eure Gedanken zu diesen Ideen, sondern auch weitere Einfälle zu veröffentlichen – wir sind gespannt!

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29. September 2015 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Sonstiges 8 Kommentare »

Die Sache mit der Sicherheit

Ein Hauptargument für das harte Durchgreifen bei Pferden und auch für den Einsatz von Gewalt ist immer wieder der Aspekt der Sicherheit: Pferde seien große und kräftige Tiere und auch nicht gerade zimperlich und wenn man sich da nicht durchsetzt, wird es gefährlich. Und damit wird der Einsatz von allen möglichen Hilfs- und Gewaltmitteln gerechtfertigt, genauso wie das Strafen und Schlagen.

Gut, befassen wir uns also mit dem Thema „Sicherheit“ und fragen uns, wie sich Sicherheit tatsächlich am besten erreichen lässt.  

Typische gefährliche Situationen und leider ganz normale Reaktionen darauf

Keine Frage, der Umgang mit Pferden und das Reiten von Pferden kann gefährlich sein. Darin sind wir uns einig. Fragwürdig finden wir allerdings, wodurch immer noch so viele glauben, die Risiken minimieren oder gar ausschalten zu können:

  • Ein ängstliches Pferd wird angebrüllt und gebufft, weil es einen sonst über den Haufen rennt…
  • Ein am Anbinder hampelndes Pferd bekommt eine übergezogen, damit es einen nicht an die Wand drückt…
  • Ein schnappendes Pferd bekommt eins auf die Nase, damit es lernt, nicht mehr zu beißen…
  • Ein buckelndes Pferd wird mit der Gerte verdroschen, damit es damit aufhört…
  • Ein durchgehendes Pferd bekommt ein scharfes Gebiss mit Anzügen ins Maul, damit man es halten kann…

… um nur einige Beispiele zu nennen.

Macht irgendetwas davon die Sache sicherer?

Schauen wir uns einmal an, wie diese Szenarien weitergehen könnten:

  • Das ängstliche Pferd, das angebrüllt und gebufft wurde, hat nun noch mehr Grund Angst zu haben, einmal, weil es die Aggressivität des Menschen spürt und weil es Angst vor weiteren Strafmaßnahmen hat. Ob es das wirklich ruhiger und händelbarer machen wird?
  • Das am Anbinder hampelnde Pferd, das eine übergezogen bekommt, war vielleicht deshalb so unruhig, weil es sich durch das Angebundensein (und damit durch das Ausgeliefertsein) unsicher fühlte oder weil es das Geputztwerden als unangenehm empfand oder weil es spürte, wie gestresst der Mensch neben ihm ist… Wird ein Schlag mit der Gerte sicherstellen, dass es danach ruhig und gelassen stehen bleibt?
  • Wird das schnappende Pferd, das einen Schlag auf die Nase bekommen hat, tatsächlich nicht weiterschnappen oder wird es vielleicht versuchen, beim nächsten Mal einfach schneller zu sein, um einem Schlag auszuweichen?
  • Das buckelnde Pferd, das Schläge mit der Gerte bekam, damit es mit dem Buckeln aufhört, hatte eigentlich nur zum Ausdruck gebracht, dass sein viel zu enger Sattel schmerzhaft auf seine Wirbelsäule drückt – werden die Schläge es ruhiger und kooperativer machen?
  • Wird das scharfe Gebiss das zum Durchgehen neigende Pferd tatsächlich dazu bringen, nicht zu rasen oder werden es die Schmerzen im Maul vielleicht erst recht davonstürmen oder gar steigen lassen?

In all diesen (und vielen, vielen anderen) Fällen wird ein unerwünschtes Verhalten des Pferdes mit Gewalt beantwortet, damit das Pferd mit seinem Verhalten aufhört oder sich anders benimmt. Aber in keinem dieser Fälle wird einmal überlegt, WARUM das Pferd tut, was es tut, und in keinem Fall wird versucht, etwas an der Situation zu ändern, damit das Pferd sich anders verhalten kann.

Sicherheit entsteht durch Verstehen

Sicherheit entsteht unserer Ansicht nach durch Verstehen, also durch Pferdewissen, Einfühlungsvermögen und kreative Lösungsansätze. In Hinblick auf Sicherheit würden wir in den obigen Beispielen so vorgehen:

  • Bei dem ängstlichen Pferd würden wir herauszufinden versuchen, was genau dem Tier Angst macht. Sind es äußere Reize? Wenn ja, wie kann man dem Pferd diese auf eine gute Weise nahe bringen, damit es sich davon überzeugen kann, dass ihm nichts passiert? Reagiert das Pferd auf die Menschen um ihn herum und hat es vielleicht Angst vor ihnen? Dann gilt es daran zu arbeiten, dass das Pferd Vertrauen gewinnen kann. Ist das Pferd in sich unsicher? Dann können ihm vielleicht Übungen helfen, die sein Selbstbewusstsein fördern. Will das Pferd nicht von seiner Herde weg, weil es sich allein fürchtet? Dann gilt es den Ablöseprozess so behutsam zu gestalten, dass das Pferd in seinem eigenen Tempo genug Sicherheit und Vertrauen entwickeln kann, um dem Menschen angstfrei auch von der Herde weg zu folgen.
  • Bei dem am Anbinder hampelnden Pferd würden wir erst einmal hinterfragen, ob das Pferd je auf eine positive Weise gelernt und erfahren hat, dass das angebundene Stehen etwas Tolles sein kann, wenn nicht, würden wir das aufbauen. Wir würden weiterhin achtsam herauszufinden versuchen, was dem Pferd dort an dem Ort Unbehagen bereitet und die Ursachen entweder beheben oder das Pferd damit vertraut machen. Reagiert das Pferd unwirsch auf das Putzen, würden wir überprüfen, ob es vielleicht Schmerzen hat oder auf eine andere Art geputzt werden möchte, die ihm angenehmer ist. Sollte der Mensch, der das Pferd putzt, die Nervosität durch seine eigene Stimmung auslösen, würden wir versuchen, dem Menschen zu vermitteln, wie er beruhigender auf das Pferd wirken kann.
  • Bei dem schnappenden Pferd würden wir davon ausgehen, dass dieses Tier Gründe für seine Aggressivität hat (z.B. schlechte Vorerfahrungen, Überforderung, Stress, Schmerzen usw.) und diese, wenn möglich, beseitigen. Je nach Pferdepersönlichkeit würden wir versuchen, das Schnappen umzuleiten (z.B. indem wir ihm beibringen, ein Wandtarget zu berühren, wenn es aggressiv wird) oder zu ignorieren (viele Pferde hören nach kürzester Zeit mit dem Schnappen auf, wenn dem keinerlei Bedeutung beigemessen wird).
  • Bei einem buckelnden Pferd würden wir akribisch auf Ursachensuche gehen: Sattel untersuchen, Reiterhilfen, Reitergewicht und Reiterhaltung ins Auge fassen, körperliche Beschwerden in Betracht ziehen (Kissing Spines, andere Rückenprobleme), die Haltung anschauen (steht das Pferd den ganzen Tag in der Box?) usw. Auch das Verhältnis zwischen Reiter und Pferd ist hier zu analysieren: Gehen beide achtsam und respektvoll miteinander um? Gibt es andere Probleme, in denen das Pferd seinen Unwillen so deutlich zeigt u.ä.? Auch das Alter und der Ausbildungsstand spielen hier eine große Rolle, denn ein Buckeln kann auch einfach Ausdruck von Lebensfreude sein oder aus der Not geschehen, wenn das Pferd die Balance verliert.
  • Auch bei einem Durchgeher würden wir uns an die Ursachensuche machen: Gibt es körperliche Gründe, wie Beschwerden oder Schmerzen? Passt die Ausrüstung und bereitet sie dem Pferd keine Schmerzen? Gibt es Reiterfehler? Hat der Reiter Angst? Welche Vorgeschichte hat das Pferd? Verbindet es z.B. das Gelände mit Rasen? Hat es je gelernt, dem Menschen zuzuhören? Gibt es genug Anreize dafür, mit dem Menschen zu arbeiten und nicht gegen ihn?

Unser Fazit: Sicherheit entsteht niemals durch Gewalt, sondern ganz im Gegenteil: Gewalt sorgt für Gegenwehr und eine Verschärfung der Gefahr. Die meisten wirklich gefährlichen Probleme mit Pferden entstehen, weil der Mensch sich nicht die Mühe macht, das Pferd und seine Signale zu verstehen, sondern es zu dem, was er will, zu zwingen versucht. Wer aber mit einem Pferd zu kämpfen beginnt, sollte sich klar darüber sein, dass Pferde stärker sind. Dass sie diese Stärke so selten wirklich gegen uns ausspielen, ist ihr Geschenk, aber wenn sie es einmal doch tun, haben wir Menschen kaum eine Chance. Und dann wird es wirklich gefährlich. Wer Sicherheit anstrebt, muss sich mit dem Wesen Pferd auseinandersetzen, ganz allgemein und im Speziellen mit der jeweiligen Pferdepersönlichkeit, mit der er es zu tun hat. Nur so kann ein gemeinsames Miteinander entwickelt werden, bei dem ein gegenseitiger Respekt und eine wechselseitige Achtsamkeit für einen sicheren Umgang sorgen.

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22. September 2015 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Umgang, Verhalten 12 Kommentare »

Sei anders!

Je länger ich mit Mensch-und-Pferd-Paaren zu tun habe, desto klarer erkenne ich einen sehr unguten Mechanismus, der – oft vollkommen unbewusst! – zu einer großen Portion Schmerz und Leid auf beiden Seiten führt. Und zwar geht es darum, dass viele Menschen dazu neigen, immer das vom Pferd zu wollen, was es nicht geben kann oder geben mag, und in der Folge dann nicht einmal das, was sie von ihrem Pferd bekommen, als Geschenk sehen zu können.

Beispiele gefällig?

  • Linda hat eine Vollblutstute, die sehr ängstlich ist. Die Stute hat aber gelernt, Linda zu vertrauen, und geht mit ihr sogar an ganz schrecklichen Dingen vorbei, wie an flatternden Planen oder Traktoren. Das aber kann Linda gar nicht würdigen, weil sie vollkommen frustriert darüber ist, dass sie ihr Pferd im Gelände nicht galoppieren kann, da die Stute dann zu heiß wird.
  • Udo hat sich einen Kaltblutwallach gekauft, der ihn sicher durchs Gelände trägt. Udo ist Reitanfänger und sein Pferd sieht über all die vielen Reitfehler, die unruhigen Hände und das In-den-Rücken-Geplumpse hinweg und trottet fröhlich mit ihm durch den Wald. Darüber ist sich Udo aber leider nicht bewusst, weil er sich immer wieder darüber ärgert, dass der Wallach bei der Bahnarbeit fast gar nicht vorwärts zu bekommen ist.
  • Noch deutlicher wird es bei Sanne: Sie hat zwei Pferde, ein noch sehr junges und ein schon älteres. Mit dem Jüngeren kann sie die tollsten Kunststücke am Boden zeigen und er läuft bereits exzellent an der Hand. Ihr älteres Pferd zeigt dafür unter dem Sattel, wie viel Freude er an kniffligen Lektionen wie Seitengänge und Galoppwechsel hat. Sanne ist nun aber tief traurig, dass sie mit keinem der beiden ausreiten kann – den Jüngeren kann sie vom Sattel aus noch nicht händeln und der Ältere mag draußen nur sehr gemütlich laufen, schon einen Trab findet er eher überflüssig.
  • Und auch bei Birte wird dieses Phänomen sehr sichtbar: Erst hatte sie eine Warmblutstute, mit der sie selbst schwierige Dressurlektionen zeigen konnte. Die Stute war fein zu reiten und gehorchte sehr gut, aber blieb im Kontakt verschlossen. Birthe vermisste es, ein „Herzenspferd“ zu haben. Als die Stute an einer Kolik verstarb, kaufte sie sich einen Araber, der seine Besitzerin von Anfang an abgöttisch liebte. Schon wenn er ihr Auto sah, kam er angaloppiert und folgte Birthe auf Schritt und Tritt. Allerdings war er gänzlich unbegabt, was das Dressurreiten anging, und ja, Ihr könnt es Euch denken, Birthe fand ihn süß, aber war ständig unzufrieden mit seinen Leistungen unter’m Sattel…

Und ich kann von mir selbst auch noch ein Beispiel beisteuern: Als ich Anthony frisch bekam, wollte ich unbedingt mit ihm spazieren gehen. Als noch fast vollkommen rohes Jungpferd hatte er aber draußen ganz andere Ideen als ich, so dass ich da erstmal nicht weiterkam und deswegen ziemlich frustriert war. Später war das Spazierengehen kein Problem mehr, aber da wollte ich dann mit ihm so entspannt ausreiten können wie mit Aramis, was zu diesem Zeitpunkt nicht ging, weil er mir unter dem Sattel noch nicht zuhören wollte. Als er im Gelände aufmerksam war, hatte ich gerade das Ziel, in der Bahn mit fortgeschrittenen Lektionen voranzukommen…. und so weiter und so weiter. (Und das nur als Fußnote: Meine beiden Pferde, jeder auf seine ganz eigene Art, haben mir meine Unersättlichkeit inzwischen gut ausgetrieben. Ich kann mich nun tatsächlich jeden Tag neu aus tiefstem Herzen über das freuen, was mir von ihnen geschenkt wird, was immer es auch ist…).

Die eigene Erwartungshaltung kritisch überprüfen!

Beobachtet Euch doch mal aufmerksam selbst und spürt in Eure Unzufriedenheit hinein: Kann es vielleicht auch bei Euch so sein, dass Ihr genau das von Eurem Pferd wollt, was es eben gerade nicht geben kann oder will? Schaut Ihr vielleicht einfach nicht genug auf das, was Euch Euer Pferd gibt, und würdigt Ihr das vielleicht nicht gut genug?

Es mag ein menschliches Phänomen sein, immer mehr und immer weiter zu wollen und eigentlich nie mit dem, was man hat, zufrieden zu sein. Dieser Mechanismus mag eine Erfolgseigenschaft sein, aber er arbeitet guten Gefühlen, einem schönen Miteinander und vor allem der Lebensqualität ziemlich empfindlich entgegen.

Für mich und meine Pferde hat sich unser Zusammensein um Welten positiv verändert, als ich mir meine ständige Unzufriedenheit a) bewusst machte und sie b) durch Dankbarkeit über das, was mir meine Pferde geben, ersetzte. Es ist so viel schöner, zu genießen, was man hat als dem nachzurennen, was man noch nicht (oder vielleicht auch) nie erreichen kann.

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14. September 2015 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Jungpferdausbildung, Umgang 24 Kommentare »

DVD-Tipp: „Die Arbeit am Langen Zügel“ von Saskia Gunzer

„Die Arbeit am Langen Zügel“ von Saskia Gunzer
Langwedel-Völkersen: Thomas Vogel pferdia tv
ASIN: 3954990075
ca. 35,- EUR (Laufzeit 98 min.)

Es handelt sich hier um eine Lehr-DVD für die Arbeit am Langen Zügel. Begonnen wird mit der Ausrüstung und den allerersten Schritten. Dabei wird auch immer wieder sehr sachlich auf die möglichen Gefahren dieser Arbeit hingewiesen und wie sie sich vermeiden lassen. Den von Saskia Gunzer verwendeten Sperrriemen empfinde ich als überflüssig, zumal sie sogar selbst ausdrücklich darauf hinweist, dass ein Pferd über das offene Maul kommuniziert und man sich in diesem Fall in der Arbeit selbst hinterfragen muss – warum also nicht gleich weglassen? Aber das ist nur eine Kleinigkeit im durchweg positiven Gesamteindruck dieser DVD.

Auch wenn es dann mit dem allerersten Antreten beginnt, sollte man sich nicht täuschen: Die DVD richtet sich eindeutig an fortgeschrittene Pferdeleute, deren Pferde bereits recht weit in der Ausbildung sind. Mit einem Jungpferd können Sie allenfalls die ersten Lektionen nacharbeiten, also die Vorbereitung an der Hand, das Antreten im Schritt und das Antraben. Die DVD geht aber in den Lektionen noch viel weiter: Seitengänge, Traversalen, Galopparbeit, Piaffe, Passage, Pirouetten.

Nicht nur die Hilfengebung wird ausführlich erklärt, sondern auch die Feinheiten in der Position des Führers und was zu tun ist, wenn sich Fehler einschleichen oder das Pferd die Hilfen nicht versteht. Alle Lektionen werden an Saskia Gunzers eigenem Pferd Dimitri demonstriert, einem echten Profi am Langen Zügel. Darüber hinaus können wir auch Pferde sehen, die noch Anfänger in dieser Disziplin sind und erfahren so sehr anschaulich, sie man sich die einzelnen Schritte erarbeitet.

Entdeckt hatte ich Saskia Gunzer bei youtube mit ihrer Freiarbeit. Mir gefiel, wie locker sie mit den Pferden arbeitete und „Fehler“ der Pferde einfach weglachte. Da war ich gespannt auf ihre DVD. Auch wenn es auf der Lehr-DVD konzentrierter und ernster zugeht, so ist sehr viel von dem, was ich bei der Freiarbeit gesehen hatte, auch auf der DVD wiederzufinden, was mich sehr gefreut hat: eine entspannte Grundhaltung, unerschöpfliche Geduld, viel Lob und auch das Lachen bei der Arbeit ist hin und wieder zu sehen. Die Pferde machen auf mich durchgehend einen guten Eindruck, wann immer es zu etwas Stress kommt, werden Pausen eingelegt oder das Pferd wird durch begeistertes Stimmlob ermutigt und gestärkt. Das ist vorbildlich. Das starke Klopfen als Lob ist mir persönlich etwas heftig, aber die Pferde scheint es nicht zu stören und entscheidend ist für mich die Freude, die Saskia Gunzer ihre Pferde spüren lässt – die spiegelt sich nämlich wunderschön in den wachen und freudigen Augen der Pferde.

Die DVD ist sehr gut dazu geeignet, allen die am Langen Zügel interessiert sind, das nötige Grundhandwerk zu vermitteln, um sich gemeinsam mit dem Pferd diese schöne Trainingsmöglichkeit zu erarbeiten. Dabei wird Saskia Gunzer nicht müde darauf hinzuweisen, dass viel Geduld, Lob und Verständnis für das Pferd nötig sind. Der schönste Satz auf der DVD ist für mich dieser: „Bleiben Sie geduldig – Zeit darf bei der Pferdeausbildung keine Rolle spielen.“
Wenn sich dieser Gedanke doch nur endlich durchsetzen würde in der Pferdewelt!

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8. September 2015 von Tania Konnerth • Kategorie: Arbeit an der Hand, Buchtipps 0 Kommentare »

Buch-Tipp: „Am Langen Zügel“ von Saskia Gunzer und Nicole Künzel

„Am Langen Zügel“ von Saskia Gunzer und Nicole Künzel
Stuttgart: Kosmos, 2011. – 200 S.
ISBN-10: 3930953692
ca. 29,- EUR (gebunden, durchgehend farbig illustriert)

Dieses Buch möchte ich als Ergänzung zu der auch von mir vorgestellten DVD von Saskia Gunzer besprechen. Hier wird sowohl auf die Geschichte dieser Arbeit eingegangen als auch ausführlich auf die nötige Ausrüstung. Es wird erklärt, welche Voraussetzungen für diese Arbeit gegeben sein müssen, wie man das Pferd dann an der Hand vorbereiten kann und wie sich die verschiedensten Lektionen am Langen Zügel erarbeiten lassen und das vom ersten Antreten bis hin zu den Lektionen der Hohen Schule. Das großformatige Buch ist reich mit Fotos und Zeichnungen illustriert.

Zu den Fotos habe ich einige Kritikpunkte. So wird z.B. gesagt, dass nur ein korrekt verschnallter Kappzaum optimal wirken kann, gezeigt wird aber einer, der viel zu tief liegt, so dass er bereits auf dem weichen Teil der Pferdenase liegt. Auf sehr vielen Fotos verhindert ein z.T. leider sichtbar eng verschnallter Sperrriemen, dass die Pferde ihr Maul öffnen können (auf der DVD betont Saskia Gunzer, wie wichtig es ist, dem Pferd diese Möglichkeit nicht zu nehmen!). Und ob Ausbinder bei der Arbeit an der Hand nötig sind, könnte man zumindest diskutieren.

Das Fazit für dieses Buch fällt für mich deshalb gemischt aus. Es ist ein schön aufgemachtes Werk, das viele Seiten der Arbeit am Langen Zügel beleuchtet, aber eben auch ein paar „Schönheitsfehler“ hat. Mir persönlich gefällt die DVD besser, denn im Film lässt sich die konkrete Arbeit besser vermitteln.

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8. September 2015 von Tania Konnerth • Kategorie: Arbeit an der Hand, Buchtipps 3 Kommentare »

Pferde sind ja auch so…

In der Diskussion darüber, ob und wie viel Gewalt Pferden gegenüber angewendet werden darf, ist immer wieder Folgendes zu hören: „Pferde untereinander sind auch nicht gerade zimperlich. Da wird ordentlich gekämpft, gebissen und getreten“. Und diesem Gedanken folgt dann die Argumentation, dass wenn wir Menschen „ranghoch“ sein wollen, uns nicht nur entsprechend verhalten dürfen, sondern es sogar müssen. 

Dazu unsere Gedanken:

  • Grundsätzlich ist der Mensch NIEMALS Teil der Rangordnung in einer Pferdeherde, schlicht und einfach weil er kein Pferd ist (kein Pferd würde auf die Idee kommen, einen Menschen für ein Pferd zu halten!) und weil er nicht mit Pferden lebt. Der Mensch kommt hin und wieder dazu, holt das Pferd aus dem Herdenverband und macht dann etwas mit ihm. Das findet außerhalb des Herdenlebens statt und hat also nichts mit der Rangordnung in einer Herde zu tun.
  • Und auch die Behauptung, dass Mensch und Pferd eine „Mini-Herde“ bilden (in der er sich dann angeblich „auf Pferdeart“ durchsetzen muss), halten wir für fragwürdig. In einer Pferdeherde bringen Pferde andere Pferde nicht zu den Dingen, die wir Menschen von Pferden wollen. Pferde kämpfen naturgemäß um Ressourcen wie Futter, Wasser, Schatten, andere Pferde und Ähnliches, aber sie bringen sich nicht dazu, pferdeuntypische Dinge zu tun, etwas, das der Mensch durchweg tut. Damit bewegt sich der Mensch mit seinen Anforderungen an Pferde außerhalb des natürlichen Verhaltens und außerhalb des Gefüges einer Pferdeherde und kann nicht beanspruchen, sich „ja nur wie ein Pferd zu verhalten“.
  • Auch wenn es immer wieder behauptet wird, so stimmt es einfach nicht, dass Mensch und Pferd auf jeden Fall miteinander kämpfen müssen, wenn der Mensch etwas mit dem Pferd machen will. Pferde sind im Normalfall sehr kooperative, offene und neugierige Tiere, die zu sehr vielem bereit sind, wenn man ihnen die Zeit und die Möglichkeit gibt, zu verstehen, was man von ihnen will. Auf der Basis von Vertrauen und einer pferdegerechten Kommunikation erreicht man viel mehr als durch Kampf und Durchsetzen.
  • Die „Gewalt“ unter Pferden, die immer wieder so gerne als Rechtfertigung für menschliche Gewalt herangezogen wird, hat nicht selten etwas mit den durch den Menschen geschaffenen Strukturen zu tun: So werden Pferde künstlich zu Herden zusammengefügt, ob sie einander mögen oder nicht und das oft noch auf einem sehr beschränkten Platz. Durch die oft nicht pferdegerechte Haltung, wie Boxenhaft, eingeschränkte Futterzeiten und dergleichen mehr wird Stress geschaffen, der sich dann in Aggressionen äußern kann. Pferde in freier Wildbahn sind darauf bedacht, Energie zu sparen und das soziale Gefüge innerhalb einer Herde nicht zu gefährden, denn davon hängt das Überleben aller ab. Pferde kämpfen also nicht sinnlos miteinander. Das Ziel einer jeden Pferdeherde ist ein friedliches Miteinander.
  • Körperliche Übergriffe von Pferden gegenüber Menschen z.B. durch Rempeln oder Umrennen haben ihre Ursache viel weniger in der Persönlichkeit des Pferdes, als viel mehr fast immer in Verhaltensfehlern oder in der Unaufmerksamkeit des Menschen. Durch Unwissenheit, Unachtsamkeit und fehlende Selbstreflexion laden viele Menschen Pferde geradezu dazu ein, räumliche Grenzen zu überschreiten und auf ein spielerisches Kumpel-Niveau zu gehen. Da Pferde größer und kräftiger sind, sind auch ihre Spiele grober – sie sind deshalb aber nicht gewalttätig.
  • Die meisten Angriffe von Pferden, also z.B. Beißen, Treten oder Steigen, entstehen aus einer echten Not, ausgelöst beispielsweise durch Schmerzen, Frust, Angst oder Wut. Hier ist so gut wie immer der Mensch die Ursache, der über die ersten Anzeichen für ein Unwohlsein oder eine Überforderung hinweggeht und nicht bereit ist, sich auf das Pferd einzustellen.
  • In freier Natur kämpfen nur Hengste wirklich ernsthaft miteinander und da geht es um die Übernahme einer Herde. Hier wird unter Umständen bis zum Tod gekämpft. Das kann wohl niemand ernsthaft als Rechtfertigung für das Schlagen von Pferden sehen oder gar anstreben, einen solchen Kampf gewinnen zu wollen?

Die Rechtfertigung menschlicher Gewalt durch das Verhalten der Pferde selbst, ist unserer Ansicht nicht nur Unfug, sondern auch moralisch mehr als fragwürdig. Wir Menschen haben die Möglichkeit, unser Verhalten zu reflektieren und zu hinterfragen. Wir können dazulernen und neue Wege beschreiten.  Und es gibt ethische Grundsätze und Maßstäbe, die eben auch für Pferde gelten müssen.

Aus dem Kampfgedanken entsteht nicht nur viel Leid

Schon die zugrunde liegende Annahme, dass Mensch und Pferd darum kämpfen müssen, wer das Sagen hat, führt zu viel Leid und Fehlern im Umgang mit Pferden. Wer wirklich davon ausgeht, mit einem Pferd darum kämpfen zu müssen, z.B. ranghöher zu sein, begibt sich in einen ungleichen Kampf. Ein Mensch kann nicht als Pferd handeln, weil er eben kein Pferd ist. Er ist dem Pferd körperlich unterlegen und muss auf Hilfsmittel zurückgreifen, wie Stricke, Gerten, Sporen usw. Es handelt sich also nie um einen „Kampf zwischen ebenbürtigen Gegnern“, sondern es wird mit ungleichen Waffen gekämpft – und der Mensch hat, was die Konstruktion von Waffen angeht, dem Pferd einiges voraus…

Der entscheidende Punkt aber ist doch der, dass man eben gar NICHT mit Pferden kämpfen muss, wenn man ihr Vertrauen gewinnt und sich pferdegerecht und für sie verständlich verhält. Damit ist aus unserer Sicht schon die allererste Annahme in der Argumentationskette falsch.

… sondern auch Gefahren

Und wie ist das mit dem Kampf als Antwort auf die Gefahr, die von Pferden ausgeht? Hier scheint uns die Argumentation genau umgedreht: Viele der Gefahren, die immer wieder im Umgang mit Pferden beschworen werden, entstehen gerade erst DURCH Ausbildungsansätze, die GEGEN das Pferd arbeiten (und damit oft am Wesen des Pferdes vorbeigehen) – und ja, dann können Pferde ausgesprochen gefährlich werden. Diese Gefahren aber werden genau durch den Kampfgedanken überhaupt erst geschürt und sie lassen sich niemals mit Gewalt sicher in den Griff bekommen, ganz im Gegenteil: Sehr häufig werden Pferde auf ihre Chance warten, um irgendwann zurückzuschlagen. Ihnen das als bösen Willen zu unterstellen, ist so dumm wie unfair, denn es ist der Mensch, der den Kampf begonnen hat.

Pferde dann nur noch anschauen?

Nein, die Alternative ist nicht, dann gar nichts mehr mit Pferden zu machen, wie so oft provozierend gerufen wird. Die Alternative besteht darin, pferdegerechte Wege zu einem Miteinander einzuschlagen, und ja, die gibt es.

Gewalt gegen Pferde entsteht aus leider sehr menschlichen Quellen wie z.B. Angst, Machtstreben, Geltungssucht, Wut, Hilflosigkeit und dergleichen mehr – und um die Gewalt zu rechtfertigen, verweist der Mensch dann darauf, wie Pferde sich untereinander verhalten. Dass Pferde in funktionierenden Herden den größten Teil ihres Lebens vollkommen friedlich und in einem harmonischen Miteinander leben, tiefe Freundschaften und komplexe soziale Systeme bilden, in denen auf vielfältige und oft feinste Weise kommuniziert wird, wird genauso ausgeblendet, wie die Tatsache, dass so viele Pferde bereit sind, Schmerzen und Missstände zu ertragen, ohne sich je gegen den Menschen zu wehren (obwohl das mehr als verständlich wäre). Pferde werden viel lieber auf primitive, potentiell gefährliche Tiere reduziert, denn damit kann man Einsatz von Peitschen, scharfen Gebissen, Sporen und dergleichen mehr rechtfertigen und muss das eigene Tun nicht hinterfragen oder gar umdenken. Und das stinkt zum Himmel.

Begeben wir uns endlich auf pferdegerechte Wege und seien wir bereit dazuzulernen!

Da man inzwischen sehr viel mehr über Pferde weiß und darüber, was sie ausmacht, ist es aus unserer Sicht nicht nur fragwürdig, sondern verwerflich, immer noch barbarische Ausbildungsmethoden anzuwenden. Es GIBT andere Wege, die sich bewähren und die für ein Miteinander von Mensch und Pferd sorgen, ohne Gewalt. Diese Wege führen sehr oft zu einem deutlich sicheren Umgang mit Pferden, so dass die vielbeschworene „Gefährlichkeit“ von Pferden als Argument blass wird.

Fazit: Anstatt sich weiter an längst überholten Argumenten festzuhalten, um Gewalt dem Pferd gegenüber zu rechtfertigen, sollten wir unser – menschliches – Verhalten reflektieren und den Mut haben, dazuzulernen. Fehler zu machen, ist eines, an ihnen festzuhalten und sie auch noch mit fadenscheinigen Argumenten rechtfertigen zu wollen, etwas ganz anderes.

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25. August 2015 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Umgang, Verhalten 19 Kommentare »

Ewiges Dauerlob?

Immer wieder stoßen wir auf ein Phänomen unter Pferdeleuten: den Unwillen, ein Pferd für Dinge zu loben, „die es eigentlich weiß und schon kann“.

  • Da steht ein Pferd superbrav, während der Mensch aufsteigt, wird aber dafür nicht gelobt.
  • Da zeigt ein Pferd ein perfektes Schulterherein im Schritt, bekommt aber keinerlei positive Bestätigung.
  • Da galoppiert ein Pferd an der Longe wundervoll gesetzt an, erhält aber keine Rückmeldung, dass das toll war.
  • Da lässt sich ein Pferd vollkommen gelassen die Hufe auskratzen, aber der Mensch reagiert nicht einmal darauf.

Danach befragt, warum in solchen Fällen sogar ein Stimmlob ausbleibt, heißt es oft: „Ach, das kann der doch.“ oder „Na, das haben wir so oft geübt, das muss sitzen.“ Aber wehe, das Pferd macht auch nur einen halben Schritt zur Seite beim Aufsteigen, wackelt im Schulterherein, stürmt in den Galopp oder zieht mit dem Bein beim Hufeauskratzen… Dann gibt es sofort Korrekturen, wenn nicht sogar Strafen und das dann aber durchaus jedes Mal, selbst wenn es wirklich nur ein Ausrutscher war.

Und dieses Missverhältnis von Lob und Strenge ist doch eigentlich ziemlich traurig. 

Kann man ein Pferd zu viel loben?

Es scheint, als würden viele denken, dass es falsch ist, ein Pferd sehr viel zu loben; so als würden Pferde die Sachen, die sie können, nicht mehr zeigen, wenn sie dafür gelobt werden. Aber es ist doch das genaue Gegenteil der Fall: Lob bringt Freude und motiviert.

Lob ist Anerkennung. Indem wir unser Pferd für etwas Tolles loben, zeigen wir ihm, dass wir zufrieden sind und uns darüber freuen, dass es seine Sache so toll macht. Unser Lob lässt Pferde wachsen und gibt ihnen das schöne Gefühl, gut zu sein.

Vielen ist gar nicht bewusst, dass wir nie genau wissen können, was für ein Pferd jeweils eine besondere Herausforderung ist und was nicht: Für ein Pferd kann es jedes Mal viel Konzentration abfordern, still stehen zu bleiben, auch wenn man es ihm nicht anmerkt (zum Beispiel, wenn es im Busch daneben raschelt oder viel Unruhe auf dem Hof ist oder weil es schwierig ist, das Reitergewicht auszubalancieren und Ähnliches). Ein gutes Schulterherein oder ein gesetztes Angaloppieren ist immer mit Konzentration und Anstrengung verbunden und deshalb nicht selbstverständlich (das Pferd tut das für uns!). Und für ein Fluchttier ist es jedes Mal gegen seine Natur, ruhig zu bleiben, wenn sein Bein festgehalten wird (auch das tut es für uns). Warum deshalb nicht einfach diese Regel einführen:

Jede gute Leistung ist IMMER ein Lob wert!

„Aber dann lobe ich ja ständig.“ heißt es dann und wir antworten dann: „Jaaaa, genau, wie wundervoll!“

Ein Training, in dem viel und freudig gelobt wird, ist ein gutes Training, denn es baut auf, motiviert, sorgt für eine lockere und entspannte Stimmung und lädt ein, weiter aktiv und konzentriert mitzuarbeiten. Es geht dabei gar nicht immer um Futterlob, ein anerkennendes „Super!“ oder ein würdigendes „Brav!“ reicht in vielen Fällen vollkommen aus, es sollte nur aus dem Herzen kommen.

Also ewiges Dauerlob? Ja, das wär’s!

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18. August 2015 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Jungpferdausbildung, Umgang 19 Kommentare »

Was ist Gewalt?

Auf unseren offenen Brief hin haben wir viele tolle Reaktionen bekommen – und wir haben damit an vielen Stellen Diskussionen zum Laufen gebracht. In diesen Diskussionen taucht immer wieder ein Punkt auf, der uns bitter aufstößt: und zwar der Einwand, man müsse ja erstmal definieren, was Gewalt eigentlich ist…

Muss man das wirklich? Sollte nicht eigentlich ziemlich klar sein, was Gewalt ist und was nicht? Tja, und damit sind wir bei einem ganz entscheidenden Punkt: In der Pferdewelt scheint sich nämlich leider der Gewaltbegriff auf eine sehr ungute Art verschoben zu haben und das mit all den schlimmen Folgen, die man tagaus, tagein in der Reiterwelt sehen kann. Während wohl jeder von Gewalt gegen das Tier sprechen würde, wenn jemand ein Kaninchen schlägt, eine Katze tritt oder einem Hund mit einem Metallteil im Maul den Kopf auf die Brust ziehen würde, sind das bei Pferden ganz normale Vorgänge…

Nun werden viele rufen: Das kann man doch nicht vergleichen! Aber genau das ist der entscheidende Punkt: Warum kann man das nicht vergleichen?

Es geht uns hier nicht um Polemik, sondern wir halten die folgenden Fragen für unerlässlich in der Diskussion um den Gewaltbegriff:

  • Warum sollen bei Pferden andere Maßstäbe und Regeln gelten als sonst?
  • Warum soll es „erlaubter“ oder moralisch weniger verwerflich sein, Gewalt einem Pferd gegenüber anzuwenden als anderen Tieren?
  • Warum finden es fast alle normal, dass Reitanfängern im Reitunterricht oft regelrecht beigebracht wird, wie man zuschlägt, damit „ein Gaul vorwärts geht“ (und dergleichen mehr), obwohl so ziemlich jeder, der das die ersten Male sieht, das als brutal und falsch empfindet?
  • Warum gewöhnen wir uns so schnell an Gewalt und finden uns in Pferdeställen mit einer Gewaltpräsenz ab, die in Tierheimen zu Skandalen und Schließungen führen würden?
  • Warum lassen wir zu, dass unsere eigene Definition von Gewalt im Zusammensein mit Pferden plötzlich zum Gummi-Begriff wird und wir mehr und mehr abstumpfen?

Weil Pferde größer sind? Weil Pferde „gefährlicher“ sind? Weil Pferde oft nicht tun, was wir wollen? Weil man ja „Gründe“ hat, das zu tun, denn man bezweckt schließlich etwas damit? Weil man es „eigentlich“ gut meint und Pferde doch „eigentlich“ liebt? Weil wir „ein Recht“ darauf haben, dass Pferde tun, was wir wollen? Weil es (angeblich) „nicht anders geht“?

All das sind Gründe, die immer wieder für den Einsatz von Gewalt angeführt werden. Und alle liegen beim Pferd. Unsere Ansicht dazu ist, dass die Gründe aber vor allem bei uns selbst liegen: Hinter all den vielen Entschuldigungen oder Begründungen für den Einsatz von Gewalt an Pferden steckt ganz oft unsere Hilflosigkeit. Oder unsere Unwissenheit. Oder unsere Emotionen. Oder unser verdammt schlechtes Gewissen. Und meistens sogar alles zusammen (… und ja, wir wissen leider aus eigener Erfahrung, wovon wir sprechen).

Interessanterweise sind die meisten Menschen viel schneller bereit, Gewalt bei anderen zu erkennen und zu benennen als bei sich selbst – spätestens das sollte nachdenklich machen, oder nicht?

Fehler zu machen und auf Irrwege zu geraten, ist menschlich und im Affekt etwas zu tun, das wir später bereuen, ist auch menschlich. Aber Fehler, wie wiederholte und systematische Gewalt und Misshandlungen an Tieren damit entschuldigen zu wollen, dass man das ja „tun muss“, ist aus unserer Sicht unmenschlich, denn das zeugt nicht nur von einem Unvermögen zur Selbstreflexion, sondern auch von fehlender Empathie und mangelnder Ethik.

Hören wir doch endlich damit auf, den Gewaltbegriff bei Pferden anders zu definieren als sonst, damit auch in Pferdeställen die „normalen“ moralischen Maßstäbe greifen können. Denn die sind nötig, damit Pferde nicht länger misshandelt werden, nur damit sie tun, was wir wollen. Gestehen wir uns endlich ein, dass wir oft überfordert und hilflos sind, weil wir einfach nicht gelernt haben, wie man gewaltfrei mit Pferden kommunizieren und umgehen kann. Stellen wir uns unseren Schuldgefühlen und unserer Scham mit dem Ziel, es in Zukunft besser zu machen. Seien wir bereit, dazuzulernen, damit wir nicht länger behaupten müssen, dass Pferde mit Gewalt behandelt werden „müssen“, denn es gibt viele Alternativen zum Einsatz von Gewalt. Ja, es geht auch anders! Gewalt ist und bleibt Gewalt, ob Pferd oder nicht, und Gewalt ist und bleibt falsch.

Ganz praktisch heißt das:

  • Inne halten, wenn etwas nicht so läuft, wie wir es wollen und nicht einfach automatisch so reagieren, wie immer.
  • Nicht einfach von anderen übernehmen, wie ein Pferd angeblich behandelt werden muss, sondern einen eigenen Weg finden, der den persönlichen Vorstellungen und vor allem auch Moralansprüchen entspricht.
  • Uns immer fragen, was die Ursache sein kann, wenn ein Pferd nicht tut, was wir wollen, denn Pferde haben immer einen Grund für ihr Verhalten.
  • Den Fehler nicht grundsätzlich beim Pferd suchen, sondern immer erstmal bei uns selbst, also das eigene Verhalten, Wissen und Können selbstkritisch hinterfragen.
  • Rat und Hilfe bei Menschen suchen, die einen gewaltfreien Umgang mit Pferden leben.
  • Pferde verstehen lernen und eine pferdegerechte Kommunikation finden.
  • Und immer wieder neu: dazulernen, dazulernen, dazulernen.

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11. August 2015 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Umgang 18 Kommentare »

Buchtipp: „Expedition Pferdesprache“ von Gisa Bührer-Lucke

„Expedition Pferdesprache: eine Reise in die Welt des Pferdeverhaltens“ von Gisa Bührer-Lucke
Stuttgart: Kosmos, 2014. – 192 S.
ISBN-10: 3440136302
ca. 27,- EUR (gebunden, durchgehend farbig illustriert)

Das Fazit vorab: Was für ein wundervolles und vor allem auch wichtiges Buch!

Jeder, der in einem Pferd mehr sieht als nur ein Sportgerät, sollte dieses Buch lesen, denn „Expedition Pferdesprache“ erklärt uns auf anschauliche und verständliche Weise,

  • wie Pferde die Welt erleben,
  • wie sie auf die Welt reagieren
  • und wie mit der Welt kommunizieren.

Vieles in dem Buch sollte selbstverständliches Grundlagenwissen von Pferdeleuten sein, in der Praxis staunt man jedoch immer wieder, wie wenig viele Pferdemenschen wirklich über die Tiere wissen, mit denen sie da arbeiten. Das Buch ist voller Knowhow und mit viel Verständnis und Liebe für Pferde verfasst. Es zeigt uns konsequent ihre Seite. Mit diesem Wissen dürften – hoffentlich! – viele Pferde anders sehen und vor allem auch behandeln lernen und damit leistet die Autorin einen wertvollen Beitrag zu einem pferdegerechteren Umgang.

Das Buch ist gut strukturiert und reich mit Fotos und Zeichnungen illustriert. In ähnlicher Aufmachung liegt von dieser Autorin bereits der ebenfalls zu empfehlende Titel Expedition Pferdekörper vor.

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6. August 2015 von Tania Konnerth • Kategorie: Buchtipps, Verhalten 0 Kommentare »

  • Über Tania Konnerth

    Mitgründerin und aktuelle Betreiberin von "Wege zum Pferd".

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