Alles hinschmeißen und Rosen züchten!? Vom Umgang mit Unrecht

Es gibt Momente, in denen möchte ich manchmal meine ganze Arbeit mit Pferden hinschmeißen und lieber Rosen züchten – …nein, natürlich nicht die Arbeit mit den Pferden, aber manchmal möchte ich zu gerne uns Menschen ausblenden oder wenigstens das ganze Unrecht, das passiert. Es sind die Momente, in denen ich wieder einmal mitbekomme, wie viele leidvolle Fehlentwicklungen es in der Pferdewelt gibt und entsetzt und einfach nur schockiert oder wütend bin über das, was Menschen Pferden alles antun.

Das Schlimmste dabei ist, mit welcher Selbstherrlichkeit das alles oft geschieht, wie vehement Unrecht als „richtig“ vertreten wird und wie wenig Selbstkritik es doch leider gibt. Ich fühle mich dann so ohnmächtig, dass ich tatsächlich denke, eigentlich könnte ich auch alles hinschmeißen… 

Aber Verstummen ist natürlich keine Option, denn stumm sind schon unsere Pferde. Sie erdulden und ertragen all den Blödsinn und Unfug, den wir mit ihnen machen, all die Ungerechtigkeiten und Brutalitäten, die ihnen widerfahren und all unsere Fehlgriffe und Irrwege. 

Nur: Wie geht man am besten um mit dem Unrecht in der Pferdewelt? Bissige Bemerkungen sind genauso wenig hilfreich wie das Lästern an der Bande. Sich aufregen, auf die Leute schimpfen oder sarkastisch werden, bringt den Pferden auch nichts und sorgt nur für ein vergiftetes Miteinander. Freundlich ansprechen und konstruktiv bleiben (obwohl man am liebsten in den Tisch beißen möchte), ist nicht jedem gegeben, zumal die andere Seite in der Regel auch oft gar nichts hören möchte.

Mein persönlicher Weg ist das Schreiben. Bei „Wege zum Pferd“, in unseren Kursen, auf meiner Facebook-Seite. Dort kann ich mit dem nötigen Abstand das ausdrücken, was ich für wichtig halte und versuche, es möglichst vielen in der Pferdewelt verfügbar zu machen. Und, ja, ich erreiche damit viele Leute. Nicht immer die, die ich gerne auch erreichen würde, und ich habe nur selten die Möglichkeit herauszufinden, welche meiner Texte und Anregungen was bewirken, in der Summe aber denke ich schon, dass meine Arbeit Sinn macht.

Vor Ort, also in den konkreten Situationen selbst, hilft mir das alles aber immer noch wenig. Da gerate ich leider immer wieder in die Betroffenheitsfalle, werde zu emotional, bin wenig konstruktiv – und ziehe mich dann einfach zurück. Ich sage mir dann, dass ich gar kein Recht habe, was zu sagen, schließlich ist es nicht mein Pferd und jeder muss seinen eigenen Weg gehen und ich selbst habe ja auch schon genug Mist gemacht usw. Aber es tut mir dann immer endlos leid, dass ich dem betreffenden Pferd nicht helfe, sondern es seinem Schicksal überlasse, aus Angst vor Konflikten oder Angriffen oder noch mehr Leid ansehen zu müssen. Und in diesen Momenten kommen dann die Zweifel an meiner Arbeit und meinem Tun auf und die Fragen danach, wie glaubwürdig ich eigentlich bin. Ich verurteile mich dann für meine Schwäche und meinen fehlenden Mut und ich wünschte, ich könnte eine viel bessere Arbeit machen, am liebsten eine, die möglich macht, dass so etwas erst gar nicht passiert. Das wäre zu schön, ist aber wohl eher unrealistisch…

Ich hoffe sehr, dass ich noch lernen werde, in Situationen, in denen Pferden Unrecht getan wird, einen Weg zum Menschen zu finden, um wenigstens zum Innehalten anzuregen. Damit wäre schon sehr viel erreicht, meint Ihr nicht? 

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11. Oktober 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Umgang 26 Kommentare »

Ein bewegter Sommer – Neues von den Jungs

Für die Jungs und mich liegt ein bewegter Sommer hinter uns. Neben großen privaten Veränderungen bei mir gab es auch für die Jungs Veränderungen und wir drei durften wieder einmal die Erfahrung machen, dass Veränderungen lange nicht immer schlimm, sondern auch sehr positiv sein können! 

Die erste Veränderung setzte schon recht schnell nach dem Anweiden im Frühjahr ein: Ich musste Anthony aufgrund einer heftigen allergischen Reaktion von der Sommerweide zum Stall holen und stand an diesem Punkt vor der schwierigen Entscheidung, entweder auch für Aramis die Weidezeit zu beenden oder die beiden erst einmal zu trennen. Ich entschied mich dafür, nur Anthony von der Weide zu nehmen und so standen die beiden nach zehn Jahren zum ersten Mal allein. Das aber erwies sich nicht nur als problemlos, sondern in gewisser Hinsicht sogar als Geschenk, weil ich beide einzeln noch einmal ganz anders erleben durfte (Stoff für weitere Blogbeiträge 🙂 ). 

Anthony nahm die ersten Tage Boxenruhe vollkommen gelassen und freute sich über seine alte Bekannte, Fanny: 

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Etwas später konnte er auf den Paddock umziehen, wo er auch einen netten Nachbarn hatte: 

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Und wieder etwas später stellten wir dann Fanny und ihn zusammen, so dass er für einige Wochen seine ganz eigene Stute hatte und das sehr genoss. 🙂 

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Aramis brachte ich hin und wieder mal runter zum Stall. Die beiden begrüßten sich herzlich, aber es war auch nicht schlimm, wenn ich Aramis dann wieder hoch zur Wiese brachte – unkomplizierter hätte es nicht sein können. 

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Im September klärten sich dann bei mir privat einige Punkte und es stand ein Umzug an, der mich ein ganzes Stück weiter entfernt von den Jungs wohnen lassen würde. Recht kurzfristig ergab sich eine Möglichkeit, auch mit den Jungs umzuziehen, um sie doch wieder näher bei mir zu haben. Und so brachte ich dann Mitte September Aramis von der Sommerweide zu Anthony, um die beiden wieder zu vereinen. Das lief genauso problemlos wie alles andere zuvor, sie waren sofort wieder einfach zusammen und erkundeten die Umgebung: 

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Es war für mich so schön zu sehen, dass beide Pferde diese dicke Freundschaft verbindet, sie aber durchaus auch allein klar kommen. Das ist sehr beruhigend zu wissen. 

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Nur wenige Tage später ging es dann auch schon auf den Hänger und zum neuen Stall. Auch das hätte nicht besser laufen können. 

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In ihrem neuen Zuhause stehen die Jungs nun noch für ein Weilchen zu  zweit neben den anderen, werden aber bald in ihre neue, kleine Herde kommen. 

Wenn ich etwas aus diesem Sommer mitnehme, dann das: Selbst Sachen, die einem zunächst furchtbar erscheinen und große Sorgen bereiten, stellen sich oft als genau richtig und gut heraus. Gerade für mich als Sorgenmensch ist das eine heilsame und wohltuende Erfahrung. Dieser bewegte Sommer war ein sehr intensiver, in dem ich meine Pferde noch einmal ganz neu kennen lernen und erleben konnte und auch wieder viel über mich selbst gelernt habe. 

An dieser Stelle ein großes Dankeschön an allen, die uns durch diese nicht ganz einfache Zeit mit Betreuung, Hilfe, Zuspruch und Freundschaft begleitet haben, wie z.B. Jan von Klinges Landwiesenhof, Tierarzt Torsten Hohmann, Silke, Babette, Klaus, Petra, Maja und ihre Familie und andere. Ich schaue zusammen mit den Jungs fröhlich und gespannt nach vorne und freue mich auf das, was kommt. 

3. Oktober 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Sonstiges 14 Kommentare »

Buch-Tipp: „Gut gemacht!“ von Marlitt Wendt

„Gut gemacht!“ von Marlitt Wendt
Burgwedel: evipo, 2014. – 72 S.
ISBN:9783945417010
ca. 11,– EUR (broschiert, durchgehend farbige Fotos)

„Gut gemacht!“ ist in derselben Reihe erschienen wie auch das schon von uns besprochene Buch „Stress lass nach“ und bietet genau wie dieses geballtes Pferdewissen in einem handlichen Format.  

Wie eigentlich immer bei Marlitt Wendt geht es auch in diesem Buch um Motivation, hier allerdings wird sie zum Schwerpunktthema. Es geht um die Frage, wie man Pferde begeistern kann, denn das sollte doch das Ziel sein: dass wir Freude beim Pferd erreichen und zwar unabhängig davon, was wir konkret mit unseren Pferden vorhaben. Damit eignet sich das Buch für alle Reitsportarten, denn ob es nun um Dressurlektionen, ums Springen, um die Arbeit an der Hand, um Geländeritte oder was auch immer geht – freudige Mitarbeit ist für alle schöner!

Marlitt Wendt geht mit gewohnt konsequentem Praxisbezug auf verschiedene Motivationstypen und -faktoren ein und auch darauf, was Motivation erschwert oder gar unmöglich macht. Immer wieder wird die Rolle des Menschen beleuchtet, also unsere Einstellung und unsere Ausstrahlung und worauf wir alles bei uns selbst achten müssen, damit wir auf eine gute Weise mit unseren Pferden arbeiten können.

Wichtig zu wissen ist, dass genau wie Menschen auch bei Pferden das, was sie motiviert individuell sehr unterschiedlich sein kann. Es ist deshalb unsere Aufgabe herauszufinden, was unser Pferd begeistert und wie wir es am effektivsten Loben können und dafür gibt es viele Anregungen in dem Büchlein. 

Das Clickern, das ja eines von Marlitt Wendts Steckenpferden ist, spielt hier übrigens nur eine kleine Rolle, so dass das Buch auch für alle, die (noch) nicht clickern möchten, geeignet ist. 

Erwähnenswert ist auch die vorbildliche Fotoauswahl – hier sieht man keine zugeschnürten Mäuler, Hilfszügel oder abgestumpfte Blicke, sondern durchweg Menschen und Pferde in fröhlicher und konzentrierter Zusammenarbeit. 

Fazit: Ein wichtiges, leicht zu lesendes und sehr anregendes Buch für alle, die sich eine harmonische und freudvolle Beziehung zu ihrem Pferd wünschen. 

gutgemacht

 

 

13. September 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Buchtipps, Clickertraining, Umgang, Verhalten 3 Kommentare »

Nimm’s doch mit Humor!

Eine Sache vermisse ich sehr in der Pferdewelt und das ist der Humor. Wie verbissen wird da erzogen und trainiert, wie hart gearbeitet, wie ernst gesorgt und wie wütend und böse werden viele, wenn die gesetzten Ziele nicht erreicht oder das gewünschte Verhalten nicht gezeigt wird.

Himmel, möchte ich dann oft rufen, das Ganze soll doch Spaß machen! 

Warum sind wir nur so verbissen?

Wie kommt es nur, dass wir in dem, was doch unser Hobby ist, oft so schrecklich verbiestert sind? Warum können wir so selten darüber lachen, wenn unser Pferd seine eigenen Ideen zeigt oder über uns selbst, wenn wir zum hundertfünfzigsten Mal denselben Fehler machen? Warum reagieren wir bloß so streng, wenn unser Pferd herumkaspert oder eine Lektion nicht so zeigt, wie wir glauben, dass es das können muss? Warum sind Reitlehrer/innen oft so streng und kritteln an wirklich allem herum, obwohl es ganz viel zu loben gäbe? Warum neiden wir anderen ihren Spaß, indem wir fiese Blicke werfen oder gar gehässige Bemerkungen machen? 

Und ist Euch mal aufgefallen, dass wir oft vor allem mit uns selbst und mit unseren eigenem Pferd besonders humorlos sind? Bei anderen Pferden haben wir meist einen viel milderen Blick, finden deren Scherze witzig und sehen es auch gar nicht so eng, wenn das Angaloppieren oder das Anhalten mal nicht punktgenau funktioniert. Bei unserem eigenen Pferd und uns selbst hingegen kommt all das eher einem schweren Vergehen gleich… 

Wieder lachen lernen!

Ich wünsche mir ganz doll, dass im Pferdetraining nicht nur der Sitz geschult und die Hilfen vermittelt werden, sondern dass Pferdemenschen auch lernen, über sich selbst und ihr Pferd zu lachen. Denn im Reitunterricht wird leider meist das genaue Gegenteil vermittelt.

Statt Angst zu haben vor Fehlern und ständig unsere kritische Brille aufzuhaben, sollten wir alle erkennen, wie viel Humor Pferde haben. Ganz viele von ihnen sind echte Spaßvögel, aber den meisten ist das leider aberzogen worden.

Aber: Was ist die Welt ohne Lachen? 

Achtet doch mal darauf, wie oft in Eurem Umfeld beim Reiten oder der Arbeit mit dem Pferd gelacht wird. Wie viele strahlende Gesichter seht Ihr? Wie viel Spaß scheinen Mensch und Pferd zu haben? Oft nicht viel, oder?

Einfach anfangen!

Zugegeben, auch mir fiel es nicht gerade leicht, lockerer zu werden, wenn es um meine Pferde und mich ging. Irgendwann begann ich aber damit, ganz bewusst mehr zu lächeln und auch zu lachen. Und wenn ich ehrlich bin, dann kam das zu Beginn nicht immer von Herzen, aber das veränderte sich stetig.

Heute lache ich sehr viel mit und über meine Pferde, und zwar wirklich aus dem Bauch und Herzen heraus – über die kleinen und größeren Missgeschicke und Missverständnisse, die uns immer wieder passieren, und über ihre Scherze, die sie immer öfter machen, über die Ideen, die sie so haben und vieles andere mehr.

Ich bin fest davon überzeugt, dass hier viel Potential für einen anderen, schöneren Umgang mit Pferden ist. Schaut doch gleich heute mal selbst, worüber Ihr lachen oder wenigstens lächeln könnt!

humor

6. September 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Allgemein, Erkenntnisse, Umgang 14 Kommentare »

Die Wippe – eine Anleitung Schritt für Schritt

Heute möchte ich Euch eine schöne Übung mit Pferd vorstellen, und zwar geht es um die Wippe. Sich mit einem Pferd das Gehen über und das Stehen auf einer Wippe zu erarbeiten, hat viele positive Effekte: 

  • Wenn die Übung richtig angegangen wird, ist sie ein wundervolles Vertrauens- und Anti-Scheu-Training,
  • die Wippe fördert das Selbstbewusstsein des Pferdes,
  • es werden Balance und Gleichgewichtssinn geschult,
  • die Wippe kann gezielt zum Muskeltraining genutzt werden
  • und die ganze Sache macht großen Spaß!

Wichtig: Die Vorbereitung

Bevor Ihr Euch mit Eurem Pferd auf eine Wippe wagt, solltet Ihr erst einmal üben, dass das Pferd ohne Probleme über einen vergleichbaren, geraden Untergrund geht, also einen Holzsteg oder ähnliches. Schon das allein kann für manch ein Pferd eine große Herausforderung sein, weil unbekannte Bodenbeschaffenheiten etwas sind, das viele Pferde instinktiv meiden. Übt das bitte mit viel Verständnis und Geduld und lasst dem Pferd ausreichend Zeit, sich davon zu überzeugen, dass es auch einem ungewohnten Boden vertrauen kann. 

Die Wippe

Eine Wippe, über die ein Pferd gehen soll, muss sicher und stabil sein. Macht Euch immer klar, wie viel Gewicht da auf die Wippe kommt und dass es zu einem Scheuen und Springen kommen kann. Geht hier bitte keine Risiken ein – wenn das Material unter dem Pferdegewicht nachgibt, kann es zu unschönen Szenen oder gar Verletzungen kommen und das Vertrauen ist dann erst einmal gründlich verspielt. 

Die Wippe sollte auch nicht zu steil sein, so dass die Wippbewegung nicht zu stark wird. Es kommt hier nicht darauf an, ein spektakuläres Kunststück zu entwickeln, sondern die Wippe soll eine sinnvolle Gymnastik ermöglichen und den Gleichgewichtssinn fördern. 

Und so geht’s

Zeigt Eurem Pferd die Wippe erst einmal, ohne gleich darüber gehen zu wollen. Lasst es daran schnuppern und freut Euch über jedes Interesse an der Wippe. 

Dann führt es zu der Rampe und lasst es erst einmal in Ruhe vor der Wippe stehen. Ein Fehler, den viele machen, ist, gleich zu schnell auf die Wippe führen zu wollen. Dann kann die ganze Übung hektisch werden. Euer Ziel aber sollte sein, zu jedem Zeitpunkt das Vorwärts Eures Pferdes beeinflussen zu können. Ist ein Pferd zu aufgeregt oder hektisch, würde ich es noch nicht auf die Wippe führen, sondern erst einmal für eine entspannte Grundstimmung sorgen. 

Wenn Euer Pferd ruhig und konzentriert bei der Sache ist, könnt Ihr es zu einem ersten Schritt auf die Wippe einladen, so dass erst einmal nur die Vorderbeine auf der Wippe stehen: 

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Wenn das Pferd zu scharren beginnt, so lasst es das ruhig tun. Das ist einfach seine Art, den Boden zu testen. Hört es nicht von sich aus auf, könnt Ihr es freundlich ansprechen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Macht erst weiter, wenn es ruhig und gelassen mit zwei Hufen auf der Rampe stehen kann. 

Ladet es dann zu einem weiteren Schritt ein. 

Auf diesem Bild kann man gut sehen, dass Anthony zunächst nur mit den Vorderbeinen weiter vorwärtsgeht, die Hinterhand lässt er erst einmal noch auf „sicherem Terrain“: 

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Wenn ich eine solche Unsicherheit wahrnehme, lasse ich dem Pferd Zeit. Ich rede ruhig mit ihm und warte. Und so traut er sich dann, ganz auf die Rampe zu steigen und wird dafür belohnt: 

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Macht bitte nur weiter, wenn das Pferd wirklich gelassen auf der Rampe steht. Zeigt es Nervosität, Unruhe oder gar Angst, dann führt es behutsam rückwärts und führt es erst einmal einmal um die Wippe herum, damit es sich wieder beruhigen kann. Setzt neu an und schaut, ob es schon besser geht. 

Ganz wichtig: Ein Pferd muss nicht gleich ganz über die Wippe gehen. Für manche Pferde reicht es vollkommen aus, in den ersten Einheiten nur auf die Rampe zu gehen, also noch ohne Bewegung der Wippe. Gebt Eurem Pferd die Zeit, die es braucht.   

Erst wenn Euer Pferd keine Probleme damit hat, die Rampe zu betreten und dort ruhig stehen zu bleiben, erarbeitet Ihr Euch den schwierigsten Moment: den Kipppunkt. Dafür führt Ihr Euer Pferd langsam ein, zwei weitere Schritte vorwärts. Bleibt immer wieder ruhig stehen und achtet auf ganz viel Ruhe. Geht nicht zu schnell voran und passt gut darauf auf, dass Eure Füße nicht dort sind, wo die Wippe herunterkommt. 

Hier macht Anthony einen weiteren Schritt:

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Und hier sind wir genau auf dem Kipppunkt, die Wippe steht waagerecht:

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Hier ist er noch einen Schritt gegangen, die Wippe ist nun unten. Je nach Persönlichkeit wird das Pferd die Bewegung der Wippe als nicht schlimm empfinden oder sich vielleicht auch erschrecken. Wirkt hier beruhigend auf Euer Pferd ein und versichert ihm, dass alles in Ordnung ist. Freut Euch darüber, wie toll Euer Pferd mitmacht und lobt seinen Mut. Ein wackliger Untergrund ist für viele Pferde eine ziemlich bedrohliche Sache! 

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Haltet das Pferd möglichst wieder an und lobt es, so dass es lernt, auch nach der Bewegung ruhig auf der Wippe zu stehen. 

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Führt dann in aller Ruhe nach vorne von der Wippe herunter und beendet die Übung für diesen Moment. 

Wichtig: Sollte sich das Pferd erschrocken haben oder sehr nervös wirken, seid Ihr etwas zu schnell vorgegangen. Baut die Übung dann noch einmal neu und in kleineren Schritten auf. 

Nach und nach könnte Ihr Euch dann das flüssige Laufen über die Wippe erarbeiten.

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Fortgeschrittene können dann üben, das Pferd am Kipppunkt anzuhalten und es durch die Verlagerung seines Gewichts nach hinten und nach vorne die Wippe bewegen zu lassen. Das ist eine tolle Muskel- und Balanceübung! 

Und kleine Extra-Tricks kann man auf der Wippe natürlich auch machen!

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Viel Spaß!

30. August 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Jungpferdausbildung, Spiele & Co, Übungen 8 Kommentare »

Was ist Freiarbeit nicht?

Meine eigene freie Arbeit mit Pferden nenne ich inzwischen „Freiraum-Training„, da ich mich ein bisschen von dem abgrenzen möchte, was allgemein unter dem Begriff „Freiarbeit“ angeboten wird. Denn vieles davon hat für mich mit freiem Training nichts zu tun: 

  • Wenn ein Pferd die Gedanken seines Menschen regelrecht zu lesen scheint und sämtliche Lektionen scheinbar von allein ausführt, ist das für mich noch lange keine Freiarbeit, auch wenn es dabei kein Halfter trägt.
  • Wenn ein Pferd dem Menschen auf dem Fuße folgt und keinen Schritt von ihm weicht, handelt es sich für mich nicht um Freiarbeit, auch wenn das Pferd kein Halfter trägt. 
  • Wenn ein Pferd mit gesenktem Kopf nur auf die nächsten Signale wartet, ständig bereit zu tun, was verlangt wird, solange die Einheit geht, ist das für mich überhaupt keine Freiarbeit mehr, auch wenn es dabei kein Halfter trägt.

Ich höre jetzt schon den Aufschrei, der durch die Freiarbeits-Szene geht, denn mir ist klar, dass ich mich hier ein bisschen aus dem Fenster lehne. Aber ich habe das große Bedürfnis, einmal den Begriff „Freiheit“ herauszuarbeiten. 

Was ist Freiheit?

Laut Wikipedia definiert sich Freiheit so: Freiheit wird in der Regel als die Möglichkeit verstanden, ohne Zwang zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können.

Nun ist es natürlich grundsätzlich mit den freien Entscheidungen unserer Pferde eine schwierige Sache, denn wir müssen ja zwangsläufig den Platz begrenzen, auf dem sie sich bewegen können, und wir müssen sie auch daran hindern, sich zum Beispiel einfach loszureißen, um ihrer Wege zu gehen. Also ganz klar: wir schränken alle, die wir Pferde haben, ihre Freiheit ein großes Stück weit ein. 

Worin es aber sehr viele Variationen gibt, sind die Freiheiten eines Pferdes im Umgang und Training. Noch immer ist die Annahme weit verbreitet, dass man Pferde in jedem Moment „im Griff“ und „unter Kontrolle“ haben muss. Und auch wenn die Methoden, das zu erreichen, unterschiedlich sind, läuft es letztlich fast immer darauf hinaus, dass Pferde „funktionieren“ sollen und das am besten anstandslos und punktgenau. 

Wie passt das mit FREIarbeit zusammen?

Ich vertraue inzwischen immer weniger meinen Augen, wenn ich Vorführungen sehe, sondern vor allem meinem Bauchgefühl. Denn manches sieht zugegebenermaßen fantastisch aus, beeindruckend und atemberaubend: Pferde, die auf minimalste Zeichen die tollsten Sachen zeigen und dabei nichts und niemanden wahrzunehmen scheinen als nur den Menschen, der mit ihnen arbeitet – klar ist das eine Show! Doch wenn ich hinfühle, ist kaum noch etwas daran toll. Dann nehme ich ein Wesen wahr, das zu einer Maschine mutiert ist. Das nichts von dem tut, weil es das selbst will, sondern weil es weiß, dass es das tun soll. Ein Wesen dass nichts von sich aus vorschlägt, keine Witze macht und dass seine natürlich-stolze Ausstrahlung leider oft vollkommen verloren hat. 

Viele werden meinen, ich übertreibe, aber wer wirklich bereit ist, hinter den schönen Schein zu schauen und vor allem zu fühlen, wird sehr wahrscheinlich Ähnliches wahrnehmen. 

Wichtige Fragen zur Freiarbeit

Ich denke, wer für sich beansprucht, Freiarbeit zu machen, sollte sich diesen Fragen stellen: 

  • Was macht Freiheit wirklich aus – für mich und für mein Pferd?
  • Geht es bei der Freiarbeit um meine Freiheit, z.B. um die Freiheit meinen Willen durchsetzen und meine Ziele erreichen zu können?
  • Oder geht es um die Freiheit meines Pferdes in seinem Sein und seiner Persönlichkeit?
  • Wie viel Freiheit gestehe ich meinen Pferd bei der Arbeit zu? 
  • Kann ich ein „Nein“ meines Pferdes zulassen? 
  • Wie gehe ich mit eigenen Ideen meines Pferdes um?
  • Steckt in meiner Freiarbeit wirklich Freiheit? 

freiarbeit

23. August 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Allgemein, Freiarbeit, Umgang 10 Kommentare »

Buch-Tipp: „Ehrlich motiviert“ von Sylvia Czarnecki

„Ehrlich motiviert“ von Sylvia Czarnecki
Schwarzenbek: Cadmos, 2016. – 144 S.
ISBN: 9783840410659
ca. 20,– EUR (broschiert, durchgehend farbige Fotos)

Gleich zu Beginn des Buches ist ein, wie ich finde, sehr berührender Satz zu lesen: „Würde man das Pferd fragen: „Warum reagierst du so?“, würde man bei konventionellen Ausbildungsmethoden über Druck wohl meist: „Weil mir nichts anderes übrig bleibt.“ als Antwort erhalten. Und damit wird deutlich, dass die Autorin Sylvia Czarnecki mit diesem Buch das Ziel verfolgt, Alternativen aufzuzeigen. 

In „Ehrlich motiviert“ geht es um das Clickertraining, aber genau dieser Begriff taucht erstmal gar nicht auf. Das hat den Vorteil, dass vielleicht manch einer, der sich von der „ganzen Clickerei“ eher abgeschreckt fühlt, unbefangen die wichtigen Ausführungen über das Lernverhalten von Pferden zu lesen beginnt. Die Autorin hat hier komplexe Themen sehr verständlich aufbereitet und das Wissen, das sie im ersten Teil ihres Buches bietet, sollte Pflichtlektüre für alle sein, die mit Pferden arbeiten wollen.

Der zweite und größere Teil des Buches zeigt dann das positive Pferdetraining in der Praxis mit konkreten Übungen. Das Buch ist durchgehend mit sehr ansprechenden Fotos illustriert, die zeigen, worum es geht: um Partnerschaft, Respekt und einem stressfreien Miteinander. 

Es gibt von mir eine volle Leseempfehlung für dieses wundervolle Buch. Besonders hat mir gefallen, dass es in „Ehrlich motiviert!“ durchgehend darum geht, was ein Pferd braucht, um lernen zu können. Immer wieder wollte ich beim Lesen Sätze anstreichen und mir herausschreiben, weil sie so treffend, so wichtig und wahr sind. Und deshalb lasse ich diese Rezension auch mit einem Zitat von Sylvia Czarnecki enden:

„… Horsemanship bedeutet nicht, eine bestimmte Technik oder Methode anzuwenden, sondern das Lernverhalten des Pferdes zu verstehen und anzuerkennen und das Training gemäß seiner natürlichen Bedürfnisse zu gestalten; frei nach meinem Motto: „Ehrlich motiviert!“

ehrlichmotiviert

 

 

16. August 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Buchtipps, Clickertraining 0 Kommentare »

Bitte nicht das Beste wollen…

Die meisten von uns wollen natürlich immer das Beste für unser Pferd, nicht wahr? Unser Ziel ist, das Pferd optimal zu ernähren und zu pflegen, wir wollen es optimal trainieren und arbeiten, um es optimal gesund zu erhalten.

So verständlich und löblich das ist, so geht das leider an vielen Stellen in die falsche Richtung.

Ein hoher (Perfektions-)Anspruch führt nämlich fast immer unweigerlich zu einigen, ziemlich negativen Begleiterscheinungen:

  • Wir sind zu fixiert auf einzelne Ziele oder Details und sehen nicht mehr das Gesamtbild – z.B. achten wir nur noch darauf, ob die Muskeln, die wir fördern wollen, stärker werden, aber merken gar nicht, wie unglücklich unser Pferd durch das plötzlich verschärfte Training geworden ist.
  • Wir werden zu streng und zu verbissen, weil wir eine ganz genaue Vorstellung davon haben, wie sich das Pferd z.B. bewegen muss und wenn es das nicht tut, versuchen wir es um jeden Preis zu  erreichen, notfalls mit Hilfsmitteln, die mehr schaden als nützen („… weil es sein muss…“).
  • Wir versuchen alles über unseren Verstand zu lösen (über das, was wir wissen, was wir gelernt haben und was uns jemand geraten hat) und hören nicht mehr auf unser Bauchgefühl.
  • Wir geraten in die Angst und suchen überall nach Anzeichen für Fehlentwicklungen, Krankheiten usw.
  • Wir haben ein ständiges schlechtes Gewissen, weil wir eigentlich genau wissen, dass wir keine Chance haben, alles richtig zu machen oder erkennen, dass vieles ungut läuft, aber nicht wissen, wie wir es ändern können.
  • Wir sind zu hart zu uns selbst, weil wir unsere Fehler genau merken, sie aber nicht abstellen können und leben diese Härte unbewusst auch dem Pferd gegenüber aus.
  • Und anderes mehr… 

Die andere Seite der Medaille sind Menschen, die das Ganze etwas zu lax angehen, sich zu wenig informieren, zu wenig an sich arbeiten und sich zu wenig Gedanken machen – natürlich wollen wir nicht dorthin zielen.

Aber, und das weiß ich aus eigener Erfahrung: jeder Perfektionsanspruch führt schnell zu viel Druck und manchmal auch Leid bei einem selbst und auch beim Pferd.

Deshalb gilt für mich heute: Lieber nicht das Beste wollen, Gutes reicht vollkommen aus 😉 

dasgute

9. August 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Umgang 9 Kommentare »

Was zählt, ist JETZT!

In meinen Coachings stoße ich immer wieder auf ein Phänomen, das für große Probleme zwischen Mensch und Pferd sorgt: Während das Pferd im Hier und Jetzt lebt, zieht der Mensch fast ständig Bezüge zu dem, was mal war. Und das hat Folgen. 

Mein Pferd ist so und so… 

Hier einige typische Äußerungen, die ich oft höre: 

  • Mein Pferd will immer Boss sein und ist dabei oft respektlos. Erst letzte Woche hat er …
  • Die Stute ist normalerweise sehr nervös, die können schon die kleinsten Sachen kirre machen. Neulich am Anbinder … 
  • Mein Pony ist vollkommen verfressen, da kann ich nicht mit Futterlob arbeiten. Erst gestern hing er mir wieder in der Tasche … 
  • Mein Wallach ist vollkommen cool, den bringt gar nichts aus der Ruhe …

Und hier die Situationen dazu, in denen die Besitzer/innen das jeweils sagten: 

  • Das Pferd wartete respektvoll in einem guten Abstand. 
  • Die Stute stand seelenruhig und fast gelangweilt am Anbinder. 
  • Das Pony schaute keck, aber machte keinerlei Anstalten näher zu kommen, obwohl ich meine Hand in meiner Jackentasche hatte. 
  • Der Wallach stand wie eine Statue, fast jeder Muskel war angespannt. 

Wir interpretieren die Welt aus dem heraus, was wir erleben

Ich will noch deutlicher machen, worum es mir geht: Für die meisten von uns ist es ganz normal, Erlebtes zu erinnern, und solche Erinnerungen sind für uns oft lange Zeit noch sehr präsent. Wir reden mit anderen über das, was uns passiert ist, erzählen subjektiv interpretierte Geschichten und wir ordnen aus unseren Erlebnissen heraus anderen Lebewesen (ob Menschen oder Tieren) Eigenschaften zu – und, und das ist das Entscheidende, gehen davon aus, dass unsere Schlüsse richtig sind. Denn natürlich kann jeder Besitzer aufgrund der vielen Erlebnisse sein eigenes Pferd doch am besten einschätzen, oder etwa nicht?

Tja, genau um dieses Fragezeichen geht es mir hier. 

Wenn ich zu einem Coaching komme, habe ich in der Regel kaum Vorwissen. Ich kenne Pferd und Mensch meist nicht und habe deshalb keine Vorgeschichte mit ihnen. So kann ich mich vollkommen unbelastet auf das einlassen, was gerade ist. Und interessanterweise weicht das IST, das ich wahrnehme, häufig von dem ab, was mir als IST erzählt wird. Denn die Besitzer/innen berichten von Erlebnissen, die sie mit ihrem Pferd hatten und, und auch das ist entscheidend: Sie erzählen von denen, an die sie sich erinnern! 

Unsere Erinnerung ist selektiv

Tatsächlich nämlich erinnern wir ja nie alles, sondern nur einen Teil. Denn so arbeitet das menschliche Gehirn: Es registriert vor allem das, was besonders ist, nicht das Gewohnte. Für den Umgang mit Pferden ist das leider nur bedingt nützlich, weil wir uns vor allem an die Sachen erinnern, die unschön waren.

Mal ganz ehrlich: Wir erinnern meist nicht die 95 Prozent, in denen unser Pferd brav alle vier Hufe gegeben hat, sondern wir erinnern die wenigen Momente, in denen es ein Bein weggezogen hat. Wir erinnern nicht die unzähligen Male, in denen unser Pferd in der Halle brav angetrabt ist, sondern wir erinnern die seltenen Momente, in denen es scheinbar aus dem Nichts losschoss. Und wir erinnern uns nicht an all die ungezählten Male, in denen sich unser Pferd auf der Weide problemlos aufhalftern ließ, sondern denken immer wieder an den einen Tag, an dem es weglief und sich nicht einfangen ließ.

Und weil das so ist, sind wir oft ziemlich nachtragend… 

Pferde ticken etwas anders

Pferde leben hingegen im Hier und Jetzt. Sie können sich zwar durchaus auch an Vergangenes erinnern, aber in der Regel zählt für sie der Moment, in dem wir zu ihnen kommen. Sie sind in der Lage, immer wieder gleichsam „neu zu starten“. Manchmal spüren wir das, wenn das Pferd plötzlich nichts mehr von dem zu wissen scheint, was es gestern noch prima konnte oder, wenn wir dachten, bei einer Sache endlich einen Durchbruch erreicht zu haben, am nächsten Tag aber doch wieder alles ist wie zuvor. Und wir erleben es immer wieder dann, wenn ein Pferd uns unsere Ungeduld  oder Ungerechtigkeiten vom Vortag komplett verziehen hat, denn Pferde können wie kaum ein anderes Lebewesen immer und immer wieder verzeihen. 

Hinweis: Natürlich gibt es auch Einzelfälle, in denen die Erlebnisse für das Pferd so schlimm waren, dass es z.B. menschenscheu geworden ist oder aggressiv usw., aber ich gehe hier jetzt mal von einem ganz normalen Pferd aus, nicht von den Extremfällen.

Die Fähigkeit zum Neustart

Diese in Pferden eingebaute Bereitschaft zum Neustart ist eine Herausforderung für uns Menschen und gleichzeitig eine ganz wundervolle Chance, viel zu lernen. Sie stellt uns vor die Aufgabe zu akzeptieren, dass wir, die wir doch so gerne alles sicher im Griff haben, uns auf nicht allzu viel verlassen können, weil sich unser Pferd jeden Tag ein bisschen oder manchmal auch vollkommen anders präsentieren kann. Wer z.B. die Idee hat, einem Pferd nur einmal zeigen zu müssen „wer der Boss“ ist und dann wird es ihm für immer folgen, hat einen ganz wichtigen Aspekt des Pferd-Seins nicht verstanden: neues Spiel, neues Glück. 

Pferde werden nie müde, Dinge zu hinterfragen. Für sie gibt es keine in Stein gemeißelten Regeln, sondern alles ist beweglich – so wie auch in einer Herde alles beweglich ist. Auch Leitstute und Leithengst werden in ihrer Position immer mal wieder in Frage gestellt und in der gesamten Rangfolge gibt es untereinander ständig kleinere und größere Verschiebungen. Genauso wie ein Zaun zwar grundsätzlich akzeptiert wird, was aber noch lange nicht bedeutet, dass nicht hin und wieder getestet wird, ob das Tor nicht vielleicht doch offen ist oder ob wirklich Strom drauf ist. 

Im Umgang heißt das, dass wir zwar natürlich die Persönlichkeit unseres Pferdes erkennen und einschätzen können, dass aber eben manchmal alles ganz anders sein kann – momenteweise, aber vielleicht auch grundsätzlich, dann nämlich, wenn wir zu sehr aus selektiven Erinnerungen heraus das Verhalten unseres Pferdes interpretieren und deshalb zu Fehleinschätzungen kommen. 

Ein offener Blick

Wenn ich zu einem Coaching komme, schaue ich mit offenen Blick hin und fühle mich in das ein, was ist. Deshalb gelingt es mir oft, das Pferd zumindest in diesem Moment etwas klarer zu erkennen als es sein Besitzer vermag, ganz einfach deshalb, weil ich nicht durch den Filter der vergangenen Erlebnisse schaue.  

Nun ist es sicher eine Illusion, sich als Mensch im Umgang mit Pferden vollkommen von vergangenen Erlebnissen lösen zu können, denn so funktioniert unser Gehirn einfach nicht. Aber wir können uns bemühen, es ein Stück weit zu üben. Eine Leitfrage, die ich deshalb jedem Pferdemenschen schenken möchte, ist diese: 

Was ist jetzt gerade in diesem Moment?

Es ist eine menschliche Schwäche, uns gegenseitig Sachen vorzuhalten und Vergangenes immer wieder hervorzuholen. Von anderen Menschen erwarten wir Entschuldigungen und Verhaltensveränderungen aufgrund von Einsicht. Und genau das übertragen wir dann leider oft auch auf unsere Pferde. Wir nehmen ihnen (manchmal ganz unbewusst) übel, was sie falsch gemacht haben, und setzen deshalb oft an diesen Erfahrungen an, obwohl sie mit der augenblicklichen Situation gar nichts mehr zu tun haben!

Ich glaube, es ist sehr wichtig, sich klar zu machen, dass wir ein Pferd nicht rückwirkend erziehen können. Ein Pferd wird nicht „einsehen“, dass es doof war, dass es sich gestern losgerissen hat oder dass es nicht hätte scheuen dürfen. Wir können einem Pferd nur immer wieder aufs Neue einen Rahmen bieten, in dem es sich wohl und sicher bei uns fühlt – das ist Aufgabe und Chance zugleich!

Es geht darum, ein Pferd als lebendiges und vielschichtiges Wesen mit seinen Eigenarten anzunehmen. Es geht darum, sich auf das einzulassen, was gerade ist, und nicht z.B. aus der Wut vom vergangenen Tag heraus zu handeln oder mit dem Stolz von gestern heute noch mehr zu erwarten. Pferdegerecht zu handeln heißt, jeden Tag aufs Neue zu schauen, worum es gerade in diesem Moment geht, um dann darauf angemessen zu reagieren.

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21. Juni 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Umgang, Verhalten 5 Kommentare »

Das Thema „Sorgen“ mitten aus dem Leben…

In meinem letzten Beitrag schrieb ich darüber, wie destruktiv Sorgen um unsere Pferde manchmal sein können. Die Resonanz darauf war riesig: Sowohl als Kommentar auf den Beitrag als auch in Mails schrieben uns viele, denen es ganz ähnlich geht. Eigentlich wollte ich nun einen hilfreichen Text mit verschiedenen Tipps und Strategien zum Umgang mit Sorgen schreiben, aber da für mich das Thema selbst gerade wieder mehr als aktuell ist, habe ich gerade nicht genug Distanz für einen solchen „Ratgebertext“. Also tue ich, was ich in diesen Fällen am besten kann und schreibe einen weiteren Erfahrungsbericht. Und manchmal helfen einem solche Texte ja viel mehr als alle noch so praktischen Tipps zusammen… 

Nicht verzweifelt jeden um Rat fragen!

Ich habe leider konkret einen ordentlichen Anlass für Sorgen, mal wieder ist es mein Anthony. Ich schreibe aber ganz bewusst nicht, was er hat, und mache damit etwas anders als sonst.

Normalerweise neige ich dazu, jeden greifbaren Menschen um Rat zu fragen, wenn eines meiner Pferde krank ist. In der Folge davon bekam ich immer unzählige gute Ratschläge und Tipps und Ideen, von denen ich aber natürlich nie alle umsetzen konnte und von denen auch fast nie einer für uns so gut war, wie behauptet. Die Crux mit den guten Ratschlägen ist nämlich die: Sie setzen uns enorm unter Druck, da wir jedes Mal denken, dass wir nur genau DAS tun müssten oder DAS oder dass DAS helfen würde oder DAS… – und so nie zur Ruhe kommen, denn es gibt immer mindestens noch zwanzig Sachen, die wir noch nicht ausprobiert haben (die aber meist genauso wenig helfen würden…).

Ich habe mich mal gefragt, was eigentlich hinter meiner Suche nach Rat steht und habe erkannt, dass ich mich eigentlich danach sehne, einmal zu hören, dass ich GENUG mache, dass gut ist, was ich tue und dass es ausreicht…, aber das habe ich tatsächlich noch nie gehört, denn jeder, der um Rat gefragt wird, will natürlich auch etwas Hilfreiches dazu geben…

Die Antwort aus diesem Dilemma ist, dass ich BEI MIR selbst bleiben muss und mir zutraue, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich habe mir gut überlegt, wen ich in meine Entscheidungen einbinde und ich möchte es genau dabei belassen, um nicht wieder wie ein panisches Huhn hundert verschiedene Dinge gleichzeitig auszuprobieren. Mir selbst in meinen Entscheidungen zu vertrauen, ist ein Schritt, der mich zur Zeit enorm entlastet, weil ich mir nicht vorwerfen muss, nicht alles auszuprobieren, was möglich ist. 

Nicht andere fragen, sondern mein Pferd

Ein weiterer Punkt ist, dass ich im Moment möglichst darauf verzichte, andere um eine Einschätzung dazu zu bitten, wie es meinem Pferd geht. Der Wunsch dahinter ist natürlich die Bestätigung zu bekommen, dass es ihm doch gar nicht so schlecht geht und vor allem, dass alles wieder gut wird. Aber das kann mir keiner geben! Und mehr noch: andere reagieren oft in einer Weise, die mir selbst und auch meinem Pferd gar nicht guttut. Hier lerne ich langsam zu unterscheiden, mit wem ich darüber reden möchte und mit wem besser nicht. 

Stattdessen frage ich jetzt direkt mein Pferd, wie es ihm geht, und versuche dabei, nicht nur das Symptom, sondern sehr gezielt ihn als Ganzes wahrzunehmen. Anthony ist jeder Zeit ansprechbar und munter, er frisst, hat kein Fieber und reagiert auf die nötigen Behandlungsmaßnahmen ruhig und gelassen. Obwohl er „krank“ ist, geht es ihm also den Umständen entsprechend gut und genau darauf lege ich meinen Fokus. Damit lasse ich IHN mitentscheiden und nicht andere, die ihn weniger gut kennen und ich glaube, das tut uns beiden gut.  

Die Grenzen meiner Möglichkeiten akzeptieren

Im Moment gelingt es mir ganz gut, zu erkennen, dass es schlicht und einfach nicht möglich ist, mein Pferd vor allem zu bewahren. Pferde werden krank, anfällige Pferde werden häufiger krank und Anthony ist ein anfälliges Pferd. Das ist einfach so und Punkt.

Es liegt nicht in meiner Macht, Anthony vor seinem eigenen Leben zu bewahren. Ich tue, was ich kann, aber ich kann eben nicht alles – damit muss ich mich aussöhnen und letztlich auch LOSLASSEN, um weitermachen zu können. Die Portion Erleichterung, die mir dieser Gedanke schenkt, wird auch von Anthony wohlwollend quittiert, denn er reagiert zur Zeit sehr offen und zugewandt auf mich. 

Ich gehe im Moment sogar noch einen Schritt weiter und denke, dass ich letztlich nicht wissen kann, ob die ganze Sache nicht auch etwas Gutes haben kann. Vielleicht gehört das jetzt einfach zu seiner ganz eigenen Krank- und Gesundheitsgeschichte und hat seinen Sinn.

Und das Wichtigste: Ich nehme es an!

Und das bringt mich zum vielleicht Allerwichtigsten, das im Moment den Unterschied zu vielen anderen Situationen macht: Ich sage ja zu Anthony MIT dem, was er gerade hat.

In der Vergangenheit habe ich bei Erkrankungen ganz oft einfach nur weghaben wollen, was ist. Ich wollte ein gesundes Pferd, kein krankes und habe damit, ohne es zu merken, „nein“ zu ihm gesagt, weil ich gegen die Wirklichkeit kämpfte. Im Moment ist es mir möglich, ja zu ihm zu sagen MIT dem, was er hat. Und ich glaube, genau das kommt auch bei ihm an und ermöglicht ihm seinerseits anzunehmen, was ist.

So setze ich mir ein klares gedankliches Stopp-Schild, wann immer ich merke, dass ich ins Hadern komme und mir selbst mal wieder furchtbar leidtue (und versuche, das freundlich, aber bestimmt auch bei anderen zu stoppen, die uns mitleidig angucken).  Statt dessen mache ich ganz bewusst schöne und lockere Sachen mit Anthony, also z.B. unsere geliebte Freiarbeit, bei der ich ihn dann anfeuern und bewundern kann, oder wie hier auf dem Foto zu sehen, ein Spiel mit dem Wasserstrahl. 

Anthony

Noch weiß ich natürlich nicht, wie lange ich diesen neuen Umgang mit meinen Sorgen um Anthony durchhalten werde, aber ich bin fest entschlossen, auch hier alte Muster zu durchbrechen, da sie in der Vergangenheit für viel Leid sorgten und es für niemanden besser machten. Ich denke, ich bin nun auf einem besseren Weg. Wir bekommen das hin, mein Kleiner!

 

15. Juni 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Allgemein, Erkenntnisse, Gesundheit, Umgang 35 Kommentare »

  • Über Tania Konnerth

    Mitgründerin und aktuelle Betreiberin von "Wege zum Pferd".

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