In der Diskussion darüber, ob und wie viel Gewalt Pferden gegenüber angewendet werden darf, ist immer wieder Folgendes zu hören: „Pferde untereinander sind auch nicht gerade zimperlich. Da wird ordentlich gekämpft, gebissen und getreten“. Und diesem Gedanken folgt dann die Argumentation, dass wenn wir Menschen „ranghoch“ sein wollen, uns nicht nur entsprechend verhalten dürfen, sondern es sogar müssen.
Dazu unsere Gedanken:
- Grundsätzlich ist der Mensch NIEMALS Teil der Rangordnung in einer Pferdeherde, schlicht und einfach weil er kein Pferd ist (kein Pferd würde auf die Idee kommen, einen Menschen für ein Pferd zu halten!) und weil er nicht mit Pferden lebt. Der Mensch kommt hin und wieder dazu, holt das Pferd aus dem Herdenverband und macht dann etwas mit ihm. Das findet außerhalb des Herdenlebens statt und hat also nichts mit der Rangordnung in einer Herde zu tun.
- Und auch die Behauptung, dass Mensch und Pferd eine „Mini-Herde“ bilden (in der er sich dann angeblich „auf Pferdeart“ durchsetzen muss), halten wir für fragwürdig. In einer Pferdeherde bringen Pferde andere Pferde nicht zu den Dingen, die wir Menschen von Pferden wollen. Pferde kämpfen naturgemäß um Ressourcen wie Futter, Wasser, Schatten, andere Pferde und Ähnliches, aber sie bringen sich nicht dazu, pferdeuntypische Dinge zu tun, etwas, das der Mensch durchweg tut. Damit bewegt sich der Mensch mit seinen Anforderungen an Pferde außerhalb des natürlichen Verhaltens und außerhalb des Gefüges einer Pferdeherde und kann nicht beanspruchen, sich „ja nur wie ein Pferd zu verhalten“.
- Auch wenn es immer wieder behauptet wird, so stimmt es einfach nicht, dass Mensch und Pferd auf jeden Fall miteinander kämpfen müssen, wenn der Mensch etwas mit dem Pferd machen will. Pferde sind im Normalfall sehr kooperative, offene und neugierige Tiere, die zu sehr vielem bereit sind, wenn man ihnen die Zeit und die Möglichkeit gibt, zu verstehen, was man von ihnen will. Auf der Basis von Vertrauen und einer pferdegerechten Kommunikation erreicht man viel mehr als durch Kampf und Durchsetzen.
- Die „Gewalt“ unter Pferden, die immer wieder so gerne als Rechtfertigung für menschliche Gewalt herangezogen wird, hat nicht selten etwas mit den durch den Menschen geschaffenen Strukturen zu tun: So werden Pferde künstlich zu Herden zusammengefügt, ob sie einander mögen oder nicht und das oft noch auf einem sehr beschränkten Platz. Durch die oft nicht pferdegerechte Haltung, wie Boxenhaft, eingeschränkte Futterzeiten und dergleichen mehr wird Stress geschaffen, der sich dann in Aggressionen äußern kann. Pferde in freier Wildbahn sind darauf bedacht, Energie zu sparen und das soziale Gefüge innerhalb einer Herde nicht zu gefährden, denn davon hängt das Überleben aller ab. Pferde kämpfen also nicht sinnlos miteinander. Das Ziel einer jeden Pferdeherde ist ein friedliches Miteinander.
- Körperliche Übergriffe von Pferden gegenüber Menschen z.B. durch Rempeln oder Umrennen haben ihre Ursache viel weniger in der Persönlichkeit des Pferdes, als viel mehr fast immer in Verhaltensfehlern oder in der Unaufmerksamkeit des Menschen. Durch Unwissenheit, Unachtsamkeit und fehlende Selbstreflexion laden viele Menschen Pferde geradezu dazu ein, räumliche Grenzen zu überschreiten und auf ein spielerisches Kumpel-Niveau zu gehen. Da Pferde größer und kräftiger sind, sind auch ihre Spiele grober – sie sind deshalb aber nicht gewalttätig.
- Die meisten Angriffe von Pferden, also z.B. Beißen, Treten oder Steigen, entstehen aus einer echten Not, ausgelöst beispielsweise durch Schmerzen, Frust, Angst oder Wut. Hier ist so gut wie immer der Mensch die Ursache, der über die ersten Anzeichen für ein Unwohlsein oder eine Überforderung hinweggeht und nicht bereit ist, sich auf das Pferd einzustellen.
- In freier Natur kämpfen nur Hengste wirklich ernsthaft miteinander und da geht es um die Übernahme einer Herde. Hier wird unter Umständen bis zum Tod gekämpft. Das kann wohl niemand ernsthaft als Rechtfertigung für das Schlagen von Pferden sehen oder gar anstreben, einen solchen Kampf gewinnen zu wollen?
Die Rechtfertigung menschlicher Gewalt durch das Verhalten der Pferde selbst, ist unserer Ansicht nicht nur Unfug, sondern auch moralisch mehr als fragwürdig. Wir Menschen haben die Möglichkeit, unser Verhalten zu reflektieren und zu hinterfragen. Wir können dazulernen und neue Wege beschreiten. Und es gibt ethische Grundsätze und Maßstäbe, die eben auch für Pferde gelten müssen.
Aus dem Kampfgedanken entsteht nicht nur viel Leid
Schon die zugrunde liegende Annahme, dass Mensch und Pferd darum kämpfen müssen, wer das Sagen hat, führt zu viel Leid und Fehlern im Umgang mit Pferden. Wer wirklich davon ausgeht, mit einem Pferd darum kämpfen zu müssen, z.B. ranghöher zu sein, begibt sich in einen ungleichen Kampf. Ein Mensch kann nicht als Pferd handeln, weil er eben kein Pferd ist. Er ist dem Pferd körperlich unterlegen und muss auf Hilfsmittel zurückgreifen, wie Stricke, Gerten, Sporen usw. Es handelt sich also nie um einen „Kampf zwischen ebenbürtigen Gegnern“, sondern es wird mit ungleichen Waffen gekämpft – und der Mensch hat, was die Konstruktion von Waffen angeht, dem Pferd einiges voraus…
Der entscheidende Punkt aber ist doch der, dass man eben gar NICHT mit Pferden kämpfen muss, wenn man ihr Vertrauen gewinnt und sich pferdegerecht und für sie verständlich verhält. Damit ist aus unserer Sicht schon die allererste Annahme in der Argumentationskette falsch.
… sondern auch Gefahren
Und wie ist das mit dem Kampf als Antwort auf die Gefahr, die von Pferden ausgeht? Hier scheint uns die Argumentation genau umgedreht: Viele der Gefahren, die immer wieder im Umgang mit Pferden beschworen werden, entstehen gerade erst DURCH Ausbildungsansätze, die GEGEN das Pferd arbeiten (und damit oft am Wesen des Pferdes vorbeigehen) – und ja, dann können Pferde ausgesprochen gefährlich werden. Diese Gefahren aber werden genau durch den Kampfgedanken überhaupt erst geschürt und sie lassen sich niemals mit Gewalt sicher in den Griff bekommen, ganz im Gegenteil: Sehr häufig werden Pferde auf ihre Chance warten, um irgendwann zurückzuschlagen. Ihnen das als bösen Willen zu unterstellen, ist so dumm wie unfair, denn es ist der Mensch, der den Kampf begonnen hat.
Pferde dann nur noch anschauen?
Nein, die Alternative ist nicht, dann gar nichts mehr mit Pferden zu machen, wie so oft provozierend gerufen wird. Die Alternative besteht darin, pferdegerechte Wege zu einem Miteinander einzuschlagen, und ja, die gibt es.
Gewalt gegen Pferde entsteht aus leider sehr menschlichen Quellen wie z.B. Angst, Machtstreben, Geltungssucht, Wut, Hilflosigkeit und dergleichen mehr – und um die Gewalt zu rechtfertigen, verweist der Mensch dann darauf, wie Pferde sich untereinander verhalten. Dass Pferde in funktionierenden Herden den größten Teil ihres Lebens vollkommen friedlich und in einem harmonischen Miteinander leben, tiefe Freundschaften und komplexe soziale Systeme bilden, in denen auf vielfältige und oft feinste Weise kommuniziert wird, wird genauso ausgeblendet, wie die Tatsache, dass so viele Pferde bereit sind, Schmerzen und Missstände zu ertragen, ohne sich je gegen den Menschen zu wehren (obwohl das mehr als verständlich wäre). Pferde werden viel lieber auf primitive, potentiell gefährliche Tiere reduziert, denn damit kann man Einsatz von Peitschen, scharfen Gebissen, Sporen und dergleichen mehr rechtfertigen und muss das eigene Tun nicht hinterfragen oder gar umdenken. Und das stinkt zum Himmel.
Begeben wir uns endlich auf pferdegerechte Wege und seien wir bereit dazuzulernen!
Da man inzwischen sehr viel mehr über Pferde weiß und darüber, was sie ausmacht, ist es aus unserer Sicht nicht nur fragwürdig, sondern verwerflich, immer noch barbarische Ausbildungsmethoden anzuwenden. Es GIBT andere Wege, die sich bewähren und die für ein Miteinander von Mensch und Pferd sorgen, ohne Gewalt. Diese Wege führen sehr oft zu einem deutlich sicheren Umgang mit Pferden, so dass die vielbeschworene „Gefährlichkeit“ von Pferden als Argument blass wird.
Fazit: Anstatt sich weiter an längst überholten Argumenten festzuhalten, um Gewalt dem Pferd gegenüber zu rechtfertigen, sollten wir unser – menschliches – Verhalten reflektieren und den Mut haben, dazuzulernen. Fehler zu machen, ist eines, an ihnen festzuhalten und sie auch noch mit fadenscheinigen Argumenten rechtfertigen zu wollen, etwas ganz anderes.
