Ich bin’s, Ihr Pferd – Kapitel 39: Meine Chance

Aus „Ich bin’s, Ihr Pferd“ von Tania Konnerth
– zum ersten Kapitel geht es hier.

 

Die Gelegenheit, in Sachen Vertrauen vielleicht etwas besser machen zu können als bisher, kommt schneller als gedacht. Jenni, eine Miteinstellerin fragt mich am nächsten Tag, ob sie mit uns ins Gelände kommen kann. Normalerweise bin ich lieber allein unterwegs, aber ein Ausritt zu zweit kann ja auch mal ganz nett sein. 

„Ist das okay für dich, wenn wir die beiden auf dem Ausritt mitnehmen?“, frage ich Monty, als ich ihn vom Auslauf hole.

„Selbstverständlich.“, sagt er. 

„Selbstverständlich, gerne – oder selbstverständlich, wenn es sein muss?“, frage ich nach.

„Selbstverständlich, das kann ich erst hinterher sagen.“, antwortet mein Pferd. 

Ich muss lachen. „Gut, dann probieren wir es einfach mal aus.“ 

Jenni hat eine zierliche Vollblutstute. Schon von Beginn an wird deutlich, dass sie mindestens doppelt so schnell wie Monty ist.

„Na, Ihr seid ja ganz schön flott unterwegs.“, rufe ich Jenni hinterher, die schon ein ganzes Stück voraus ist, und versuche Monty zu motivieren, etwas schneller zu werden. 

„Na, na, nicht hetzen.“, mault der. 

„Sorry, aber wir müssen da schon ein bisschen mithalten, Monty.“

„Soll die doch langsamer gehen.“

„Ich fürchte, das ist nicht so einfach.“

„Aber für mich ist es einfach, besinnungslos loszuhetzen, ja?“, fragt mein Pferd etwas säuerlich.

„Schon gut.“, zische ich, denn Jenni hat auf uns gewartet und wir sind nun in Hörweite.

„Ja, Lucy ist immer ziemlich schnell unterwegs.“, lacht Jenni. „Vielleicht färbt ja Montys Gelassenheit ein bisschen auf sie ab.“ Und schon schreiten die beiden wieder flott voraus.

„Montys Gelassenheit …“, sagt mein Pferd, „haben Sie das gehört?“

„Wahrscheinlich meint sie Trägheit, ist nur zu nett, um es so auszudrücken.“, brumme ich, während ich mühsam versuche, Monty anzutraben. „Komm, lass mich nicht so hängen, das wird heute einfach mal ein etwas schnellerer Ausritt, ja?“ 

„Wie Sie wünschen.“, antwortet Monty und trabt gnädigerweise an. 

Wir biegen auf einen Waldweg ein, der ziemlich matschig ist. Monty fällt wieder in den Schritt. Jenni reitet Lucy weiter durch eine große Pfütze, die den kompletten Weg einnimmt. Als wir dort ankommen, bleibt Monty davor stehen. 

„Was ist denn, Monty? Das ist doch nur wieder eine Pfütze. Lucy ist auch schon durch, wie Du gesehen hast.“

„Ich glaube, ich möchte da lieber nicht hindurchgehen.“

„Ach, Monty, das ist doch kein Problem. Nur eine Pfütze.“ Ich treibe ihn an, doch er bleibt stehen. 

Jenni ist nun schon ein gutes Stück voraus. 

„Komm schon, Monty, jetzt blamiere mich nicht vor Jenni, okay? Ist wirklich keine große Sache, da durchzugehen.“ 

„Sagen Sie. Sie müssen ja auch nicht da durch.“ 

„Das ist doch echt nicht dein Ernst, oder? Die ist nicht mal tief, die Pfütze!“

„Trotzdem würde ich es bevorzugen, da nicht hindurchgehen zu müssen.“ 

Im ersten Moment möchte ich ihm einen Klaps mit der Gerte geben und ihn da einfach durchtreiben. Aber ich stoppe mich. Durchatmen, Isa, ganz ruhig, sage ich zu mir. Werde jetzt nicht ungehalten. Denk an die Sachen mit dem Vertrauen. Gerade gestern hast du noch über die Pfützen nachgedacht. Jetzt hast du die Chance, die Sache anders zu machen. 

„Also gut, Monty, wie kann ich dir die Sache leichter machen?“, frage ich.

„Indem wir einen anderen Weg nehmen.“ 

„Das macht keinen Sinn, denn Pfützen können überall sein.“ 

„Aber nicht diese.“ 

„Diese Pfütze ist nicht anders als andere Pfützen auch, Monty.“

„Sagen Sie.“ Sein Tonfall macht klar, dass er der Ansicht ist, dass ich mal wieder beweise, dass ich keine Ahnung habe.

Jenni ist inzwischen umgedreht und kommt zu uns.

„Alles gut bei euch?“, ruft sie.

„Ja, eigentlich schon, ich muss nur Monty noch überzeugen, dass er auch durch die Pfütze gehen kann. Kleinen Moment noch.“

„Soll ich nochmal vorgehen?“, fragt Jenni. Wir probieren das, aber Monty folgt Lucy nicht, sondern bleibt weiter vor der Pfütze stehen.

„Du traust also nicht mal einem anderen Pferd?“ Die Erkenntnis ist zwar tröstlich, aber bringt mich hier nicht wirklich weiter. Was mache ich denn jetzt nur? 

„Würde es helfen, wenn ich absteige und durch die Pfütze gehe?“, frage ich Monty und denke daran, dass ich nur die Jodphur-Stiefel anhabe und keine Gummistiefel. 

„Ich bin mir nicht sicher.“, sagt Monty.

In diesem Moment möchte ich in den Sattel beißen. Dieser Sturkopf von einem Pferd macht mich manchmal wahnsinnig. Aber ich weiß genau, dass ich gerade eine Chance habe. Eine Chance, meinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, eine Chance, etwas anders zu machen. Jenni ist schon wieder ein gutes Stück voraus und dreht sich zu uns um. Ich hole tief Luft. 

„Okay, Monty, du entscheidest: Ich steige ab und gehe mit dir durch diese Pfütze oder du sagst, du kannst da heute nicht durchgehen, dann frage ich Jenni, ob wir einen anderen Weg nehmen können. Deine Wahl.“

„Ich würde einen anderen Weg bevorzugen.“, sagt mein Pferd, ohne zu zögern, und das war mir eigentlich auch klar gewesen. Nun kann ich also nicht mehr zurück. Ich winke Jenni zu, die zurückkommt und sage: „Sorry, aber ich glaube, wir müssen einen anderen Weg nehmen. Er will da nicht durch.“ Jenni schaut mich an und ich kann mir vorstellen, was sie denkt. Aber dann kommt eine Reaktion, die ich nicht erwartet hätte, denn sie sagt: „Kein Problem, dann nehmen wir eben die Runde an den Feldern zurück.“

„Danke, das ist echt klasse von dir.“, sage ich erleichtert. Und Monty frage ich leise: „Zufrieden?“

„Ja, vielen Dank.“, kommt die Antwort und er trabt von sich aus neben Lucy und hält ihr Tempo, bis wir wieder zurück am Stall sind. Und ich grinse für den Rest des Tages. Endlich mal was richtig gemacht!

 

–> Fortsetzung Kapitel 40

 

 

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Tania Konnerth

Wer erzählt Montys Geschichten?

Die Geschichten von Monty schreibt Tania Konnerth. Sie hat seit über 40 Jahren mit Pferden zu tun und hat – unter uns gesagt – inzwischen immer öfter das Gefühl, dass Pferde tatsächlich sprechen können.

Tania arbeitet als Schriftstellerin und Autorin in Bleckede. Mehr von ihr gibt es unter www.tania-konnerth.de.

15. März 2022 von Tania Konnerth • Kategorie: Geschichten von einem sprechenden Pferd, Sonstiges Kommentare deaktiviert für Ich bin’s, Ihr Pferd – Kapitel 39: Meine Chance

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