Ich bin’s, Ihr Pferd – Kapitel 11: Es ist genau richtig, wie es ist

Aus „Ich bin’s, Ihr Pferd“ von Tania Konnerth
– zum ersten Kapitel geht es hier.

Monty und ich sind auf dem Reitplatz. Es ist einer dieser Tage, an denen die Sonne nicht so genau weiß, ob sie scheinen mag oder nicht und sich deshalb hinter einer leichten Decke aus Wolken versteckt. So ist es nicht wirklich warm und nicht wirklich kalt. Alles fühlt sich irgendwie so zwischendrin an… – und damit genauso wie ich mich gerade auf meinem Pferd fühle.

Ich reite Monty und obwohl es mein eigenes Pferd ist, auf dem ich sitze, fühlt sich nichts mehr vertraut oder bekannt an. Seit Monty spricht, ist es, als ob alles neu beginnt. Monty sagt zwar immer, dass alles einfach bleiben kann, wie es war, aber das geht einfach nicht, denn: Es IST anders, jetzt.

Ganz ehrlich, ich habe das Reiten bisher nie in Frage gestellt. Seit ich fünf bin, liebe ich Pferde. Pferde und Reiten, das gehörte für mich immer zusammen. Klar, später habe ich dann natürlich auch gelernt, dass Pferde eigentlich gar nicht dafür gemacht sind, uns auf ihrem Rücken zu tragen. Das hört man als Reiterin natürlich nicht gerne. Und die Gewalt, mit der so viele Pferde zu dem gezwungen werden, was Menschen von ihnen wollen, finde ich einfach schrecklich, aber irgendwie glaubt man ja doch immer, dass man es selbst besser macht. Und damit gibt man sich dann zufrieden.

Sind wir Menschen nicht echte Meister im Verdrängen (… und das nicht nur, wenn es um Pferde geht)? Aber in gewisser Hinsicht hat das auch seinen Sinn, stelle ich jetzt fest. Denn nicht ständig über alles nachzudenken und alles in Frage zu stellen, macht uns oft überhaupt erst handlungsfähig. Genau das ist mir durch die Tatsache, dass mein Pferd sprechen kann, ein ganzes Stück verloren gegangen und ich schätze, ich muss es mir erst wieder zurückerobern. Denn, wenn ich ehrlich bin, reite ich eigentlich gerade gar nicht, sondern ich sitze nur auf dem Rücken meines Pferdes. Ich traue mich kaum, zu atmen, geschweige denn einen Mucks zu machen. Bei jedem Handwechsel, den ich gerne reiten würde, bei jeder Hilfe, die ich geben will, bei jedem Wechsel der Gangart möchte ich vorher fragen, ob er das überhaupt möchte und ob es für ihn okay ist, das für mich zu machen. Dadurch verliert die Sache jeden Fluss und jede Natürlichkeit. Ich bin nur noch im Kopf und damit ein einziges Fragezeichen.

Und dann frage ich mich, ob es aber so nicht eigentlich sein sollte?

Natürlich nicht die quälende Unsicherheit, die mich fast handlungsunfähig macht, und nicht das schlechte Gewissen, das zu nichts führt, aber was ist mit der Behutsamkeit, mit der ich nun meine Hilfen gebe? Oder was ist mit dem Bewusstsein darüber, dass nichts selbstverständlich ist? Und was ist mit dem Respekt, der zusammen mit der Tatsache, dass mein Pferd sprechen kann, nun einen ganz neuen Stellenwert bekommen hat? Sollte genau das alles nicht die Basis jeden Miteinanders von Mensch und Pferd sein: Behutsamkeit, Bewusstsein und Respekt?

Ich war immer der Ansicht, dass ich eine von denen bin, die schon vieles ziemlich gut machen, aber jetzt wird mir klar, dass ich doch in vielem zu gedankenlos war. Man ist so schnell dabei, andere dafür zu verurteilen, was sie mit Tieren machen, nur bei sich selbst schaut man oft nicht so genau hin. Und wenn, dann hat man ein schlechtes Gewissen und schiebt das schnell wieder weg. Vielleicht gewöhnt man sich über die Zeit auch einfach an so vieles, was eigentlich nicht okay ist, einfach weil es alle machen und weil man es auch so vermittelt bekommen hat …

Aber letztlich haben wir doch in jedem Moment die Möglichkeit, uns neu zu entscheiden. Wir können grob werden oder wir können innehalten. Wir können automatisch reagieren oder nachdenken. Wir können uns durchsetzen oder auf Verständigung zielen. Sind das Gedanken, die mir auch gekommen wären, wenn mein Pferd nicht sprechen würde? Immerhin habe ich mich auch schon mal geweigert, Dinge zu machen, zu denen ich angeleitet wurde. Ich habe nein gesagt, als ich ein Pferd mit der Gerte schlagen sollte, das nicht vorwärtsgehen wollte, und ich bin von einer Stute abgestiegen, die ich nicht anders im Schritt halten konnte, als den Zügel so kurz zu nehmen, dass mir die Arme weh taten. So wollte ich nie reiten: mit Kraft und Gewalt. Ich sehe aber genau das immer wieder im Stall. Es ist normal. Unnormal bin eher ich, die nun auch noch Gespräche mit ihrem Pferd führt.

Und das ist gut so, denke ich. Normal ist oft gar nicht gut, wir machen nur immer so weiter, weil Gewohnheiten einfacher sind, als Neues anzugehen. Weil wir nicht auffallen wollen. Weil wir keine Ahnung haben, wie das Andere aussehen kann und uns das hilflos und ratlos macht. So wie ich mich gerade fühle, da ich nach wie vor nicht weiß, wie es nun mit mir und meinem sprechenden Pferd weitergehen wird. Alles ist offen, alles ist neu und unbekannt.

Aber ich will mich darauf einlassen. Ich möchte lernen. Ich möchte zu einem Menschen werden, den sein Pferd duzen mag. Ich möchte mir die Zuneigung meines Pferdes verdienen.

„Monty, halt mal an.“, sage ich und schlinge meine Arme um seinen Hals.

„Ach, sind Sie wieder anwesend?“, fragt er ein etwas spöttisch.

„Ja, das bin ich. Und es ist schön, dass du da bist.“, sage ich.

„Haben Sie mal wieder gegrübelt?“

„Ja, schon … Aber das ist genau richtig so.“ Ich richte mich wieder auf und fühle mich eigentlich ganz gut.

„Na, wenn Sie meinen.“

„Was hältst du von ein bisschen Bewegung?“

„Wie Sie wünschen.“, sagt mein Pferd und trabt so schwungvoll an, so dass ich zusehen muss, nicht nach hinten über zu kippen.

„Hey, das hast du doch voll absichtlich gemacht, Monty!“

„Selbstverständlich.“, sagt mein Pferd und ich lache.

–> Fortsetzung Kapitel 12

 

Monty Wege zum Pferd

 

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Tania Konnerth

Wer erzählt Montys Geschichten?

Die Geschichten von Monty schreibt Tania Konnerth. Sie hat seit über 40 Jahren mit Pferden zu tun und hat – unter uns gesagt – inzwischen immer öfter das Gefühl, dass Pferde tatsächlich sprechen können.

Tania arbeitet als Schriftstellerin und Autorin in Bleckede. Mehr von ihr gibt es unter www.tania-konnerth.de.

28. April 2020 von Tania Konnerth • Kategorie: Geschichten von einem sprechenden Pferd, Sonstiges Kommentare deaktiviert für Ich bin’s, Ihr Pferd – Kapitel 11: Es ist genau richtig, wie es ist

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