Nicht so launisch, bitte!
Heute widme ich mich wieder einmal meinem kleinen Anti-Nerv-Kurs (vorherige Themen dazu waren: Stimme, Streicheln, Klarheit, nie zufrieden zu sein, pferdegerechte Erziehung) und zwar geht es um die menschlichen Launen und wie wir mit ihnen unseren Pferden das Leben oft schwer machen.
Pferde sind Gewohnheitstiere. Sie wissen es zu schätzen, wenn die Dinge so sind, wie immer, denn das bedeutet Sicherheit. Veränderungen und alles, was sie nicht einschätzen können, verunsichern hingegen viele Pferde. Auf diesem Hintergrund wird schnell klar, dass menschliche Stimmungsschwankungen für Pferde eine ziemliche Herausforderung sind. Natürlich können sie lernen, damit umzugehen, aber oft muten wir unseren Pferden, ohne uns darüber klar zu sein, mit unseren wechselhaften Befindlichkeiten sehr viel zu.
Ein Beispiel
Es ist Montagnachmittag. Wir hatten ein tolles Wochenende mit Freunden und konnten uns richtig gut erholen. Auf der Arbeit gab es ein Lob vom Chef und die Tochter hat eine 1 in der Mathearbeit nach Hause gebracht. Die Sonne scheint und wir fahren gut gelaunt zum Pferd. Das freut sich, uns zu sehen und begrüßt uns mit einem Wiehern. Schöner kann es kaum sein, nicht wahr? Und so stört es uns nicht, dass das Pferd an unserer Jacke knabbert und als es uns zum Gras zieht, lachen wir und führen es locker weiter. Beim Reiten klappt vieles gut, manches nicht, vor allem nicht das Schulterherein, was neulich schon so gut war, aber was soll’s, es muss ja nicht alles perfekt sein, nicht wahr?
Am nächsten Tag fahren wir mit einer anderen Stimmung zum Pferd. Das Gerücht, dass die Abteilung, in der man arbeitet, aufgelöst werden könnte, machte heute Vormittag die Runde und nun nagt die Sorge um den Arbeitsplatz an einem. Außerdem gab es einen unschönen Streit mit dem Lebenspartner am Morgen, der noch nicht geklärt ist. Es regnet und ist kalt. Als wir beim Pferd ankommen, mag es sich nicht aufhalftern lassen. Außerdem beißt es gleich in unsere Jacke, worauf es erst einmal eins auf die Nase bekommt. Und dieses ewige Ziehen zum Gras, das kann man wirklich nicht durchgehen lassen, oder? Das Reiten wird dann auch noch eine Katastrophe, denn das Pferd stellt sich beim Schulterherein so doof an, als hätte es das noch nie zuvor gemacht. Dafür gibt es Ärger und wir lassen das Pferd mal einige Runde ordentlich galoppieren, es muss schließlich lernen, dass es nicht mit allem durchkommt.
Zugegeben, die skizzierten Tage sind vielleicht etwas überzeichnet, aber ich möchte verdeutlichen, was ganz, ganz häufig passiert: nämlich, dass wir unserem Pferd gegenüber nicht eindeutig gegenübertreten, sondern dass das, was wir „schlimm“ finden und „keinesfalls durchgehen lassen können“ genauso von unserer Stimmung abhängt, wie das, was wir „niedlich“ finden oder worüber wir locker hinwegsehen können. Und ich denke, wenn wir ehrlich sind, kennen wir alle genau das Geschilderte, oder nicht?
Unterschiedliches Verhalten verunsichert unsere Pferde
Und wie soll ein Pferd uns nun einschätzen? Was ist erlaubt, was nicht? Warum wird es an einem Tag für etwas gestraft, was vorher einfach nur ignoriert wurde? All das sind Punkte, die Pferde nur sehr schwer verstehen können.
Nun braucht es aber nicht einmal solche starken Unterschiede in unserem Verhalten, um ein Pferd zu verunsichern. Pferde sind als Herdentiere sehr gut darin, auch sehr feine Stimmungsschwankungen oder Anspannungen in uns zu spüren. Und so reagieren sie oft schon auf unseren Stress, wenn er uns selbst noch gar nicht bewusst ist. Oder sie spüren unsere unterschwellige Aggressivität, weil wir uns über jemanden geärgert haben. Oder sie nehmen war, dass wir Schmerzen haben, obwohl wir doch einfach drüber weggehen wollen und ganz normal reiten möchten.
Wichtig sind Bewusstheit und Selbstreflexion
Stimmungsschwankungen sind menschlich und bis zu einem gewissen Grad können Pferde auch lernen, damit gut umzugehen. Was ich aber für mich inzwischen als unerlässlich im Zusammensein und in der Arbeit mit meinen Pferden halte, ist die Bereitschaft zur Selbstreflexion.
Ich versuche, sehr bewusst zu meinen Pferden zu gehen, also mir klar darüber zu sein, wie ich an diesem Tag drauf bin, wie ich wohl wirke und was ich in dieser Stimmung realistischerweise erwarten kann. Wenn mein Nervenkostüm z.B. sehr dünn ist und ich merke, dass Anthony genau darauf mit Haps-Attacken reagiert, werde ich nicht gerade Handarbeit mit ihm machen. Wenn ich sehr angespannt bin und es mir nicht möglich ist, mich durch meine Atmung oder Körperübungen zu entspannen, verzichte ich darauf, Aramis zu reiten, der auf meine Verspannungen immer mit Stress reagiert. Und ich versuche sehr, bei der Erziehung meiner Pferde eine klare Linie zu fahren, die eben möglichst unabhängig von meinen Launen und Empfindungen ist. Das gelingt mir natürlich auch nicht immer, aber je selbstverständlicher es für mich ist, mich immer wieder selbst zu prüfen in dem, was ich tue und wie ich mich verhalte, fällt es mir auch immer leichter, Ungereimtheiten in meinem Verhalten, die aus meinen verschiedenen Stimmungen entstehen, zu erkennen und abzumildern.
Die meisten Menschen, die einen pferdegerechten Umgang anstreben, sind sich natürlich klar darüber, dass es nicht fair ist, z.B. die eigene schlechte Laune am Pferd auszulassen oder den Frust oder Aggressionen. Und so gelingt es den meisten auch, an ganz schlechten Tagen auf den Umgang mit dem Pferd zu verzichten. Wichtig aber ist, denke ich, dass wir an diesem Punkt nicht aufhören, sondern letztlich geht es immer wieder darum, mit sich selbst so gut in Kontakt zu sein, dass man mitbekommt, wenn man z.B. sauer wird oder ungeduldig oder wenn die eigene Konzentration nachlässt und man mit den Gedanken ganz woanders ist. Und das gerade auch in den leichteren Stimmungsschwankungen, die uns auf den ersten Blick als gar nicht bedeutungsvoll erscheinen, die aber im Umgang mit Pferden oft erhebliche Auswirkungen haben. Natürlich ist das nicht immer leicht, aber man lernt dabei auch sehr viel über sich selbst und so lohnt es sich dopppelt.
29. Mai 2012 von Tania Konnerth • Kategorie: Umgang • 8 Kommentare »