Wer muss hier was lernen?

Wenn es um das Thema „Lernen“ geht, dann denken die meisten Menschen vor allem daran, was ein Pferd alles lernen muss, denn schließlich sind ja wir es, die das Tier ausbilden. Tatsächlich aber müssen wir Menschen meist viel mehr lernen als die Pferde – und das hört nie auf, egal wie fortgeschritten wir auch zu sein glauben. Und dabei geht es nicht nur um Wissen und Technik, sondern auch um Erfahrungen, Einfühlungsvermögen und Bauchgefühl.

Das Lernen hört nie auf

Ich selbst habe jetzt seit rund 40 Jahren mit Pferden zu tun. Was für eine unglaublich lange Zeit. Zahlreiche Bücher habe ich in Sachen Haltung und Gesundheit gelesen, Unterricht genommen, Seminare besucht und Fachleuten gelauscht. Ich habe in diesen Jahrzehnten so unendlich viel gelernt und dennoch habe ich noch immer viele Fragezeichen und lerne täglich dazu. Wann immer ich glaubte, etwas verstanden zu haben, konnte ich sicher sein, dass neue Herausforderungen mir zeigen würden, dass es noch viel, viel mehr zu begreifen gibt.

Ich habe mir viel Wissen und viele Techniken angeeignet und habe sowohl meinen Geist als auch meinen Körper trainiert, dennoch bin ich lange nicht „fertig“. Von Natur aus war ich nie besonders begabt für das Reiten und habe viele, viele Unterrichts- und Trainingsstunden gebraucht, um einen halbwegs brauchbaren Sitz zu entwickeln. Eine Zeitlang war ich in Sachen Dressur ganz passabel, aber ich hatte nie das Gefühl, wirklich reiten zu „können“, denn schließlich ist mit jedem Pferd alles unter Umständen wieder ganz anders. Immer wieder muss Neues ausprobiert, gelernt und vor allem auch geübt werden, damit einem das bereits Erarbeitete auch weiter verfügbar bleibt (zum Beispiel allein in Bezug auf Beweglichkeit, Flexibilität, Gleichgewicht, aber auch vielem anderen mehr).

Noch komplexer ist die Sache mit dem Umgang mit Pferden. Bei all dem, was ich schon über Pferde gelernt habe, weiß ich im Großen und Ganzen, was ich tue. Aber auch ich bin nicht davor gefeit, mich in Situationen wiederzufinden, in denen ich rat- und manchmal auch hilflos bin, weil mir all mein Wissen nichts nützt – und das ganz besonders oft bei meinem eigenen Pferd. Manchmal scheint es mir, als hätte Anthony den Job übernommen, mich demütig zu halten, denn er bringt mich immer wieder an die Grenzen meines Vermögens.

Was bedeutet das nun ganz konkret?

Für mich ist der Umgang mit Pferden eine lebenslange Entwicklungsmöglichkeit, denn ich werde immer wieder auf allen Ebenen gefordert. Das mag nun alles mühsam und anstrengend klingen und ja, manchmal ist es das auch. Meist aber ist es vor allem das: spannend und unendlich gewinnbringend.

Ich habe Euch hier einmal eine kleine Checkliste für unsere eigene Lernbereitschaft erstellt. Sie besteht aus fünf Fragen, die wir uns immer wieder stellen können und auch sollten:  

Frage 1: Was sagt mein Pferd? 

Selbst erfahrene Pferdemenschen können auf Pferde treffen, die ihnen den Dienst verweigern und die deutlich zeigen, dass sie nicht wollen, was dieser Mensch mit ihnen vorhat. Darauf zu beharren, da man ja weiß, was man tut, und mehr vom Gleichen zumachen, bringt einen in der Regel nicht weiter, sondern führt zu Gewalt. Wenn ein Pferd zum Beispiel die gegebenen Hilfen nicht versteht oder auf die Art, wie mit ihm umgegangen wird, mit Stress reagiert, nützt es nichts, die Hilfen zu verstärken, da das Pferd sie dann auch nicht besser verstehen wird und ihm das auch noch mehr Stress bereiten wird. In solchen Fällen müssen wir bereit sein, unserem Pferd zuzuhören und seine Signale ernst zu nehmen. Wenn wir immer wieder an dieselben Grenzen mit unserem Pferd stoßen oder immer wieder dieselben Probleme mit ihm haben, ist das ein deutliches Zeichen dafür, dass wir etwas anders tun sollten als bisher – und dann müssen erst einmal wir lernen, nicht das Pferd.

Frage 2: Was sollte ich lernen?

Wenn wir dazulernen wollen, geht es darum, realistisch einzuschätzen, in welchen Bereichen wir vielleicht noch zu wenig Wissen haben oder an welchen Fähigkeiten es uns mangelt, um flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren oder auch, um es unserem Pferd leichter mit uns zu machen. Videos von uns selbst, wie wir mit dem Pferd umgehen oder wie wir reiten, können sehr entlarvend sein, wenn es darum geht, Lernbedarf bei uns zu ermitteln. Und ein liebevoll-ehrlicher Blick einer Person, der wir vertrauen, kann ebenfalls sehr hilfreich sein. 

Frage 3: Wie lerne ich am besten?

Es ist nützlich, herauszufinden wie man selbst am besten lernt – manch einer lernt gut aus Büchern, eine andere besser durch praktische Demonstrationen, wieder andere durch Ausprobieren. Je besser wir unser eigenes Lernverhalten verstehen, desto optimaler können wir unser Wissen und unsere Kenntnisse erweitern.

Frage 4: Von wem will ich lernen?

Das Angebot von Möglichkeiten, sich in Sachen Pferde weiterzubilden, ist schier unendlich. Es gibt zahllose Ausbildungsansätze, die sich oft allerdings widersprechen, so dass man am Ende gar nicht mehr weiß, wem man nun glauben und folgen soll. Ähnliches gilt für alle Fragen rund um die Haltung oder Gesundheit von Pferden. Es ist wichtig, gut zu prüfen, wem man vertrauen und ein Stück weit folgen will, wohl wissend, dass man niemanden blind folgen sollte.

Frage 5: Was will ich für mich übernehmen?

Wenn wir ein Buch lesen, Unterricht nehmen oder einen Kurs besuchen, heißt das nicht, dass wir immer auch alles daraus übernehmen müssen und dem Gesagten strikt folgen müssen. Viel sinnvoller ist es aus meiner Sicht, sich aus verschiedenen Ansätzen alles Mögliche für den ganz persönlichen Weg zusammenzusuchen. Ansätze, die genau davon abraten, sind für mich kritisch zu bewerten. Hören wir lieber auf unser Pferd, das meist recht deutlich zeigt, wie es unsere neuen Ideen findet.

Und zu guter Letzt…

Bei all dem sollten wir eines nicht vergessen: Es geht immer nur um die Bereitschaft, nie um Perfektion! Perfekt sein muss niemand, das erwartet auch unser Pferd nicht von uns. 

 

Vom Pferd lernen

19. Februar 2019 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Sonstiges 6 Kommentare »

 

6 Reaktionen zu “Wer muss hier was lernen?”

 

Von Silke • 19. Februar 2019

Liebe Tania,
Sehr schön geschrieben. Und es ist genau das, was ich im Moment erlebe. Ich und mein Mann haben zwei wunderbare Stuten. Jamila nun seit ca 1 Jahr. Wir haben von jedem Pferd unfassbar viel gelernt- vor allem, immer wieder offen zu sein und Dinge zu hinterfragen und zu lernen. Bei Jamila dachten wir, sie ist einfach ein braves ruhiges Pferd und die Ausbildung wird super einfach. Dabei ist sie sehr komplex, sensibel und doch Bulldozer zugleich. Ein Clown mit einem sehr liebevollen Herzen. Die aber definitiv Dinge in Frage stellt. Die Mischung aus es ihr zu erklären, liebevoll und nachgiebig zu sein, und doch konsequent zu sein bei ihrem Dickschädel ist eine Herausforderung. Das Alles dauert länger und ist auch oft mühsam. Bringt uns aber so viel Freude und wir sind stolz, was wir als Team lernen. Wir entwickeln mit ihr einen neuen Weg, der für Sie und uns passt.

 

Von Annett • 25. Februar 2019

Hallo, ein schöner Artikel! Mein ‚etwas anderes‘ Pony und ich lernen seit über 10 Jahren zusammen. Er, dass es schön bei mir ist, dass er mit mir von der Koppel kommt und nicht gleich panisch reagiert, wenn mal kein Pferdekumpel in der Nähe ist. Ich, wie ich mit seinen Macken umgehen muss, um ihm die nötige Sicherheit zu geben. Lange hatten wir es mit Trainern versucht. Aber ich muss sagen, wirklich weiter gekommen sind wir, seitdem ich mich ganz auf mich und mein Pony allein konzentriere. Durch Bücher und Videos hole ich mir die Theorie und in kleinen Schritten gehen wir dann gemeinsam den Weg zum „Lernziel‘. Durch selbstgedrehte Videos kann ich dann nochmal von außen draufschauen. Gerade, wenn man ein Pferd mit einer schwierigen Vorgeschichte hat, ist es manchmal schwierig, Lernfortschritte zu erkennen. Bei uns ist gerade ‚Heute hat er sich nicht losgerissen!‘ ein großer Pluspunkt.

 

Von Irene • 25. Februar 2019

Wieder einmal super geschrieben, danke Tanja! Manchmal zweifle ich SEHR an mir und meiner Fähigkeit, mit Pferden umzugehen… Und irgendwie schien mir als Kind und Teenager alles viel einfacher und „wie von selbst“, wo ich heute häufig über meinen Verstand stolpere anstatt auf mein Gefühl zu hören. Aktuell stehe ich auch wieder zwischen meinem Gefühl und meinem Trainer: Ich höre, wie mein Pferd (7J.) auf dem Gebiss klappert (ich nehme das durch die ganze Halle wahr), aber mein Trainer meint stoisch: „Die sieht gar nicht gestresst oder angespannt aus“. Ich nehme wahr, dass mein Pferd ausweicht wenn ich mit dem Gebiss komme, er meint: „Musst nur genügend mit Geduld üben, dann nimmt sie es schon“. Ich sage: Kotproben wären mir sehr viel lieber statt einfach nach Programm zu Entwurmen, Stallbesitzer meint: „Tja, bei uns ist es halt so…“ Davon habe ich noch einige Anekdoten zu erzählen- und ich habe eigentlich ansonsten das Gefühl, dass sie in einem SEHR Pferdegerechten Stall wohnt, wenn ich so vergleiche… Leider habe ich das Gefühl, „gegen“ meinen Trainer so gar nicht anzukommen (ich habe je nur einen Bruchteil seiner Erfahrung), also füge ich mich, auch mangels Alternativen…

 

Von Silke Holy • 25. Februar 2019

Hallo,
Genauso ist es!!!
Ihr bringt es immer auf den Punkt.
Lg
Silke

 

Von Sabine • 25. Februar 2019

Ja, Irene, ich stimme dir voll zu. Ich habe schon sehr viele Trainer ausprobiert, bei manchen hielt ich es länger aus als bei anderen und ja, jeder von Ihnen hat mir auch irgendwie etwas beigebracht, so ist es ja nicht. ABER, letztlich läuft es doch immer so, dass man das tun muss, was der Trainer einem sagt, letztlich will man ja was lernen und wer zu viel Fragen stellt, von dem ist man genervt, was sich wiederum so auswirkt, dass der Trainer entweder sich immer weniger um dich kümmert oder aber deine Bedenken mit markigen Sprüchen niedermacht und dir so das Gefühl gibt, sowieso keine Ahnung zu haben. Ehrlich, einen wohlmeinenden, liebevollen Trainer, der auch mal von seinem Schema abweicht, so einen kenne ich nicht! Jeder will irgendwie nur immer seine Art zu Reiten, Umzugehen o.ä. vermitteln. Ich kenne keinen Trainer, der wirklich kritikfähig ist und sich selbst jemals in Frage stellt. Alle sind sie von sich so überzeugt, da ist kein Raum für Selbstzweifel. Und wer bin ich, dass ich einem Profi sage, dass ich dies oder jenes nicht gut finde? Ich, die als Lernende doch von Tuten und Blasen keine Ahnung habe… Meine Freundin hat deswegen schon aufgegeben, sie sagt, dass sei alles dermaßen verwirrend, der eine sagt so, der andere so, dies Buch lehrt nach dieser Methode, das andere anders, dieses Video zeigt eine Sache so, ein anderes zeigt es ganz anders … Es gibt einfach keine Bedienungsanleitung für das Pferd und ich glaube, das ist die einzige Erkenntnis, die ich mittlerweile wirklich verinnerlicht habe.

 

Von Claudia Heinelt • 26. Februar 2019

Danke für Deinen neuen Artikel, liebe Tania.
Ich finde ihn sehrk spannend, Du beleuchtest wirklich viele Facetten dieses Themas. Und doch habe ich ein bißchen gegrübelt, weil mir da noch was fehlte… Jetzt hab ich es: das Spielerische im Zusammenhang mit Lernen. Du schreibst mehrfach über Lernen müssen. Das finde ich schwierig, da erlebe ich ganz häufig bei meinem Pony und auch bei meinen zweibeinigen KlientInnen Überforderung bis hin zum Verweigern.

Weil das Lernen bei diesem Denken in den Hintergrund gerät und das Müssen Druck aufbaut. Klar, ein gut gemeinter Druck, aber eben doch Druck… Da ist gerade mein Vierbeiner ein großer Lehrer: immer wenn ich in diese Richtung tendiere, reagiert er mit Gegendruck und schon haben wir das Desaster. Unser Ausweg ist: Lernen durch Spielen, durch Experimentieren, durch Spaß haben. Das macht das Leben und Lernen tatsächlich erheblich schöner

Und an alle, die sich immer noch mit besserwisserischen, diktatorischen ‚Lehrern‘ herumschlagen: schmeißt sie raus! Sucht weiter! Es gibt auch die anderen. Die, die Euch liebevoll auf Eurem Weg unterstützen und mit denen Ihr wachsen könnt. Und wenn Ihr wirklich grad gar keine passenden Zweibeiner findet, fragt Eure Pferde ❤️

 

 

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