Sie merken es eh…

Immer wieder kann man solche  Tipps lesen und hören:

  • „Du musst souverän sein, damit Dein Pferd Dich akzeptiert!“
  • „Du darfst keine Angst haben, Dein Pferd muss sich sicher bei Dir fühlen können.“
  • „Es ist wichtig, dass Du Gelassenheit ausstrahlst, wenn Dein Pferd nervös ist.“
  • „Lass Dir den Stress, den Du sonst hast, nicht anmerken.“
  • „Werde niemals wütend oder ungeduldig mit Deinem Pferd!“

Klingen alle gut und richtig, das Problem ist nur: Sie funktionieren in der Regel nicht, weil wir damit gegen die Wirklichkeit ankämpfen, also gegen das was ist und gegen uns selbst. 

Und, mehr noch: Pferde merken eh alles.

Wir können einem Pferd Souveränität nicht vorspielen, genauso wenig wie wir uns gelassen geben können, wenn wir es nicht sind und unseren Stress können wir auch nicht verbergen. Pferde merken unsere Sorgen genauso wie unsere Ängste, sie spüren unsere Nervosität, unseren Frust und unsere Traurigkeit und sie spüren, wenn wir unzufrieden sind oder wütend oder aggressiv. 

Beispiel „Angst“

Ein sehr typisches Beispiel aus meinen Coachings ist das Thema „Angst“. Ich werde oft gerufen, weil der Mensch seine Angst besiegen will. Statt dann aber etwas gegen die Angst zu tun, gebe ich ihr erst einmal Raum. Angst, wie jedes Gefühl, hat Gründe und bevor wir uns nicht wenigstens ein Stück weit mit diesen Gründen befassen, können wir das Problem nicht lösen.

Wer Angst vor seinem Pferd hat, überfordert sich sehr oft selbst und verlangt von sich etwas, zu dem er eigentlich nicht bereit ist. Das zu erkennen und sich zu erlauben, eben im Moment zum Beispiel nicht zu galoppieren oder eben nicht auszureiten und stattdessen etwas zu tun, was sich gut und sicher anfühlt, schenkt Erleichterung und die Chance, Gutes zu erleben.

Wir sind so sehr darauf geeicht, ständig „an uns zu arbeiten“, dass wir ein Stück weit verlernt haben, auch Mitgefühl mit uns zu entwickeln. Keine Frage, Angst ist kein schönes Gefühl und der Impuls, sie einfach weghaben zu wollen, ist verständlich, aber nicht hilfreich. Sich selbst mit seiner Angst wirklich wahr- und ernstzunehmen, bedeutet, sich sich selbst zuzuwenden und für sich da zu sein. Angst will uns immer vor etwas schützen. Im Kontakt mit der Angst können wir überhaupt erst unseren ganz eigenen Weg zu mehr Sicherheit und Selbstvertrauen finden; sie einfach überwinden zu wollen, sorgt in der Regel für ein Mehr an Angst. 

Mit unseren Gefühlen arbeiten und nicht gegen sie

Und das gilt für so ziemlich jedes Gefühl! Stress lässt sich genauso wenig wegwünschen wie Angst, Wut genauso wenig wie Ehrgeiz oder Ungeduld.

Für mich gilt für jedes „Problem“, das wir Menschen an uns weghaben wollen, dass wir es erst einmal wirklich wahrnehmen und so gut wie möglich verstehen sollten, damit wir dann damit und nicht dagegen arbeiten können. 

… und das gemeinsam mit dem Pferd!

Wenn wir dazu bereit sind, dann gewinnen wir in unserem Pferd fast immer einen echten Partner und Coach.

Je ehrlicher wir mit uns selbst sind, desto authentischer wird uns unser Pferd wahrnehmen und desto leichter wird es ihm fallen, den Prozess auf eine gute Art mitzugestalten. Pferde haben grundsätzlich kein Interesse daran, Stress zu erhöhen oder Angst zu verstärken. Sie wollen uns nicht ärgern oder noch unzufriedener machen, sondern viele von ihnen sind bestrebt, die Situation zu verbessern oder sie zumindest nicht noch zu verschlechtern. Nur oft senden wir sehr viele verschiedene Signale und sind in unserem Verhalten oft so unwirsch oder auch unfair, dass Pferde gar keine Chance haben, auf das eigentliche Problem zu reagieren.

Wir können nicht nur nichts vor Pferden verstecken, wir sollten es auch gar nicht versuchen, denn die auf diese Weise verzerrten, übertünchten und oft widersprüchlichen Signale sind es, die Pferden das Miteinander mit uns so schwer machen. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass wenn wir uns hingegen ehrlich so zeigen, wie wir sind, Pferde oft auf eine ganz wundervolle und manchmal unerwartete Weise reagieren – dann können sie trösten oder aufmuntern, sie können mutig werden und uns Sicherheit schenken, sie können stark werden und über sich selbst hinauswachsen und vieles mehr. Vor allem aber wird dann überhaupt erst ein echtes Miteinander möglich.

Pferd

Foto von Horst Streitferdt

20. März 2018 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Umgang, Verhalten 14 Kommentare »

 

14 Reaktionen zu “Sie merken es eh…”

 

Von Ina • 21. März 2018

Das habe ich selbst erlebt, wie mitfühlend Pferde sein können. Mir ging es eines Tages wirklich sehr übel, musste mich dauernd übergeben und kauerte dann irgendwann hinter dem Stroh in der Box. Mein geliebter Klops Krümel, stelle sich vor mich, damit die anderen Pferde nicht ran konnten und hat mir den Nacken abgeleckt. Ich hatte ihn damals noch nicht so lange, aber dieser Moment wird mir unvergesslich bleiben. Und wenn er mal wieder seine 5 Minuten hat, denke ich daran zurück, wie liebevoll er sein kann.

 

Von Silke • 21. März 2018

Nach meinem letzten Pferd ( wir fanden nie zueinander und irgendwann wurde es gefährlich), hatte ich vor vielem Angst. Auch weil ich immer dachte: ich muss…
Ich habe mir dann aus reinem Bauchgefühl eine junge, rohe Stute gekauft. Und zum ersten Mal nur auf uns gehört. Wenn sie zu manchem noch nicht bereit ist, muss sie nicht, sondern wird langsam und mit Verständnis darauf hin zugeführt. Und wenn ich zu etwas nicht bereit bin, mache ich es nicht. Und siehe da, die Dinge passieren wie von selber. Unser Selbst/ Vertrauen in uns wächst, wir wachsen zusammen. Trauen uns schon viele Dinge die am Anfang unmöglich schienen. Sie bekommt von mir immer eine ehrliche Reaktion. Und genauso ehrlich reagiert sie. Ich zeige ihr auch, wenn ich genervt oder angespannt bin, und wir suchen dann einen Weg. Bisher klappt das sehr gut, und ich hoffe wir finden so weiter einen Weg zu einer harmonischen Beziehung

 

Von Anne • 22. März 2018

Liebe Tania, danke für diesen sehr einfühlsam Text und dass du dieses Thema ansprichst.

Umgang mit Gefühlen, radikale Akzeptanz und der Versuch eines leichten Lächelns sind gerade mein täglich Brot.
Seit dem Tod meines ersten eigenen Pferdes vor 10 Monaten ist nichts mehr wie es war.
Auch wenn es wieder eine Fellnase an meiner Seite gibt, hat sich da leider auf einmal eine gehörige Portion Angst und Unsicherheit mit eingeschlichen.
Je mehr ich versucht habe diese Angst zu übergehen und sie als lächerlich anzusehen, umso mächtiger wurde sie.
Und genau das spiegelt mir auch mein 4beiniger Gefährte.

Es gilt nun unseren Weg zu finden, in unserem Tempo.
Es ist nun einmal gerade so, wie es ist.
Je mehr ich das akzeptiere und an einem für mich und das Pony sicheren Rahmen arbeite, desto entspannter werden wir beide und können positive Erlebnisse verbuchen ☺

 

Von Svenja • 22. März 2018

So ein schöner Text!
Ich denke mittlerweile, dass es ein gesellschaftliches Problem ist, wie man mit Gefühlen umgeht. Also das den meisten Menschen nicht beigebracht wird, wie man insbesondere mit negativen Gefühlen auf positive Weise umgeht. Das einzige was wir lernen ist, Gefühle unter Kontrolle zu bringen, was wiederum einen negativen Beigeschmack hat, weil wir nur Dinge unter Kontrolle bringen müssen, die gefährlich sind. Dabei kann man so viel über sich selbst lernen, wenn man seine Gefühle ernst nimmt und ihrer Ursache auf den Grund geht.

 

Von Birgit aka ovis ridens • 26. März 2018

Danke für den Text, der mal wieder zeigt, wie sehr ihr im Sinne des Tieres Pferd unterwegs seid! =:o))

Allerdings möchte ich vor einem Missverständnis warnen:
Authentizität heißt so zu sein, wie man ist, sich nicht zu verstellen.
Authentisch sind allerdings sicher auch Pat Pardinxbums, Cesar Miladinxbums und irgendwelche Peitschenreiter.
Dieser Begriff wird häufig missverstanden bzw in guter Absicht falsch benutzt.

Da ich als Clickertrainingbekloppte =;op sehr auf die Bedeutung der Begriffe achte mit denen wir arbeiten, fällt mir so etwas immer wieder auf; ohne gemeinsames Vokabular sind wir aufgeschmissen und jegliche Diskussion kann nur im Missverständnis enden.

Mit einer dicken Umarmung =:oD
und der Hoffnung auf weiteres Wirken zugunsten unserer 4beiner liebe Grüße,
Birgit (ovis ridens bei FB)
=:o))

 

Von Kirsten • 26. März 2018

Liebe Tania,
vielen Dank für Deinen tollen Artikel-er spricht mir aus der Seele. Als „Angstreiter“ habe ich mir vor einigen Jahren Euren Anti-Angst Kurs zugelegt und viel damit gearbeitet. Dadurch habe ich u.a. gelernt, auf mein Bauchgefühl, meine innere Stimme zu hören, und selbst wenn ich zum Ausreiten verabredet bin, dann doch abzusagen oder lieber spazieren zu gehen oder ein ruhiges Schritt-Ründchen zu machen oder auchbeinfach gar nichts. Mal hängt es von meinem Hafi Nomo ab, mal von mir, was wir uns zutrauen, wer von uns wie drauf ist. Ja, es gibt auch immer noch diese Tage, an denen ich negativ bin und sage „ Ich bin eigentlich kein Pferde-Mensch“, oder „ weshalb hab ich eigentlich ein eigenes Pferd?“, aber Gott sei Dank hab ich dann Freunde, die mir zusprechen, dass ich genau das Pferd bekommen habe, dass ich verdient habe. Und so ist es auch! Wir sind mittlerweile ein tolles Team und trauen uns schon so vieles gemeinsam und nehmen Rücksicht auf unsere unterschiedlichen Befindlichkeiten und das ist gut so. LG Kirsten mit Nomo

 

Von Michaela • 26. März 2018

Vielen Dank fuer diesem tollen Artikel! Dem ist nichts hinzuzufuegen! Liebe Gruesse Michaela mit Tahnee und Shania

 

Von Sofia • 27. März 2018

Liebe Tanja,
dieser Beitrag hat mich sehr berührt, weil ich seit mehreren Wochen mit dem Thema Angst und Verunsicherung im Umgang mit den Pferden, mit denen ich meine Zeit verbringen darf zu tuen habe.
Mitgefühl mit mir selber haben, da musste ich weinen und das tue ich zur Zeit öfter und recht ausgiebig und es hilft, weil es befreit.
Die Pferde begleiten mich auf eine vielschichtige Art und Weise und ich lerne mich sozusagen nochmal ganz anders kennen und befinde mich unerwartet in einer Wandlung, die sehr tief geht.
Heute dachte ich, es ist, als ob die Pferde darauf gewartet haben, das ich mich auf diesen Weg mache, es fühlt sich an, als ob wir jetzt gemeinsam auf einer Reise sind, wo uns viele Abenteuer erwarten und wir die Welt nochmal neu gemeinsam entdecken können.
Herzliche Grüße von Sofia

 

Von Tania Konnerth • 27. März 2018

Ganz herzlichen Dank für all Eure schönen Kommentare, ich freue mich sehr darüber, gerade zu diesem Thema, das für viele ziemlich schwierig ist.

Liebe Grüße,
Tania

 

Von Manfred • 28. März 2018

Liebe Tania,
auch diese Zeilen on dir kann ich voll und ganz bestätigen. Antares konnte schon von weitem in mir lesen wie in einem Buch und ich bekam stets die dazu passende Antwort von ihm. Wann immer ich ihm etwas vormachen wollte oder sollte, denn auch ich bekam all diese unsäglichen Tips, waren wir in Disharmonie bis hin zu Widersetzlichkeiten usw. Ich konnte mein orhaben schlicht vergessen.
Aber umgekehrt durfte ich Dinge erleben, die einfach unglaublich waren. Wir sind z. B. Oft gemeinsam durch Wald und Flur gejoggt und als mir dann die Puste ausging und ich eine Pause brauchte aber ihm gegenüber nicht schlapp machen wollte, stoppte er und baute sich quer vor mir auf. Ich kam also nicht weiter und durfte mich sogar an ihm abstützen, bis ich wieder weiter laufen konnte. Er passte sein Tempo sogar meinem an.
Ich könnte noch viele solcher Erlebnisse berichten, die alle erst dann dnstanden sind, als ich aufhörte jemand zu sein der ich nicht war. Fortan war ich auch kein Chef mehr sondern ein authentischer Mensch an seiner Seite.
Liebe Grüße
Manfred

 

Von Claudia Kretschmer • 29. März 2018

Hallo, ich finde das das wieder ein super Artikel und außerdem eine echte Lebenshilfe – nicht nur im Pferdebereich ist. Authentizität ist sehr wichtig um glaubhaft zu sein, für jedermann. Auch das Zugeben von Angst. Ich habe manchmal das Problem, mit mir und oder Pferd, wann der richtige Zeitpunkt ist aus seiner Komfortzone heraus zutreten. LG Claudia

 

Von Karin-Kelly • 29. März 2018

Liebe Tania,

vielen Dank für diese wahren Worte zum Thema Angst. Deine Zeilen kamen für mich gerade zur richtigen Zeit …. und helfen mir Moment sehr, sehr viel! DANKE!

Herzliche Grüße. Karin

 

Von Heike • 30. März 2018

Bei mir hatte sich plötzlich eine Angst im Zusammensein mit Pferden entwickelt, die ich nicht verstehen konnte. Um so mehr ich sie verdrängen wollte um so schlimmer wurde sie. Nach einiger Zeit konnte ich die Angst, das Körpergefühl beschreiben und auch zulassen. Es war ein langer Prozess. In dieser Zeit habe ich auch mehrmals euren Angstkurs gemacht. Heute habe ich kaum noch Angst und kann wieder mit Pferden zusammen sein und arbeiten.
Vielen Dank für euren Angstkurs – er hat mir sehr sehr viel geholfen.

 

Von Anja • 2. April 2018

Ahhhhh ….. endlich …. ich halte immer die Luft an, wenn irgendwo, irgendwer mit diesem (sorry) Dominanzgequatsche anfängt …. Pferde sind Fluchttiere. Es ist ein Überlebensinstinkt, die Lebewesen in ihrer Umgebung „zu lesen“. Und sie sind großartig darin. Wer will ihnen vorwerfen, sich nicht dem Wesen anzuschließen, dass Führung „spielt“ aber nicht Führung „fühlt“? Wer will ihnen vorwerfen, dass sie vor Unsicherheit, unterdrückter Aggression etc. zurückweichen und sich nicht anschließen? Stell einen Menschen in eine Pferdeherde, die du selbst gut kennst und die Reaktion der Pferde erzählt Dir, was sie von diesem Mensachen (in diesem Moment) halten. Unbestechlich.

 

 

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