Die Grenze zwischen Nutzung und Missbrauch

Wir werden nicht müde, immer wieder auch darauf hinzuweisen, dass vieles in der Pferdewelt falsch läuft und eine ständige Quelle von Missbrauch gegenüber Pferden ist aus unserer Sicht der Anspruch des Menschen, ein Pferd für seine eigenen Ziele und Vorhaben zu benutzen. Deshalb gehören wir aber nicht zu denen, die die Arbeit mit Pferden gleich komplett ablehnen.

Wie so oft liegt die Wahrheit nicht in den Extremen, sondern in der Mitte und sie gestaltet sich sehr vielfältig. Es ist für uns keineswegs grundsätzlich falsch, ein Pferd zu „nutzen“, ganz im Gegenteil: Gemeinsame Erlebnisse mit Pferden sind etwas Wunderschönes! Aber – und das ist leider das, was oft schiefläuft – es soll für beide Seiten etwas Schönes sein. 

Es kommt immer darauf an…

Nun gibt es keine festen Regeln, an die man sich halten kann, wenn es darum geht, was man von einem Pferd verlangen kann und wann man über seine Grenzen geht, sondern es muss im Einzelfall, je nach Stimmung, Persönlichkeit und Situation immer wieder neu überprüft werden, ob die Erwartung und Forderung des Menschen etwas ist, das das Pferd einlösen mag und kann oder eben nicht. Um hier angemessene Entscheidungen treffen zu können, müssen wir uns freimachen von herkömmlichen Sprüchen wie „Pferde müssen geritten werden!“ genauso wie von den anderen Extremen à la „Jede Arbeit mit einem Pferd ist Gewalt“, um wirklich hinschauen und vor allem hinspüren zu können. 

Es spielen viele Faktoren in die Frage hinein, ob mit einem Pferd etwas getan werden muss oder nicht, wie zum Beispiel: 

  • die Haltung (je pferdegerechter die Haltung ist, desto weniger zwingend ist eine Beschäftigung der Pferde),
  • die Rasse (bei manchen Rassen sind Leistungswille und Temperament Zuchtziele, diese Pferde brauchen eine andere Auslastung als Rassen bei denen vielleicht Gelassenheit und Ruhe Zuchtziele sind),
  • das Alter (sehr junge Pferde brauchen, sofern sie altersgerecht gehalten werden, noch keine Beschäftigung durch den Menschen, sondern sollten möglichst Pferd sein können, während zum Beispiel gerade ältere Pferde nicht einfach vorschnell in Rente geschickt werden sollten, denn für manche von ihnen bricht eine kleine Welt zusammen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden),
  • die Gesundheit (bei gesundheitlichen Problemen sollte noch genauer überlegt werden, was mit einem Pferd wirklich gemacht werden kann und was nicht, gleichzeitig können alternative Aktivitäten mit einem Pferd es gerade bei gesundheitlichen Problemen ablenken, für Freude sorgen und auch nötig für eine Genesung sein),
  • die Persönlichkeit (ein sehr wichtiger und oft entscheidender Punkt, der unbedingt zu berücksichtigen ist!),
  • die aktuelle Situation (wie die momentane Laune und Stimmung (bei Pferd und Mensch) oder besondere Vorkommnisse, die Einfluss auf die Bereitschaft des Pferdes haben, etwas mit uns zu machen)
  • und anderes mehr. 

Es gibt Pferde, die sehr glücklich und zufrieden damit sind, einfach nur Pferd zu sein und sich hin und wieder von ihrem Menschen betüddeln zu lassen. Wenn sie artgerecht in einem funktionierenden Herdenverband leben, nicht übergewichtig sind und kein Reitergewicht zu tragen haben, müssen viele Pferde nicht unbedingt systematisch gymnastiziert werden, um gesund zu bleiben – obwohl Bewegung natürlich grundsätzlich gut ist. Für manche Pferde hingegen ist ein Grundmaß an guter und angepasster Gymnastizierung notwendig, damit sie dauerhaft gesund bleiben. Dann gibt es Pferde, die sich selbst in einer artgerechten Haltung mit Pferdegesellschaft schnell langweilen und unterfordert sind und die einfach ein Stück weit körperliche Auslastung brauchen, um zufrieden und ausgeglichen zu sein. Und viele Pferde nehmen, was kommt, sie genießen Ruhe, aber es macht ihnen auch nichts aus, Dinge für uns zu tun, die sie sonst vielleicht nicht tun würden; in diesen Fällen ist es gut, immer wieder darauf zu achten, dass solche Pferde auch Freudemomente erleben und nicht nur Dienst nach Vorschrift machen. 

Wo beginnt der Missbrauch?

Die Nutzung eines Pferdes ist aus unserer Sicht vollkommen in Ordnung, wenn beide dazu ja sagen, keiner darunter leidet und beide im besten Fall etwas Positives daraus ziehen können. Missbrauch findet für uns dann statt, wenn einer der Beteiligten etwas nicht will und dann mit Gewalt und Druck gezwungen wird.

Wichtig für uns Pferdemenschen ist, immer achtsam für unser Pferd zu bleiben und wahrzunehmen,

  • was es tut, weil es das von sich aus gerne macht,
  • was es für uns tut, aber nicht aus eigenem Antrieb,
  • was es tut, weil wir es ihm schmackhaft machen
  • und was es aus Angst (wovor auch immer) tut oder weil es zu kämpfen aufgehört hat. 

Das Ziel ist Freiwilligkeit

Für uns ist freudige Freiwilligkeit immer das Ziel.

Tut ein Pferd etwas, das wir möchten oder für wichtig halten, nicht, so ist es unsere Aufgabe, Wege zu suchen, die dem Pferd ein Ja zu unseren Absichten möglich machen beziehungsweise müssen wir unsere Erwartungen und Forderungen anpassen.

Hin und wieder wird es im Miteinander von Mensch und Pferd auch Momente geben, in denen wir Menschen unser Pferd zu etwas bringen müssen, das vielleicht wichtig oder gar unerlässlich ist. Je nach Dringlichkeit (z.B. durch Gefahren) ist in solchen Ausnahmesituationen unter Umständen auch Druck angemessen (der ja auch in sehr unterschiedlicher Stärke eingesetzt werden kann).

Dauerhafter Druck hingegen, ein gewohnheitsmäßiger Einsatz von Zwangsmitteln und ständige Gewalt auch im Kleinen sind aus unserer Sicht immer als Missbrauch zu bewerten und damit abzulehnen. 

Nutzung oder Missbrauch

19. September 2017 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Umgang, Verhalten 5 Kommentare »

 

5 Reaktionen zu “Die Grenze zwischen Nutzung und Missbrauch”

 

Von Sabine • 19. September 2017

Gutes Thema, aber das Foto ist vor dem Hintergrund des Textes dann vielleicht nicht ganz passend gewählt. Gerte dabei. Ja, sieht man überall und wird soooo oft als „verlängerter Arm“ und harmlos bezeichnet.

Nichtsdestotrotz hat eine Gerte für viele Pferde die Androhung/Möglichkeit von Schmerz und ist somit ein potentielles Zwangmittel. Einfach mal probieren, was Pferd freiwillig ohne Gerte in der Hand tut, dann kann man das Level von Zwang/Druck, das nur durch das Mitführen der Gerte ausgeübt wird, besser beurteilen.

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Hallo Sabine,

vielen Dank für Deine Zeilen. Du hast bisher offenbar leider nur einen negativen Einsatz der Gerte kennen gelernt, da kann ich Deine Reaktion gut nachvollziehen. Für mich greift das jedoch zu kurz, denn meiner Erfahrung nach ist eine Hand, die mit einer Gerte schlägt, auch eine Hand, die mit Stricken oder einfach selbst schlägt. Ich denke, man muss an die Wurzel des Problems, denn z.B. Hilflosigkeit (die oft zu Gewalt führt) oder unkontrollierbare Gefühle wie Wut usw. gehen ja nicht weg, nur weil man die Gerte weglegt… Ganz im Gegenteil: Ich habe für mich erfahren, dass zu lernen mit einer Gerte auf eine gute Weise umzugehen, eine ganz hervorragende Schule in Respekt ist.

Ich denke, ich nehme das mal als Anlass, einen Blogbeitrag zu diesem Thema zu machen! Habe ich mir gleich notiert.

Herzlich,
Tania

 

Von Christina • 19. September 2017

Hallo!
Der Text gefällt mir sehr, das ganze Thema hab ich leider auch erst viel zu spät gelernt. In der Reitschule mussten die Pferde funktionieren und auch meine Reitbeteiligungen müssten das. Erst meine (fast) eigene Stute hat mir beigebracht ihr zuzuhören, indem sie einfach erst mal gar nicht mehr wollte. Sie lief rückwärts und stieg im Gelände.
Ab da an erstmal neu anfangen und gucken was ihr denn so Spaß macht.

Sabine zu der Gerte als Hilfsmittel: jeder der sie so nutzen will, wird doch erstmal die Angst vor den Hilfsmitteln nehmen. Dem Pferd zeigen wofür sie gemacht und dann steckt da auch kein Zwang mehr hinter!

 

Von Alexandra • 24. September 2017

Hallo,

ein sehr interessantes Thema, und ich glaube man kann auch keine allgemeingültige Antwort auf diese Frage geben. Nachdem meine zwei Herren Pferd mich davon überzeugt haben, dass es klüger ist auf sie statt auf den manchmal fragwürdigen Sachverstand „irgendwelcher Zweibeiner“ zu hören, haben sie mich zu diversen Erkenntnissen gebracht.
Unter anderem auch, dass jedes Pferd seine ganz eigene, individuelle Persönlichkeit hat und wie jeder Mensch Vorlieben, Abneigungen hat und es Dinge für es gibt, die zwar keinen großen Spass machen, aber ok sind. Und Sachen, die vielleicht jetzt nicht gehen, an denen man aber arbeiten kann.Ich glaube,wichtig ist einfach, das Pferd gut zu kennen, um zu beurteilen, was ich mit ihm machen und erreichen kann und was nicht. Und wenn das nicht mein ursprüngliches Ziel war, dem Freund und Partner Pferd zuliebe meine Wünsche anzupassen. Und zu schauen, wohin der Weg führt, wenn ich ihn nicht ganz alleine bestimme.

Zu der Diskussion mit der Gerte noch: Zentaurus liebt seine Balance Pads und kann darauf prima entspannen.Ohne Halfter & Führstrick. Bloß die doofen Mücken stören. Sooo entspannt, dass er einen handtellergroßen Sabberfleck unter sich hatte, war er dann, als ich währenddessen wild mit der Gerte wedelnd & Mücken verscheuchend um ihn rumgelaufen bin. Letztlich auch wieder das Thema, wie gut man sich kennt und Vertrauen zueinander hat.
Grüße an alle

Alexandra

 

Von Susi • 25. September 2017

Ach, deine Themen sind aber auch immer ganz schön passend!!! Wie machst du das nur?
Vor lauter Angst zu missbrauchen habe ich aber gerade auch Probleme.
Gerade hadere ich wieder. Lange Zeit habe ich jetzt schon sehr abwechslungsreich gearbeitet, viel auf unsere Stimmungen und Tagesform (von Frau und Pferd) geachtet. Mein Pony weiß, dass er eine Meinung haben darf … aber so ganz glücklich bin ich nicht. Er ist ein kleiner Energiesparer (auch in der Herde) und daher mittlerweile zu dick. Das macht mir sorgen. Beim Reiten macht er brav mit, aber nach spätesten 20 Minuten mag er nicht mehr. Und wenn ich ihn dann ermuntere noch ein bisschen weiter zu machen, geht das kurz, aber dann bleibt er stehen und geht keinen Schritt weiter. Da hilft nix. Auch beim Longieren mag er häufig schon nach der Halbzeit nicht mehr weiter. Er wird dann immer unkonzentrierter, schaut spazieren oder schnappt sich die Longe um zu zeigen, dass er keine Lust hat. Überfordert ist er nicht (dazu machen wir das schon zu lange) und wir machen auch immer verschiedene Dinge und ich arbeite auch mit dem Clicker und lobe auch sonst viel. Angst vor der Gerte hat er auch nicht. Beim freien Laufen auf dem Roundpen muss ich viel Druck und Körpereinsatz bringen, dass er läuft.
Für mich ist gerade also das Problem, dass mein Pony, vor lauter Angst meinerseits ihn zu stark zu nutzen und zu missbrauchen, irgendwie immer noch bequemer wird. Es scheint gerade so eineGratwanderung zu sein. Irgendwie komme ich mir gerade ein bisschen missbraucht vor.

Susi

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Hallo Susi,

naja, Dein Pferd will ja nicht etwas von Dir, sondern Du von ihm, wirklich missbrauchen tut er Dich also nicht 😉 Aber ja, es ist eine Gradwanderung, die, denke ich, auch immer und immer wieder neu auszuloten ist.

Ich finde es schön, dass Dein Pferd ein Mitspracherecht hat und dass er sich traut, davon Gebrauch zu machen. Schau doch vielleicht mal, wie er reagiert, wenn Du an einem Tag verschiedene Sachen machst, also vielleicht erst etwas Bahnarbeit und dann eine Runde ins Gelände oder erst Longieren und dann ein bisschen Reiten usw. Vielleicht liebt er einfach Abwechselung 🙂

Ein andere Impuls: Achte mal darauf, was sich bei DIR nach 20 Minuten verändert.

Euch beiden alles Gute,
Tania

 

Von Gina • 23. Oktober 2017

wenn man ein gutes Verhältnis zu seinem Pferd hat, wird es wohl nie Missbrauch sein, wenn man sich täglich einige Minuten mit ihm beschäftigt. Man muss als Mensch der „Bespaßer“ und „Trainer“ sein, weil das Pferd kein so forderndes und erfüllendes Leben hat bei uns Menschen, wie es das in freier Wildbahn haben könnte. Voraussetzung dafür dass es beiden Spaß macht ist, dass man ständig beobachtet, ob das Pferd mental und körperlich nicht etwa überfordert wird. Wie lange kann mein Pferd sich überhaupt konzentrieren? Hat es genug Kraft, um zehn Minuten am Stück zu traben oder zu galoppieren? Ich finde das ist alles nicht selbstverständlich und vor allem, wie hier so toll beschrieben, individuell sehr verschieden. Dazu kommt noch die Tagesform. Was eben auch vorkommen kann, wie in fast jeder Beziehung zwischen Lebewesen, dass es mal schlechte Stimmung gibt und/oder Missverständnisse. Es kann schon sein, dass man vorübergehend viel Druck machen muss oder auch schimpfen muss. Es muss aber gerecht sein und danach muss alles wieder gut sein, und ganz wichtig: Insgesamt muss man viel viel häufiger loben als korrigieren/ tadeln/ etc. Lob wirkt Wunder. Ein interessantes Beschäftigungsprogramm das nicht überfordert sowie viel Lob, das sollte helfen, dass das Pferd sich nicht missbraucht fühlt.

 

 

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