Wer darf hier was sagen?

Den meisten Pferdemenschen ist durchaus klar, dass vieles in der Pferdewelt nicht gut läuft. Gewalt gegenüber Pferden kennt so gut wie jeder und was alles in Sachen Haltung, Zucht oder Spitzensport & Co falsch läuft, wissen wir auch zur Genüge. 

Was aber passiert, wenn denn nun mal jemand den Mund aufmacht und z.B. einen hochgejubelten Ritt einer bekannten Reiterin kritisiert oder auf körperliche Auffälligkeiten eines Spitzenpferdes hinweist oder einen Denkanstoß in einer Runde von Pferdefans in Bezug auf das Gewicht eines Pferdes oder des Reiters macht oder etwas zur Haltung anmerkt oder… oder… oder…? Fast unmittelbar erfolgen Reaktionen wie: „Na, wer bist Du schon, dass Du das beurteilen willst?“ und es wird der Person schnell ein Urteilsrecht abgesprochen, weil sie z.B. nicht selbst Grand-Prix-Reiterin ist oder „nur“ ein Pony hat oder noch nicht einmal ein eigenes Pferd, sondern nur eine Reitbeteiligung… 

Mich stimmt das sehr nachdenklich. Ich selbst bin jemand, der sehr darauf achtet, einen positiven Fokus zu wahren und wenig zu kritisieren, sondern lieber den Blick auf das zu richten, was gut ist. Dennoch müssen auch kritische Gedanken möglich sein. Und, mal ganz ehrlich, wem gestehen wir eigentlich überhaupt ein Beurteilungsvermögen zu? Müssen wir uns mit einer kritischen Bemerkung oder einem Denkanstoß nicht befassen, nur weil die Person, von der das kommt, vielleicht selbst gar nicht reiten kann oder wenn, dann vielleicht nicht besonders gut? Kann ich Hinweise zum Gesundheitszustand meines Pferdes von Personen ignorieren, nur weil deren Pferd selbst krank ist? Brauche ich Bemerkungen von allen, die unter S reiten, gar keine Beachtung zu schenken? Und muss ich denen, die ich nicht leiden kann, sowieso nicht zuhören?

Kritik ist ein schwieriges Thema

Mit Kritik und Ratschlägen ist das ganz grundsätzlich eine schwierige Sache – kaum jemand tut sich leicht, Kritik anzunehmen. Wenn wir all den vielen Nickeleien und/oder Ratschlägen, die man gefragt oder ungefragt bekommt, zu viel Beachtung schenken, weiß man letztlich gar nicht mehr, was überhaupt noch richtig ist. Insofern ist der Impuls, eine gewisse Gewichtung von solchen Hinweisen vorzunehmen und nicht alles an sich herankommen zu lassen, schon richtig.

Es stellt sich hier nur die Frage, WIE wir diese Gewichtung vornehmen – und hier tut vielleicht etwas mehr Bewusstheit Not.

Ich habe z.B. schon sehr wertvolle Hinweise gerade in Bezug auf das Miteinander von Mensch und Pferd von absoluten Laien in Sachen Pferd bekommen, die einfach nur spontan aussprachen, was ihnen durch den Kopf ging. Die wussten nichts über Hilfengebung oder Lektionen, benannten aber vollkommen unbeirrt das Unwohlsein und den Schmerzausdruck eines Pferdes, das gerade geritten wurde oder machten auch mich selbst oft schon sehr nachdenklich, wenn es um meinen eigenen Umgang mit meinem Pferd ging.

Natürlich ist es sehr bequem, Äußerungen vom Tisch zu wischen, indem man der jeweiligen Person zu wenig Kompetenz zuspricht, aber damit ist die geäußerte Sache noch lange nicht falsch. Um zum Beispiel zu beurteilen, ob es in Ordnung ist ein Kind zu schlagen, muss man nicht Erzieher sein und genauso wenig muss man eine S-Dressur reiten können, um beurteilen zu können, ob ein Pferd Schmerzen im Maul durch zu viel Zügelzug oder Sporengebohre hat. 

Tja, nehmt diese Gedanken vielleicht einfach mal als Frage für Euch selbst mit und achtet darauf, wem Ihr welche Kompetenz zu- oder absprecht und WARUM – und ob diese vielleicht unbewusste Einteilung tatsächlich immer auch die beste beziehungsweise sinnvollste ist… 

 

12. September 2017 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Reiten, Umgang 7 Kommentare »

 

7 Reaktionen zu “Wer darf hier was sagen?”

 

Von Diana • 12. September 2017

Liebe Tania, deine Artikel finde ich sehr gut und machen auch nachdenklich. Ich persönlich schaue kein Spitzensport mit Tieren mehr an. Früher bin sogar als Helferin bei Dressurprüfungen mitgegangen. Aber mein Unwohlsein wurde immer grösser. Nun höre ich immer auf meine innere Stimme – weil die ist der beste Barometer. Auch auf die Ratschläge von anderen.

 

Von Svenja • 12. September 2017

Ich denke, vielen fällt es schwer Kritik anzunehmen, weil sie unbewusst dem Kritiker negative Absichten unterstellen („Der will mich schlecht reden“, „Der findet nicht gut, was ich mache“, „Der meint, er wär besser als ich“), dabei wollen viele einfach nur helfen. Und helfen ist ja erstmal etwas positives. Und ich denke, wenn man sich das einfach mal bewusst macht und im Hinterkopf behält, dann kann man mit der Kritik (eigentlich könnte man auch Hilfe dazu sagen, wenn man nicht nur ein Problem anspricht, sondern auch einen Lösungsvorschlag macht) auch viel offener und wohlwollender umgehen.
Ein anderer Punkt, der mir in dem Zusammenhang immer wieder auffällt ist, dass je weniger jemand weiß, desto schwieriger ist es für denjenigen abzuschätzen, was ein guter und was ein eher schlechter Ratschlag ist und meistens wird dann am ehesten demjenigen geglaubt, der am meisten Prestige oder Autorität hat.
Ich persönlich höre vor allem auf mein Pferd, denn der ist mein größter und bester Kritiker: mach ich was richtig, zeigt er mir das sofort, mach ich was falsch zeigt er mir das auch direkt an und wenn Meinungen von außerhalb, was anderes sagen als mein Pferd, kann ich sie getrost ignorieren.

 

Von Diana • 12. September 2017

Ich meine natürlich „Auch bei Ratschläge von Anderen“

 

Von No0815girl • 12. September 2017

Das stimmt, Kritik annehmen ist schwer und gerade im Internet wird dann gerne zum Gegenangriff geblasen. Ich finde jedoch, es kommt auf drei Dinge darauf an
1. in welchem Ton wird die Kritik gemacht?
2. in welchem Zusammenhang?
3. von wem?

ZB messe ich jemandem, der seinen Sattel auch auf anderen Pferden nutzt und per Augenschein findet, das passt, oder auf ein Pferd, das eine Entzündung im Rücken hat und bei Druck 10cm nach unten geht, trotzdem noch einen Sattel auflegen würde, weil das Gewicht ja verteilt wird, keinerlei Kompetenz an der Passform meines Sattels zu. Wenn diese Kritik dann noch in harschem, vorwurfsvollen Ton und ohne danach gefragt zu haben kommt, ist es einfach unverschämt.
Dann gestehe ich lieber einem Pferde-unwissendem Menschen oder auch Kind zu, meinen Umgang mit dem Pferd zu kritisieren. Und wenn ich irgendwo unsicher bin, frage ich einen Profi (Tierarzt, Sattler, Reitlehrerin).

Wenn die 3 Punkte passen, bin ich sehr offen für Kritik, ansonsten verlasse ich mich jedoch lieber auf meine Beurteilung oder die eines Profis.

 

Von Anna Panke • 16. September 2017

Vielen Dank für den tollen Artikel, ich hoffe er regt viele LEute zum Nachdenken an!

Zum Thema Kritik annehmen (können) gehört auch der Mut und die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Leider können und wollen viele Menschen sich selbst nicht reflektieren, weil das unangenehm ist, dabei wäre es so wünschenswert, denn es ist der erste Schritt zur Verbesserung. Ich hab dazu kürzlich einen tollen Artikel (im Bezug auf Hundetraining bei Canis Pacalis) gelesen, wo es um die kognitive Dissonanz ging. Auch ein spannender Aspekt in dieser Hinsicht. Klar, dass man vielleicht erst einmal vor den Kopf gestoßen ist wenn die Aussage, die jemand trifft nicht mit dem eigenen Gefühl einhergeht. Oft ist es doch so, dass man sich schnell zur Rechtfertigung genötigt fühlt. Ich versuche immer erst einmal gar nichts zu sagen und für mich die Kritik anzunehmen, zu schauen was davon stimmt vielleicht sogar wirklich auch wenn es mir schwer fällt das zuzugeben und dann weiter zu verfahren.

 

Von Nina • 18. September 2017

Hallo ihr Lieben!
Ja, das ist mal wieder ein sehr gutes Thema!
Tatsächlich habe ich das auch selbst schon erfahren, dass jemand mir über die Beziehung zu meinem Pferd die Augen geöffnet hat – eine Person, die lang nicht so gut reiten konnte wie ich.. und doch hat dieser Satz noch Jahre nach gewirkt. Ich war immer so konzentriert darauf, was mein Pferd gut macht und was nicht.. und was er falsch macht und wo er sich rüpelig benimmt und was mich nervt. Aber diese damalige Reitbeteiligung sagte einfach: siehst du nicht, dass er von dir geliebt werden will?
Und das war ein großartiger Hinweis. Da fing ich an, dieses Pferd mit anderen Augen zu sehen. Nicht als mein Angestellter, der meine Aufgaben erfüllen soll, sondern als ein Individuum, das einfach nur mal so ist wie es ist. Heute ist meine Beziehung zu den Pferden ganz anders.
Ich frage sie viel mehr: wollen wir das mal zusammen machen? Und das Ergebnis? Er bemüht sich viel mehr für mich..
Habe es selbst erst wieder erlebt, dass „ungefragte Ratschläge“ zwar als Hilfe gedacht und gut gemeint sind, aber so nicht verstanden und angenommen werden – einfach weil der andere Mensch eine ganz andere Brille auf hat in dem Moment. Hier soll ich also lernen, dass jeder seinen eigenen Weg hat und dass ich nur helfen darf, wenn ich gefragt werde.. Das ist auch ein Lernprozess.

Babette und Tania ich kann nur sagen: für meinen Geschmack trefft ihr sehr gut die Themen am Nerv der Zeit. Auch mit diesem Freude-Kurs! Das ist wirklich ein zentrales Thema, das sehr viel verändern kann.
In der akademischen Reitkunst hatte ich erstmals einen Kreis von Leuten angetroffen, wo spürbar die Harmonie und die Freude am Pferd im Vordergrund steht. Und: was für ein Unterschied! Bei der Ausstrahlung der Pferde, bei der Bereitschaft zum Mitmachen.. beim Menschen.. Geduld, Entspanntheit, es darf auch etwas einfach nicht klappen..
Danke für eure Gedankenanstöße, für eure Arbeit und für die inspirierenden Artikel!!

 

Von Sabine • 18. September 2017

Hallo Miteinander!
Meine Tochter (12 Jahre, Reiterpassniveau) hat mich gestern in der Reitbahn „kritisiert“ indem sie darauf hingewiesen hat, dass ich so eigenartig mit dem Körper „ruckel“ und sie hat damit haargenau mein Gefühl, welches ich auf meiner gerade angerittenen 4.5jährigen Stute hatte, in Worte gefasst. Im ersten Moment war ich total verärgert über diese ihre Aussage (ich führte es mehr darauf zurück, dass sie auch etwas beleidigt war, weil nicht sie die junge Stute reiten durfte – was sie ja beim Handpferdreiten schon seit ein paar Wochen darf, aber das freie Reiten ist mir derzeit noch etwas zu gefährlich für sie), dann aber war ich verwundert und auch riesig stolz auf sie, dass sie das gesehen hat und rückgemeldet hat und damit ja auch genau richtig lag. Es kommt echt auch viel drauf an, von wem und wie Kritik geäußert wird.

Heuer im Sommer war ich mir ihr 2 Wochen bei einer Bekannten in deren Stall mit unseren Ponies. Die Stallbesitzerin dort erzählte mir, dass eines Tages ein neues Reitschulkind gekommen ist und sie ihr stolz die Ponies in deren Laufstall, die Halle, die Wiesenkoppeln, den Putz- und Waschplatz und die Sattelkammer gezeigt hat. Am Schluss spazierten sie durch den Boxenstall und das zuvor sehr interessierte Kind wurde ganz ruhig. Auf die Frage, was denn los sei, fragte es ganz traurig: „Was haben denn diese schönen, großen Pferde alle angestellt, dass sie im Gefängnis stehen müssen?“

Gemeint war der Boxenstall.

Wobei ich anmerken möchte, dass die Pferde 2x täglich nur, wie sonst in einem Offenstall in den Fressständen, zur Heu- und Kraftfuttergabe in den Boxen sind und sonst auf Alljahrespaddocks in der Gruppe stehen.

Grüße Sabine, die jetzt mal von sich behauptet, Euren neuen Freudekurs nicht zu benötigen, weil ich jedes Mal bei meinen Ponies mindestens ein Erlebnis habe, welches pure Freude ist und tagelang nachwirkt!

 

 

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