Guten Tag, mein Pferd ist ein Problem
Zugegeben, die Überschrift „Guten Tag, mein Pferd ist ein Problem“ klingt vielleicht etwas seltsam. Tatsächlich aber bringt sie genau auf den Punkt, worum es hier gehen soll.
Wenn jemand zu unserem Pferd kommt oder wenn wir anderen von unserem Pferd erzählen, passiert oft etwas Bemerkenswertes, das aber den wenigsten von uns bewusst ist: Das komplexe Wesen und Sein unseres Pferdes wird schlagartig reduziert auf ein oder zwei – fast immer negative – Aussagen.
Am deutlichsten wird das bei Pferden, die eine chronische Krankheit haben, wie z.B. Sommerekzem oder Husten. Da wird oft noch vor dem Namen die Krankheit genannt: „Ja, und das ist meine Stute, Ekzemerin“ oder „Ich habe einen Huster“. Aber auch bei Problemfällen erfolgen oft solche Vorstellungen oder Beschreibungen: „Da steht er, leider ein Beißer“ oder „Meine Stute kann ich nicht im Gelände reiten, sie ist ein Durchgänger“.
Was an den Sätzen falsch sei? An den Sätzen selbst nichts, aber ein Stück weit am Fokus. In ihm drückt sich aus, wie wir auf unser Pferd schauen und was an ihm wir vor allem wahrnehmen. Es ist natürlich verständlich, dass jemand, der immer wieder Sorgen oder Schwierigkeiten mit seinem Pferd hat, auch darüber redet, aber ich denke, dass es sich wirklich lohnt, einmal darauf zu achten, wie wir unser Pferd vor anderen Menschen darstellen und was das mit uns und vor allem mit unserem Pferd macht. Denn es geht hier nicht nur um Worte, sondern um viel mehr…
Ich selbst habe meinen Anthony oft mit „Ein Neinsager“ oder „Kein leichtes Pferd“ vorgestellt oder bezogen auf seine vielen gesundheitlichen Probleme: „Mein Montagspferdchen“. Das möchte ich ändern, denn Anthony ist so viel mehr und diese Reduzierung wird ihm einfach nicht gerecht. Auch wenn er mich manchmal wirklich fordert, so klappen unzählig viele Sachen wunderbar. Er schenkt mir sehr viel, er ist in ganz vielen Bereichen super erzogen und brav. Und er ist auch mehr als sein Husten oder seine Hufgeschwüre.
Der entscheidende Punkt an dieser Art über unsere Pferde zu reden, ist der: Kein Pferd ist nur seine Krankheit und kein Pferd ist nur ein Problem. Oft aber reden wir über unsere Pferde als seien ihre Krankheiten oder Auffälligkeiten so etwas wie ihr Name: … ist Kolikerin … ist ein Steiger … ist Freikopper … ist schwierig … ist stur … usw. Damit bestätigen und manifestieren wir in gewisser Hinsicht genau das, was wir eigentlich nicht wollen, denn wir schenken der Sache sehr viel Aufmerksamkeit und Energie.
Es heißt ja, dass wir die Wirklichkeit durch unsere Gedanken und unsere Aufmerksamkeit gestalten. Ob das so stimmt, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass die Beziehung zu meinem Pferd in einem großen Maße von meinem eigenen Fokus abhängt. Sehe ich vor allem das Problem, dann wird es größer und bekommt mehr Macht und Einfluss. Richte ich meine Aufmerksamkeit hingegen auf das, was toll ist, verschwindet es natürlich nicht, aber es bekommt eine andere Gewichtung im Gesamtbild. Und das Wichtigste ist für mich: Unsere Pferde spüren sehr genau, wo unser Fokus liegt, und reagieren darauf.
Achtet doch einmal selbst darauf, wie Ihr Eure Pferde anderen vorstellt, womit Ihr sie beschreibt und was Ihr selbst bei ihnen in der Hauptsache wahrnehmt. Vielleicht reduziert Ihr ja unbewusst Eure Pferde auch in einer Weise, die nicht gerade förderlich und vielleicht auch nicht fair ist? Dann denkt daran: Selbst kleine Fokusverschiebungen können Türen öffnen und damit sehr viel in Bewegung bringen.
13. Juni 2017 von Tania Konnerth • Kategorie: Allgemein, Erkenntnisse, Umgang • 17 Kommentare »
Von Anke Hermes
• 13. Juni 2017
Liebe Tania, danke für diesen mal wieder tollen und sehr zutreffenden Blogbeitrag.
Diese Erfahrung habe ich auch schon oft gemacht.
Ich stelle mein Pferdchen immer so vor: Das ist meine kleine Bubbles. Mein Seelenpferd und das beste, was mir passieren konnte.
🙂
Ich wünsche euch einen tollen sonnigen Tag!
Liebe Grüße, Anke und Bubbles
Von Dorina
• 13. Juni 2017
Hallo Tania,
mir ist auch schon häufiger aufgefallen das ich, sollte ein neuer Trainer z.B. kommen, immer gleich mit dem schlechten anfange.
Ich rede dann davon wie mein Pferd vor zwei Jahren war und auch wenn ich ein Stück stolz darauf bin, wie weit wir nun in den Jahren gekommen sind, muss ich mich immer wieder daran erinnern den Fokus auf das JETZT zu konzentrieren.
Mein Freund war einmal dabei als ich mein Pferd vorgestellt hatte und er war ganz irritiert was ich alles geplappert habe.
Kein Wunder das sich die Trainer dann auf das schlimmste vorbereiten 🙂
Letztens habe ich dann mal damit angefangen zu sagen was er für positive Eigenschaften hat und danach war ich eher stolz als das ich das Gefühl hatte das ich mich schämen muss für so ein wildes Pferd 🙂
Gruß,
Dorina
Von Svenja
• 13. Juni 2017
Hallo Tania,
ich musste als erstes daran denken, wie ich eine Miteinstallerin beschreibe („vorstelle“), wenn ich abseits vom Stall von ihr erzähle. Vielleicht sollte ich eher da mal dran arbeiten 😉
Von Vanessa
• 13. Juni 2017
Sehr treffender Beitrag. Mir selbst fällt das bei meiner Stute auch auf, aber umgekehrt. Ich sehe hauptsächlich ihre positiven Eigenschaften und wenn ich über ihre ,,Macken“ berichte dann immer mit einem liebevollen Zwinkern. Wenn ich an das Pferd denke erwärmt sich einfach mein Herz und mein Fokus liegt tatsächlich eher auf den Dingen die gut klappen bzw. Eigenschaften die ich an ihr bewundere. Andere Miteinsteller ( nicht alle) hingegen sehen mein Pferd in einem ganz andern Licht und stellen tatsächlich als negativ Bewertete Eigenschaften in den Vordergrund. Als ich die Personen darauf ansprach kam heraus, dass es für diese völlig normal ist in dieser Art und Weise über Pferde zu reden und noch nicht mal böse gemeint war. Dann viel mir auf, dass sie ihre eigenen Pferde ähnlich ,,negativ“ betrachten.
Mir kommt es so vor als machen wir das nicht nur mit Pferden sondern mit unser gesamten Umwelt. Schön das durch deinen Artikel mal wieder reflektieren und damit bewusst umgehen zu können 🙂
Von Andrea
• 13. Juni 2017
Hallo …
Danke für diesen Text, für diese Erinnerung …
Grüsse von Andrea
Von Kelly
• 15. Juni 2017
Hallo Zusammen,
wieder ein großartiger Artikel – Vielen Dank! Ich hatte mal einen Kurs besucht, da machten wir eine tolle Übung: zuerst schrieben wir die positiven Eigenschaften und Stärken unseres Pferdes auf und freuten uns gemeinsam darüber. Dann die Eigenschaften, die wir nicht so an unserem Pferd mögen, und zwar in einem eher unauffälligen Stift, z.B. Bleistift. Gegenüber der Negativwörter sollten wir das Gegenteil der Eigenschaft mit einem farbenfrohen Stift schreiben und dann darüber nachdenken, in welchen Situationen und wann sich unser Pferde einmal so verhalten hat. So entdeckte Jeder, dass das Pferd nicht nur diese Eigenschaft im Negativen zeigt, sondern oft auch im Positiven. Nur wir haben oft den Blick dafür verloren. Das war ein sehr interessantes Thema und ich kann diese Übung nur jedem empfehlen. Nicht nur in Bezug auf das Pferd, vielleicht auch in Bezug auf sich selbst und seine Mitmenschen :-).
Liebe Grüße. Karin
Von Ann Ma
• 15. Juni 2017
Karin hat mit ihrem letzten Satz im Kommentar oben völlig Recht- Das ist doch bei Vielem so: Wir haben uns etwas ganz toll erträumt, dann wird uns irgendwann klar, dass es auch Aspekte gibt, die nicht so einfach zu meistern sind und als „Zusammenfassung“ präsentieren wir vor anderen dann die „Kehrseite der Medaille“- vielleicht, weil wir eigentlich enttäuscht darüber sind, dass wir es nicht so geschafft haben wie erträumt. Egal, ob es um Wehwehchen beim Pferd, um Leistungsziele oder um die Kommunikation in der langjährigen Beziehung geht… Aber so ist Leben: Voller Unwägbarkeiten und Herausforderungen.
Die Pläne, die ich für mein Pferd und mich hatte, haben sich SEHR verändert, seit ich ihn habe. Kennen vermutlich auch die meisten.. 😉 Aber erst seit ich das akzeptiere, wachsen wir daran 🙂 Deshalb: Mein Pferd ist das beste, das ich mir hätte wünschen können.
Von Tania Konnerth
• 16. Juni 2017
Ganz herzlichen Dank für all Eure Kommentare!
@Svenja: Wow, sehr gute Erkenntnis – ich denke, das können wir auch alle als Inspiration aufnehmen!
@Karin: Spannende Übung!
Alles Liebe für Euch und Eure Pferde,
Tania
Von Christine Garbers
• 19. Juni 2017
Mein Pferd hat mir einmal das Leben gerettet! In dieser speziellen Situation – ich hing hilflos am Horn des Westernsattels fest – hätte er auch panisch reagieren können. Nicht auszumalen, was alles hätte passieren können! Aber nein, er blieb stoisch stehen und wartete, bis ich mich befreien konnte.
Diese Geschichte erzähle ich gern, um klar zu machen, was aus dem (sehr erfolgreichen) Rennbahntraber geworden ist: ein sehr guter Freund. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Von Birgit
• 19. Juni 2017
Das schlimme ist, das viele im Pferdeumkreis gar nicht sehen wollen, wie positiv eine Pferde-Mensch Beziehung sein kann. Ich kann mit meiner 5 jährigen Stute problemlos ausreiten, was allein schon einfach super ist. Wenn andere dabei sind und sich vor irgendwas fürchten, marschiert meine voran.
Nur ein Beispiel von vielen, wie toll mein Pferd ist. Zudem reite ich gebisslos. Da gibt es doch jetzt tatsächlich welche, die nicht mehr mit mir ausreiten wollen, weil es ihnen zu gefährlich ist.
Selten höre ich von anderen was positives, nur wenn sie mal was nicht richtig macht, findet das Erwähnung. Aber sich mal zu hinterfragen, kommt kaum einem in den Sinn. Die Welt könnte so viel schöner sein wenn wir begreifen würden wie sehr die Macht der eigenen Gedanken Einfluss auf unser Leben hat.
Liebe Grüße Birgit
Von Melitta
• 19. Juni 2017
Das gilt auch für KOSENAMEN wie „Stinker“, „Pupspferdchen“, „Giftspritze“, „Dreckschleuder“ und „Matschkruste“! Und wenn du die Leute drauf aufmerksam machst, beteuern alle, dass sie ihr Pferdchen soooo lieb haben… – und ärgern sich, dass es sich nicht vertrauensvoll von ihnen führen lässt…
Von Bettina
• 19. Juni 2017
Ich schließe mich allen Kommentaren an und danke euch von Herzen für die Erinnerung an diese so wichtige Sichtweise!!!
Von Liane Grabbert
• 19. Juni 2017
Ich lese Eure Informationen und Texte so gerne und kann dem nur zustimmen. Genauso ist es.
Eine positive Einstellung zum Pferd und der Umgebung sind wichtig für die Gesunderhaltung unserer Pferde.
Ich werde ständig belächelt, weil ich diese Denkweise habe. Meinem Pferd geht es gut, weil ich ihm meine ganze Liebe schenke und er erfreut mein Herz. Als es mir nicht gut ging, war auch er krank. Mein Spiegl hat mir mal wieder gezeigt, das ich was ändern muss. In diesem Sinne lieben Dank für den tollen Text. Liebe grüße Liane
Von Christiane
• 20. Juni 2017
Gratulation!! Es ist immer spannend und eure Artikel regen wirklich oft zum nachdenken an. Da sieht man dann erst, an was man überhaupt nicht achtet…..
Ich stelle unsere Stute immer vor: Das ist ….., unsere Prinzessin 🙂
was das aussagt, da muss ich mal nachdenken….:)
macht bitte weiter so!!! Wir brauchen noch viel mehr Pferdemenschen!!!
Liebe Grüße Christiane
Von Sabine Börger
• 21. Juni 2017
„Meine Gedanken erschaffen meine Wirklichkeit“ Ich habe schon so oft erlebt, wie zutreffend dieser Satz ist und welch eine Macht dahinter steckt. Danke für diesen Beitrag, er regt an, auf sich zu schauen.
Von Claudia
• 21. Juni 2017
Liebe Tanja,
ich bin relativ neu bei euch hier. Aber auf diesen Blog mit „Mein Pferd ist ein Problem“ muss ich was loswerden.
Also ich habe mein Pferd von klein auf, er ist jetzt fast 24 Jahre alt. Er hatte oft mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und wir hatten auch oft unsere Differenzen bei der Arbeit. Aber ich würde mein Pferd trotzdem nicht als Problem bezeichnen.
Ich akzeptiere ihn so wie er ist und möchte auch immer in erster Linie seine guten Eigenschaften wahrnehmen, dass er ein wirklich liebes und anhängliches Pferd ist. Und dass er im Grunde immer alles richtig machen will.
Er akzeptiert ja mich auch wie ich bin. Und das gilt sicher auch für alle anderen Pferde. Sie akzeptieren „ihren“ Menschen so wie er oder sie ist. Das sollten wir auch tun.
Von Joachim Walther
• 4. Juli 2017
Liebe Leser,
Durch Zufall bin ich auf diese Seite gestoßen und habe mich fest gelesen.
Die Kommentare hier finde ich alle sehr interessant, decken sie sich doch in vielem, was auch ich täglich praktiziere.
Auf meinem Hof arbeite ich als Trainer. Nach meiner Auffassung ist niemals! das Tier schuld. Ja, es hat eine Vergangenheit! Aber bisher ist mir noch kein Pferd unter gekommen, dass nicht zu einer Zusammenarbeit bereit war. Der große Problempunkt ist nach meiner Ansicht der Mensch. Er weiß oft nicht, was er durch Körpersprache ausdrückt oder wie sehr seine Stimmung vom Pferd erfasst und gespiegelt wird. Wir kommen sehr oft mit Erwartungen auf Erfolg und Gelingen zum Pferd, traktieren es mit Sporen, Ausbindern, komplexen Trensen und werden ärgerlich, wenn nicht funktioniert, was wir jetzt wollen. Wer weiß schon, wie sehr das Pferd aus der Balance gebracht wird, weil die Hüfte des Reiters blockiert ist? (siehe Eckart Meyners: Sitzen lernen und lehren). Unsere Arbeit hier beginnt ohne Pferd mit Übungen zur Freiarbeit und Bodenarbeit. Wir erklären das Verhältnis von Respekt und Vertrauen und wie man beides aufbaut und erhält.
Sobald das geklärt und aufgebaut ist, folgt jedes Pferd freiwillig und ohne Druck. Wunder darf man nicht erwarten, aber mit Geduld und „Wollen ohne zu wollen“ und dem festen Glauben, dass das Pferd mitarbeiten möchte, es aber gerade nicht versteht was man von ihm will. Aber mit viel Geduld, Zuneigung und Konsequenz erreiche ich oft den Punkt, an dem mir die Tränen in die Augen schießen. Soviel erhalte ich von allen Pferden zurück.
Die Grundlagen für mein Können habe ich bei Frau Christine Pohl (www.pferdisch.me) gelernt und sie bildet mich hier auch weiter aus.
Dies soll kein Werbeblog sein, aber ich möchte ihren Blick auf eine weitere Art des Denkens über das Pferd richten. Ganz im Sinne unseres Werbeslogans „Das Pferd im Mittelpunkt“.
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