Zurück auf Los… – und doch auch nicht

Wie oft hatte ich in all meinen Jahren mit meinem Anthony schon das Gefühl, wieder von vorne anfangen zu müssen: „Bitte begeben Sie sich direkt auf Los…“ Dieser Eindruck aber ist, wie mir langsam immer klarer wird, nicht ganz richtig, denn es sind nur gefühlte Rückschläge, nicht aber reale. 

Anthony ist ein Pferd bei dem vieles, was man herkömmlicherweise so mit Pferden macht, nicht funktioniert. Er will ganz vieles nicht und selbst wenn er für eine Weile zu einer Sache Ja sagt, kann das auch wieder in ein Nein umschwenken und dann ist das, was man eigentlich dachte zusammen tun zu können, erstmal vom Tisch. 

Es ist für mich inzwischen sehr spannend, mich selbst zu erleben, wenn mein Pferd mal wieder mit einem deutlichen „Ich bin dagegen“-Schild vor mir steht, denn, obwohl ich es inzwischen gewohnt bin und eigentlich weiß, dass es keinen Sinn macht, reagiere ich immer noch oft zunächst mit alten Mustern. Ich probiere dann auf unterschiedliche Weisen, doch das zu machen, was ich vorhatte: Ich versuche sein Nein zu ignorieren, ihn zu bezirzen, vielleicht doch ja zu sagen, ich frage ein paar Tage später noch mal nach, ich versuche es mit mehr Nachdruck… – immer mit demselben Ergebnis, dass ich über kurz oder lang akzeptieren muss, dass dieser Weg für unbestimmte Zeit dicht ist. 

Dann bin ich meist erstmal etwas frustriert; lange nicht mehr so wie früher, aber eben doch ein bisschen. Bei einem Pferd, bei dem man befürchtet, dass es irgendwann ganz dicht macht, sind Sachen, zu denen es Ja sagt, so kostbar, dass man sie auf keinen Fall verlieren will. Tja, aber der entscheidende Punkt an einem „Ja“ ist, dass es nur freiwillig gegeben werden kann. Ein Ja ist ein Geschenk und man kann bzw. darf es nicht erwarten. Wird einem die Sache nicht mehr geschenkt, hat man letztlich kein Recht, sie einzufordern. 

Wenn ich mir das klar mache, stehe ich meist erstmal etwas ratlos da. Und diese Ratlosigkeit ist, wie ich langsam begreife, etwas Gutes, denn sie öffnet einen Begegnungsraum. Nicht einfach mit den Sachen oder auf die Weise weitermachen zu können, die bis jetzt gingen, lässt mich innehalten. Ich wende mich meinem Pferd zu. Ich frage:

  • Was wünschst Du Dir von mir?
  • Was kann ich für Dich tun?
  • Was brauchst Du? 

„Zurück auf Los“ bedeutet für mich inzwischen viel mehr „Zurück zu Deinem Pferd“, also die Bereitschaft, mich wieder neu auf mein Pferd einzulassen und es wahrzunehmen. Eigentlich ist es auch kein Zurück, sondern viel mehr ein Hin, denn es geht darum, mich darauf einzulassen, wieder einmal einen neuen Weg im Miteinander einzuschlagen und das auf einer Basis von ganz viel Gewachsenem. Denn das ist das Wundervolle an der Sache: Ich verliere gar nicht wirklich, sondern im Gegenteil: Ich gewinne. Ich lerne immer mehr, bereit und auch flexibel genug zu sein, mich auf Neues, auf Veränderungen, auf Entwicklungen und damit auf den Fluss des Lebens einzulassen. Und das ist ganz klar der Verdienst von Anthony. Er coacht mich mit seinem Sein genau dort hin.

„Zurück auf Los“ heißt also eigentlich „Öffne Dich für etwas Neues“ – eine Fähigkeit, die nicht nur im Umgang mit Pferden sehr kostbar ist. 

los

23. Mai 2017 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Umgang, Verhalten 5 Kommentare »

 

5 Reaktionen zu “Zurück auf Los… – und doch auch nicht”

 

Von Marlis • 24. Mai 2017

Hallo,
als ich diesen Artikel gelesen habe, habe ich mich irgendwie darin wieder erkannt und leicht lächeln müssen.
Unser Haffimann ist ein Pony der besonderen Art, bei dem man mit Druck von außen überhaupt nichts erreicht. Ich musste das erst lernen und andere Wege für ein gemeinsames arbeiten finden und muss sagen „es läuft“:) Heute setze ich mich aufdas Pony und schaue was er anbietet, bei der Bodenarbeit genau das gleiche. Ich habe wirklich viele Jahre gebraucht und kann heute sagen: wir sind ein echtes Team geworden, das wirklich viel Spass miteinander hat.
LG Marlis

 

Von Anne • 29. Mai 2017

Vielen Dank für diesen wundervollen Text. So motivierend und konstruktiv!

 

Von Rebecca • 29. Mai 2017

Liebe Tania,
wie immer ein brillanter Artikel, dankeschön 🙂
Auch mein Knabstrupper-Wallach ist Deinem Anthony sehr ähnlich, was auch ich erst mühsam lernen musste (Frau in mittleren Jahren erfüllt sich ihren Jungmädchen-Traum und verliebt sich in lange Hengst gewesenen 6jährigen ;-)). Zudem ist er nun dabei rapide zu erblinden (mit 11), was allerdings interessanterweise unsere Beziehung und unsere Kommunikationsfähigkeit stärkt. Er ist – für mich aus Menschensicht erstaunlich und hochgradig bewundernswert – fröhlich und motiviert dabei, aber er äußert eben noch mehr als vorher seinen Willen.
Für mich kein Problem, aber für einen Teil der Außenwelt schon. Immer wieder gibt es stichelnde Kommentare zu unserem Miteinander, und v.a. – und leider trifft mich das besonders/meine eigenen Zweifel – gibt es immer wieder Kommentare zu seiner eher barocken Figur…
Ich „arbeite“ mit ihm, was mir möglich ist, bin täglich bei ihm, aber um gleichzeitig seine Willensäußerungen respektieren zu können, gibt es eben auch Tage, die eben „nur“ mit nach außen „Nicht-Arbeit“ gefüllt sind, weil ER mir sagt, dass er eben „nur“ eine Stunde massiert und gekratzt werden möchte, oder einen Fress-Spaziergang machen möchte, oder „nur“ Zirkus-Kunststücke zeigen möchte oder oder…
Wenn dann gestichelt wird, dann bekomme auch ich Angst z.B. vor Rehe, auch wenn ich WEIß, dass es am Allerwichtigsten ist, dass es ihm gut geht, dass er gerade in seiner aktuellen Situation psychisch stabil bleibt, und ich auch körperlich – d.h. z.B. in seiner Ernährung/Haltung – das mir mögliche Beste für ihn tue…
Mein Kommentar ist sozusagen als Zusatz zu Tania’s Beitrag gemeint, wie schwer es doch manchmal ist, dem Pferd gerecht zu werden, mit dem was man fühlt und was an Kommunikation möglich ist, wenn dann gleichzeitig von außen solcherlei Input kommt…
Rebecca

 

Von Karin • 29. Mai 2017

Du bist nicht allein, liebe Tania :-). Ich bin gefühlt in den letzten 15 Jahren durch alle Höhen und Tiefen gegangen mit meiner Stute. Und im nachhinein kann ich sagen, dass die scheinbaren Höhen die tiefsten Tiefen waren. Seit ich das erkannt habe, nehme ich dankbar alles an, was sich mir über meine Wunderschöne anbietet. Sie ist ganz sicher meine grösste Lehrerin :-).

Nur Mut 😉

Karin

 

Von Liiske • 20. August 2017

Das ist ein Text zur richtigen Zeit – ich habe ihn gelesen und gemerkt: ich bin nicht allein. Und, noch viel wichtiger: es liegt nicht (alles) an mir und meiner Unvollkommenheit.

Danke!

 

 

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