Der Schlüssel lautet „Zeit“

Ich glaube inzwischen, dass es ein regelrechtes Wundermittel für die meisten Probleme gibt, die wir mit Pferden haben (oder besser gesagt: zu haben glauben, denn oft haben sie viel mehr ein Problem mit uns, aber das ist ein anderes Thema 😉 ) und das lautet: Zeit! 

Plötzlich ein Kleber?!

Ich bin ja vor kurzem mit meinen Jungs umgezogen und so reibungslos der Umzug und das Ankommen für die beiden waren, so zeigten sich dort dann einige Sachen, mit denen wir bisher keine Probleme hatten. Zum Beispiel wurde Anthony fast panisch, wenn ich mit Aramis etwas machen wollte. Die Jungs kennen das, solange sie zusammenstehen, dass ich mal mit dem einen, mal mit dem anderen losgehe. Nun hatte Anthony aber den Sommer getrennt von Aramis verbracht und ganz eindeutig fehlen ihm im Moment das Vertrauen und die gelassene Gewissheit, dass Aramis wiederkommen wird. In den ersten Tagen wieherte er schon herzzerreißend, wenn ich Aramis nur aus dem Paddock nahm, um in Sichtweite etwas mit ihm zu machen. Ihn auch nur um die Ecke vom Hof zu führen ließ dann Anthonys Stimmchen regelrecht kippen, so dass echte Verzweiflung zu hören war. 

Während ich früher ganz sicher voller Sorge davon ausgegangen wäre, dass ich nun einen Kleber habe und alles versucht hätte, das zu ändern, war ich jetzt ganz gelassen. Ich wusste, dass die Zeit für mich arbeiten würde. Erstens würde Anthony die Erfahrung machen, dass Aramis immer wieder kommt, und das Problem würde ganz sicher geringer werden, wenn die Jungs erstmal nicht mehr nur zu zweit stehen, sondern mit den anderen Pferden zusammen kommen würden. 

Also tat ich das, was ich anderen inzwischen bei ganz vielen Problemen rate: Ich gab Anthony Zeit. Ich forcierte nichts, dosierte die kleinen Abschiede ganz behutsam und ließ die beiden oft auch einfach beieinanderstehen und unternahm dann eben nichts mit Aramis, um Anthony nicht ständig zu beunruhigen.

Jetzt sind die Jungs schon einige Wochen in dem neuen Stall und seit kurzem stehen sie dauerhaft mit den anderen Wallachen zusammen. Und siehe da: Anthony kann es inzwischen immer besser ertragen, wenn ich mit Aramis mal weggehe. Zwischendurch wiehert er noch mal und wird unruhig, aber dann beruhigt ihn einer der anderen. Das Problem löst sich, genau, wie ich mir das dachte, einfach langsam von allein. Hätte ich „das Problem“ aktiv zu lösen versucht, damit es schneller geht, hätte ich unter Umständen vieles schlimmer gemacht.

Zeit kann Wunder bewirken

Ich bin fest davon überzeugt: Oft muss man einfach nur Geduld haben und etwas Zeit verstreichen lassen – und das gilt für ganz, ganz viele Themen! Aber wir Menschen neigen dazu, alles immer gleich und sofort haben zu wollen und schlagen Alarm, wenn ein Problem nicht ad hoc lösbar ist. Dabei übersehen wir, dass Pferde in einer ganz anderen Zeitwelt leben als wir. Sie wissen nichts von unseren Vorstellungen und Erwartungen darüber, wie schnell etwas zu gehen hat. Es ist uns vielleicht nicht bewusst, aber wir nehmen uns für uns selbst viel wenig Zeit und erwarten in der Folge davon auch von all unseren Mitlebewesen, dass sie sich unserem Zeittakt (der oft gleichbedeutend mit Druck und Stress ist) anpassen. Aber genau das können Pferde oft nicht. Sie tun das nicht aus Bosheit oder Dummheit, sondern für sie gibt es unsere Vorstellung von Zeit einfach nicht. 

Auch in meinen Coachings stelle ich immer wieder fest, dass Zeit ein ganz wichtiger Faktor in Hinblick auf positive Veränderungen ist: Diejenigen, die bereit sind, nicht nur ihren Pferden, sondern eben auch sich selbst Zeit zu geben – egal ob es z.B. um das Thema Angst geht, um Vertrauen, um das Erlernen von neuen Übungen, um den Umgang mit Verhaltensveränderungen oder um noch etwas anderes – erreichen oft sehr viel. Denn sie geben sich und dem Pferd Entwicklungsraum und sie tun etwas ganz Entscheidendes: In dem Moment, in dem sie bereit sind, Zeit zu investieren, lassen sie ihre Erwartungen los. Und das bewirkt ganz, ganz viel.  

anundar 

1. November 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Haltung, Umgang, Verhalten 8 Kommentare »

 

8 Reaktionen zu “Der Schlüssel lautet „Zeit“”

 

Von Angelika • 7. November 2016

Hallo Tania,

…..wie wahr Zeit,sagt man heilt alle Wunden und dies im wahrsten Sinne des Wortes. Auch im Bereich der Tiermedizin kann ich dies täglich bei meinen Reiterkollegen beobachten. Ich selber habe einen Tinker schon seit 13 Jahren chron. an Rehe erkrankt, zwischendurch konnten wir trotzdem viel reiten und auch Spaziergänge, immer wieder gab es Rückschläge durch falsche Hufbearbeitung und auch leider durch falschen fachärztlichen Rat.Mittlerweile wird es wieder mit seinen Hufproblemen…der richtige Arzt, der richtige Hufschmied zur späten aber richtigen Zeit. Und alles ohne Schmerzmittel und Chemie. Es ärgert mich jedes Mal, wenn ich sehe wie jeden Tag in einige Pferde Chemie reingedonnert wird, damit das Pferd nicht lahmt und ach Gott keine Schmerzen hat, nein, der Besitzer selbst will nicht haben, dass er evtl. Fragen beantworten muss etc..Da kommen dann Antworten wie…ich will meinem Pferd keinen Transport in dem Alter zutrauen und und und.
Viel Geduld und alle Zeit der Welt hilft manches Mal auch Krankheiten zu besiegen und zu mindern, natürlich, wenn es dringend notwendig ist, bin ich mit Antibiotika einverstanden(Infekte etc.)denn es gibt für fast jede Art von Krankheit auch ein Naturprodukt, dauert zwar länger ist aber effektiver. Wo wir wieder mal bei der Zeit sind…….Was nutzen mir Nervenschnitte und Schmerzmittel, wenn mein Kumpel mir nicht angeben kann, aua es tut weh!
In diesem Sinne wünsche ich für unsere vierbeinigen Gesellen viel Zeit und viel Geduld.

 

Von Kelly • 7. November 2016

Liebe Tania,
ich habe über Deine Zeilen nun einige Tage nachgedacht, weil mich viele dieser Wahrheiten in mehrerer Hinsicht sehr berührt haben. Die Zeit ist an und für sich etwas besonderes Besonderes… nicht nur, dass sie „Wunden heilt“, sie ist auch unsere LEBENSZEIT. Ich habe mich durch Deinen Artikel wieder darauf besonnen, dass der Weg das Ziel ist und dass ich jeden Moment mit meinen Pferden genießen möchte. Schließlich könnte es jeden Tag der letzte sein. Deshalb möchte ich die Freude nicht auf später verschieben, wenn mein Pferd dieses oder jenes „kann“, sondern jeden Augenblick im Zusammensein mit meinen Pferden gefühlvoll wahrnehmen und bewusst voller Freude und Dankbarkeit erleben.
Viele liebe Grüße. Kelly

PS. Hier ein Ausschnitt aus einem meiner Lieblingsbücher: „Momo“ von Michael Ende / erschienen im K. Thienemann Verlag Stuttgart 1973

„Es gibt ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis. Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken je darüber nach. Die meisten Leute nehmen es einfach so hin und wundern sich kein bisschen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit.
Es gibt Kalender und Uhren, um sie zu messen, aber das will wenig besagen, denn jeder weiß, dass einem eine einzige Stunde wie eine Ewigkeit vorkommen kann, mitunter kann sie aber auch wie ein Augenblick vergehen – je nachdem, was man in der Stunde erlebt. Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.“

 

Von Liane Grabbert • 7. November 2016

Die Sache mit der Zeit ist in unserer Welt immer schnellebig. Zeit zu nehmen fällt uns schwer.
Ich habe vor 15 Jahren auf Grund einer Handgelenks-OP
meine Uhr abgelegt. Seit dem trage ich sie nicht mehr.
Das hat mir sehr geholfen einfach die schönen Dinge mehr zu genießen und mit meinem Pferd arbeiten zu können, ohne auf die zeit zu achten. Auch das Smartfone bleibt oft in der Tasche. Ich genieße die Zeit mit meinem Pferd und wir sind in den letzten Jahren daran gewachsen. Ich liebe es, wenn er mich freudig begrüßt und bei der freien BA viel Freude hat. Alle Probleme die ich habe, muss ich vorher abgeben. Das fühlt sich immer so gut an mit ihm zusammen zu sein und die schönste Zeit zu genießen. Liebe Grüße L. Grabbert

 

Von Birgit • 7. November 2016

Ja, die Erfahrung habe ich auch gemacht 🙂

Mein Motto bei den Pferden hieß schon immer:

Man muss nur mal ein wenig warten können, das Ziel aber nicht aus den Augen verlieren.

Das ist eigentlich ganz einfach 🙂

 

Von Tania Konnerth • 8. November 2016

Lieben Dank für Eure Kommentare und lieben Dank auch für das schöne Zitat aus einem meiner Lieblingsbücher! Ich könnte noch sooo viel mehr über Zeit schreiben… (mach ich vielleicht auch noch 😉 ).

Herzliche Grüße an alle,
Tania

 

Von Maria • 8. November 2016

Oh ja, die Zeit! Ich habe seit April meine Stute und sie lehrt mich gerade Geduld zu haben und ihr Zeit zu lassen. Was wollte ich nicht alles mit ihr machen im Sommer! Longieren und Handarbeit und Muskelaufbau und und und. Da ich schon merkte, dass sie davon nicht immer begeistert war, habe ich schon versucht, ihr viel Zeit zu lassen, viele Pausen zu machen und sie nicht zu überfordern. Sie ist ein Pferd der leisen Töne und sicher habe ich da manchmal auch (Abwehr-)Reaktionen übersehen :-(Dann hatte ich mir den Fuß verletzt: fast 8 Wochen Krücken. In dieser Zeit konnte ich tatsächlich nur putzen und knuddeln (wenn ich einen gefunden habe, der mich zu ihr gefahren hat :-)) und ich glaube, das war das Beste für unsere Beziehung, was uns passieren konnte 🙂
Ich habe mir nun fest vorgenommen, uns alle Zeit zu lassen, die sie braucht. Ich habe es nun schon 2-3 mal erlebt, dass ich etwas forcieren wollte und sie mir mit einem ganz deutlichen Blick gesagt hat, was sie davon hält. Dann habe ich das gelassen und sie nach einiger zeit nochmal gebeten, sich des Themas wieder anzunehmen (und zwar ohne inneren Druck). Und siehe da, sie schenkt es mir! Das sind Sternstunden, die durch nichts zu ersetzen sind.
Und mal ehrlich: Viele von uns sind doch Freizeitreiter, die wirklich gar nichts in einer betsimmten Zeitschiene müssen: kein Turnier, kein Termin, der unbedingt erreicht werden muss und wenn das Pferd mit 7 Jahren noch nicht eingeritten ist – was solls! Warum machen wir uns eigentlich immer selber diesen Zeitdruck? Im Innersten wissen wir ja eigentlich, dass das nicht gut ist und trotzdem fällt man oft in dieses Schema. Deshalb danke an Tanja , dass Du Dir die Zeit genommen hast, über Zeit nachzudenken 🙂
Viele Grüße

 

Von Christiane • 22. November 2016

Zeit ist kostbar, denn sie ist nicht käuflich. Ganz im Gegenteil, je mehr Zeit wir damit verbringen, Kapital zu machen, ich meine damit, Geld zu verdienen, desto weniger bleibt uns Zeit für uns. Dann schauen wir später auf unser Leben zurück, haben uns einen Wohlstand erarbeitet, aber die Zeit ist fort und trotz des Wohlstandes können wir sie uns nicht (zurück)kaufen. Vielleicht sagen wir dann: „Hätte ich doch nur weniger gearbeitet und mehr Zeit für mich gehabt … wer weiß? Aber dann ist es zu spät.
Natürlich weiß ich, dass nicht jeder, der viel arbeiten muss, einen Wohlstand erreicht … dazu werden leider immer noch zu viele Menschen nicht hinreichend entlohnt.
Aber die, welche die Möglichkeit haben, im Berufsalltag kürzer zu treten und bereit dazu sind, im Gegenzug dazu einfach ein etwas bescheideneres Leben zu führen, die bekommen etwas ganz Kostbares, nämlich Zeit.
Ich arbeite schon seit Langem glücklich in Teilzeit. Ich verdiene mir daher keine goldene Nase, aber ich bin froh, dass ich nach der Arbeit Zeit habe für meine Familie/ meine beiden Kinder, meinen Hund und meine zwei Pferde. Ich bin für jeden Moment, den ich mit Ihnen erleben darf, sehr, sehr dankbar und ich weiß, nichts davon ist selbstverständlich. Ich glaube zudem fest daran, dass die Zeit, die man miteinander verbringt, bzw. füreinander da ist und die man sich gegenseitig gibt, der Schlüssel für Ausgeglichenheit, Ruhe und für einen freien Kopf sind. Ich kann dies täglich beobachten; kein Lebewesen in unserer Familie ist grundnervös, unruhig oder kopflos. Und alle sind vom Grundgemüt her gelassen und freundlich und vertrauen einander. Und da haben wir es wieder: Der Schlüssel des gegenseitigen Vertrauens liegt in der Zeit. Liebe Grüße, Christiane

 

Von Dakota Conny • 12. Dezember 2016

Nur so als Feedback: An diesen Beitrag von dir musste ich oft denken in letzter Zeit und er hat mir sehr geholfen.

Ich bin mit meinem Pferd in einen Offenstall umgezogen. Der Umzug war total unproblematisch. Aber die erste Woche war für mich total schwierig: Mein Pferd hat nicht gleich gesagt HURRA Freiheit sondern war offensichtlich total durch den Wind und total durcheinander. Von wegen Offenstall ist super! Ich konnte ihn kaum aus der Herde raus nehmen – er war super nervös und hat nur gewiehert.

Ich weiß – erst eine Woche – aber das hatte ich irgendwie überhaupt nicht erwartet. Mein Pferd war nie ein Kleber und ich konnte auf jeden Kurs oder ähnlichen Events alleine sein.

Aber dann dachte ich an deinen Blog hier und habe mein Pferd einfach nur besucht. Und siehe da, eine Woche später ist schon alles nicht mehr soooo schlimm. Klar er ist noch unsicher – aber von der Herde weg, geht schon wieder. Auch paar Minuten Handarbeit und Zirkuslektionen in der neuen Halle sind schon wieder drin.

Langsam scheint er anzukommen…es wird noch länger dauern und braucht Zeit. Früher hätte ich mich bei manchen Dingen vielleicht „durchgesetzt“ – heute spare ich mir diese Energie und lasse die Zeit für mich arbeiten…ist doch viel entspannter und einfacher….

 

 

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