Die Sache mit dem schlechten Gewissen
In der letzten Woche hatten wir diese Inspiration bei Facebook eingestellt:
Es geht um ein, zugegeben, unbequemes Thema, aber um ein sehr wichtiges, denn das schlechte Gewissen scheint ein fester Bestandteil der Pferdewelt.
Die meisten von uns haben wegen allem Möglichen ein schlechtes Gewissen: Weil wir zu wenig mit unserem Pferd machen oder zu viel, weil wir es zu hart behandeln oder zu nachlässig, weil wir zu schlecht reiten oder zu viel wiegen, weil wir unser Pferd über- oder unterfordern, weil wir Zubehör benutzen, von dem wir wissen, dass es dem Pferd Unbehagen oder gar Schmerzen bereitet, weil wir genau merken, dass wir gerade unfair oder zu ungeduldig oder zu emotional sind, weil wir ahnen, dass wir uns eigentlich einen anderen Stall suchen müssten, damit es unserem Pferd besser geht, es aber nicht tun – und so weiter und so weiter und so weiter …
Eigentlich etwas Gutes …
Ein schlechtes Gewissen ist eigentlich eine gute Sache, denn es ermahnt uns, unser eigenes Verhalten zu hinterfragen. Ein schlechtes Gewissen entsteht, weil wir moralische Vorstellungen und Grundsätze haben, und das ist etwas Gutes.
Nun fühlt sich so ein schlechtes Gewissen aber oft einfach nur mies an. Wir schämen uns und fühlen uns schlecht. Wir wollen dieses unangenehme Gefühl möglichst schnell weghaben und (er-)finden deshalb Gründe für unser Tun, schauen auf andere, die noch schlimmer sind und rechtfertigen das, weswegen wir eigentlich das schlechte Gewissen haben. Das hilft kurzfristig, weil wir uns dann etwas besser fühlen, aber schon mittelfristig haben wir genau deshalb ein noch größeres schlechtes Gewissen. Und weil das noch unangenehmer ist, schieben wir auch das gleich wieder mit den entsprechenden Argumenten von uns weg und, ja, machen oft genau das, was wir falsch finden, erst recht, wie um uns zu beweisen, dass es ok ist oder nicht anders geht.
Obwohl es also eigentlich dafür da ist, dass wir unser Tun in Hinblick auf „richtig oder falsch“ prüfen, verhindert ein schlechtes Gewissen oft leider, dass wir etwas an unserem falschen Verhalten ändern. Es scheint absurd, aber dennoch ist genau das oft der Fall: je schlimmer unser schlechtes Gewissen ist, desto stärker halten wir oft an genau dem fest, was das schlechte Gewissen auslöst.
Warum das so ist? Weil uns ein schlechtes Gewissen zu einem „Opfer“ und damit immer ohnmächtiger macht. Es geht uns nicht gut mit einem schlechten Gewissen, ja, wir leiden darunter oft sogar sehr. Dieses Leid lässt uns um uns selbst kreisen und übersehen dabei, dass wir selbst die Ursache für unser Leid sind. Wir tun (oder unterlassen) etwas, das uns Schuldgefühle macht. Diese Schuldgefühle schwächen uns und verstärken unser Gefühl von Hilflosigkeit. Dann haben wir den Eindruck, „… ja sowieso nichts ändern zu können, weil es ja eh schon passiert ist und immer wieder passiert“, wodurch wir uns noch schlimmer fühlen – eine Endlos-Spirale!
Ein schlechtes Gewissen hält uns also oft in unseren Mustern gefangen und macht es uns manchmal fast unmöglich, sie zu durchbrechen.
Wie man da herauskommt? Indem wir unsere moralischen Vorgaben nicht nur als Lippenbekenntnisse sehen, sondern bereit sind, sie tatsächlich zu leben und uns an sie zu halten! Oder anders gesagt: Ein schlechtes Gewissen hört erst auf, wenn wir das, was wir für falsch halten, sein lassen und unser Verhalten ändern.
… aber nur dann, wenn wir auch etwas ändern!
Ein schlechtes Gewissen ist gut, wenn es uns zu der Erkenntnis bringt, dass wir etwas ändern müssen. Dafür aber müssen wir aus dem (Selbstmit-)Leid heraus und hin zur Bereitschaft, aktiv an uns selbst zu arbeiten. Dazu sind drei Schritte nötig:
- Im ersten Schritt müssen wir bereit sein zu erkennen, WAS wir eigentlich genau tun. Das erfordert den Mut, ehrlich mit sich selbst zu sein, und zwar ohne, uns mit einem „Was bin ich doch nur für ein schlechter Mensch“ selbst zu zerfleischen – genau das ist nämlich das, was uns keinen Schritt weiterbringt.
- Im zweiten Schritt müssen wir bereit sein, uns das, was wir getan haben, zu verzeihen. Jeder Mensch macht Fehler und manchmal machen wir auch schlimme Fehler. Aber kein Fehler wird dadurch besser, dass wir uns selbst deswegen fertigmachen (eben mit einem schlechten Gewissen). Fehler sind wichtig, denn ohne sie kann es keine Entwicklung und kein Lernen geben. Aber dafür dürfen wir nicht im Schuldgefühl hocken bleiben, sondern wir müssen erkennen, was falsch gelaufen ist und uns damit aussöhnen, um es dann loszulassen zu können, um Neues möglich zu machen.
- Denn darum geht es im dritten Schritt: uns für etwas Neues zu öffnen. Wenn wir erkannt haben, etwas falsch gemacht zu haben, gilt es unser Verhalten zu verändern. Manchmal können wir einfach etwas anders machen oder aufhören etwas zu tun, manchmal aber schaffen wir es nicht aus eigener Kraft oder es fehlt uns an Wissen oder Möglichkeiten. In diesem Fall steht an, uns Hilfe zu suchen und diese anzunehmen. Dieser dritte Schritt ist unerlässlich, damit unser schlechtes Gewissen das bewirken kann, wofür es eigentlich in uns eingebaut ist: tatsächlich etwas zum Guten zu verändern.
Ich sehe mein schlechtes Gewissen inzwischen als genau das, wofür es da ist: als ein Zeichen dafür, dass etwas falsch läuft und ich etwas ändern muss. Dass ich manchmal keine Ahnung habe, wie ich die Sache tatsächlich ändern kann, darf kein Grund sein, einfach weiter klagend die Hände zu ringen und mich schlecht zu fühlen, sondern es ist dann mein Job, eine Antwort auf die Frage nach dem Wie zu finden und dazu bereit zu sein, einen anderen Weg als den bisherigen einzuschlagen.
3. November 2015 von Tania Konnerth • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Erkenntnisse, Umgang • 11 Kommentare »
Von Angelika Stein
• 3. November 2015
Ich denke, es ist aber auch noch wichtig, den eigenen Anspruch mit den Möglichkeiten abzugleichen.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil der Paddock zu klein ist.
Auf der anderen Seite habe ich letztes Jahr 6000 Euro für meine kranke Stute ausgegeben und kann derzeot eine Erweiterung nicht realisieren.
Und da kann man sagen;: Ja, da mzss ich was tun, aber ist okay, dass ich es JETZT gerade nicht kann.
Ich arbeite aber an diesem Ziel und bin auch beeit, dafür Opfer zu bringen- und dann kann das GEwissen auch beruhigt sein..
Pferde spüren das schlechte Gewissen und können damit nichts anfangen.
Ich versuche, fröhlich und ruhig zum Pferd zu gehen und mein schlechtes Gewissen in positive Energie umzuwandeln …
Von Saskia
• 3. November 2015
Liebe Tania,
ein toller und ehrlicher Text. Du sprichst damit ein sehr wichtiges Thema an, dass wohl jeder Pferdemensch, der um das Wohl seines Tieres bemüht ist, kennt. Aber warum bekommen wir überhaupt ein schlechtes Gewissen? Du zählst viele Gründe auf. Ich denke, es geht aber noch einen Schritt weiter zurück. Fakt ist, dass wir eine sehr große Verantwortung für unsere Tiere tragen und sich viele dessen gar nicht so bewusst sind?! Wir sind diejenigen, die (fast alle) Entscheidungen für unsere Pferde treffen. Unsere Pferde leben in dem Stall, für den wir uns entschieden haben, fressen das Futter, für das wir uns entschieden haben, tragen den Sattel, den wir uns ausgesucht haben, teilweise dürfen sie sogar ihre Grundbedürfnisse wie Fressen erst nachgehen, wenn wir das so entschieden haben, und und und…
Das Result sind oft Kompromisse aus unserern Bedürfnissen und denen des Pferdes. Gerade bei der Wahl der Haltungsform spielen so viele Aspekte eine Rolle, dass es zwangsläufig ein Kompromiss wird, weil wir unsere Pferde wohl kaum auf endlos freiem Land sich selber überlassen. Diese Kompromisse verursachen dann oft auch ein schlechtes Gewissen oder führen einfach dazu, dass wir uns „verrückt machen“. 😉 Du hast natürlich völlig Recht, dass diese Gefühl dazu da ist unser Handeln zu hinterfragen. Die Bedürfnisse meines Pferden sollten dabei immer (!) im Vordergrund stehen.
Viele Grüße, Saskia
Von Rita
• 3. November 2015
Hallo Ihr Pferdefreunde
Ich kenne das sehr gut mit dem schlechten Gewissen, unterdessen aber muss ich auch hinterfragen, ob dies nicht zu stark abhängig ist von Drittmeinungen. Ich bin der Meinung, dass ich ganz tief in mir selber suchen muss, ob das schlechte Gewissen berechtigt oder aufdoktriniert ist. Erst wenn man wirklich ehrlich mit sich selber sein kann, ist da eine Entwicklung möglich. Es gibt heute sooooo viele Gurus, die einem sagen, was gut oder schlecht ist, dass es immer schwieriger wird, seinem eigenen Gefühl und seiner eigenen Erfahrung zu folgen….
Von Pferdeflüsterei
• 8. November 2015
Ihr Lieben, danke für diesen Artikel und eure ehrlichen Gedanken. Ich habe es immer wieder, weil ich alles hinterfrage, was ich mit meinem Pferd mache. Warum? Weil ich es in meine Welt geholt habe und über seinen Kopf hinweg über das Leben meines Tieres entscheide. Ich finde es wichtig das Training, meinen Umgang und ihre Lebensbedingungen zu hinterfragen. Immer wieder. Ich denke, dass wir die Verantwortung haben uns um das Wohlbefinden und die Zufriedenheit der Pferde zu kümmern. Sie haben keine Wahl, wir schon. Das müssen wir immer wieder bedenken. Ich habe das Glück eine selbstbewusste Stute zu haben, die mir sagt, wenn sie etwas nicht mag. Ich höre ihr zu und entscheide anschließend, was ich daraus mache, wie ich an mir arbeiten muss und was ich vielleicht trotzdem fordern kann.
Ein Beispiel: Vor kurzem fing meine Kleine plötzlich an die Ohren anzulegen, wenn ich sie am Bauch putzen wollte. Das war vorher kein Thema. Der Besuch der Pferdephysiotherapeutin brachte die Erkenntnis, dass sie offenbar Bauchschmerzen hat. Der Besuch des Tierarztes im Anschluss und ein Bluttest wird hoffentlich bald Gewissheit bringen.
Das zeigt: Es ist wichtig, dass wir ihnen zuhören, dann werden sie uns auch sagen, was sie bedrückt. Das gilt für alles. Und das gleiche gilt auch für unser schlechtes Gewissen. Denn es ist ein Indikator für uns selbst, dass wir spüren ob etwas noch nicht richtig ist für unser Pferd. Meistens – manchmal ist es auch hausgemacht. Aber das werden wir dann auch erkennen, wenn wir auf unseren Bauch hören.
Danke also für den schönen Artikel
Von G.
• 9. November 2015
Das gilt auch für alle anderen Lebensbereiche. Das ist wirklich ein guter Start in die neue Woche. Freuen wir uns, wenn wir wenigstens eines von vielen umsetzen können. Mir hilft es z.B. wenn ich mich einmal coachen lasse, wie es mit meinem Umgang mit dem PFerd wirklich aussieht, also neutral beobachtet. Denn man kann sich sehr schlecht objektiv und ungeschönt über die Schulter sehen.
Eine gute Woche!
Von Dörte
• 9. November 2015
Tania, danke für diesen wunderbaren Artikel.
Darf ich den kopieren und in andere Kreise importieren?
Ich finde den Text kann frau sich ganz allgemein und immer bei einem schlechten Gewissen zu Gemüte führen, in sich hineinhorchen und sich evtl. etwas Neuem öffnen.
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Hallo Dörte,
herzlichen Dank für das tolle Feedback, ich freue mich! Lieber als Kopieren wäre mir, ehrlich gesagt, ein Verlinken, aber wenn es komplett pferdeferne Bereiche sind, dann gebe ich mein OK – bitte aber auf jeden Fall meinen Namen als Verfasserin nennen, danke.
Herzlich,
Tania
Von Christine Garbers
• 9. November 2015
An meiner Pinwand hängt ein Zettel, auf dem steht: „Fehler sind nur unpassende Lösungen“.
Dieser Zettel erinnert mich daran, immer wieder zu hinterfragen: Ist das, was ich gerade tue, das Richtige? Habe ich mich in vergangenen Situationen (mit meinem Pferd) fair verhalten?
Dieser Zettel macht aber auch Mut – Mut, über gemachte Fehler nicht endlos nachzugrübeln, sondern sie als Chance zu sehen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Denn wenn ich ein Tun als fehlerhaft erkenne, habe ich die Möglichkeit, etwas zu ändern. Ein erster Schritt von Vielen!
Danke für den sehr tiefgründigen Text!
Von Daniela
• 10. November 2015
Ganz toller Artikel! Kann ich gerade sehr gut gebrauchen für meine Tochter. Sie macht sich so ein schlechtes Gewissen, weil sie wenig Zeit für ihr Pferd hat. Das sind genau die richtigen Worte. Vielen Dank!
Von Micki
• 10. November 2015
Was für ein wunderbarer Artikel. Es geht mir oft so, dass ich etwas oder auch mich hinterfrage. Manchmal ärgerlich, weil ich einen Fehler, den ich als solchen schon erkannt habe, wiederhole. Aber er ist mir dann bewusst und ich kann Lösungswege finden. Schwieriger finde ich die Einschätzung wie zufrieden mein Pferd ist?! Sie lebt in einem Offenstall in einer Stutenherde (20), Rangordung unteres Mittelfeld, sie werden als Herde über Trailweg auf die Weiden getrieben, bekommen gutes Futter (2mal tägich).
Sie steht dort seit 2 1/2 Jahren. In der Zeit habe ich sie nur zweimal mit einem anderen Pferd Fellpflege betreiben sehen, aber sie schläft auch wie ein Fohlen längs auf dem Boden. Nun bin ich ja auch nur eine begrenzte Zeit auf dem Hof. Ansonsten ist sie gesund und macht gerne etwas mit mir. Aber der Gedanke treibt mich um, dass sie keine Pferdefreundschaft hat. Über eine Antwort wäre ich dankbar.
Von Olivia
• 13. November 2015
Hallo,
ich habe die Nützlichkeit des schlechten Gewissens in einem anderen Zusammenhang kennengelernt:
Vor Jahren betreute ich mal Kinder im Grundschulalter im Rahmen von Freizeitveranstaltungen. Die Kinder waren mir immer fremd, ebenso die Eltern. Ich war oft allein mit den Kindern und hatte somit die gesamte Verantwortung. Irgendwann hab ich kapiert, immer dann wenn ich ein schlechtes Gewissen im Umgang mit diesen Kindern bekam, sprich, immer dann wenn ich den Impuls hatte „hoffentlich kommt jetzt kein Elternteil rein und sieht was ich da mache“, wusste ich, dass das, was ich da tue, falsch oder zumindest blöd ist. Beispiel: Die Kinder rannten fast unkontrollierbar wild schreiend und tobend durch den Raum, ich ließ sie gewähren, weil ich gerade von etwas anderem abgelenkt war. Oder die Kinder waren schon nach draußen gelaufen, wo keine Aufsicht war, während ich drinnen noch rumgetrödelt habe. Oder wir spielten ein Spiel, das einen Risikofaktor bzgl. Verletzungen hatte. Bei all dem war mir mein schlechtes Gewissen immer ein guter Ratgeber, wusste ich doch mit der Zeit, dass ich gut beraten bin, darauf zu hören und die Ursache dafür abzustellen. Also rausgehen, auf die Kinder ein Auge haben, das Toben etwas zügeln, die Gefahrenquelle ausschalten, statt zu hoffen, dass schon nichts passieren wird.
Das lässt sich auch auf Tierhaltung übertragen, nur ist dann die moralische Instanz, das Freudsche Über-Ich, nicht der Elternteil, sondern das Tier.
Liebe Grüße
Von Olivia
• 13. November 2015
Ergänzung:
Mit Arbeitgebern („erfülle ich eigentlich meine Arbeitnehmerpflichten?“) oder Beziehungen („werde ich den legitimen Bedürfnissen meines Partners gerecht?“) und vielem mehr ist es genau das gleiche.
Nur vor einem möchte ich warnen: ein falsches bzw. überzogenes Pflichtgefühl kann ein schlechtes Gewissen zaubern, wo gar keines nötig ist. Gibt man diesem zu viel Raum, bemüht man sich zu sehr und kann dann ganz schnell in eine Überforderung geraten, die Stress macht. Was zuviel Stressm acht, wisst ihr. Im blödesten Fall noch mehr schlechtes Gewissen und das Gefühl, dass man gar nichts richtig macht.
Also bitte immer gut überprüfen, ob das schlechte Gewissen gerechtfertigt ist oder überzogen ist.
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