Hufbearbeitung bei Hufrehe
Ich liebe den Frühling und freue mich jedes Jahr, wenn die Pferde endlich wieder auf die Weide dürfen. Doch leider hat diese schöne Zeit für viele Pferde eine schlimme Schattenseite und so werden wohl auch dieses Frühjahr viele Pferde unter Hufrehe leiden.
Wir haben hier schon einige Beiträge über Hufrehe geschrieben. Besonders gefährdet sind übergewichtige Pferde und Pferde, die z.B. an einer Stoffwechselerkrankung wie EMS leiden.
Was Sie über Fruktan im Gras im Zusammenhang mit Hufrehe wissen sollten, habe ich hier beschrieben.
Heute möchte ich das Thema Hufrehe unter dem Gesichtspunkt der Hufbearbeitung beleuchten. Dass die Hufe sofort beim Auftreten der Erkrankung richtig bearbeitet werden, ist nämlich ein sehr wichtiger Punkt, der wesentlich darüber entscheidet, ob das Pferd wieder gesund und einsetzbar wird oder ob im schlimmsten Fall die Erkrankung tödlich für das Pferd ausgeht. Deswegen habe ich zwei Hufbearbeiter gebeten, mir einige Fragen zu beantworten. Meine zwei Experten, die mir so nett waren, meine Fragen zu beantworten, sind Rainer May, Hufpfleger mit der Spezialisierung auf Natural Hoofcare und Alex Marbach, Huftechniker mit Spezialisierung auf Barhufbearbeitung, Hufschuhe und orthopädische Beschläge.
Wenn ein Pferdebesitzer den Verdacht auf Hufrehe hat, was sollte Deiner Meinung nach sofort unternommen werden (sowohl allgemein als auch speziell für die Hufe)?
Rainer:
- Der Besitzer kann zunächst überprüfen, ob ein pochender Puls am Fuß fühlbar ist (Arterien Fesselbeuge), ob ein Wendeschmerz beim Führen sichtbar ist, wie das Pferd steht, ob es die Hufe gibt…
- Bei Verdacht Tierheilpraktiker (Akupunktur, Homöopathie) und Tierarzt (evtl. Aderlass) rufen.
- Hufpfleger/Hufschmied konsultieren, damit der Sofortmaßnahmen ergreift. Bis dahin kann der Besitzer auch z. B. selbst mit Babywindeln und Panzertapeband den gesamten Huf verpacken. Dabei unter die Sohle einfach z. B. Schaumstoff unterlegen, damit das Pferd weich steht. Oben kann man dann auch kaltes Wasser eingießen.
- Das Pferd sollte möglichst weich gestellt werden. Es bietet sich an, eine Box mit Torf einzustreuen (kühlt ein bisschen) oder mit runden Kieselsteine (auch leicht kühlend). Evtl. Hufe mit Wasser kühlen.
- Wasser und Heu anbieten. Wenn absehbar ist, dass es aufgrund der Fütterung zum Schub kam, würde ich zunächst das Gras weglassen und Heu nur in Absprache mit dem Tierarzt füttern.
Alex:
- Pferd ruhig stellen und auf keinen Fall vortraben lassen. Zu viel Bewegung kann eine weitere Schädigung der Lamellenschicht hervorrufen.
- Hufe kühlen: Wasserschlauch, Bach, Eimer, Tüten
- Wenn möglich, Pferd zum Trinken animieren
- Druckverband hinter der Strahlspitze anlegen.
- Bei einer leichten Rehe keine Schmerzmittel geben, bevor der Huf nicht abgepolstert ist, so kann man besser beurteilen ob der Beschlag oder das Polster richtig sitzt, die Maßnahmen sollten dem Pferd gleich Linderung verschaffen.
- Pferd kein Saft- und Kraftfutter mehr geben.
- Box dick und weich einstreuen am besten mit Spänen (sind weich und werden nicht gefressen)
Druckverband bei akuter Hufrehe (Foto von Wolfgang Busch):
Woran erkennst Du, dass ein Pferd eine akute Hufrehe hat?
Rainer:
- Der Kronrand ist relativ weich und spürbar wärmer.
- An den Arterien in der Fesselbeuge kann man einen deutlichen Puls tasten.
- Das Pferd zeigt meist deutliche Schwierigkeiten beim Wenden.
- Das Pferd versucht durch eine Haltungsveränderung (meistens mehr Gewicht auf die Ballen und damit Vorhand nach vorne ausgestellt) die Zehe zu entlasten.
- Es gibt die Hufe ungern auf.
- Oft verlagert es immer wieder das Gewicht von einem Bein auf das andere.
- In schweren Fällen liegt das Pferd und stöhnt.
Alex:
- Der Huf ist wärmer oder heiß und hat erhöhten Puls am Fesselgelenk.
- Am Kronrand hat sich eine Delle gebildet – Tipp: Am besten den Kronrand bei jedem Hufauskratzen kontrollieren, damit man ein Gefühl dafür bekommt was normal ist.
- Das Pferd hat eine Trachtenfußung und versucht, das Gewicht auf die Hinterbeine zu verlagern.
- Hinzu kommt der typische Wendeschmerz.
Woran erkennst Du an den Hufen, dass ein Pferd eine Hufrehe hatte?
Rainer:
- An der Sohle wird mit der Zeit eine verbreiterte weiße Linie sichtbar. Das zeigt, dass die Lamellen der Huf- und Wandlederhaut nicht mehr in einander greifen, sondern durch die Entzündung verklebt sind. Dadurch verlieren sie die Haftung aneinander, die weiße Linie verbreitert sich.
- Die Zehe schnabelt nach vorne weg.
- Außerdem zeigt sich häufig zunächst ein Wulst am Kronrand, welcher nach unten mitwächst und als deutlich sichtbarer Knick, Welle, Winkelveränderung oder Rille so lange sichtbar bleibt, bis das Horn unten angekommen ist. (Querrillen am Huf sind häufig Anzeichen für durchgemachte Entzündungsprozesse im Huf.)
- Außerdem nimmt die Geschwindigkeit des Hufwachstums zu, wenn ein entzündlicher Prozess im Huf stattfindet.
- Parallel dazu wachsen dann auch die Kastanien und evtl. Fesselsporne schneller mit und das fällt eigentlich den Besitzern sogar häufiger selbst auf, auch wenn ihnen vielleicht entgeht, dass der Huf als Ganzes begonnen hat, sich in der Balance bzw. der Länge oder „Höhe“ zu verändern.
Alex:
- Die Rille die man bei einer akuten Rehe spürt wächst mit 1-2 cm im Monat raus. Das Wachstum hat sich wegen der Entzündung beschleunigt.
- Die Reherille sieht aus wie die Rillen einer Futterumstellung, sie wird aber im Trachtenbereich breiter.
- Verbreiterung der weißen Linie.
Rehehuf (Foto von Wolfgang Busch):
Früher wurden bei akuter Rehe die Pferde hinten hochgestellt. Was hältst Du davon?
Rainer:
Das wird heutzutage (v. a. von Tierärzten und Schmieden) immer noch häufig so gemacht. Die Idee hinter dem Hinten-hoch-stellen ist, den Zug der tiefen Beugesehne auf das Hufbein zu verringern und damit dem Ablösen der Lamellenschicht entgegenzuwirken. Das Problem dabei ist meiner Meinung nach: Man bringt dadurch noch mehr Gewicht auf die Hufbeinspitze und auf die Zehenwand. Das übt wiederum mehr Zugkräfte auf die Lamellenwand aus, die ja ohnehin geschädigt ist und die Haftung aufgrund der Entzündung ja schon schlechter ist. Hinzu kommt, dass sich die tiefe Beugesehne mit der Zeit verkürzt. Ebenso hat das auch Auswirkungen auf die Strecksehnen. Ich denke, dass die Gefahr des Hufbeindurchbruchs größer ist, wenn man die Pferde hinten hochstellt.
Generell bin ich kein Freund vom Eingipsen der Hufe weil auch da – wie beim Rehebeschlag – die Durchblutung minimiert wird und man u. U. über Wochen gar nicht mehr an den Huf herankommt, um Maßnahmen zu ergreifen.
Alex:
Das Hochstellen der Trachten macht aus meiner Sicht keinen Sinn, da das Hufbein sich von der Wand gelöst hat und sowieso schon einen steileren Winkel zum Boden hat. Früher wurde versucht, die Trachten hochzustellen, damit der Zug auf das Hufbein durch die Tiefe Beugesehne entlastet wird. Durch den falschen Fesselstand läuft das Pferd unnatürlich und die Sehne verkürzt sich. Trachtenhochstellen im Akutbereich der Hufrehe macht dann Sinn, wenn gleichzeitig abgepolstert wird, da sich hierdurch der Druck auf die Hufzehe und den vorderen Hufbeinrand verringert und eine Rotation oder Senkung des Hufbeins verhindert oder zumindest verringert werden kann. Diese Maßnahme sollte jedoch sofort nach Abklingen der akuten Entzündung wieder zurückgefahren werden, da sie im Bereich chronischer Rehehufe eher kontraproduktiv wirkt.
Eine neuere Vorgehensweise ist, die Trachten bei einer Hufbeinrotation runterzunehmen. Was hältst Du davon?
Rainer:
Also, ich selbst mache das auch so. Die Idee dahinter ist es, das Hufbein in eine bodenparallele Position zu bringen und dadurch den Druck des Gewichts mehr auf die Ballen/Eckstreben/Trachten-Region zu verteilen. Das Hufbein drängt weniger im spitzen Winkel Richtung Sohle. Die Gefahr des Hufbeindurchbruchs wird minimiert. Oft entsteht daraufhin eine „Zehenschwiele“, welche das Hufbein vor dem Durchbruch schützt und nicht entfernt werden darf. Außerdem kann man dadurch mehr an der Zehe bearbeiten und dem Wegschnabeln der Hufwand entgegenwirken. Denn je länger die Zehe, desto ungünstiger auch der Abrollpunkt und bei jedem Schritt wirken dann Zugkräfte auf die geschwächten Lamellen und das tut natürlich weh.
Alex:
Ein Runternehmen der Trachten ist auch nicht immer geeignet. Im Idealfall stelle ich den natürlichen Winkel des Hufbeins wieder her, mit gleichmäßigem Zug auf die tief Beugesehne und den gemeinsamen Zehenstrecker. Was leider nur optimal mit Röntgenbild geht, ansonsten ist es nur ein Annähern an die Idealposition. Die Zehenwand muss komplett aus der Last genommen werden. Der gemeinsame Zehenstrecker hat hierbei nicht die Aufgabe des Hauptantagonisten zur tiefen Beugesehne, vielmehr ist es die Aufhängung der Zehenwand, die als Hauptantagonist wirkt. Als Ersatzantagonist kommt hier wieder die Unterpolsterung des Hufes ins Spiel. Wird mit solchen Polstern gearbeitet, kann man den Huf so korrigieren, dass das Hufbein wieder im richtigen, gestreckten Winkel zur Zehenknochenachse hängt. Dies aber nur in dem Umfang, wie es die Vorspannung der tiefen Beugesehne zulässt.
Welche Hufbearbeitung empfiehlst Du?
Rainer:
Kurz gesagt: das, was funktioniert. 😉 Man kann nicht pauschal sagen, dass es nur so oder so richtig ist. Es kommt, denke ich, immer auf den Hufbearbeiter an. Stur an einer erlernten Bearbeitungsrichtung festhalten, finde ich generell nicht zielführend. Im akuten Schub muss man dem Pferd natürlich schnellstmöglich eine Entlastung bringen. Ich erreiche das meist durch Krankenhufschuhe mit weichen Einlagen. Das ist eine für jeden durchführbare Methode. Der Besitzer kann dabei nämlich trotzdem den Huf täglich reinigen, Luft dran lassen, evtl. Kühlen und sobald als möglich das Pferd wieder in Bewegung bringen, damit die Durchblutung und damit der Stoffwechsel im Huf bzw. im ganzen Pferd in Gang kommt! Und eben die Sache mit dem Stoffwechsel halte ich für das A und O für die Heilung.
Alex:
Zur Behandlung würde ich ein Reheduplo (speziell entwickelter Kunststoffbeschlag mit Eisenkern, kann auch geklebt werden) und einem festen Polster mit Vorspannung empfehlen. Bei schwereren Fällen evtl. auch eine zeitliche Abfolge, also im Akutbereich ein keilförmiges Polster anfertigen und mit Verband oder Cast fixieren, danach Beschlag mit Reheduplo oder, falls die Umstände es zulassen, auch bspw. mit Schuhen und Polster. Die effektivste Möglichkeit Rehehufe wieder „auf die Beine zu bringen“ ist allerdings ein effektiver Rehebeschlag.
Rehebeschlag mit Duplo (Foto von Wolfgang Busch):
Rehebeschlag mit Duplo (Foto von Wolfgang Busch):
Was empfiehlst Du? Eisen? Hufschuhe? Barhuf?
Rainer:
Also, wie gesagt, ich bin für Hufschuhe im akuten Fall Krankenhufschuhe (24 Stunden täglich), danach gerne auch weiter mit normalen Hufschuhen zum Reiten oder Longieren oder Spazierengehen, wenn das Pferd fühlig sein sollte.
Ansonsten für mich ein klares „Ja“ zum Barhuf, denn meine Erfahrung zeigt immer wieder, dass gerade in den ersten Wochen nach einem Hufreheschub der Organismus probiert, so schnell wie möglich die Erkrankung durch vermehrtes Hufwachstum „loszuwerden“. Deshalb hat es sich meiner Erfahrung nach einfach super bewährt, einmal die Woche die Hufe nachzubearbeiten. So kann man sicherstellen, dass die Hufwand nicht wegschnabelt und die Hufbalance erhalten bleibt. Beim Rehebeschlag minimiert sich die Durchblutung des Hufes (weil die Hufpumpe fehlt). Dadurch ist das Laufverhalten zwar möglicherweise (nicht immer) zunächst besser, aber der Körper braucht natürlich viel länger, um die Erkrankung mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu überwinden. Heilung findet nämlich da statt, wo Durchblutung stattfindet. Reparaturvorgänge und Abtransport von Stoffwechselendprodukten sind einfach darauf angewiesen.
Alex:
Egal ob Barhuf, Hufschuhe oder Beschlag ein Polster ist wichtig. Das Pferd sollte möglichst schmerzfrei laufen können.
Bei Eseln kann man gute Erfolge mit Barhuf erzielen, da man sie, besser wie Pferde auf der Sohle laufen lassen kann. Mein Standpunkt ist, mit einem Beschlag kann ich dem Pferd schneller und schmerzfreier helfen. Die weiße Linie regeneriert sich auch oft besser.
Welche Tipps hast Du noch für Pferdebesitzer, die ein Hufrehepferd haben?
Rainer:
Generell werden ja die Blutegelbehandlung und der Aderlass empfohlen. Ich selbst habe die besten Erfahrungen mit Akupunktur gemacht, sie ist in Sachen Schmerzlinderung und Entzündungshemmung meiner Meinung nach den chemischen Schmerzmitteln, Durchblutungsförderungen etc. überlegen.
Sobald als möglich ist das Pferd wieder angemessen zu bewegen, evtl. Osteopath/Physiotherapeut hinzuziehen, weil die Pferde sich natürlich innerhalb kürzester Zeit völlig verspannen. Oftmals könnten sie vom Hufzustand her bereits wieder laufen, aber der Zustand der Muskulatur macht dies dann erst mal schwierig. Wir selber haben in der Beziehung durch das Longieren wahre Wunder erlebt.
Parallel dazu natürlich Homöopathie.
Alex:
- Eine regelmäßige Hufbearbeitung ist Pflicht. Sobald die Zehe zu lang wird, erhöht sich der Zug auf die Lamellenschicht und könnte einen weiteren Schub auslösen.
- Darauf achten das die Pferde genug trinken.
- Natürlich ist eine angepasste und angemessene Ernährung wichtig.
- Medikamente sparsam einsetzen.
- Darauf achten dass sie mit aktiver Hinterhand laufen um einer Belastungsrehe vorzubeugen.
Gibt es noch etwas zu ergänzen?
Rainer:
Aus meiner Erfahrung kann ich berichten, dass es heute immer seltener den ganz typischen Reheschub gibt (also frisches Gras und zack Hufrehe), sondern dass das immer komplexere Geschehen sind, die da wirken. Das kann zu viel, falsche, aber genauso auch zu wenig Bewegung sein (häufiger zu wenig). Man kann noch so gutes Futter zur Verfügung stellen, wenn aufgrund fehlender Bewegung die Nährstoffe nicht ankommen, weil Stoffwechsel und Hormonsystem entgleisen. Pferde sind halt einfach Lauftiere …
Ganz herzlichen Dank an Rainer und Alex für ihre Antworten! Ihnen und Ihren Pferden wünsche ich eine unbeschwerte, gesunde Weidezeit.
21. Mai 2013 von Babette Teschen • Kategorie: Gesundheit • 5 Kommentare »