Frech, oder was?
Wir bekommen immer wieder Anfragen von Pferdeleuten, die wissen möchten, wie sie sich verhalten sollen, wenn ihr Pferd „zu frech“ ist. Als Beispiel wird dann genannt, dass ein Pferd an der Jacke knabbert, auf dem Führstrick herumkaut, den Putzkasten umwirft oder Ähnliches. „So etwas kann man doch nicht durchgehen lassen, oder?“ lautet die Frage mit der Bitte um Rat, wie man sich verhalten soll.
Bevor wir uns damit befassen, wie wir auf ein unerwünschtes Verhalten unserer Pferde reagieren, sollten wir, denke ich, zunächst uns diese Verhaltensweisen einmal genauer anschauen. Nehmen wir dazu das Beispiel von dem Pferd, das einem Menschen an der Jacke zupft. Auch wenn mir da nun vielleicht viele spontan widersprechen werden, behaupte ich: Win solches Pferd muss nicht automatisch „frech“ sein.
- Es kann vielleicht vielmehr ein sehr kontaktfreudiges Pferd sein, das noch nicht gelernt (also wirklich verstanden) hat, dass in die Jacke beißen etwas ist, das der Mensch nicht will.
- Es kann ein Pferd sein, das sich langweilt und das aus Frust versucht, Aufmerksamkeit zu erlangen.
- Es kann ein Pferd sein, das zu wenig Kontakt zu Artgenossen hat und schlicht und einfach sein Grundbedürfnis nach Fellpflege ausleben will und das aufgrund des Mangels an Artgenossen eben am Menschen.
- Es kann ein Pferd sein, dessen Mensch es in vielen Fällen „lustig“ findet, wenn es an ihm herumknabbert, aber eben in manchen Momenten dieses Verhalten als frech empfindet, so dass es nicht wissen kann, was erlaubt ist und was nicht.
- Es kann ein neugieriges Pferd sein, das alles erkunden will (und das tun Pferde nun mal mit ihrem Maul).
- Und … und … und …
Nur allein beim kurzen Nachdenken sind mir bereits fünf mögliche Erklärungen eingefallen, von denen allenfalls eine auf ein „freches“ Pferd schließen lässt und die ist hausgemacht (das Pferd von der Person, die es sonst witzig findet, beknabbert zu werden).
Was ich mit diesem Beispiel deutlich machen will: Ein Pferd ist nicht einfach frech, sondern es gibt Ursachen für jedes Verhalten eines Pferdes. Nur wenn wir erkennen, warum ein Pferd etwas macht, haben wir die Möglichkeit, angemessen auf das Verhalten zu reagieren. Wenn wir dem Pferd nicht, wie leider so häufig der Fall, automatisch bösen Willen unterstellen und es deshalb bestrafen, sind wir offen für freundliche Reaktionen, mit denen wir dem Pferd erklären können, dass wir sein Verhalten nicht mögen.
Und das könnte z.B. so aussehen:
- Wir können das Pferd z.B. einfach bitten, einen Schritt zur Seite zu machen, damit das Pferd unseren Individualabstand einhält und die Jacke nicht mehr erreichen kann.
- Wir können den Kopf des Pferdes sanft mit einem freundlichen „Nein“ zur Seite schieben (ggf. viele Male, bis die Botschaft ankommt).
- Wir können dem Pferd etwas anderes vorschlagen, für das wir es dann belohnen können.
- Wir können das Zupfen ignorieren und das Pferd in dem Moment loben, wenn es mit dem Zupfen aufhört.
- Wir können auf unsere eigene Konsequenz achten und dem Pferd nicht mal etwas erlauben und dann wieder nicht.
- Und vieles andere mehr.
Auch hier wird deutlich, dass man mit etwas Nachdenken schon viele „nette“ Möglichkeiten findet, ein Pferd in einem solchen Fall nicht zu strafen, sondern ihm auf eine intelligente und pferdegerechte Art beizubringen, dass das Zupfen an der Jacke nicht erwünscht ist. Dem Pferd eins auf die Nase zu geben, ist leider wahrscheinlich die Reaktion, die am häufigsten kommen wird, aber auch die traurigste.
Nehmen wir uns gleich noch das Beispiel mit dem Putzkasten vor. Ein Pferd, das ständig den Putzkasten umwirft, ist für viele ein Ärgernis. Da wird nicht selten geschimpft oder gar gehauen. Dass wir das Pferd aber vielleicht erst selbst auf die Idee gebracht haben, indem wir es z.B. ermutigt haben, einen Gymnastikball anzustupsen, darauf kommen wir nicht. Für ein Pferd ist zwischen einem Gymnastikball und einem Putzkasten kein so großer Unterschied und es hatte vielleicht einfach den Impuls, das neu Gelernte zu zeigen, da es für das Anstupsen des Balls ja Begeisterung und ein Leckerli gab. Und nun überlegt mal, wie es für das Pferd wirkt, wenn es dafür nun bestraft wird …
Aber selbst wenn wir es nicht selbst auf die Idee gebracht haben, ist die Lösung für dieses Problem denkbar einfach: Man stellt den Putzkasten einfach ein Stück weg, so dass das Pferd ihn nicht umwerfen kann.
Worum es mir in diesem Text geht, ist dafür zu sensibilisieren, wie schnell wir oft dem Pferd etwas Böses unterstellen und wie wenig wir leider oft bereit sind, einfach einen Moment nachzudenken und zu überlegen, was das für uns störende Verhalten auslöst und welcher für beide Beteiligten nette Weg zur Lösung des Problems führen kann. Ein bisschen mehr Humor auf Menschenseite hilft hier schon enorm weiter: Wenn Ihr das nächste Mal wieder am Stöhnen über Euer „freches“ Pferd seid, dann haltet doch einen Moment inne und freut Euch mit einem Lächeln darüber, dass Ihr es mit einem lebendigen Wesen mit eigenen Ideen zu tun habt. Damit unterbrecht Ihr die alten Muster und Ihr könnt über eine Alternative zum Schimpfen nachdenken.
24. Januar 2012 von Tania Konnerth • Kategorie: Umgang • 17 Kommentare »
Von Regine Germies
• 25. Januar 2012
James Krüss sagte es so:
„Wenn die Tiere Sachen machen,
kann man weinen oder lachen.
Aber lachen, bitte sehr,
wäre dass, was besser wär.“
__________________________
Was für ein tolles Zitat! Das wäre glatt was für den Newsletter 😀
Danke!
Tania
Von Helen Michel
• 25. Januar 2012
Hallo Tania
Vielen Dank für diese Worte, wie recht du doch damit hast sehe ich immer wieder im Stall, wenn die Leute über ihr Pferd jammern wie doof es sich doch wieder verhält und immer die Putzkiste zertrampelt :-(, nur weil die Besi einfach nicht darüber nachdenkt, diese Kiste an einen anderen Ort zu stellen, das sind ja nur kleinigkeiten, aber so läuft es durchs Band weg. Oder beim spazieren, Pferd mit Möhrchen locken , wenn es stillsteht… und sich beklagen warum dieser Gaul so stur immer stehen bleibt. Da könnt ich manchmal echt weinen. Da hast du echt den Nerv des nicht überlegens getroffen. Vielen Dank, Hoffe es gehen bei manchen die Lichter an.
Grüsse Helen
Von Meike van der Post
• 25. Januar 2012
Danke!!
Von Mona
• 25. Januar 2012
Hallo Tania,
Mein Kleiner 2,5 jähriger hapst und schnubbelt momentan auch sehr viel, weil wir vor 3 Wochen mit den „Futterregeln“ begonnen haben, was mich heute schon zweifeln ließ, ob Futterlob überhaupt das Richtige für uns ist.
Dein Text hat mich wieder daran erinnert wie wichtig es ist geduldig und humorvoll zu bleiben, auch wenn privat/beruflich die Welt untergeht, denn unsere Pferde reagieren sofort auf unsere Anspannung 🙂
Liebe Grüße
Mona
Von Laerke
• 25. Januar 2012
Tanja, wie Recht du hast! Wenn ich so einen Artikel lese, purzeln mir kiloweise Steine von den Schultern. Ja, es gibt auch andere Menschen, die denken so wie ich, Gott sei Dank 🙂
Mir wird regelmäßig schlecht, wenn ich sehe, für was und wie einige ihre Pferde maßregeln. Dabei würde einfach etwas nachdenken und sich aus einem anderen Blickwinkel der Materie nähern schon so viel bringen!
Danke für diesen tollen Artikel, den ich am liebsten überall aushängen möchte 😀
Von Jana
• 25. Januar 2012
Hallo Tania =),
ich finde diesen Beitrag total toll. Leider stimmt es, dass die meisten Reiter ihrem Pferd ein paar an die Nüstern geben. Ich habe eine Haflingerstute, die total neugierig ist und genau die beschriebenen Dinge macht. Sie schmeißt Pilonen oder Tonnen um, wühlt ab und zu am Putzkasten, wirft Decken runter, die auf dem Anbindebalken liegen ;). Ich nehme das aber als Ansporn für neue Ideen. Letztens ist mir z.B. mein Hanschuh runtergefallen und meine Stute hat ihn dann aufgehoben. Daraufhin hatte ich sofort eine neue Idee für einen Trick ^^. Seitdem hebt sie mir auch gern mal Dineg auf, die heruntergefallen sind. Praktisch! =)
Liebe Grüße Jana
Von Anja
• 26. Januar 2012
Ich finde es mehr als unverantwortlich und schrecklich zu was Menschen fähig sind, wenn
ihr Pferd nicht so verhält wie sie es gern hätten. Dass sie daran allerdings
selbst Schuld sind, erkennen leider die wenigsten. Das Tier tut mir am meisten Leid..
Lg Anja
Von Tania
• 26. Januar 2012
Hui, danke für all die Kommentare! Freut mich sehr, dass ich da einen Nerv getroffen habe.
Tania
Von Beate
• 26. Januar 2012
… und dann war da noch das früher total introvertierte, resignierte Tier, dessen Besi sich nun unendlich freut, wenn dasselbe Tier Dinge tut, die du beschreibst.
Alles ist relativ.;-)
LG Beate
___________________________
😀
Tania
Von Heide Zwirner
• 30. Januar 2012
Lacht Dein Pferd auf dem letzten Foto ?!!
einfach schön.
danke Tania-und Hafi-Team !
Heide
_________________________
😀
Tania
Von Winnie
• 30. Januar 2012
Du hast wirklich den Nerv getroffen.
Doch was macht man bei den Tieren, die aus Langeweile und Verfressenheit „frech“ sind – und nicht die eigenen Tiere sind? Theoretisch müsste hier die Langeweile ebenfalls bekämpfen werden. Aber wenn die Zeit nur für das eigene Tier reicht und der Besi keine Abhilfe schafft, was kann man dann tun? Leider vermutlich nicht viel anderes als den Bewegungsradius eingrenzen (keine Kontaktnähe=>mehr Langeweile) oder doch wieder schimpfen (wenn es die zugelassene Kontaktnähe „ausnutzt“). Versch… Zwickmühle. 🙁
GlG Winnie
____________________________
Ja, das ist schwierig. Hier kann man wohl nur versuchen, mit dem Besitzer zu reden und im Umgang dann selbst einen Kompromiss-Weg zu gehen.
Tania
Von margot
• 30. Januar 2012
Der Beitrag ist klasse, danke. Ich habe zwar kein freches Pony, aber ich höre auch immer wieder, dass es heißt, das Pferd sei frech, man müsse sich durchsetzen, weil das Pferd einen zum Narren hielte und so weiter.
Und, bei aller Liebe zu den Pferden, aber um jemanden zum Narren zu halten oder frech zu sein muss ein Gehirn ja reflektieren können. Ich glaube nicht, dass ein Pferd das in so hohem Maße kann.
Von Silvia
• 3. Februar 2012
Liebe Tanja,
vielen Dank für diesen wunderbaren Bericht; er ist mir aus der Seele geschrieben.
Bitte mehr davon, habe auch zwei „Halbstarke“ einen davon hätte ich im Alter von vier Wochen fast verloren, daher kann ich über den meisten Schabernack einfach nur lachen. Meine Jungs sind die Besten und ich habe unglaublich viel Freude an ihnen.
Auch wenn viele Menschen in meinem Umfeld mich gelegentlich als Spinnerin abtun.
Macht weiter so – ich freu mich drauf.
Viele Grüße Silvia
_______________________
Dankeschön, Silvia!
Tania
Von Heike
• 6. Februar 2012
Eure Beiträge finde ich sehr hilfreich und regen neue Denkweisen an. Dazu herzlichen Dank. Heute habe ich eine Frage zu einer Reitbeteiligung, der Wallach ist 8 jahre alt und ganz ruhig und zutraulich, im Wald bleibt er manchmal stehen, geht rückwärts und steigt, vermehrt wenn er alleine geritten wird. Seine Besitzerin will ihn aus dem Grund verkaufen und ich möchte gerne wissen, ob dieses Verhalten raus zu bekommen ist, da meine Kinder auch diese Erfahrung machen mußten und ich ihn evt. kaufen möchte. Ist das reines Testen oder Unsicherheit? Selbst im Beritt hat er das ein paarmal gemacht bei einer sehr sicheren Reiterin.
Danke LG Heike
__________________________
Hallo Heike,
vielen Dank für Deinen Kommentar. Dieses Blog hier ist leider nicht so ganz der richtige Ort, um Dir ausführlich zu antworten, das würde den Rahmen doch etwas sprengen. So viel aber: Ich bin ganz sicher, dass das Pferd Gründe für sein Verhalten hat und kann nicht nachvollziehen, wieso man ein Pferd deshalb verkaufen sollte. Mit ein bisschen Pferdeverstand und Einfühlungsvermögen kann man das Problem ganz sicher lösen.
Melde Dich doch mal in unserem Forum an und schildere den Fall dort. Du wirst ganz sicher viele gute Anregungen bekommen.
Herzlich,
Tania
Von Katharina
• 13. Mai 2013
Hier ein kleiner Einblick in Meine „Putzkastensituation“:
Meine Islaenderstute hat eine eigene Box, aber waehrend des taeglichen Ausmistens kommen alle 6 Pferde (alles Islaender) in einen gemeinsamen Auslauf. Dort können sie Spielen, laufen, in der Sonne dösen, wenn sie denn scheint, etc.
Dieser Auslauf grenzt direkt an den Stall. Wenn ich zum Stall komme und die Pferde stehen draussen hole ich einfach eine Ansamlung von Buersten, hufkratzer, manchmal Huffett und Pinsel, … und lege es auf die breite Stufe vor dem Eingang. Fuer meine Stute gilt: Wer geputzt wird steht still. Manchmal muessen wir unseren Putzplatz aufgrund wild spielender Pfredekollegen etwas aendern. Ich versuche dann mein Pferd im Stillstehen zu unterstuetzen indem ich mich zwischen sie und die „Players“ stelle: „Jungs – vllt. könntet ihr in die andere Richtung springen?“
Das Putzzeug verteilt sich in der Zwischenzeit ueber den Platz. Dynur ist noch jung und erkundet wie der Striegel funktioniert und guckt sich genau an, dass ich ihn an der Lasche greife – da kann man gut reinbeissen – und Dropi kann sowieso mit allem Spielen, was nicht niet-und nagelfest ist.
Ich sehe es so, dass es ok ist fuer mein Pferd den Platz zu waechseln, waehrend ich das auch tue (z. B.: bei Buersten sammeln) Manchmal geht sie weg, manchmal kommt Sie mit. Waehrend des Putzens steht sie still. Die Buerstenverteilung der anderen nehme ich gern in kauf – der kleine Dynur hat neulich glatt in eine Buerste aufgehoben und sie dann auf den Ruecken der Stute gelegt!
Fatzit: Wenn wir den Pferden die Möglichkeit geben mit etwas zu spielen können wir sie nicht dafuer bestrafen – schliesslich verlangen wir genau das im Unterricht: Spielend lernen. Wenn es nicht dazu gedacht ist, dass das Pferd damit spielt dann sollte es eine gewisse Distanz zwischen „Dings“ und Pferd geben.
Letzter Punkt: Mein Putzkasten enthaelt Leckerlies – der wuerde bei den 6 Islandpferdchen keine 5 Minuten ueberleben. 😉
Gruss aus Reykjavik,
Katharina
Von Mina
• 13. März 2014
Hallo Tanya
Deine neuen Denkanstösse finde ich immer sehr hilfreich .
Ich habe einen Jungen Isi der mir alle Stricke durch kaut .
Nun habe ich angefangen ihn zu Belohnen sobald er keinen Strick im Maul hat .
Das Ergebnisse ist das er zuerst den Strick zum knabbern nimmt ,dann nach ein paar Minuten
Lässt er es aus dem Maul schaut von mir weg und kriegt dann die Belohnung .
Ich weiss das ich ein schlaues Pferd habe ,aber die kaputten Stricke sind nicht wirklich lustig ..?? Liebe Grüsse Mina
_________________________
Hallo Mina,
na, ich glaube, da clickert Dein schlaues Pferd eher Dich als Du ihn 😉 Kleiner Tipp, der bei uns bestens geholfen hat: Besorge Dir in einer Tierhandlung so ein Anti-Knabber-Spray für Hunde. Das ist ungiftig, aber schmeckt scheußlich. Damit kannst Du den Strick einschmieren und Dein Pferd selbst entscheiden lassen, ob es das noch immer so toll findet.
Parallel dazu vielleicht auch noch mal die Zähne checken lassen, nicht dass er vielleicht ein Zahnproblem hat, das sich so äußert, denn Stricke wirklich durchzubeißen, scheint mir schon sehr extrem zu sein.
Alles Gute,
Tania
Von jil
• 14. April 2017
einfach nur Klasse was ich hier lese , bin oft verzweifelt, aber sowas motiviert .. und hast du ein junges Pferd …. oh gott …. mehr sage ich nicht ….macht weiter so , und ich auch !!!! Pferde sind was tolles , und sie geben dir die Liebe zurück, wie Medizin, wenn Menschen dich wieder krankmachen , Frohe Ostern
Einen Kommentar schreiben