Noch einige Gedanken zum Thema „Fehler machen“

In der letzten Woche ging es hier um die Frage, ob Pferde Fehler machen dürfen. Und beim weiteren Nachdenken über dieses Thema wurde mir bewusst, was mein größter Kritikpunkt an Reiterprüfungen und Turnieren ist. Darüber gab es nämlich gerade neulich eine Diskussion in unserem Forum und ich konnte noch nicht so recht auf den Punkt bringen, was mir ganz konkret an Turnieren und Prüfungen solch ein Bauchweh bereitet.

Jetzt wird es mir klarer: Es ist der Anspruch, dass Pferde punktgenau zu funktionieren haben.

Wenn meine Prüfungsaufgabe vorsieht, dass mein Pferd an Punkt X angaloppiert, dann HAT es an diesem Punkt anzugaloppieren. Jedes frühere Angaloppieren oder jedes Zögern ist ein „Fehler“ und wird abgestraft. Einmal durch die Punktrichter, aber eben auch vom Reiter seinem Pferd gegenüber. Das Ziel ist schließlich „korrektes“ Reiten, nicht wahr? Nur wer sein Pferd „korrekt“ reitet, macht es richtig – so die Theorie. Und in einem Springparcours gibt es nur eine richtige Reihenfolge der Sprünge und jeder muss sie so reiten, ob das nun sinnvoll für das Pferd ist oder nicht. Wenn ein Pferd dann all seinen Mut zusammennimmt und tatsächlich über den großen Sprung setzt, es aber die Stange streift, weil er einfach sehr hoch ist, dann gibt es kein Lob, sondern einen Fehlerpunkt.

Für mich ist ein System, dass solche angeblichen „Fehler“ abstraft, ein System, das lern- und entwicklungsfeindlich ist. Denn zum Lernen und zur Entwicklung gehören Fehler dazu. Wenn ein Pferd mal nicht an X angaloppiert, sondern 20 Meter später, dafür dann aber wundervoll leicht und gesetzt in einen Bergaufgalopp springt, ist das für mich viel mehr wert! Und wenn ein Reiter erkennt, dass ein Pferd am Sprung verweigert, weil es ungut herankommt oder weil der Sprung zu hoch ist und dann einfach eine Runde galoppiert und es über einen niedrigeren Sprung springen lässt, dann gäbe das für mich einen Extra-Punkt für Pferdeverstand, anstatt den Reiter zu disqualifizieren.

Ein Angaloppieren nicht an Punkt X ist doch nicht grundsätzlich ein Fehler, sondern es wird einer, wenn jemand vorher definiert hat, dass es „richtig“ ist, an Punkt X anzugaloppieren. Aber richtig für wen? Wenn ein Reiter-Pferd-Paar noch einige Trabschritte mehr braucht, um korrekt anzugaloppieren, dann ist das doch nicht falsch, genau diese Schritte zu machen, sondern es ist schlau und pferdegerecht. Weil der Galopp dann eine Chance hat, schön zu werden. Und weil das viel mehr wert ist, als das Angaloppieren an einem bestimmten Punkt.

Und wenn ein Reiter das Gefühl bekommt, dass der vorgeschriebene Parcours ungünstig für das Pferd ist, dann ist es gut, das Pferd irgendwie über die Hindernisse zu jagen? Ich finde, es spricht für viel mehr Pferdeverstand, dann eigene Entscheidungen zu treffen. Aber in einem solchen Fall würde der Reiter abgestraft werden, Ende der Vorstellung.

Durch ein solches Fehler-Abstraf-System entstehen meiner Ansicht nach keine Reiter, die das Wohl ihres Pferdes an die erste Stelle stellen, sondern so entstehen Reiter, die über die Signale ihres Pferdes hinwegreiten. Die eher Anweisungen befolgen, als sie bereit sind, Fehlerpunkte zu kassieren. Denen die Punktezahl und das Schleifchen wichtiger sind als die verständnisvolle Kommunikation mit ihrem Pferd. Und genau das kritisiere ich am Turnier- und Prüfungssystem.

Ich habe in meiner Reiterlaufbahn am eigenen Leib aber auch in der Beobachtung vieler anderer immer wieder erlebt, wie viel Frust, wie viel Schmerz und wie viel Unschönes aus dem Anspruch entsteht, dass Pferde zu funktionieren haben. Das beginnt ja schon im Unterricht, wo Reitschüler vehement aufgefordert werden, ihre Pferde punktgenau gefügig zu machen. Wer seine Hilfen so einsetzen will, dass sie wie das Drücken eines Knopfes an einer Maschine immer zu demselben prompten Ergebnis führen, verkennt, dass da ein lebendiges Wesen im Spiel ist. Dieses Denken führt dazu, dass Hilfen zu Befehlen werden und das Pferde gestraft und gezwungen werden. Ein partnerschaftliches Miteinander hört da auf, wo nur noch einer etwas fordert, was der andere dann ausführen muss. Jedes „Muss“ erzeugt Zwang und unter Zwang kann niemand strahlen.

Schönes Reiten ist für mich weniger „korrektes“ Reiten im Sinne eines punktgenauen Anforderns von Reaktionen als vielmehr ein Reiten, das auf das jeweilige Pferd abgestimmt ist. Es ist eine beidseitige Kommunikation, die Raum für flexible Entscheidungen und individuelle Ausführungen offen lassen muss.

Ich würde mir wünschen, dass es in Turnieren weniger um punktgenaue Lektionsabfragen geht, als vielmehr um die Einschätzung des Gesamtbildes:

  • Harmonieren Pferd und Reiter?
  • Bewegen sie sich beide gerne und freudig?
  • Wird das Pferd so geritten, dass es seiner Gesundheit förderlich ist?
  • Kann das Pferd sich entfalten, darf es zeigen, was es kann?
  • Werden Fehler einfach freundlich ignoriert und wird der Fokus gleich wieder auf etwas anderes gelegt?
  • Zeigt der Reiter, dass er auf sein Pferd eingeht und dass er sich Lektionen einfallen lässt, die es dem Pferd leichter machen, das zu erreichen, was ihm noch schwer fällt?
  • Arbeiten beide zusammen?

Natürlich wären solche Darbietungen schwerer zu bewerten, aber mit solchen Schwerpunkten wären wir sicher schon ein gutes Stück weiter auf dem Weg zum Ziel einer flächendeckend pferdefreundlichen und gesundheitsfördernden Ausbildung.

8. September 2011 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse 16 Kommentare »

 

16 Reaktionen zu “Noch einige Gedanken zum Thema „Fehler machen“”

 

Von Almut • 8. September 2011

Tania, ich will weiß Gott keine Lanze für die Turnierreiterei brechen, ich selbst meide solche Veranstaltungen seit Jahren, eben wegen dieser vielen unschönen Szenen. Aber wie soll so ein Bewertungssystem funktionieren? Das sind alles Kriterien, nach denen ich persönlich auch schauen würde, wenn ich ein Reiter-Pferd-Paar beobachte. Aber sie sind doch sehr subjektiv! Und – um mal ein positives Beispiel zu nennen – wenn mein Mann, der nur mit jungen Pferden unterwegs ist, merkt, dass es bei X oder am Sprung nicht passt, dann reitet er im Zweifel einen Kringel und nimmt den Fehler in Kauf. Keine Schleife ist allemal besser als den Jungspund zu verprellen.
LG, Almut

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Würden alle so denken und handeln, würden Turniere ganz sicher anders aussehen; die meisten aber werden alles daran setzen, bei X anzuhalten. Wie ein anderes Bewertungssystem funktionieren kann, weiß ich auch – noch – nicht – aber, ich denke, eslohnt, einmal darüber nachzudenken 🙂
Tania

 

Von Dana • 9. September 2011

Sinn und Zweck dieser Regeln bzw Prüfungen ist, eine einheitliche Vorgabe für alle Starter zu setzen.
Das Pferd soll bei X angaloppieren – also auf die Hilfe des Reiters durchlässig reagieren.
Ein unsauberer Ansprung wird natürlich als Fehler gewertet und Reiter, die um jeden Preis angaloppieren wollen, somit nicht belohnt.

Zwar mag ich die Tunierszene nicht…aber ohne eine Prüfungsvorgabe ist kein Verleich der Leistungen möglich.
Meiner Meinung nach ist die Kritik auf ‚Um jeden Preis‘-Reiter zu beschränken.

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Herzlichen Dank für Deine Gedanken! Der Anspruch auf Einheitlichkeit ist eben genau das, was ich Frage stellen möchte 🙂
Tania

 

Von Nicole • 9. September 2011

Hi Tanja,
ganz so krass sehe ich es nicht. Denn der Reiter sitzt ja nicht nur während der Prüfungen auf seinem Pferd, sondern er trainiert ja schon lange vorher zu hause bzw. im Reitstall mit ihm. So weiß er meist, wie lange sein Pferd braucht, um die Hilfen umzusetzen. In der Prüfung ist es dann Sache des Reiters, das richtige Timing noch vor einem bestimmten Bahnpunkt die enstprechende Hilfe zu geben und auf eine neue Lektion aufmerksam zu machen, damit das Pferd dann am Punkt richtig reagiert. Die Turniere und Prüfungen sind ja auch nur dazu da, um seine Leistung mit dem Pferd bewerten zu lassen, und zu sehen, wie gut man schon mit dem Pferd harmoniert und wo man es noch hapert. Viele denken aber genau andersherum. Sie wollen immer die Ersten sein, um vor den anderen zu glänzen, was aber ganz falsch ist. Ein großer Teil der Pferdebesitzer ist aber auch darauf angewiesen, daß ihre Pferde immer ganz vorn glänzen, um sie so gewinnbringend, wie möglich verkaufen zu können.

DIE GYMNASTIK IST FÜR DAS PFERD DA – NICHT DAS PFERD FÜR DIE GYMNASTIK!!! VIELE vergessen das nur zu gerne.

Was ich weniger schön finde, auf Turnieren, ist, daß die Richter oftmals mehr auf das Prüfungsprotokoll schauen, während einer laufenden Prüfung und weniger auf das Reiter-Pferd-Paar, weil sie ja die Aufgabe schon kennen.
Schöner wäre es, wenn die Reiter in den Prüfungen ihre eigene Kür reiten könnten und zwar in allen Klassen – nicht nur im Grand Prix und nur als Vorgabe die Lektionen bekommen, welche gezeigt werden sollen, bzw. noch in welcher Zeit die Kür geritten werden darf. So muß der Richter genau hinschauen, was da im Viereck passiert und bewertet optimaler.

LG Nicole

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Das mit dem Training stimmt natürlich – allerdings ist eine Turniersituation eben immer was vollkommen anderes als die Trainingsbedingungen. Und genau da „funktionieren“ Pferde eben – oft aus guten Gründen – nicht wie gewünscht.

Jep, Küren fände ich auch schon mal einen spannenden Ansatz!
Tania

 

Von Manuela • 10. September 2011

Salü Tania,

das gewünschte „punktgenaue funktionieren“ ist ein Zeichen von reeller Gymnastizierung und sehr guter Durchlässigkeit. Vor allem im Vielseitigkeitsport ist ein Zeichen von großem Vertrauen und sowohl körperlich als auch mental perfekt vorbereiteten Pferden.

Und genau das brauche ich auch, um sicher ins Gelände gehen zu können. Wenn mein Pferd an der Strassenkreuzung stehen bleiben soll/muss, um ein sicheres Überqueren zugewährleisten, dann ist Durchlässigkeit unerlässlich! Und ich möchte, dass es auf den Punkt durchzuparieren ist und in dem Tempo trabt-galoppiert, das ich möchte.

Was bringt es, wenn das Pferd 10 Meter später stehen bleibt, dafür aber locker und mitten auf der Strasse? Oder im Schweinsgalopp losbrettert und sich nicht mehr kontrollieren lässt?

Spätestens dann wünscht sich jeder ein Pferd, das punktgenau „funktioniert“…

Gute Gymnastizierung machen ein Pferd stark und sensibel. Und wenn ein Pferd noch nicht durchlässig aus dem Schritt angaloppieren kann, dann hat der Reiter noch nichts in der Prüfung verloren – ganz einfach!

Das Bewertungssystem anhand der Lektionen finde ich gut und notwendig, um Bewertungen abgeben zu können.

Der Weg zu den Lektionen hin ist das Problem! Übereifrige Reiter, überforderte Pferde und blinde Richter – das ist das Thema! Nicht die Lektionssicherheit.

Herzliche Grüsse
Manuela

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Danke, Manuela, Deine Zeilen machen mich nachdenklich. Genauso nachdenklich macht mich aber auch das Wort „perfekt“ in Deinem Text, denn genau da sitzt schon wieder der Anspruch, den ich für so fatal im Umgang mit Pferden halte. Lebende Wesen – egal ob Mensch oder Tier – können nie „perfekt“ sein, nie „perfekt“ reagieren. Das halte ich für eine Illusion.

Interessanterweise kenne ich zahlreiche Reiter/innen, die zwar ziemlich punktgenau Lektionen reiten können, ihre Pferde aber im Gelände leider gar nicht im Griff haben. Meiner Ansicht nach führt der Fokus auf die Lektions-Ausführerei deshalb in die falsche Richtung, weil eben vor allem auf das „perfekte Funktionieren“ hingearbeitet wird und zu wenig auf das gemeinsame Vertrauen und eine gute Kommunikation. Und das bestehende Bewertungssystem fördert eben genau das erste, nicht das zweite.

Tania

 

Von Manuela • 10. September 2011

Tschuldigung`- ich habe den Text zwischen zwei Schmerztabletten geschrieben…Mittelohrentzündung…

Ersetze „perfekt“ mit dem Wort „optimal“ im positiven Sinne.

Ich wollte „Lektionen erarbeiten“ *im positiven Sinne!* nicht vergleichen mit „kenne viele, die ihre Pferde lektionssicher reiten und sie im Gelände nicht im Griff haben“ – das ist ein anderes Thema…

Mir gings es um das durchlässige, gut gymnastizierte,am Punkt optimal vorbereitete Pferd, dass ich im Gelände brauche, um sicher und mit viel Spaß raus und wieder rein zukommen!

Und wenn Reiter, die am Platz unter guter trainerischer Aufsicht lernen, dass sie ihr Pferd am Punkt anhalten und am Punkt fleissiger und langsamer machen oder durchparieren können, dann ihre Angst vor Kontrollverlust im Gelände verlieren – dann sind wir auf einen guten Weg!

Es ist nicht alles schwarz/weiß im Leben – die Ausführung macht denm Unterschied!

Herzliche Grüße
Manuela

P.S. Wer mich kennt, weiß, dass ich mit „perfekt“ die optimale pferdegerechte Ausbildung/Vorbereitung des Pferdes auf seine Aufgaben meine!

 

Von Manuela • 10. September 2011

Nachtrag: Erstaunlich finde ich, dass mein ganzer Text von morgens auf das Wort „perfekt“ reduziert wird…

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Och, Manuela, nimm es nicht persönlich. Der Perfektionsanspruch ist für mich doch genau der springende Punkt für den ganzen Artikel gewesen, deshalb sprang ich darauf an, dieses Wort auch bei Dir in der Gegenargumentation zu finden. Mehr nicht. 😀

Tania

 

Von Lisa • 12. September 2011

Liebe Tania,

ich stimme dir in deinem Beitrag voll und ganz zu. Warum muss ein Pferd punktgenau funktionieren?

Um das Beispiel mit der Straße anzuführen. Wenn ich im Gelände an eine Straße heran reite, dann befinde ich mich schon seit langem im Schritt. Das heißt, ich bereite mein Pferd auf eine lange Distanz darauf vor: „Pass auf. Stehen bleiben.“
Gute Gymnastizierung und Durchlässigkeit verbinde ich nicht mit punktgenauem Reagieren.
Denn wie oft können wir selbst im Alltag nicht sofort richtig reagieren?

Danke für deine Worte, Tania.

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Danke Dir, Lisa, für die Rückmeldung – genau darum ging es mir!
Tania

 

Von SigrunZ • 12. September 2011

Punktgenaues „Funktionieren“ kann manchmal lebensnotwendig sein. Aber wenn die ganze Reiterei nur noch darauf abzielt, wenn es zum Selbstzweck wird, bleibt das „gute Reiten“ irgendwann auf der Strecke. Das liegt in der Natur der Sache und hängt davon ab, ob man die gemeinsame Bewegung mit dem Pferd unter dem Gesichtspunkt der Qualität betrachtet oder eben des Gehorsams. Steht die Qualität im Vordergrund, reitet man den Übergang dann, wenn es für Pferd und Reiter am besten passt oder legt die Volte dann an, wenn sie dem Pferd am besten hilft; steht der Gehorsam im Vordergrund, reitet man den Übergang am Punkt X, da wo man ihn will und versucht es an diesem Punkt am besten zu managen. Wird aber diese Reiterei zum Ziel und inhalt, bleibt die Qualität notgedrungen auf der Strecke. Wer’s besser formuliert nachlesen will, Udo Bürger „Vollendete Reitkunst“, da wird auf Seite 13 der Unterschied zwischen Reitkunst und Sport erklärt(das Buch ist aus den 50er Jahren …)

Das Fatale an der Entwicklung der Reiterei in unserer Zeit liegt Bürgers Meinung nach darin, dass der Sport und seine Ziele nach und nach die gesamte Reiterei prägen und dabei die Reitkunst, also das gute Reiten um seiner selbst willen, auf der Strecke bleiben. Da ist was dran. Freizeitreiter haben zum Glück die Freiheit, sich zwischen dem einen und dem anderen frei zu entscheiden.

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Ja, das ist wahr!
Tania

 

Von Birgit • 12. September 2011

Liebe Tania,
ich bin ein absoluter Feld/Wald/Wiesenreiter und kann Turnieren – ob nun Englisch oder Western – nichts abgewinnen. Ich schaue ab und an mal zu, wenn eine Freundin sich dort präsentiert. Ich habe sie mal gefragt, warum sie das sich und dem Pferd antut (für mich ist das eher eine Qual, als ein Vergnügen) und die Antwort war: damit ich eine korrekte Einschätzung meiner Fähigkeiten bekomme. Eine Aussage, die ich einfach mal anzweifel.
Aber egal, was ich über diese Art des Freizeitvergnügens denke, ich stimme Manuela zu, dass ich es mir an einer verkehrsreichen Strasse nur einmal leisten kann, wenn mein Pferd nicht punktgenau stehen bleibt. Da hilft es dann auch nicht mehr, wenn ich den Fehler freundlich übersehe.
Was für mich aber sehr wichtig ist, ist der Weg dahin. Mein Ansinnen ist, dass mein Pferd freiwillig auf minimalste Hilfe an der Strasse stehen bleibt (um einmal bei diesem Beispiel zu bleiben) und wartet, bis ich das Signal zum Weiterlaufen gebe. Gerade diese Übung habe ich sehr intensiv an unterschiedlichen ungefährlichen Orten geübt und er hat reichlich „Fehler“ gemacht und die habe ich – um Deine Worte zu benutzen – freundlich übersehen und die Übung immer wiederholt. Das Ergebnis ist ein Pferd, das punktgenau anhält, aber der Weg dahin war für uns beide angenehm.
Ich würde Deine Formulierung gerne dahingehend ändern, dass ich sage: es ist mein Anspruch, dass mein Pferd punktgenau reagiert (zur Erhaltung seiner und auch meiner Gesundheit).

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Ja, der Weg zur gewünschten Reaktion ist auch für mich entscheidend. Und da gibt es tolle Wege, die zu einer guten Kommunikation führen, so dass man im Idealfall ein Pferd auch ohne Hilfsmittel punktgenau anhalten kann.

Aber auch der schönste Weg dorthin und die bestmögliche bestehende Kommunikationsbasis heißt für mich nicht, dass ich wirklich je von meinem Pferd tatsächlich punktgenaues Reagieren erwarten kann. Ich würde mich nie darauf verlassen wollen, dass mein Pferd punktgenau anhält, sondern ich würde immer wieder jedes Mal neu überprüfen, ob ich heute auch wieder damit rechnen kann, dass die Hilfe wirklich ankommt und umgesetzt. Andere Gerüche, andere Geräusche, anderes Wetter, andere Stimmung usw. können das beeinflussen. Dafür sind Pferde eben Lebewesen.

Natürlich arbeite ich auch ich an der Kommunikation mit meinen Pferden und daran, dass sie möglichst gut auf mich hören und reagieren. Aber es gibt einfach Umstände, in denen ich das nicht erwarten kann oder will – und dann wähle ich andere Wege (absteigen, Volten reiten, anderen Weg wählen – je nachdem, was angemessen ist).

Wenn ich mich nur darauf versteife, dass mein Pferd eben funktionieren muss und daran all meine Sicherheit hänge, kommt in vielen Fällen leider zwangsläufig ein Kampf dabei heraus.

Und was die Gesunderhaltung angeht… – das ist tatsächlich etwas, womit ich Aramis an seine Grenze gebracht habe. Ich war so darauf versessen, ihn „korrekt“ zu reiten, damit er gesund bleibt, dass er mir irgendwann die rote Karte zeigte. Heute reite ich lockerer und ja, vielleicht geht er auch mal nicht korrekt. Dabei ist er aber viel lockerer, entspannter und glücklicher. Auch das trägt wesentlich zur Gesunderhaltung bei 😉 Nicht falsch verstehen: natürlich geht es darum, dass wir unsere Pferde möglichst „gut“ arbeiten sollen, aber zu viel Fixierung auf das „unbedingt korrekt um jeden Preis“ ist meiner Erfahrung auch kontraproduktiv. Und genau diesen Gedanken würde ich eben gerne in der Prüfungsszene Einzug halten sehen.

Tania

 

Von Manuela • 13. September 2011

SigrunZ und Birgit haben das geschrieben, was ich sagen wollte…

Schönen Tag
Manuela

 

Von Beate • 13. September 2011

Ich versteh die eine und auch die andere Seite gut.Stelle mich aber aus dem Bauch heraus inzwischen eher zu Tania.
Zum Glück gibt es ja keinen Zwang an Turnieren teilzunehmen.;-)

Ich für meinen Teil habe festgestellt, dass sowohl mein Pferd als auch ich wesentlich glücklicher sind, seitdem der Druck am Punkt zu funktionieren weg ist. Erstaunlicher Weise funktioniert seither im täglichen Reiterleben vieles deutlich besser und „punktgenauer“. 😉

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Ganz genau DAS ist auch meine Erfahrung!
Tania

 

Von Astrid • 14. September 2011

Jetzt wo du diese Gedanken aufgeschrieben hast, fällt mir auf, dass ich in der Bahnarbeit schon lange nicht mehr nach fixen Punkten reiten (z.B. Durchparieren bei X). Da meine RL immer nur von der nächsten Übung spricht und einen dann auffordert Herrn Pony auf diese vorzubereiten. Die Übung führe ich dann aus, wenn ich das Gefühl habe das alles passt. Dies hat den Vorteil für mich, dass die Übungen dann auch meistens klappen, das Pony und ich ein Erfolgserlebnis haben und man durch Lob diese Übung auch wieder beenden kann. Ich habe auch gelernt mehr zu fühlen, wann ich das Pony bei etwas unterstützen kann und habe so mehr über die Zusammenhänge gelernt. Danke für deinen Beitrag, denn dadurch ist es mir noch einmal bewusster geworden 😉

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Genau so gehe ich inzwischen auch vor! 😀
Tania

 

Von Dana • 14. September 2011

Für mich ist Ziel des Reitens ein durchlässiges Pferd – das steht nunmal punktgenau, weil es die Hilfe sofort annehmen kann.

Der Weg dahin muss nicht durch schlechten und rücksichtslosen Umgang geprägt sein, sondern ist so pferdefreundlich möglich, wie sich das wohl alle Besucher dieser Seite wünschen.

Was spricht also dagegen, wenn Pferd und Reiter die Früchte dieser Arbeit vielleicht auf einem Tunier präsentieren möchten?
Anderen reicht das zuverlässige Stehen an einer vielbefahrenen Straße.

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Es spricht auch für mich nicht grundsätzlich etwas dagegen – in vielen Fällen regiert dann aber leider der menschliche Ehrgeiz, der dann nicht mehr für das Pferd fordert, sondern für eine Schleife.
Tania

 

Von Sonja • 14. September 2011

Hallo,
Ich lese regelmässig mal mit aus Belgien 😉
Dieses mal wollte ich aber dann doch kurz etwas dazu schreiben.
Mit meinem Traber zB (der nicht mal mehr galopieren konnte) habe ich die kleinen Turniere erfolgreich absolvieren können. Aber eben nur wegen dem angenehmen Weg dorthin.
Ich habe früher mal gelernt: auf dem Turnier können wir zeigen, wie weit wir schon sind. Es kommt halt die extra Herausforderung dazu.

Denn was ist schöner als dass das Pferd in perfekter und durchlässigen(!) Haltung genau bei X anhält und stolz vor sich schaut. Was ist schöner als mit dem Traber, der nicht mal mehr galopieren konnte einen ruhigen, sogar versammelten Galop, am losen Zügel nur mit Gedanken an einen Punnkt zu reiten…der einen dicken runden Hals draufsetzt, weil er selber so stolz ist (und ich vergewissere euch: er hatte einen langen hässlichen Hals; versammeln konnte man ihn NUR auf Sitz, und rund im Hals wurde er NUR, weil er hinten versammelte und nicht weil man Zügel aufnimmt; halt ganz klassisch ;)).

Gerade an solchen Tagen konnte ich ihn punktgenau reiten!! Und dann lernt man, dass Reiten eigentlich ganz einfach ist ;-). Zeitung lesen kann man dann gleichzeitig 🙂

Je nach Jury, bekamen wir an solchen Tagen massig Punkte. Es war halt kein schönes Pferd und leider lässt Jury sich auch dadurch beeinflussen. Doch ein guter Reiter, bzw Pferdebesitzer, bzw Turnierreiter, sollte korrekt einschätzen und relativieren können.

Ich kannte diese Einstellung: „alles fürs Turnier“ nicht. Aber in den letzten 10-15 Jahren hat sich da viel geändert. Das liebe Geld, das liebe Geld….

Es ist schon schade, dass diese ‚alte‘ Einstellung, das Turnier als die Kirsche auf dem Sahnetupfer zu sehen, scheinbar ganz verloren gegangen ist. Aber so habe ich es mal gelernt und versuche es auch irgendwie meinen Reitschülern so mit zu geben. Nur dass ich keine Turniergänger unterrichte. Wahrscheinlich genau deswegen, weil es denen nicht schnell genug geht ;). Gutes Reiten, oder besser: gute Schulung des Pferdes brauch nun mal seine Zeit. Ist aber erstmal die Basis „perfekt“ gelegt, kann es ganz schnell gehen mit dem Rest. Leider wird das ganz vergessen.

So wie heute recht junge Pferde auf höchstem Niveau presentiert werden ist meist Tierquälerei. Nur die Ausnahmen halten da noch mit. Und dann dreht es eben wieder nur ums Geld… 🙁

Also, Tania, ich verstehe deine Frust. Doch finde ich es nicht schön, dass das Turnier-Reiten als etwas unangenehmes oder sogar falsches dargestellt wird. Es sollte der Weg dorthin das Ziel sein. Und ein Turnier sollte Reiter und Pferd soviel Spass bringen, dass man dieses schöne Bild bekommt: Pferd und Reiter sind eins. So wo man Gänsehaut bekommt, auch wenn es ein „hässliches“ Pferd ist.
Die Einstellung- der heutige Umgang mit dem Turnierreiten hat sich sehr negativ entwickelt. Da gebe ich dir schon absolut recht!

Nur die Jury könnte etwas an der heutigen Einstellung ändern. Aber wenn diese schon voreingenommen sind….

Zum Glück kommen aber immer mehr gute Trainer wieder ins Rampenlicht. So lasst uns hoffen, dass es sich doch wieder zum Guten wendet.

LG aus Belgien!

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Herzlichen Dank für Deinen Kommentar! Nein, ich denke auch nicht, dass Turniere grundsätzlich etwas Schlechtes sind, aber in der jetzigen Ausführung kann man aus meiner Sicht kaum um die Forderung herumkommen, dass sich einiges ändern muss. Und da tut es manchmal gut, das gesamte System zu hinterfragen, weil man erst so auf wirklich neue Ideen kommt.
Tania

 

Von Sonja • 14. September 2011

Nun gut… bevor mir das Wort „perfekt“ hinterher geworfen wird 🙂
Damit meine ich natürlich den meist optimalen punkt dass genau dieses Pferd erreichen kann in der Basis. Die freudige Durchlässigkeit.
Ach, ihr wist schon was gemeint ist mit: „perfekt“

 

Von Mira • 10. Oktober 2011

Interessante Diskussion…auch wenn sie schon ein paar Tage alt ist, möchte ich auch ein paar Worte dazu schreiben 🙂
Ich bin auch hin und wieder auf dem ein oder anderen (Isi-) Turnier unterwegs, allerdings mittlerweile bevorzugt in Spaßprüfungen wie z.B. Fahnenrennen… da liegt es an mir, ob ich die Fahne erwische, die Ponys sausen immer nah genug an den Tonnen vorbei *lach*
Was Dressuprüfungen angeht, muß sicherlich eine einheitliche Prüfungsaufgabe gegeben sein, um die Leistungen für die Richter (leichter) direkt vergleichbar zu machen und dass dafür einzelne Lektionen „auf den Punkt“ erfolgen müssen wird damit zum notwendigen Übel. Ich finde auch gar nichts Verwerfliches daran, wenn es tatsächlich ein Zeichen für die Durchlässigkeit des Pferdes ist, das die Lektion exakt bei „x“ oder wo auch immer erfolgt. Zuhause im Training kann ich mir ja auch vornehmen z. B. genau zwischen zwei Hütchen anzugaloppieren (ob es jedes Mal klappt ist was anderes ;-)….).
Auf die Turnierprüfung bezogen würde ich dann auch wirklich vom „perfekten“ Ritt sprechen, wenn das Zusammenspiel stimmt und alles auf den Punkt klappt (was natürlich tagesform abhängig ist).
Egal, ob es dann für eine Schleife reicht oder nicht, nimmt man das gute Gefühl von „heute waren wir eins“ mit… ABER: auf Turnieren begegnet mir oft das Gegenteil. Da wurde gar nicht lektionsweise an der Durchlässigkeit des Pferdes gearbeitet, sondern immer stumpf die geforderte Aufgabe geritten. Das Ende vom Lied: Das Pferd spult gelangweilt die auswendig gelernte Lektionsabfolge ab und gewinnt am Ende womöglich sogar die Prüfung. Ich habe es sogar schon erlebt, da sagte die Reiterin nach der Prüfung: Mensch, ich bin die Prüfung doch schon so oft geritten, aber heute hätte ich glatt Lektion X vergessen. Gut, das mein Pferd die Prüfung so gut kennt, er ist entgegen meiner Hilfen weitergelaufen und hatte Recht damit…Ergebnis war: Prüfung gewonnen… DAS finde ich wirklich nicht erstrebenswert. Da läuft dann wirklich was falsch! Oder hat sowas noch irgendetwas mit sinnvoller Gymnastizierung zu tun?

_________________________

“heute waren wir eins” – Das ist ein tolles und für mich erstrebenswertes Ziel! Ich stelle für mich immer wieder fest, das ich das allerdings eben nicht durch eine Außenorientierung erreiche, sondern wenn ich mich voll und ganz auf mein Pferd einlasse.
Tania

 

 

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