Abrüsten statt aufrüsten
In meinem letzten Blogbeitrag habe ich über das Verfeinern der Hilfengebung geschrieben.
Ein Weg, ein Pferd dazu zu bringen, auf eine Hilfe zu reagieren, ist das Verstärken der Hilfe bis die Reaktion kommt, und dann sofort zu loben, sobald das Pferd in der gewünschten Art und Weise reagiert. Dieser Weg funktioniert für mich immer dann nicht, wenn das Pferd erst auf eine Hilfenintensität reagieren würde, bei der meine persönliche Grenze, wie stark ich bereit bin, eine Hilfe zu geben, überschritten werden müsste – sprich: Wenn ich stärker einwirken müsste, als ich es will. Was kann man in diesen Fällen tun?
Mein Ansatz ist hier:
- Motivation erhöhen,
- Umwege finden
- und ggf. in der Ausbildung Schritte zurück gehen.
Zugegeben, diese drei Schritte sind nicht immer leicht und erfordern häufig viel Nachdenken und Einfallsreichtum von uns. Und vor allem der letzte Punkt fordert unsere Bereitschaft, Rückschritte zu machen.
Das Pferd „gewinnen“ lassen?
Oftmals werden Außenstehende den Eindruck haben, mein Pferd hätte gegen mich „gewonnen“. Mir aber geht es nicht um Sieg innerhalb eines Kampfes. Mir geht es darum, das Pferd zu motivieren. Ich wünsche mir ein Pferd, das auf meine Hilfen reagiert, weil es das tun möchte.
Erinnern Sie sich noch an folgenden Satz aus meinem letzten Beitrag? Jedes Lebewesen tut die Dinge, die es tut, nur aus zwei Motiven heraus: Entweder, um etwas Unangenehmes zu vermeiden, oder weil es sich davon etwas Positives verspricht.
Mein Zielbild ist, dass mein Pferd meine Hilfen beantwortet, weil es damit etwas Positives verbindet. Das kann am Anfang ein Leckerchen sein, welches mein Pferd sich durch eine gute Beantwortung meiner Hilfe verdient. Wird unsere Zusammenarbeit insgesamt immer positiver, wird mein Pferd auch immer mehr Spaß an der Arbeit haben und dann wird es auf Grund des Spaßes an der Arbeit motiviert sein, meine Hilfen zu beantworten (das Futterlob wird dann unwichtiger für die Motivierung des Pferdes). Und deswegen versuche ich, wenn es irgendwie geht, immer einen Weg ohne eine Steigerung der Hilfen zu finden.
Um das zu erreichen, müssen wir immer wieder ganz bewusst bereit sein, „abzurüsten“ statt „aufzurüsten“.
Ein Beispiel
Zu mir kam ein hoch ausgebildetes, erfolgreiches Dressurpferd mit seiner hervorragenden Reiterin. Das große Problem war, dass das Pferd auf treibende Hilfen (Schenkel, Sporen, Gerte) in vertretbarer Hilfenstärke überhaupt nicht mehr reagierte. Die Gertenhilfe wurde nur beantwortet, wenn sie sehr, sehr stark gegeben wurde (für mich in einem nicht mehr vertretbaren Maß). Das hatte mit feinem Reiten wirklich nichts zu tun!
Für mich stand fest: Hier wird abgerüstet! Die Reiterin musste mir Sporen und Gerte aushändigen. Und wir gingen zurück zu Basisübungen an der Hand.
Wir brachten dem Pferd am Boden bei, auf das Steigern unserer Energie und auf Stimmkommandos hin schneller zu werden. Jeder Miniansatz wurde begeistert gelobt. Wir schraubten unsere Erwartungen zurück auf ein Level, das einem dreijährigen Pferd in seiner ersten Grunderziehung entspricht
Als das Pferd am Boden auf unsere Hilfen reagierte, durfte sich meine Schülerin wieder auf das Pferd setzen. Sie gab dann die Hilfen von oben, und zwar nur ganz leicht. Wenn das Pferd nicht reagierte, gab ich von unten die Signale, auf die das Pferd zu reagieren gelernt hatte. Auch hier wurde jeder richtige Ansatz von uns mit großer Begeisterung gelobt.
Und so erreichten wir nach und nach, dass das Pferd auch vom Sattel aus wieder auf leichte Hilfen reagierte.
Es ist unsere Aufgabe, unser Pferd zu motivieren
Für mich liegt der Schlüssel zum Erfolg in folgenden drei Elementen:
- Ich muss mir immer wieder etwas einfallen lassen, um dem Pferd den Spaß an der Arbeit zu schenken – ich muss bereit sein, es immer wieder neu zu motivieren.
- Ich muss bereit sei, immer wieder mit der kleinsten Anforderung anzufangen und dann jeden kleinsten Ansatz der gewünschten Reaktion positiv zu verstärken.
- Ich muss mich immer wieder fragen, ob mein Pferd wirklich versteht, was ich möchte. Im Zweifel muss ich mir überlegen, wie ich mich meinem Pferd verständlicher machen kann, ohne in eine starke Hilfengebung gehen zu müssen.
Wenn Sie sich also wieder eine Hausaufgabe von mir auferlegen lassen mögen, lautet meine Aufgabe an Sie für die nächste Zeit und die Zukunft: Wenn Ihr Pferd auf eine leichte Steigerung der Hilfengebung nicht korrekt antwortet, brechen Sie das Steigern der Hilfe an dieser Stelle ab. Überlegen Sie stattdessen in Ruhe, welchen Umweg Sie gehen könnten, um Ihr Pferd auf einem anderen, vielleicht besseren und für das Pferd verständlicheren und motivierenderen Weg, an Ihr Zielbild zu kommen.
Wenn Ihnen kein Weg einfällt, schildern Sie die Sackgasse, in der Sie sich befinden, in Ihrem Pferdefreundeskreis oder in unserem oder einem anderen Forum. Mit großer Wahrscheinlichkeit bekommen Sie von jemanden dort einen Tipp, eine Idee oder eine neue Herangehensweise vorgestellt, an die Sie bisher noch gar nicht gedacht haben. Sie verschenken sich dadurch nichts!
24. November 2009 von Babette Teschen • Kategorie: Aus dem Reitunterricht und Coaching, Ausrüstung, Reiten, Umgang • 6 Kommentare »