Grundwissen über Anatomie und Biomechanik – Teil 6: Die Dehnungshaltung
Die Dehnungshaltung wird immer wieder als das Allheilmittel vielerlei Probleme von Pferden, besonders bei Rückenleiden angepriesen und sicherlich ist es die gute Ausführung der Dehnungshaltung auch. Doch auch hier gilt: Nicht jeder tiefe Kopf ist gleich eine gute Dehnungshaltung!
In einer guten Dehnungshaltung lässt das Pferd seinen Kopf-Halsbereich aus dem Widerrist heraus fallen. Dadurch hebt das Nackenband den Rücken des Pferdes an. Das Nackenband ist eine Sehnenplatte, die hinter dem Genick des Pferdes beginnt und einmal über die gesamte Oberlinie des Pferdes geht. Wenn sich der Rücken des Pferdes anhebt, kann die Hinterhand gut untertreten. Dabei ist es wichtig, dass die Stirn-Nasen-Linie vor der Senkrechten bleibt.
Das folgende Foto dürfte in etwa die Ideal-Dehnungshaltung zeigen:
Und hier ein wunderschönes Beispiel einer Dehnungshaltung unter dem Sattel (ein herzlicher Dank an Nina Schirsching und ihre Halbblutstute Soraya sowie an die Fotografin Anna Borchers):
Die Dehnungshaltung birgt die Gefahr, dass das Pferd zu stark auf die Vorhand kommt. Das ist der Fall,
- wenn das Pferd mit kurz tretender, inaktiver Hinterhand läuft,
- wenn es den Kopf zu tief nimmt,
- wenn es sich in der Dehnungshaltung in den Kreis fallen lässt (also auf die innere Schulter) und/oder
- wenn das Pferd seine Stirn-Nasen-Linie hinter der Senkrechten trägt bzw. die Nase nach vorne streckt, anstatt das Genick loszulassen.
Diese Punkte treten bei einer durch Hilfszügel erzwungenen Dehnungshaltung leider sehr häufig auf, sind aber auch beim Longieren ohne Hilfszügel oft zu sehen. Hier zwei Beispiele von Dehnungshaltungen, wie sie nicht sein sollen:
Und hier können Sie noch einmal im direkten Vergleich einmal eine Dehnungshaltung sehen, wo der Kopf zwar unten ist, die Hinterhand aber nicht aktiv ist und auf dem zweiten Bild eine vorbildliche Dehnungshaltung mit aktiver Hinterhand, die wirklich über den Rücken geht:
Dass es für ein Pferd überhaupt so schwierig ist, korrekt zu laufen, hat sehr viel damit zu tun, dass wir Menschen von unseren Pferden verlangen, auf einer gebogenen Linie (Kreis oder Oval) zu laufen, denn genau das stellt sie vor besondere Schwierigkeiten. Darüber schreibe ich im nächsten Teil dieser Serie.
21. Oktober 2008 von Babette Teschen • Kategorie: Anatomie und Körper, Jungpferdausbildung, Longieren, Reiten • 8 Kommentare »
Von Sarah
• 21. Oktober 2008
Hallo Babette,
das finde ich wirklich sehr schön erläutert, besonders die Fotos sind wirklich hervorragend.
Was mir jetzt noch ein bißchen fehlt, ist ein Bild vom Weg zur richtigen Dehnungshaltung. Ist es zB ok, wenn das Pferd zunächst einmal den Kopf schon runter nimmt, hinten aber noch nicht energisch genug abfußt? Kann man das als Zwischenschritt akzeptieren? Oder ist das eine (hoher Kopf) wie das andere (tiefer Kopf) nur eine Variation derselben Schummelei?
Ich frage, weil ich ein Pony mit extremen Taktproblemen im Hinterkopf hab, der letzte Woche zum ersten Mal einen Ansatz einer Dehnungshaltung zeigte und dabei taktklar war. Allerdings war der Kopf noch viel zu tief, er war deutlich unter Tempo und die Hinterhand war viel zu inaktiv. Ich hab aber das „Fallenlassen“ erstmal als sehr positiv gesehen, zumal ich eine arbeitende Rückenmuskulatur zu erkennen glaubte. Wäre es dann wichtiger gewesen, sofort an der aktiven Hinterhand zu arbeiten, oder ist es nur wichtig, dieses Ziel nicht us den Augen zu verlieren?
LG,
Sarah
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Liebe Sarah,
ich denke, Du hast da intuitiv genau den richtigen Schwerpunkt gesetzt. Es ist selten möglich gleich alles zu perfektionieren, gerade wenn das Pferd schon Probleme hat. Erstmal muss das Pferd lernen sich „fallen zu lassen“ und dann darf man später vorsichtig an die Hinterhand. Ausführlich erkläre ich das in unserem Longenkurs… der Countdown läuft und Tania und ich arbeiten wie die Wilden am letzten Schliff 🙂
liebe Grüße, Babette
Von Almut
• 21. Oktober 2008
Hallo Babette,
zunächst wieder mal ein Kompliment für die Fotos – sie machen den Unterschied wirklich deutlich.
Und dann hätte ich noch eine Frage: Ich habe mal irgendwo gelesen, dass selbst in der Dehnungshaltung der Kopf nicht zu tief kommen soll, der Autor ging sogar soweit, dass er meinte, selbst in der Dehungshaltung müsste das Genick noch immer der höchste Punkt sein. Das finde ich übertrieben, ist eigentlich auch keine wirkliche vorwärts-abwärts-Tendenz (mit der Betonung auf abwärts) mehr, oder? Wie ist Deine Meinung dazu? Bei den beiden letzten Fotos von Anthony (isser doch?) könnte man ja fast meinen, das stimmt, auf der anderen Seite sieht man ja weiter oben, dass er auch mit einer sehr tiefen Kopfhaltung ordentlich und aktiv in Dehnungshaltung laufen kann…
Danke und liebe Grüsse 🙂
Almut
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Liebe Almut,
für mich ist entscheidend, dass das Pferd bei sehr tiefer Kopfeinstellung nicht auf die innere Schulter fällt, also die Stellung beibehält und weiterhin aufgerichtet auf dem Kreis läuft. Wenn das Pferd in tiefer Dehnungshaltung in den Kreis fällt, fällt es stark auf die Vorhand. Wenn das passiert, hole ich das Pferd wieder in die Arbeitshaltung. Auch hierzu schreibe ich vieles im Kurs… 🙂
Das in der Dehnungshaltung das Genick der höchste Punkt bleiben soll, sehe ich nicht so. Das hieße ja, ich dürfte die Pferde nie wirklich nach unten abstrecken lassen…
Liebe Grüße, Babette
Von Sarah
• 22. Oktober 2008
Liebe Babette,
danke für die tolle Erläuterung. Auf den Longenkurs freue ich mich schon, zumal ich letztens wieder eine Doppellongenstunde hatte und Nandi und ich ein paar alte Baustellen hervorgekramt haben 😉 Da weiteren Input zu bekommen, wäre super!
Liebe Grüße,
Sarah
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Hallo Sarah,
das Thema Doppellonge wird zwar erst in einem weiterführenden Kurs behandelt, aber ich glaube, Du wirst trotzdem viel Input und Baustellenhilfe erhalten… 🙂
liebe Grüße, Babette
Von Valeska
• 21. Juli 2009
Babette!
Mir ist gerade beim Betrachten des ersten Bildes (Ideal Dehnungshaltung) ein großes Licht aufgegangen. Was für ein Gefühl zu erkennen, was es bedeutet, wenn ein Pferd in der Dehnungshaltung ist und die Nase „vor der Senkrechten“ hat. Hab ich das richtig interpretiert?
Im Reitunterricht habe ich null Anatomieunterricht bekommen und konnte auch mit solchen Fachausdrücken nie was anfangen, auch nicht, wenn ich was gelesen habe. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, es verstanden zu haben. Ich hoffe, ich liege richtig. LG, Valeska
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Liebe Valeska,
wenn Du Dich fragst ob Du es richtig verstanden hast, dass die Nase des Pferdes in einer guten Dehnungshaltung immer vor der Senkrechten bleiben muss, dann ja 🙂 !
Liebe Grüße,
Babette
Von Maria
• 27. Oktober 2012
Ich habe das erste Mal aus der Sicht des Pferdes eine Dehnungshaltung gesehen, wenn man versteht was ich meine. Ich habe sonst das Pferd betrachtet und festgestellt oder auch etwas übersehen, aber jetzt nach diesem wertvollen Einträgen sehe ich das Pferd von innen wie es läuft, untertritt, den Hals abwärts-vorwärts senkt, den rücken mit schwingt. Das fühlt sich toll an – und ebenso das Gefühl wenn man in eine Haltung gedrückt wird (bei Ausbindern sogar gezwungen) und dieses Gefühl jeder Muskel spannt sich an und kann nicht entlastet werden, das erklärt viele verhalten der Pferde beim schlechten reiten /longieren..
Eine unklarheit habe ich jedoch noch, nämlich was das Genick angeht. Zu merken, wenn das pferd locker im Genick ist und wann angespannt. Vorallem was kann ich tun wenn das der Fall ist. Beste Grüße und DANKE
Von Marlena
• 25. März 2014
Hallo Babette!
Diese Internetseite ist wirklich super informativ und gut zu verstehen!
Meine Frage wäre was Du von diesem Trainingsband für die Hinterhand hälst.
Ich habe es mir zum Longieren gekauft, da meine Warmblutstute sehr lang ist und eine sehr inaktive Hinterhand hat 8auch aufgrund von Problemen mit der Kniescheibe.
Ich denke selbst mit Deiner Ausbildungsmethode ist es schwer, die Hinterhand zu aktivieren, deshalb möchte ich dabei das Trainingsnband zur Unterstützung verwenden.
Wie ist Deine Meinung dazu?
LG Marlena
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Liebe Marlena,
es gibt da ja unterschiedliche Modelle, ich weiß ja nicht, wie Dein Trainingsband aussieht. Was ich gut finde ist die Körperbandage nach Tellington. Wenn Dein Trainingsband so funktioniert wie die hintere Schlaufe der Körperbandage nach Tellington, finde ich es gut. Auf keinen Fall darf aber vorne etwas mit dem Maul/Kopf verbunden sein. Dann finde ich es grausig!
Liebe Grüße,
Babette
Von Anna
• 26. Oktober 2014
Hallo Babette 🙂
tolle Serie zur Anatomie und Biomechanik! Wirklich toll und anschaulich erklärt 🙂
ich habe noch eine kleine Frage bezüglich dem „tiefem“ Kopf in der Dehnungshaltung, auf einigen Bildern oben, ist die Nase des Pferdes schon fast auf dem Boden. Meine Reitlehrerin hat mir immer gesagt, in der Dehnungshaltung bzw. im vorwärts/abwärts sollte die Nase des Pferdes nie tiefer als das Buggelenk kommen, da ansonsten das Knie blockiert. Stimmt das? Das hätte dann ja wohl auch zur Folge, dass die Hinterhand nicht mehr frei vorgreifen kann… Sollte ich also zwischen einer Dehnungshaltung im Sinne von kurzzeitigem Abstrecken zum Boden hin, einer Arbeitshaltung im vorwärts-abwärts unterscheiden und einer Arbeitshaltung in Aufrichtung unterscheiden?
Ganz liebe Grüße! Anna
Von Jacobs Gabriele
• 28. November 2018
was stimmt denn nicht wenn das Pony ohne Reiter und oder mit nicht im Trab vorwärts abwärts laufen kann, dabei den Hals verkürzt mit Kopf schlägt oder nur für zwei Schritte mal sich strecken kann? Im Schritt ist es kein Problem. es hat 3 Jahre gedauert bis man aufsteigen konnte ohne dass das Pony den kopf dabei unten halten musste…….Auf dem Plan steht Röntgen der Brustwirbel Haben Sie noch andere Ideen?
Liebe grüße Gabriele Jacobs
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