Selbst schauen ist besser oder: Unser Gefühl kann trügerisch sein

Babette behandelt in ihrer Serie Grundwissen über Anatomie und Biomechanik gerade die Frage, wie wir erkennen können, ob ein Pferd gut oder weniger gut läuft. Wenn wir aber nun selbst reiten, sehen wir ja nicht, wie unser Pferd läuft. Wir bewerten das Ergebnis von dem Eindruck, den wir von oben bekommen, von dem, was wir fühlen und von dem, was uns andere zurückmelden.

Viele Reiter/innen sagen von sich, sie würden fühlen, ob ein Pferd gut läuft. Idealerweise fühlt man das tatsächlich, denn ein Pferd, welches gut läuft, ist meist auch viel weicher und angenehmer zu sitzen. Aber ganz ehrlich, sich selbst und das eigene Pferd wirklich mal ganz genau anzuschauen, bringt oft selbst für einen erfahrenen Reiter manch‘ überraschende und leider auch unangenehme Erkenntnis, denn nicht jedes vermeintlich gut laufende Pferd tut es wirklich…

Ich kann hier nur aus eigener Erfahrung empfehlen: Nutzt die Möglichkeiten, die Euch die digitale Fotografie und das digitale Filmen bietet. Es ist heutzutage schließlich nicht nur einfach, sondern auch billig, Fotos und Videos von sich zu erstellen – keine lästigen und teuren Abzüge mehr, einfach Kamera draufhalten, die Daten auf den Rechner ziehen und anschauen.

Es ist wirklich einfach erstaunlich, wie viel man lernen kann, wenn man sich einmal selbst beim Reiten zusieht und wie viel man sieht, wenn man sein Pferd mal gründlich anschaut, wie es unter einem läuft. Gerade die Distanz, die einem Fotos und Videos bieten, ist dabei besonders viel wert.

Zugegeben, zu Beginn ist es schon komisch und auch ein bisschen peinlich, sich selbst anschauen zu müssen. Und je mehr schief läuft, desto unangenehmer ist es natürlich. Aber erstens gewöhnt man sich daran, sich selbst zu sehen (ist wirklich so!), und zweitens ist diese Art der kritischen Selbstreflexion meiner Ansicht nach höchst wirkungsvoll und kann zu fundamentalen Verbesserungen führen – beim Reiter, vor allem aber auch beim Pferd.

Ganz besonders möchte ich diejenigen, die sich immer „sooo schrecklich“ auf dem Pferd finden oder bei denen die Bilder von ihrem Pferd immer „sooo ungünstig“ sind, ermutigen, konsequent weiter Aufnahmen machen zu lassen und genau hinzuschauen, was so schrecklich ist. Aus diesen Erkenntnissen können wir nur lernen, denn je unangenehmer das Anschauen ist, desto wichtiger ist es, an sich zu arbeiten! Auch wenn es selbstverständlich bei jedem (noch so guten Reiter) negative Momentaufnahmen gibt, so sind diese bei einem Pferd, das gut läuft, und bei einem Reiter, der gut reitet, deutlich weniger als bei einem schlecht laufenden Pferd. Weniger werden solche Aufnahmen aber nur dann, wenn wir wirklich an uns arbeiten und daran, dass unser Pferd tatsächlich gut läuft. Und dabei kann uns die Selbstanalyse entscheidend helfen!

Seitdem ich eine Digitalkamera habe, nutze ich möglichst viele Chancen, ein paar Fotos von uns zu bekommen. Und immer wieder stelle ich im Alltag einfach Hand auf einem kleinen Stativ auf den Hallenrand und lass die Videoaufnahme mitlaufen – und das beim Reiten, aber auch beim Longieren oder bei der Handarbeit.

Ich tue das aus zwei Gründen:

  • Um zu sehen, wie ich reite (longiere oder an der Hand arbeite) und um Fehler korrigieren zu können. So etwas wie „Ich falle beim Antraben nach vorne“ oder „Ich ziehe die Hacken hoch“ oder „Meine Hand ist zu unruhig“, hat als Erkenntnis einen ganz anderen Wert, wenn man das wirklich mit eigenen Augen sieht – es fällt dann viel leichter, beim nächsten Reiten dran zu denken, es zu korrigieren. Der Punkt ist ja der, dass wir so daran gewöhnt sind, z.B. nach vorne zu fallen, die Hacken hochzuziehen oder mit einer unruhigen Hand zu reiten, dass es sich normal anfühlt. Sehen wir es uns aber tun, erkennen wir sofort, dass das, was wir da machen, falsch ist. Und das hat bei mir schon zu vielen wirkungsvollen Selbstkorrekturen gesorgt.
  • Um zu sehen, wie mein Pferd läuft und um auch hier Fehlentwicklungen entgegenwirken zu können. Auch beim Fühlen unterliegen wir einem Gewöhnungsprozess, der trügerisch sein kann. Von da oben kann man sich eine ganze Menge schön reden – Fotos und Videos offenbaren dann aber, wie es wirklich aussieht. Als ich z.B. mit eigenen Augen gesehen habe, wie kurz Aramis noch im Frühjahr hinten trat, wurde mir deutlich klar, dass ich daran arbeiten muss. Und die Aufnahmen, die ich heute im Vergleich dazu machen kann, zeigen mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Ich möchte dieses so einfach zu nutzende Mittel der Selbstkontrolle jedenfalls nicht mehr missen. Und es ist einfach nur schön, wenn man auf diese Weise ehrliche Fortschritte erkennen kann.

8. Oktober 2008 von Tania Konnerth • Kategorie: Reiten 4 Kommentare »

 

4 Reaktionen zu “Selbst schauen ist besser oder: Unser Gefühl kann trügerisch sein”

 

Von Jenni • 8. Oktober 2008

Für mich war mein erstes Reitvideo vor allem sehr beruhigend- klar, es gibt noch sehr viel zu verbessern. Aber da ich immer ohne Spiegel reite, war ich mir nie so ganz sicher, ob mein (gutes) Gefühl trügt und ich nicht unabsichtlich Dinge tue (z.B. leicht hinter der Senkrechten reiten), die ich gar nicht beabsichtige. Da war ich schon sehr froh, dass Gefühl und Wirklichkeit nicht allzu weit auseinander liegen.
Außerdem hat man bei einem Video eine relativ realistische Abbildung des ganzen. Auf Fotos war ich oft etwas frustriert, weil ich z.B. im Galopp mal zu weit nach hintengelehnt saß. Auf dem Video erkennt man dann, warum: Das gehört mit der Bewegung zusammen.

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Jep, Jenni, das ist natürlich das Beste: zu erkennen, dass auch schon ganz viel fein ist 😀

Und danke für den Hinweis mit den Fotos. Stimmt natürlich, dass man da die Einzelaufnahmen immer auch im Kontext sehen muss. Wenn man aber z.B. einen „Fehler“ immer wieder sieht, kann auch das ein Hinweis für Veränderungsbedarf sein.

Lieber Gruß,
Tania

 

Von Jenni • 9. Oktober 2008

Vielleicht ist ja auch eine Mischung aus Videos und Fotos am geeignetsten. Fotos lassen perfektionistisch werden (was ja z.T. auch sehr gut sein kann- ich hätte z.B. ohne die Fotos nie mit meinen Gymnastikübungen angefangen) und Videos zeigen den großen Zusammenhang. Um Fotos besser verstehen zu können, kann man auch ruhig mal ein Video stoppen: schon hat man ein Foto.

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Klar, beides ist am besten. 😀
Tania

 

Von Edmund Kolowicz • 13. Oktober 2008

Hallo Tania, Hallo Babette,

hierin kann ich euch nur zustimmen. Mein Unterricht hat im Feb. d.J. begonnen und meine Frau zeichnet alle Unterrichtsstunden (Bröckchenweise ) auf, da auf eine 2 MB-Karte nun mal nicht alles draufgeht. Aber von Febr. bis jetzt – sieht man doch schon einen deutlichen Unterschied. Der RL will jetzt auch damit beginnen und rätselt nur noch an der richtigen Kamera herum. Es ist nämlich etwas anderes etwas in einem kurzen Moment falsch zu machen oder sich das solange anzusehen bis man die Fehler selber sieht. (Ein Dank an mein Schulpferd das mich so geduldig erterägt). Jetzt hatte ich die Möglichkeit einen anderren Reiter mit dem gleichen Pferd anzusehen und Aufnahmen davon zumachen. Ist echt lehrreich.

Liebe Grüße an Euch
und bringt noch mehr so gute Ideen.
Edmund

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Wow, das ist natürlich richtiger Luxus, wenn man seine Entwicklung so super dokumentiert bekommt! Und gerade Unterrichtsstunden mitzufilmen, ist besonders hilfreich, da man dann auch noch gleich die Korrekturen und Tipps mit drauf hat und die dann nacharbeiten kann.

Prima!
Tania von „Wege zum Pferd“

 

Von Alina • 11. Februar 2013

Hallo!

Ich bin froh, hin und wieder meinen Freund mit in den Stall zu kriegen, der mich dann filmt. Es ist wirklich sehr hilfreich. Vielleicht sollte man oben noch erwähnen, sich die Filme mehrmals anzusehen und dabei jeweils nur auf eine Sache genau zu achten. Hände, Sitz, Beine, Pferdekopf, der Gang des Pferdes, Vorhand, Hinterhand, am Ende nochmal alles zusammen. Andernfalls entgeht ein einiges.

Grüßle
Alina

 

 

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