Der Einfluss der zwei Gehirnhälften auf das Reiten und wie guter Reitunterricht darauf reagieren sollte

Ein wirklich guter Reiter ist einer,

  • der sowohl ein hervorragender Techniker ist und
  • der darüber hinaus ein hohes Maß an Gefühl für sich, seinen Körper, sein Pferd und die Situation mitbringt.

Damit wir genau diese beiden Elemente möglichst ausgewogen leben können, ist es hilfreich, einen kleinen Blick in die Gehirnforschung zu wagen.

Unser Gehirn ist in zwei Gehirnhälften aufgeteilt, die so genannten Hemisphären. Diese beiden Gehirnhälften sind über einen dicken Nervenstrang miteinander verbunden. Die rechte Gehirnhälfte steuert unsere linke, die linke unsere rechte Körperhälfte.

Interessant ist nun, dass die beiden Gehirnhälften ihre Aufgaben auf unterschiedliche Art und Weise angehen. Etwas vereinfacht kann man sagen, dass in der linken Gehirnhälfte vor allem solche Gehirnbereiche liegen, die für unseren Verstand, für unsere Logik zuständig sind. Während in der rechten Gehirnhälfte z.B. das räumliche Sehen, unsere Fähigkeit zur inneren Vorstellung (Phantasie) u.ä. liegen. Sie (zusammen mit dem limbischen System) ist auch für unsere Gefühle zuständig.
Die meisten von uns sind gehirnmässig eher linkslastig unterwegs und so kann es passieren, dass wir versuchen, mit der linken Gehirnhälfte Probleme zu lösen, die nur mit der rechten zu lösen wären.

Guter Reitunterricht sollte beiden Gehirnhälften gerecht werden

Guter Reitunterricht sollte die verschiedenen Gehirnbereiche berücksichtigen, in dem er beiden gerecht wird. In ihm sollte also z.B. sowohl die korrekte Hilfengebung (also die Technik) vermittelt werden (was eher linkshirnig orientiert wäre) und ebenso das Gefühl des Reiters ansprechen und ausbilden (was die rechte Hirnhälfte aktiviert).

Ich bemühe mich, dass in meinem Reitunterricht so umzusetzen:

Zuerst erkläre ich meinem Schüler die Theorie einer Lektion. Dazu gehört für mich:

  • den Sinn der Lektion zu erklären,
  • die Demonstration der Ausführung und
  • die korrekte Hilfengebung im Detail zu vermitteln

Wenn ich den Eindruck habe, mein/e Reitschüler/in hat vom Verstand die Lektion erfasst und ihr/sein Körper hat die theoretische Ausführung gespeichert, bitte ich darum, nun erst einmal alles an Theorie zu vergessen und darauf zu vertrauen, dass das Unterbewusstsein weiß, was es zu tun hat.

Dann baue ich Übungen ein, die die rechte Gehirnhälfte ansprechen. Dazu eignen sich z.B.:

  • Visualisierungen (ich nutze unsere Fähigkeit, in unserer Vorstellung Bilder entstehen zu lassen zur Veranschaulichung verschiedenster Hilfen oder Bewegungen),
  • Atemtechniken,
  • Entspannungstechniken (siehe Die progressive Muskelentspannung),
  • Musik (schöne Hintergrundmusik, der der Reiter lauschen soll oder auch, den Reiter summen lassen),
  • Spiele (z.B. „Ich sehe was, was du nicht siehst“ o.ä.),
  • Metaphern.

Tipp: Eine Vielzahl von Übungen, die die rechte Gehirnhälfte ansprechen, befinden sich in dem sehr empfehlenswerten Buch Centered Riding: Reiten aus der Körpermitte von Sally Swift.

Und wenn dann beide Gehirnhälften optimal zusammenarbeiten, können wir diese wundervollen, goldenen Momente erleben, in denen wir als Reiter/in nichts mehr „aktiv und bewusst“ tun, sondern in denen wir nur noch an eine Lektion denken brauchen und das Pferd reagiert auf zauberhafte Weise und führt losgelassen und freudig unter uns aus, was wir möchten. Die Momente können wir mit purer Theorie nicht erreichen. Erst in Kombination mit Gefühl entsteht die Magie, die süchtig macht. 🙂

2. September 2008 von Babette Teschen • Kategorie: Aus dem Reitunterricht und Coaching 3 Kommentare »

 

3 Reaktionen zu “Der Einfluss der zwei Gehirnhälften auf das Reiten und wie guter Reitunterricht darauf reagieren sollte”

 

Von Almut • 2. September 2008

Hallo Babette,
meine beiden Gehirnhälften freuen sich schon auf eine magische Reitstunde 🙂
Ein lieber Gruss von Almut
__________________________________________
Hallo Almut,
ich suche schon mal meinen Umhang und meinen Zauberstab… 😉
Ich freue mich auf unser kennen lernen, bis dahin liebe Grüße,
Babette

 

Von Monika Thiele • 8. September 2008

Liebe Babette,

einfacher kann man den Zusammenhang von linker und rechter Hirnhälfte nicht darstellen. Bravo!

Du hast mich dazu angeregt, nochmals außerhalb der Reitliteratur zum Thema Lernen zu finden. Mir geht es ja auch immer darum, Lernen als komplexen Vorgang, als Interaktion zwischen lebenden „Systemen“ (also nicht nur Menschen, sondern auch Tieren und Pflanzen) zu begreifen, angeregt durch den Neurobiologen Umberto Maturana.

Ich habe in einem Buch von Rolf Balgo (Bewegen und Wahrnehmung als System. – Systemisch-konstruktivistische Positionen in der Psychomotorik, Schorndorf 1998) folgende wunderbare Sätze gefunden, die Reitlehrende, Lehrende und Menschen, die mit Menschen umgehen, begreifen sollten, damit sie angemessen mit dem Gegenüber umgehen. (Sorry, komplizierter Satzbau, aber es geht um viel…)

„…dies bedeutet, daß „Wahrnehmung“, „Bewegung“ und „Verhalten“, aber auch „Sprache“, „Lernen“ etc. der Beziehungssphäre angehören, deren Phänomene die Vorgänge des Nervensystems zwar beeinflussen, nicht aber aus diesen hervorgehen.“(Maturana in Balgo, S. 119)

„Ein Kind (oder ein Pferd, ein Tier, M. Thiele) wird also notwendigerweise in seiner Entwicklung das menschliche (oder tierische M.T.) Wesen werden, das ihm seine INTERAKTIONSGESCHICHTE (…) zu werden erlaubt, weil seine Körperlichkeit durch diese Interaktionen gestaltet und umgestaltet wird.“ (Maturana / Verden-Zöller in Balgo S. 119)

Babette, meine Studierenden und ich haben den Zauber Deines Umgangs mit Pferden und Menschen erfahren. Wir alle habe bei Dir unendlich viel gelernt, Dein Reitunterricht enthält das, was man in vielen Lehrbüchern zusammensammeln müßte, aber er ist mehr: Du lebst und lehrst Liebe,… Ehrfurcht und Achtung vor der Kreatur. Danke für viele schöne Stunden auf Deinem Hof, Danke für gigantische Reitstunden, für Tips und für den tollen Newsletter.

Im Moment entsteht hier an der Uni Bremen eine tolle Examensarbeit von Juliane Müller (S-Dressur-Reiterin), die sich ebenfalls mit dem Thema „Lernen mit metaphorischen Anweisungen“ befaßt, Vielleicht können kleine Teile daraus demnächst in Deinen Newsletter erscheinen?

Und: herzlichen Glückwunsch zum 25. Newsletter. Mehr davon.

Monika Thiele, Universität Bremen
____________________________________________________
Liebe Monika,
wie schon so oft, machst Du mich arg verlegen mit Deinen Worten…
Vielen Dank 🙂 🙂 🙂 !
Der Newsletter unterliegt Tanias toller Feder und Kreativität. Sie macht es wirklich fantastisch 🙂
Ganz liebe Grüße an Dich und Deine Studis,
Babette

 

Von Lisa • 15. September 2008

Tja, da könnte wohl auch ich eine Menge zu schreiben, denke ich…Vielleicht erstmal so viel: Ich bin -leider- eine extrem Linksseitige, so dass ich mich sooo oft daran festbeiße, auch möglichst alle Hilfen auf einmal ganz genau richtig zu geben und vergesse, dabei locker und entspannt zu bleiben und mit Humor meinen Fehlern zu begegnen. Ich fühle dann fast nichts mehr…
Ich habe vor etwas längerer Zeit im Unterricht deutlich gespührt, was Babette meinte, als sie mir sagte, ich solle beim Übergang vom Schulterherein in den Travers mir mein „Pferd unter den Hintern schnallen und einfach mitdrehen“ (oder so ähnlich). Dazu sollten wir zunächst die Übung mehrmals hintereinander mit bewusst angeschalteter linker Hemisphäre reiten (nach dem Motto: und nun da mehr Anlehnung, das Gewicht dort, mehr Schenkel, innen mehr nachgeben und so weiter und so weiter) und dann war die Aufgabe eben alles genauso weiter zu machen, „nur“ dabei von 1 bis 10 und 10 bis 1 laut und deutlich zu zählen. Aiaiaiai, ich glaube am Anfang hat sich das ganz schön lustig angehört : “ 1, 2 Pause 4, 5, 8…“ (oder so ähnlich…) Aber als ich es geschafft habe, meine bewusste Denke wirklich ganz und gar auf dieses Gezähle zu konzentrieren, ist Dolmach den schönsten, schönsten, allerschönsten Schulterherein, Travers-Übergang gegangen, den ich jemals gefühlt habe und es hat sich wirklich so angefühlt, als hätte ich ihn einfach in die Bewegung mitgenommen….Seufz! Das sind die schönen Momente, nach denen ich mich sehne, weil es sich dann so leicht (im Sinne von Leichtigkeit) und geschmeidig anfühlt….Immer wieder Hut-ab vor Deinen „kleinen“ Ideen, meine liebe Babette!
____________________________________________________________
Hallo liebe Lisa,
bist Du wieder gut in der großen Stadt angekommen?
Also, ich kenne Dich auch seeehr rechtslastig 😉
Und manchmal habe ich leider auch nicht immer die Ideen…
Sei ganz lieb gedrückt und komm bald wieder, Babette

 

 

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