Hauptsache Aufmerksamkeit

Es gibt ein verhaltenspsychologisches Phänomen, das für den täglichen Umgang mit unseren Pferden (und auch anderen Lebewesen) sehr bedeutungsvoll ist. Und dieses Phänomen besagt Folgendes:

Negative Aufmerksamkeit ist für ein Lebewesen „besser“ als keine Aufmerksamkeit oder anders gesagt: Ohne Aufmerksamkeit, stirbt die Seele!

Wer von Ihnen schon mal Fernsehsendungen wie die „Super Nanny“ verfolgt hat, wird genau das auch bei Kindern immer wieder finden: In diesen Sendungen sind Kinder zu sehen, die ihre Umwelt terrorisieren, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Sie nehmen lieber negative Auswirkungen, wie Schimpfen, Strafen, ja sogar Schläge in Kauf, denn all das ist besser, als keine Reaktion zu bekommen. Sowie nun aber die Eltern lernen, ihren Kindern genau dann eine liebevolle Aufmerksamkeit zu schenken, wenn die Kinder positive Seiten zeigen, verändert sich in der Regel sofort das Verhalten der Kinder.

Auch im Pferdealltag kann man dasselbe Phänomen beobachten:

Ist das Pferd vorbildlich brav, z.B. steht es still am Putzplatz, beim Aufsteigen oder Ähnliches, sehen wir das so oft als Selbstverständlichkeit an und ignorieren dieses Verhalten. Macht das Pferd aber Mätzchen, schenken wir Aufmerksamkeit, indem wir schimpfen oder strafen.

Muss es uns wirklich noch wundern, wenn unsere Pferde, (Hunde, Kinder…) im Umgang viele Mätzchen machen? Wenn sie doch damit genau das erreichen, was jedem Lebewesen so wichtig ist, nämlich Aufmerksamkeit und die Reaktionen anderer?

Beobachten Sie sich doch mal einen Tag ganz genau, wann Sie welchem Verhalten wie Ihre Aufmerksamkeit schenken. Und versuchen Sie mal ganz bewusst, nur positives Verhalten mit Aufmerksamkeit zu belohnen und auf negatives Verhalten, wenn möglich, mit Entzug von Aufmerksamkeit zu reagieren.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir von den Ergebnissen Ihres Experimentes erzählen würden. 🙂

1. Juli 2008 von Babette Teschen • Kategorie: Umgang 8 Kommentare »

 

8 Reaktionen zu “Hauptsache Aufmerksamkeit”

 

Von Sarah • 1. Juli 2008

Hallo Babette,

das ist natürlich ein Thema, was Nandi und ich sehr gut kennen, wie du dich vielleicht erinnerst 😉
Und je mehr ich lobe, und zwar so richtig begeistert, mit kieksiger Stimme und allem drum und dran, um so größer wird das kleine Pony. Es ist herrlich anzusehen, wie er sich dadurch motivieren läßt. Wenn er etwas lustlos an der Longe seine Trabzirkel zieht und dann, wenn mein Lob kommt, die kleinen Öhrchen spitzt und seine Tritte richtig Ausdruck bekommen. Herrlich. Am Anfang kam ich mir in dem typischen FN-Stall noch reichlich doof vor, alle andern ziehen schweigend oder fluchend ihre Bahnen und mittendrin steht die jubelnde Sarah. Den anderen kam ich wohl auch doof vor, denn ich wurde öfters drauf angesprochen, dass das ja wohl kein Sport sei, was wir da machen 🙂
Jetzt haben wir den Stall gewechselt und passen besser in unsere Umgebung und Nandi kriegt das Lob auch wieder mit lauter, selbstbewußter Stimme von mir zu hören. Und wächst wieder jedes Mal.

LG,
Sarah
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Liebe Sarah,
in dem neuen Stall wird sich bestimmt nicht nur Nandi wohler fühlen 😉
Einmal hatte ich einen krassen Fall zum Thema Loben im Unterricht erlebt. Meine Schülerin motzte in einer Tour mit Ihrem Pferd, setzte ohne Skrupel Gerte und Sporen zur Strafe ihres Pferdes ein. Ich versuchte sie zu ermutigen ihr Pferd für Gutes zu loben. Als ihr Pferd etwas wirklich Tolles machte rief ich ihr zu, nun lob ihn doch. Ihre Antwort: „Ich kann nicht auf Kommando loben….“. Das war so traurig und leider habe ich sie nicht erreicht 🙁
lieben Gruß, Babette

 

Von Sarah • 1. Juli 2008

Eigentlich erstaunlich, dass sich so jemand überhaupt zu dir „verirrt“. Da müsste doch die Sehnsucht hinterstehen, etwas verändern zu wollen…
andererseits habe ich eine liebe Freundin, ihres Zeichens Waldorf-Lehrerin, mit etwas schwierigem Pony. Und die kann auch nicht loben! Sie steht neben mir und seufzt „ach, wie toll du Nandi nur mit Stimme loben kannst“ und setzt es bei ihrem nicht um. Wo man doch meinen sollte, das gerade Waldorf-Lehrer das beherrschen…
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Hallo Sarah,
das Mädel kam nicht freiwillig zu mir. Sie wurde als Reitbeteiligung von der Pferdebesitzerin „genötigt“ sich meine Sicht der Dinge anzuhören…
Tja, loben will gelernt sein, auch Pädagogen wird es nicht in die Wiege gelegt 😉
alles Liebe, Babette

 

Von Jenni • 2. Juli 2008

Hallo,

da kann ich gerade weiter bereichten. Ich habe eine Weile einer Kindergruppe Reitunterricht gegeben: Die Kinder kannten das Loben der Pferde (aber auch selbst Lob bekommen) von der vorherigen Reitlehrerin nicht. Ich habe ihnen ganz gezielt beigebracht zu loben. Ich habe sie genauso freudig und lautstark gelobt, wie die Pferde und habe sie immer daraufhin gewiesen, wenn sie ihr Pferd loben sollten. Nicht nur die Pferde wurden mit der Zeit größer und stolzer, auch die Kinder, manche kamen plötzlich richtig aus sich raus. Und vorallem: mit der Zeit konnten sie loben.

Liebe Grüße, Jenni
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Hallo Jenni 🙂
super schön! Da haben die Kinder bei Dir so was großes und wichtiges für ihr Leben gelernt!
Alles Liebe Babette

 

Von Eve • 20. August 2008

Hallo,
vielen Dank für deine tollen Beiträge, Babette!
Dies sind alles Dinge, von denen ich annehme, dass sie den meisten Lesern hier bekannt sind, doch es gehen leider immer wieder Sachen vergessen…
Dank deinem Beitrag werde ich wieder vermehrt darauf achten und mein Pferdchen wirklich mit Freude loben.
Oft bin ich mir nämlich nur bewusst, was alles (noch) nicht klappt und dabei vergesse ich, wie wunderbar es eigentlich ist, dass mein Pferd ja soooo viel kann und für mich tut! Wenn man sich dessen bewusst wird, verbessert sich die gesamte Atmpsphäre um Welten und alles klappt besser…
Liebe Grüsse von einer begeisterten Leserin,
Eve
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Liebe Eve,
mir hilft das Schreiben selber, achtsamer mit den Tieren und meinem Verhalten zu sein. Und was für ein schöner Nebeneffekt, wenn es auch für Dich und vielleicht noch den einen oder anderen, eine positive Wirkung hat. Darüber freue ich mich sehr 🙂
liebe Grüße, Babette

 

Von Nicole • 21. November 2008

Hallo,

als ich vor vier Jahren meine „Pappnase“ gekauft habe, hat sie am Putzplatz immer mit den Hufen gescharrt, sobald ich ihr den Rücken zugedreht habe. Der Lösungsansatz der bisherigen Besitzer war: „Nicht alleine lassen am Putzplatz, dann scharrt sie auch nicht.“ Das stimmt zwar grundsätzlich, aber ich kann ich ja nicht vorab meine gesamte Ausrüstung an den Putzplatz schleifen, damit ich sie nicht mehr alleine lassen muss um z.B. den Sattel zu holen. Außerdem kann es immer mal vorkommen, dass man ein Pferd für ein paar Minuten ohne Babysitter anbinden muss, und das hätte ich damals nicht gekonnt.

Also wollte ich ihr die Scharrerei abgewöhnen. Zuerst habe ich sie natürlich geschimpft, wenn sie damit angefangen hat, aber das fand sie natürlich ganz toll! Sie hat ja für ihr negatives Verhalten Aufmerksamkeit bekommen und damit ihr Ziel erreicht.

Irgendwann habe ich es dann genau andersrum versucht (so wie es ja auch immer gepredigt wird): Ich habe sie angebunden, bin um die Ecke gegangen (und damit in ihren Augen verschwunden) und habe erstmal abgewartet. Erwartungsgemäß hat sie natürlich angefangen zu scharren und so schnell nicht mehr aufgehört. Als der erste Vorderfuß „müde“ war hat sie halt den anderen genommen. Aber irgendwann war ihr das zu blöd und sie hat kurz aufgehört. Und in dem Moment bin ich natürlich um die Ecke geschossen und habe sie gelobt, als ob sie den Stein der Weisen entdeckt hat! Was soll ich sagen: Das Problem war ziemlich schnell gelöst und heute gehört schon wirklich viel dazu, dass sie wieder anfängt zu scharren (wenn ich z.B. in Sichtweite stehe und stundenlang ein anderes Pferd betüddele – was ich aber natürlich nie machen würde 😉 !).

Inzwischen bin ich auch dazu übergegangen sie nach dem Putzen mit einem Leckerli für ihr Stillstehen zu belohnen, und das hat sie sich echt verdient. Wenn ich manchmal andere Leute beim Putzen beobachte und v.a. höre (Steh still! Hör auf! Lass das!) dann kann ich – glaube ich – echt stolz auf meine Schnecke sein!

Liebe Grüße,
Nicole
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Liebe Nicole,
ja, das kannst Du. Und vor allem bitte auf auch Dich, denn das hast Du toll hin bekommen 🙂
liebe Grüße,
Babette

 

Von no0815girl • 5. Juli 2010

Ich rede oft in einer Tour beim Reiten vor mich hin. Ich weiss natürlich, dass Lob am besten schön gezielt auf das gewünschte Verhalten erfolgen sollte (Stichwort Clicker), aber eigentlich ist das Reden auch mehr für mich. Und ich glaube auch, dass mein Pferd an meinem Gebrabbel erkennt, ob sie auf dem richtigen Weg ist. Lob erfolgt natürlich in ganz anderem Tonfall als mein Gebrabbel und ich hoffe / glaube, dass sie das schon unterscheiden kann. Ich merke jedoch, dass ich selbst viel fokusierter bin, wenn ich sage: so und jetzt eine kleine Volte und eine schöne Biegung, das war schon gut, aber die nächste Volte noch ein bisschen besser, das können wir – ja – ja – genau so – fein! *freu*.
Was zum Loben für mich wichtig ist, dass ich mir immer wieder bewusst mache, was wir eigentlich schon alles gelernt haben und was sie von Anfang an wirklich toll machte (zB stehenbleiben beim Putzen), gerne auch im Vergleich zu anderen Pferden. Anhalten klappte am Anfang gar nicht, mittlerweile ist das eine unserer besten Übungen auf Stimmkommando. Gestern hat sie einfach so mal wieder ein Leckerli bekommen fürs gute Anhalten, obwohl das mittlerweile „Standard“ ist. Weil ich mir aber bewusst bin, dass das eben nicht schon immer Standard war, hat sie ab und zu auch wieder ein besonderes Lob verdient.
Ausserdem liebe ich es selbst, gelobt zu werden und lobe auch sehr gerne und sehr oft.
Leider sehe ich immer wieder, dass das nicht besonders verbreitet ist, sondern dass mehr geschimpft wird, als gelobt, weil alles Gute, was das Pferd macht, als selbstverständlich hingenommen wird – wie du es ja beschrieben hast. Auch bei mir bricht das Schimpfen immer mal wieder aus, aber im Vergleich zum Anfang habe ich doch immer weniger Grund dazu 🙂
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Schön!
Liebe Grüße,
Babette

 

Von Susanne • 26. März 2012

Wie heißt es so „schön“, besonders in der deutschen Mentalität: Kein Tadel ist uns Lob genug!
Leider denken viele immer noch so und man kriegt ja gerade bei den ersten Reitstunden auch heute noch eingebleut: Brabbel nicht mit dem Pferd, denn dann hört es Dir nicht mehr zu, wenn Du was zu sagen hast.
Dass dem nicht so ist, hat mein Schätzlein mir ganz schnell beigebracht 🙂
Bei sehr sehr vielen kann man auch schon in der Vorbereitung zum Reiten feststellen, dass sie mit den Gedanken nicht wirklich beim Pferd sind auch auch nicht ganz bei dem, was sie gleich tun und erreichen wollen. Aus dieser „Letargie“ werden sie dann erst durch ein ungewolltes Verhalten gerissen und reagieren mit Tadel. Wenn es wieder „läuft“, versinken sie wieder in ihr dumpfes Brüten…
Während ich mich in solchen Themen wie „Ungedult“ und „Ergeiz“ u.ä. oft wieder finde, kann ich mich zumindest in dem Thema „fehlendes Bewußtsein“ frei sprechen. Ich freu mich so unbändig auf mein Schätzlein, da kann ich gar nicht anders, als ihn toll zu finden und es ihm auch zu zeigen 🙂

 

Von Tamara • 4. Februar 2013

Ich danke dir für deine tollen Anregungen auf deiner Seite.
Auch dieser Bericht hat mich zum Nachdenken gebracht. Mein Pferd ist ein braves Pferd, er steht meist am Putzplatz still, steht beim Aufsteigen still,…
Das war nicht immer so, sondern gerade zu Beginn unserer gemeinsamen Zeit eine echte Geduldsprobe für mich und meine Nerven.
Und obwohl ich das weiß, passiert es mir heutzutage immer wieder, dass ich diese Dinge zu selbstverständlich nehme und zu wenig beachte, manches mal sogar stimmlich tadele, wenn er mal einen Schritt irgendwo hin macht.
Blöd eigentlich.
Durch deinen Artikel bin ich wieder aufmerksamer auf diese Umstände geworden und ich danke dir dafür!
Gestern hab ich mal bewußt drauf geachtet, das Gute und Brave wahrzunehmen und meinen Dicken dafür auch gelobt und geherzt! Und ihm viel liebevolle Aufmerksamkeit geschenkt! Zum Beispiel für das artige Stehen am Putzplatz.
Ich konnte ihm seine Freude richtig ansehen! Er hat förmlich von innen heraus gestrahlt und sah sehr glücklich und stolz aus!
Außerdem stand er wie festgewachsen und alles lief ganz ruhig und harmonisch ab!
Es war sooo schön und wir erlebten Momente der Zweisamkeit und Freundschaft, am Putzplatz!
Danke, dass du mich durch deinen Bericht wieder auf solche Kleinigkeiten aufmerksam gemacht hast!
Ich werde in Zukunft vermehrt drauf achten und bin sehr zuversichtlich, dass wir dadurch gegenseitig viel aufmerksamer werden!

 

 

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