Professor Pferd oder: Wer trainiert hier eigentlich wen?

Letzte Woche hatte ich eine ausgesprochen spannende Einheit mit meinem Großen, Aramis. Ich mache mit meinen beiden Pferden gerne hin und wieder Freiarbeit (dazu werde ich demnächst auch etwas Ausführliches schreiben). Dazu gehe ich in unseren Longierzirkel oder auch in unsere Halle und arbeite nur mit Körpersprache, Stimme und Peitschensignalen – kein Seil, kein Halfter und so gut wie keinen physischen Kontakt. Diese Arbeit zeigt wie keine andere, ob die Beziehung zwischen Pferd und Mensch stimmt.

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Nun war Aramis an diesem Tag keck drauf und tobte sich erst einmal buckelnd und quietschend aus. Ich freute mich an seinem Bewegungsdrang und ermunterte ihn.

Als ich ihn dann allerdings zum Verkleinern einlud – damit meine ich, dass er nicht mehr ganze Bahn läuft, sondern in kleinen Kreisen um mich herumläuft, woraus man dann sehr schön Wechsel nach innen oder auch ein Schulterherein entwickeln kann – ignorierte er mich komplett. Er stellte sich leicht nach außen und reagierte nicht auf meine Zeichen, sondern rannte fröhlich vor mir weg.

Bei der Freiarbeit ist man in einer solchen Situation ziemlich hilflos, denn im Gegensatz zur Handarbeit oder auch zum Reiten, kann man nur sehr bedingt einwirken. In einer Halle mit den Maßen 20×40 lässt sich da noch weniger machen als in einem kleinen Zirkel. Gut, man kann ein Pferd stoppen oder in die Ecke stellen, um sich bemerkbar zu machen, aber letztlich lässt sich einfach nichts erzwingen. Entweder hört mir mein Pferd freiwillig zu und reagiert freiwillig auf mich oder es lässt mich schlicht und einfach verhungern. Und genau das tat mein Großer…

Ich ging in dieser Einheit durch verschiedene Emotionen: Zuerst fand ich die Sache lustig. Dann wurde ich sauer. Dann war ich frustriert. Dann wurde ich traurig, denn ich nahm sein Ignorieren persönlich. Bei all dem war ich aber immer noch im Wollen: Ich wollte, dass er verkleinert.

An einem Punkt, ich war inzwischen ziemlich k.o. (physisch vom Rennen und psychisch von der Gefühlsachterbahn), ließ ich ihn in einer Ecke anhalten (darauf reagierte er) und ging zu ihm. Ich „streckte gleichsam die Waffen“ und sagte zu ihm: „Du, ich kann und ich mag nicht mehr, bitte lass‘ uns die Sache doch jetzt mit ein bisschen Verkleinern beenden, ja?“ und dabei war ich ohne Vorwurf und ohne Druck, ich bat ihn einfach nur.

Ob Ihr’s glaubt oder nicht, er ließ sich sofort auf zwei wunderschöne Runden verkleinern. Ich bedankte mich bei ihm und wir gingen zurück zum Stall.

Als ich im Nachhinein über diese Episode nachdachte, erschien es mir, als hätte in dieser Einheit ganz klar mein Pferd mich trainiert und nicht umgekehrt. Solange ich verlangt habe, so lange ich Druck machte, so lange ich bestimmen wollte, klappte gar nichts. Erst als ich meine Erwartung losließ und respektvoll um das, was ich wollte, bat, bekam ich es.

Manch einer mag schmunzeln und das Ganze vielleicht für zu vermenschlicht halten. Solche Personen hätten vielleicht eine Longe geholt und dem Pferd erstmal gezeigt, dass es zu gehorchen hat. Ich habe in dieser Situation die Lektion angenommen, die mein Pferd für mich hatte, denn heute hatte ich etwas zu lernen, nicht er.

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25. Juni 2008 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Freiarbeit 9 Kommentare »

 

9 Reaktionen zu “Professor Pferd oder: Wer trainiert hier eigentlich wen?”

 

Von Anne Dibadj • 30. Juni 2008

Liebe Tania,
ich habe deine Geschichte gelesen und bin sehr berührt.
Man kann sehr wohl mit einem Pferd reden – die Pferde
verstehen unsere Art der Kommunikation besser als wir
oft ihre.
Und vor allem geht es um wertschätzenden Umgang, in dem
wir ganz ehrlich uns selbst und dem Pferd gegenüber sind.
Dann wird’s was. Vor einiger Zeit habe ich etwas Ähnliches erlebt, als ich eine Pferde-Coaching-Stunde
mitgemacht habe. Erst, als ich total ehrlich zu meinen
Gefühlen gestanden habe, ist das Pferd mir gefolgt.
Da ging gar nichts mit Druck… .
Freue mich schon auf weitere Newsletter.
Herzlichst,
Anne aus Bremen

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Hallo Anne,

ganz herzlichen Dank für Deine Zeilen, die nun wieder mich berührt haben – mit dem „ganz ehrlich“ triffst Du einen entscheidenden Nerv. Schön, so etwas erleben zu können, oder?

Herzlich,
Tania von „Wege zum Pferd“

 

Von Inez Emperle • 28. Juli 2008

oh ja,
das kommt mir auch nur zu bekannt vor!
mein mino ist ein sehr skeptischer typ, was allerdings mit seiner vorgeschichte zu tun hat…
da war es manchmal schon zuviel verlangt dass er zu mir kommt und sich einfach nur streicheln lässt, oder ein leckerlie abnimmt.
immer wenn er so einen tag hatte, dass er sich nicht anfassen lassen wollte, bzw nicht mal für futter kurz in meine nähe kam, habe ich immer an einen spruch von meiner alten reitlehrerin gedacht:
„immer mit der ruhe, dein pferd bestimmt das tempo, kein smilodon und keine wölfe weit und breit,ihr seid in sicherheit und nicht auf der flucht“
und dann setzt man sich auf die wiese ( manchmal auch um die vier stunden) und freut sich über einen verwunderten blick, weil dieser blick ja schon aufmerksamkeit war, und man doch etwas gewonnen hatte 🙂
dieses pferd hat mich eine engelsgeduld gelehrt! und manchmal tut er es heute noch…

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Wow, Inez, Hut ab – da scheint Deine Lernaufgabe noch deutlich größer zu sein, als meine! 🙂

Herzlich,
Tania von „Wege zum Pferd“

 

Von Nicole • 9. März 2011

Hallo Tanja,
ja, da hast du wirklich schlaue Hafis an deiner Seite! Sie belohnen uns, wenn wir ihre Lektion gelernt haben. ich mache mir auch immer mal gerne den „Spaß“ und versuche mit meinem Hafi ohne alles zu arbeiten, um zu sehen, wie er darauf reagiert. In der Freiarbeit lernt man selbst viel über die eigene Körpersprache und das Vertrauensverhältnis zum Pferd.
Einmal, da war meiner noch 3 und noch nicht angeritten, hatte ich das Glück, die Reithalle für mich allein zu nutzen. Ich wollte ihn eion bißchen Freispringen lassen und Bilder davon machen. Aber ich hatte keinen Helfer, der entweder die Fotos machte oder Navaro über die Hindernisreihe schicken konnte. Ich hatte aber schon gemerkt, daß er Spaß daran hatte. Nach einigen Aufwärmrunden(ohne springen) hab ich dann die Sprunggasse geöffnet und er ist von ganz allein durchgesprungen. Er durfte selbst entscheiden, wann er mal eine Pause einlegen wollte und wieviel er springen wollte. Ich brauchte nur in der Mitte stehen und die Fotos schießen, mehr nicht. Er war in dem Moment einfach Klasse, wofür er auch ausgiebig gelobt wurde.

LG Nicole

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Wunderschön klingt das!
Tania

 

Von Christiane • 21. Juni 2011

Liebe Tanja,

ich habe gerade Deine Geschichte gelesen und kann Dir nur gratulieren. Ich arbeite ja auch mit Managern in der Manage mit Pferden. Und dort zeigt sich bei der Freiarbeit auch immer wieder genau das was Du hier schreibst. Schon toll, was uns diese geliebten 4 Beiner alles lehren. Sag wo bist Du denn zu hause? Ich finde diesen Zugang hier in Graz od. Österreich so selten und würde mich riesig gerne mit Dir mehr austauschen und auch mal Kurse in Deutschland besuchen.
Danke und alles Gute weiterhin mit Deiner feinen Arbeit.
Christiane

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Danke, Christiane, Du bekommst eine Mail von mir,
Tania

 

Von Annika • 1. August 2011

Hallöchen Tania,

ich habe soetwas mit meiner RB auch erlebt. Wir waren auf dem Roundpen und haben gearbeitet.
Übergänge, Halten usw. nur mit Körpersprache und Stimme. Darauf hat sie sehr gut reagiert.
Dann lud ich sie ein, zu mir zu kommen. Doch plötzlich fand sie alles interessant, außer mich.
Ich habe sie ein paar mal ermahnt, doch schnell merkte ich das es nichts brachte. Also sagte ich : „Gut, dann komm du, wenn du kommen willst. Ich bleib jetzt hier solange stehen. Egal wie lange du brauchst, nimm dir deine Zeit.“
Nach 20 Minuten war sie bei mir, und seitdem folgt sie mir ohne jegliches Zaumzeug auf Schritt und Tritt.
Nun musste ich aufgrund meines Umzugs leider bei ihr aufhören. Aber mit der Besitzerin habe ich heute noch super Kontakt. Sie holt sich auch keine andere RB mehr.
Sie sagte, wenn ich mal wieder in die Nähe ziehen sollte, solle ich mich bei ihr melden, ich dürfe jeder Zeit wiederkommen. 🙂
LG Annika

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Schön, dass Du dem Pferd die Zeit gegeben hast!
Tania

 

Von Veronika • 9. April 2012

Ich freu mich auf den Artikel über Freiarbeit. Ich mach sehr viel Freiarbeit mit meinem Kleinen, weils für mich sehr praktisch ist (brauch keine Ausrüstung, und das geht auch mal wenn die Zeit zum reiten zu knapp ist) und weil ichs gut finde, dass bei der Freiarbeit die Grenzen zwischen „arbeiten“ und „spielen“ fließend sind. Finde das sehr wichtig, reiten artet manchmal zu sehr in „Arbeit“ aus und dann tut es mir und dem Pony psychisch gut, wenn wir unsere gemeinsame Zeit wieder eher Richtung „spielen“ verschieben 🙂

 

Von Jacqueline • 10. April 2012

Hallo Tania,
vielen Dank für deinen Artikel. Mir ging es auch schon oft so, dass ich mit meinem Dicken Freiarbeit auf einem großen Reitplatz machen wollte, aber er irgendwie keine Lust hatte, dabei hat er beim letzten Mal so toll mitgemacht. Ich war dann nur am Hinterlaufen und wurde immer frustrierter. Hab mir dann immer Gedanken gemacht, was ich falsch mache. Meist hab ich dann abgebrochen und ihn zumindest zum Spielen eingeladen, dass klappt immer besser. Ich werde es beim nächsten Mal auf deine beschrieben Art probieren.
Ich freue mich schon, wenn du demnächst mehr über die Freiarbeit schreibst.

Viele Grüße
Jacqueline

 

Von Tania • 10. April 2012

Hi Ihr,

danke für Eure Kommentare. Ich hatte diesen schon etwas älteren Blogbeitrag mal wieder neu angekündigt. So ist der Artikel zum Thema „Freiarbeit“ inzwischen schon erschienen:

http://www.wege-zum-pferd.de/artikel/freiarbeit.php

Herzlich,
Tania

 

Von Steffi • 11. April 2012

Hallo Tania,
Danke für den tollen Artikel!Es war ein perfektes Timing: gestern früh gelesen und abends war ich bei meinem Jungpferd (2). Nur gemeinsam die Halle abäppeln (also ich äppelte ab, er lief mir trotz scheppernder Schubkarre brav hinterher) Wollte ihn dann -glücklich weil er so mutig war- zurück in den Stall führen und er rennt mich um, drängelt.
Also zurück, noch mal probiert. Nix, immer wieder drängeln.
Dann an den Artikel errinnert: Alles auf Pause, anhalten, tief durchatmen, entspannen, gaaanz ruhig. Und siehe da, wir konnten beide sehr entspannt zurück in den Stall gehen.
Und ich weiß es lag an mir. Es ist doch unglaublich, wieviel uns schon so kleine Pferde bei bringen könne, wennwir denn nur die Augen aufmachen und es zulassen. Ich hoffe, ich werde dazu in der Lage sein, wenn es irgendwann ans einreiten geht …

Viele Grüße
Steffi

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Klasse gelöst, Steffi!
Tania

 

 

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