Was sehen wir in unseren Pferden?

Reiter/innen sind ja nicht immer nett zueinander. Da hört man schon mal so etwas wie „Für die ist ihr Pferd doch nur ein Sportgerät.“ oder „Der hat sich das Pferd nur gekauft, um sein Selbstbewusstsein damit aufzupolieren.“ oder auch „Du hast dein Pferd nur zum Bemuttern, kein Wunder, dass der ständig krank ist.“

Und tatsächlich lösen Pferde in uns die unterschiedlichsten Erwartungen aus und leider aktivieren sie auch nicht immer das Beste in uns Menschen. Die Spanne reicht von unangemessener Verhätschellei bis zu üblen Machtmissbrauch.

Sportgerät, Protzobjekt, Kindersatz – so nachvollziehbar unsere Erwartungen auch sind, schließlich investieren wir meist viel Zeit und/oder Geld in unsere Tiere – das, was wir in unseren Pferden sehen, wird ihnen leider nicht immer gerecht. Wir vergessen dabei nämlich schnell eines: Pferde sind vor allem Pferde und als Pferde sollten wir sie auch behandeln.

Ohne hier mit den Fingern auf andere zeigen zu müssen, kann ich mir gleich selbst an die Nase fassen, denn ich bin bereits mit meinen eigenen – unangemessenen – Erwartungen an mein Pferd konfrontiert worden. Aber ich habe das zum Anlass genommen, an mir zu arbeiten. Für mich sind meine Pferde deshalb heute vor allem so etwas wie Lehrmeister, denn sie zwingen mich ständig dazu, mein Verhalten und meine Erwartungshaltung zu überprüfen. Ich muss z.B. meinen Ehrgeiz in den Griff bekommen, darf ihr Verhalten nicht so persönlich nehmen und muss mir klar machen, dass sie schlicht und einfach ein Recht darauf haben, Pferd zu sein. Nur wenn ich sie wirklich als Pferde sehe und sie auch mit ihrer eigenen Persönlichkeit wahrnehme, kann ich ihnen gerecht werden und nur dann kann ich sie verstehen und mich verständlich machen.

Es bringt gar nichts (außer Scham im Nachhinein), wenn ich wütend werde, weil mein Youngster z.B. „so undankbar ist“ oder weil mein Großer zum x.ten Mal einfach losstürmt, obwohl er „doch wissen muss“, dass ich das Tempo bestimme. Stattdessen muss ich es schaffen, für den Moment meine eigenen Vorstellungen loszulassen („Ich wollte doch heute aber…“ oder „Ich hatte mir das heute ganz anders vorgestellt…“) und mit einem möglichst emotionalen Blick von außen auf die Situation zu schauen. Ich kann mich dann fragen: „Was passiert hier gerade? Warum läuft es so schief? Kann dieses Pferd in dieser Situation wirklich tun, was ich von ihm verlange?“ Auf diese Weise kann ich zu verstehen versuchen, wie sich die Situation für das Pferd darstellt. Nur das ermöglicht es mir, meine Erwartungen ggf. zu korrigieren oder mir pferdegerechte Strategien einfallen lassen, um unerwünschtes Verhalten zu unterbinden und durch gewünschtes Verhalten zu ersetzen.

Der Umgang mit Pferden gehört sicher zu den anspruchsvollsten Beschäftigungen, die es gibt und dass gerade in der Reiterei so viel Unschönes passiert, liegt wohl genau daran. Die Beziehung zwischen Mensch und Pferd ist unendlich kompliziert, weil wir vom Wesen her so unterschiedlich sind. Menschen und Pferde leben in gänzlich verschiedenen Welten und nur, wenn wir bereit sind, in ihnen das zu sehen, was sie wirklich sind, haben wir eine Chance, ihnen wirklich nahe zu kommen.

Die meisten von uns versuchen – sei es aus Unwissenheit, aus Angst oder auch ganz bewusst – Pferde in unsere Menschenwelt zu zwingen und da Pferde genetisch auf Kooperationsbereitschaft programmiert sind (weitestgehend jedenfalls), geben die meisten – früher oder später – nach und manchmal auch auf.

Wirklicher Kontakt wird aber erst dann möglich, wenn wir bereit sind, sie auch in ihrer Welt zu treffen. Wenn wir es schaffen, unsere eigenen Erwartungen loszulassen (zumindest phasenweise) und zu schauen, was uns anstelle dessen angeboten wird. Das ist vielleicht nicht immer das, was wir uns eigentlich vorgestellt hatten, aber dafür ist das oft so viel mehr, als wir vorher zu hoffen gewagt hätten.

Das jedenfalls ist meine Erfahrung – wie sind Eure?

9. Mai 2008 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse 0 Kommentare »

 

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