Probleme bei der Freiarbeit und Lösungen dazu
Es gibt einige Probleme, die immer wieder bei der Freiarbeit auftauchen. Konkrete Anleitungen sind leider schwer zu geben, da die Freiarbeit sehr individuell ist und es oft auf Feinheiten und Kleinigkeiten ankommt, die gar nicht alle beschrieben werden können. Dennoch möchte ich in diesem Blogbeitrag versuchen, einige Gedanken zu den Ursachen von Problemen aufzuzeigen und mögliche Lösungsansätze geben.
Fehler sind menschlich!
Gleich vorweg das Wichtigste: Wie bei jeder Arbeit mit Pferden gilt auch für die Freiarbeit der Grundsatz: nicht das Pferd macht etwas falsch, sondern der Mensch. Das zu verinnerlichen ist bei der Freiarbeit besonders wichtig, weil hier die Fehler des Menschen noch deutlich sichtbarer werden (sie können ja nicht durch Hilfsmittel kaschiert werden).
Nun aber auch gleich die erleichternde Botschaft: Fehler bei der Freiarbeit sind vollkommen normal und ja, im doppelten Wortsinn menschlich. Es ist immer wieder eine große Herausforderung, sich einem Pferd verständlich zu machen. Während wir bei allen anderen Arbeitsformen Stricke, Zügel oder andere Möglichkeiten haben, uns (auf eine mehr oder weniger nette Art) durch direkten Kontakt mitzuteilen oder auch „durchzusetzen“, fällt das bei der Freiarbeit weg. Hier haben wir nur unsere Körpersprache, unsere Stimme und unsere Energie/Ausstrahlung und als Hilfsmittel vielleicht eine Peitsche (aber selbst der kann sich das Pferd im Normalfall durch Weglaufen entziehen – und ein aggressives Scheuchen oder gar ein Schlagen mit einer Peitsche ist in der Freiarbeit ein absolutes Tabu, da es jegliches Vertrauen zerstören kann und damit der Freiarbeit jede Grundlage entzieht).
Für mich ist die Freiarbeit die ehrlichste Arbeit mit dem Pferd, da sie auf der Bereitschaft gegenseitigen Zuhörens und Respekts basiert. Und das muss sich jeder erst erarbeiten und ein Stück verdienen – also keine Angst vor Fehlern, aber dafür bitte viel Bereitschaft, sich selbst und das eigene Tun zu hinterfragen!
Schauen wir uns einmal an, was alles passieren kann:
Das Pferd hört nicht zu
Unter dieser Überschrift lassen sich eine ganze Reihe von Problemen fassen, wie z.B.:
- das Pferd rast und buckelt los und reagiert nicht auf den Menschen,
- das Pferd entscheidet über Richtung und Tempo,
- das Pferd läuft Runde um Runde und lässt sich weder verkleinern noch irgendwie sonst erreichen,
- das Pferd steht am Tor und will nicht mitarbeiten
- und ähnliches mehr.
Wie bei jedem anderen Problem auch, müssen wir zunächst die Ursache herausfinden, um zu überlegen, wie wir sinnvollerweise vorgehen können.
Wenn das Pferd immer dann, wenn es frei gelassen wird, rast und buckelt, lässt sich vermuten, dass es nicht genug Bewegung oder alternativ Angst hat.
Zu wenig Bewegung ist in der Regel ein Problem der Haltung, manchmal nur punktuell, wenn z.B. Dauerfrost oder Glatteis die Bewegungen der Pferde einschränken, meist aber ist es eine nicht artgerechte Haltung, wie Boxen, Einzelhaft und Mini-Paddocks. Hier kann nur eine Änderung der Haltung wirklich dafür sorgen, dass das Pferd sich nicht mehr sofort austoben muss, wenn es denn mal frei gelassen wird.
Rennt und tobt das Pferd aus Angst, ist herauszufinden, was seine Angst auslöst. Hat es Angst vor der Peitsche? Vor dem Menschen, der vielleicht unbewusst zu viel Druck macht? Hat es schlechte Erfahrungen beim Freilaufen gemacht, die immer noch nachwirken? Nur wenn wir erkennen, was dem Pferd Angst macht, können wir die Ursachen dafür beseitigen.
Wenn das Pferd selbstständig über Tempo und Richtung entscheidet, hat der Mensch es noch nicht geschafft, auf eine gute Weise wichtig genug für das Pferd zu sein. Hier gilt es, beim kleinen Einmaleins der Kommunikation anzufangen und als Mensch z.B. erst einmal damit zu beginnen, auf eine friedliche, aber klare Weise Raum in der Halle bzw. auf dem Platz einzunehmen und so dem Pferd zu vermitteln, dass es auf ihn zu achten hat. Erst darauf lässt sich dann aufbauen.
Läuft ein Pferd einfach los und rennt Runde um Runde, ohne auf den Menschen zu achten (meist übrigens in Außenstellung), dann spult es das ab, von dem es glaubt, dass es von ihm erwartet wird. Man kann das oft bei Pferden sehen, die auf eine schlechte Weise longiert oder per Join up gearbeitet wurden. Solchen Pferden gilt es ganz behutsam und sanft zu zeigen, wie Freiarbeit aussehen kann und dass es auch eigene Ideen einbringen darf. Manchmal ist dafür viel Einfühlungsvermögen und Geduld nötig, denn solche Pferde haben große Angst, Fehler zu machen und dafür bestraft zu werden.
Rennt oder geht das Pferd immer wieder zum Ausgang, um dort stehen zu bleiben, zeigt es deutlich, dass es kein Interesse an der Freiarbeit hat. Hier gilt es herauszufinden, ob es die eigene Ausstrahlung und Erwartungshaltung ist, die es dem Pferd schwer macht, oder fehlende Motivation oder Freude, oder ob es vielleicht einfach noch überhaupt nicht verstanden hat, worum es geht.
Das Pferd will nicht laufen
Häufig wird auch beschrieben, dass ein Pferd gar nicht weg vom Menschen und sich auch nicht wirklich bewegen will. Das wird dann fast immer als „Faulheit“ oder „Respektlosigkeit“ gedeutet. Leider sind diese Interpretationen oft vollkommen falsch!
Die meiner Erfahrung nach häufigste Ursache für ein Kleben am Menschen bei der Freiarbeit ist die, dass das Pferd nicht versteht, was der Mensch von ihm will. Es ist verunsichert, weil der Mensch sich nicht klar ausdrücken kann. Manche Pferde reagieren darauf, indem sie losrennen, sehr viele Pferde aber bleiben einfach in der Nähe des Menschen. Und das unterstützt der Mensch dann oft noch durch unbedachtes Lob, in dem er sich freut, dass das Pferd „so kuschelig“ ist und es dann streichelt oder gar ein Leckerli gibt, weil es doch so süß ist. Wenn danach dann rüde versucht wird, das Pferd nun aber endlich wegzuschicken und zum Laufen zu bringen, kann das Tier überhaupt nicht mehr verstehen, was der Mensch eigentlich von ihm will …
Wenn ein Pferd nicht laufen möchte, liegt das in den meisten Fällen an der Körpersprache oder Ausstrahlung des Menschen. Sehr viele bremsen die Lauflust ihrer Pferde ganz konkret durch falsche Signale oder durch die eigene (fehlende) Energie. Hier gilt es, sich der Körpersprache und -haltung, der eigenen Energie und Ausstrahlung und der Signale, die man selbst – oft unbewusst – sendet (vielleicht auch aus Angst, dass das Pferd fallen könnte, wenn es schneller wird, oder einen umrennt), bewusst zu werden. Videoaufnahmen von sich selbst leisten da eine gute Hilfe und natürlich auch das Feedback anderer, wenn sie denn den nötigen Blick dafür mitbringen.
Eine generelle Bewegungsunlust kann Ursachen haben, die außerhalb der Freiarbeit liegen: vielleicht hat das Pferd Schmerzen oder zu wenig Energie, vielleicht ist es traurig oder müde.
Das Pferd hat keine Freude an der Freiarbeit
Hin und wieder beschreiben Leute, dass ihr Pferd bei der Freiarbeit irgendwie grimmig aussieht. Es tut zwar vielleicht alles, was gewünscht wird, hat aber angelegte Ohren, der Blick ist in sich gekehrt und es zeigt keinerlei Freude an dem Tun. In seltenen Fällen wird das Pferd sogar aggressiv, droht also zu treten oder zu beißen oder es steigt.
Hier muss zunächst überprüft werden, ob unsere Interpretation tatsächlich richtig ist, denn wenn sich ein Pferd konzentriert, kann es durchaus ernst aussehen oder wenn es vor Freude einen Sprung macht, heißt das noch lange nicht, dass es tatsächlich nach uns schlagen wollte. Auch kann es sein, dass dem Pferd z.B. das Steigen beigebracht wurde und es denkt, dass es das tun soll. Hier ist es sehr wichtig, die Motivation des Pferdes zu erkennen, damit wir sein Verhalten nicht falsch deuten.
Wenn wir uns aber sicher sind, dass das Pferd wirklich sauer ist, müssen wir auch hier versuchen, die Ursachen zu finden:
- Ist es so nur bei der Freiarbeit oder auch in anderen Bereichen?
- Hat es vielleicht körperliche Probleme, die die Arbeit schmerzhaft machen?
- Verbindet es Freiarbeit vielleicht mit etwas Unangenehmen (schlechten Erfahrungen o.ä.)?
- Wissen wir, was unserem Pferd Freude macht?
- Loben wir genug und vor allem auf eine Art, die für das Pferd auch wirklich eine Belohnung ist?
- Fordern wir vielleicht zu viel?
- Sind wir zu streng?
- Darf das Pferd sich selbst einbringen oder muss es nur funktionieren?
- Welche Ausstrahlung haben wir selbst bei dieser Arbeit?
Da wir bei der Freiarbeit ein Pferd nicht wirklich zwingen können, zeigen sich hier grundlegende Motivationsprobleme oder auch eine eventuelle Abneigung gegen Menschen oft deutlicher als bei anderen Arbeiten. Das macht es für uns Menschen nicht immer leicht, schenkt uns aber gleichzeitig die große Chance, solch verärgerte Pferde wirklich kennen und verstehen zu lernen und uns eine im Idealfall freudige Mitarbeit ehrlich zu verdienen. Ein verärgertes oder trauriges Pferd, das bereit ist, sich neu zu öffnen und einzulassen, ist eines der schönsten Geschenke überhaupt.
Mehr Mut zum Miteinander
In der Summe glaube ich, dass die meisten Probleme in der Freiarbeit entstehen, weil wir nicht bereit sind, ein Pferd in seinem Pferdsein anzunehmen, sondern auch hier alles kontrollieren und bestimmen wollen. Aber genau das ist eben nicht Sinn der Freiarbeit.
Wer gerne mit seinem Pferd frei arbeiten möchte, sollte weniger auf das schauen, was oft so spektakulär in Videos gezeigt wird, als vielmehr bereit sein, seinem Pferd zuzuhören und mit ihm zusammen einen ganz eigenen Weg zu finden.
Wenn wir aufhören, etwas zu wollen und unsere Erwartungen und Vorstellungen darüber, wie das jetzt alles zu sein hat, loslassen, zeigen uns Pferde oft selbst, wozu sie Lust haben und wie die Arbeit aussehen kann. Das Wörtchen „frei“ deutet an, dass wir für die Freiarbeit eben auch eine Portion Bereitschaft mitbringen müssen, sich ein Stück weit vom Pferd leiten und vor allem überraschen zu lassen.
Lesetipp: Tanias Freiraum-Training
(Foto von Horst Streitferdt)
2. Februar 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Allgemein, Freiarbeit, Jungpferdausbildung, Umgang • 12 Kommentare »