Vertrauensarbeit in der Praxis

Für viele Reiter/innen ist das freie Reiten, also das Reiten ohne Sattel und Kopfstück ein scheinbar unerreichbarer Traum. Ich habe hier schon einmal darüber geschrieben, dass ich mir das mit Aramis inzwischen erarbeitet habe (hier nachzulesen). Da ich oft darauf angesprochen werde, möchte ich heute ein bisschen von meiner aktuellen Vertrauensarbeit mit Anthony berichten, mit dem ich mir Ähnliches erarbeiten möchte.

Ich habe ja erst vor kurzem dargestellt, wie bei uns das erste Aufsteigen ablief. Auf der Basis dieses Starts habe ich immer mal wieder die Chance genutzt, mich in einem sicheren Raum (also in der Halle oder auf einem gut eingezäunten Platz) für kurze Momente nur mit Halfter oder mit Halsring auf Anthony zu setzen und ihn dann auch mal ein Stückchen so zu reiten. Inzwischen haben wir uns auf diese Weise bereits ein hübsches Repertoire an Reitübungen ohne alles erarbeitet.

an_ohne.jpg

Bitte beachten: Dieses und die folgenden Bilder sind das Ergebnis von vielen, vielen kleinen Einzelschritten, mit denen ich mein Pferd Stück für Stück immer besser kennen gelernt habe sowie von einer umfassenden und vielfältigen Vertrauensarbeit. Ich habe hier nie etwas überstürzt, sondern ich habe immer sehr genau auf die Stimmung meines Pferdes und auf mein Bauchgefühl geachtet. Man kann ein solches Vertrauen nicht aus dem Nichts erwarten und erst recht nicht erzwingen, sondern nur ganz behutsam entwickeln.

Wenn man kein Kopfstück zur Verfügung hat, ist man vor allem auf seinen Sitz angewiesen. In der folgenden kleinen Serie kann man schön sehen, wie ich Anthony nur über den Sitz anhalte.

Wir traben:

an_ohnetrab.jpg

Dann kippe ich leicht das Becken ab und gebe unterstützend das Stimmsignal zum Anhalten, worauf Anthony prompt reagiert:

an_ohnestopp.jpg

Da ist natürlich ein dickes Lob fällig!

an_ohnestopp2.jpg

Auf dem Trabfoto kann man sehen, dass ich auch die Gerte für Signale nutze. Sie ist ausgesprochen nützlich beim Reiten ohne Kopfstück! Auf dem Trabfoto hatte ich sie z.B. unterstützend an der Schulter angelegt, damit er beim Abwenden nicht zu sehr auf diese fällt. Auf dem folgenden Bild ist zu sehen, wie ich die Gerte auch zum Lenken nutzen kann, sollte mein Sitz nicht deutlich genug sein:

an_ohne_gerte1.jpg

Und hier, wie wir eine Hinterhandwendung probieren:

an_ohne-gerte2.jpg

Und hier noch einmal schön zu sehen, wie die Gerte sanft beim Abwenden helfen kann:

abwenden1.jpg

abwenden2.jpg

Das Reiten ohne Kopfstück ist keine Zauberei und auch kein Akt von wagehalsigem Mut. Wichtig ist, die Sache mit viel Ruhe, Pferdeverstand und einem gesunden Bauchgefühl anzugehen und immer nur sehr kleine Schritte zu machen. Viele, die solche Bilder sehen, sprechen vor allem von den Gefahren, die mit dem freien Reiten verbunden sind. Ich halte da immer dagegen, dass die Sicherheit, die durch eine solche Vertrauensbasis entsteht, unbezahlbar ist.

18. Juni 2009 von Tania Konnerth • Kategorie: Reiten, Vertrauenstraining 12 Kommentare »

 

12 Reaktionen zu “Vertrauensarbeit in der Praxis”

 

Von Milka • 19. Juni 2009

Hallo Tania,
ich liebe das Gefühl auch sehr, auf einem ungezäumten und ungesattelten Pferd zu sitzen. Für mich geht nichts über das Vertrauen, dass einem dadurch vom Pferdefreund bewiesen wird und nichts über diese entspannte Atmospäre.

Milka geht aber ungezäumt oft ihre eigenen Wege lieber, als die, die ich ihr vorschlage. Anscheinend ist mein Sitz noch nicht gut genug! Der Tipp mit der Gerte ist auch eine gute Idee!

Ich freue mich immer über Leute, die mit ihrem Pferd ein solches Vetrauensverhältnis haben und möchte euch auch sehr beglückwünschen 🙂

LG Meike

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Danke, Meike 🙂

Und was das eigene-Wege-gehen angeht: einfach immer wieder üben, das wird!

Tania

 

Von Susi • 20. Juni 2009

Hallo, Tanja,

ich f5nde deinen Blog klasse.
Was ich aber nicht verstehe, warum benutzt du die Gerte?
Auch wenn du sie nur sanft einsetzt, so ist sie doch immer eine Waffe.
Tut mir leid, aber für mich ist das kein Reiten ohne Zaumzeug und Sattel, sondern ein Reiten mit Waffe.
Wenn deine Pferde dir vertrauen und du deinen Pferden vertraust, dann brauchst du diese Gerte nicht.

Ich hoffe, du kannst mit meiner Kritik umgehen.

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Hallo Susi,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich kann mit der Kritik gut umgehen, denn ich verstehe Deinen Punkt, sehe das aber ein bisschen anders. Eine Gerte ist für mich nicht per se eine Waffe, sondern entscheidend ist, wie ich sie einsetze. Die Gerte verlängert meinen Arm, so dass ich a) aus der Distanz und b) an Stellen einwirken kann, die ich mit meiner Hand nicht erreichen kann. Das ist für mich nichts Schlechtes – ich wirke ja auch mit meiner Hand ein, die auch schlagen könnte, also dann nach Deiner Definition auch eine Waffe wäre. Vielleicht komme ich ja irgendwann dahin auch auf dieses Hilfsmittel verzichten zu können, im Moment hilft sie mir noch sehr bei der Kommunikation ohne Zaumzeug.

Herzlicher Gruß,
Tania

 

Von Elke • 22. Juni 2009

Hallo Tania,

sieht toll aus, ich mache das auch hin und wieder mit meinem Pferd. So kommen alle Schwächen zum Vorschein, die sich bei Sattel und Zäumung nicht bemerkbar machen z. B. Irritationen bei den Hilfegebungen. Für mich ist es super, denn ich lerne, meine Hilfen noch genauer zu geben. Ich kann nur nicht verstehen, dass du ohne Reithelm reitest. Egal wie ruhig und zuverlässig ein Pferd ist, das ist es meiner Meinung nach nicht wert und es ist auch kein gutes Vorbild für alle Leser.

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Vielen Dank, Elke, für Deinen Kommentar. Jep, das mit dem Aufdecken von Schwächen kenne ich auch sehr gut bei meinem Großen. Und es ist eine echte Herausforderung, diese dann so zu bearbeiten.

Zum Helm: Ich hatte damit gerechnet, dass diese Hinweis kommt. Er ist wichtig und richtig. Anthony reite ich zur Zeit auch sonst nur mit mit Helm. Das freie Reiten entsteht jedoch oft ganz spontan aus der Freiarbeit heraus und da gehe ich dann eben nicht erst zurück, um die Kappe zu holen. Soll keine Entschuldigung sein, nur eine Erklärung.

Herzlich,
Tania

 

Von Sandra • 22. Juni 2009

Hallo Tania,

wirklich toll – um eine Hinterhandwendung zu probieren, muss wirklich schon sehr viel Vorarbeit geleistet werden. Ich reite auch hin und wieder (meisst nachdem ich ein bißchen Freiarbeit gemacht habe) ohne alles und ich liebe es… wichtig ist für mich in erster Linie, dass das „HALT“ sitzt. Dann kann man sehr schön weiter aufbauen. Die Idee mit der Gerte „Lenkhilfe“ zu geben ist gut – werd sie mir klauen 😉

Viele Grüße

Sandra

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Lieben Dank für Deine Rückmeldung und schön, dass ich Dir noch eine Anregung geben konnte 🙂

Herzlich,
Tania

 

Von susanne • 22. Juni 2009

Ich reite mit meinem 12 jährigen sogar im Gelände ohne allem herum. Hinterhand, vorderhand, rückwärts, seitwärt,vollgalopp sind keine Problem.
Und was ihr Gerte nennt, nennen wir Carotstick. Er ist nicht zum „Schlagen“ da, sondern die Verlängerung der Hand und für die Komunikation. Ich gebe ihm immer wieder unterm reiten auch die „Streicheleinheiten“ mit dem Stick.

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Klingt toll bei Euch!

Herzlich,
Tania

 

Von Chris • 23. Juni 2009

Hallo Tanja,
schöner Bericht, hat mich total animiert, das auch mal zu probieren. Bisher ist nur mein 12-jähriger Sohn ohne Sattel und nur mit Halfter/Führstrick geritten ohne Angst auch auf der Koppel.
Ich muss mir erst mal überlegen, wie ich da überhaupt hochkomme- :-))) – und bleibe!
Die Gerte ist für mich übrigens nicht nur „Waffe“, würde ich auch eher Hilfengebung nennen, im Gelände benutze ich sie um uns die Bremsen vom Leib zu halten und bei der Freiarbeit auch zur Belohnung (z.B. Streicheln), er reagiert darauf vollkommen angstfrei und unaufgeregt, kaut leider auch mal gerne drauf rum.
Und zum Üben (Huf geben) natürlich auch.
Liebe Grüße und bin schon gespannt auf die noch folgenden Artikel!
Chris

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Dankschön für Deinen Kommentar. Das mit dem Hochkommen ist leider auch für mich ein Problem – ich wünschte, ich könnte mich da einfach lässig raufschwingen. Aber ich brauche auch immer irgendwas, von dem aus ich dann hochkomme.

Zum Ausprobieren würde ich Dir aber nicht gerade die Koppel empfehlen, sondern auf jeden Fall einen sicher eingezäunten und eher kleinen Bereich, also eine Reitbahn, einen Longierzirkel oder eine Halle.

Herzlich,
Tania

 

Von Jenny • 23. Juni 2009

Hallo Tania,
ich fand den Bericht sehr beeindruckend! Und die Fotos natürlich auch. Besonders, weil Du ja eine eher kleine Person auf einem recht großen und muskulösem Pferd bist und trotzdem ganz ohne Kraft mit feinsten Hilfen einwirken kannst. Ich denke auch, dass es eine sehr gute Übung ist, um an der Feinheit der Hilfen zu arbeiten. Und man spürt viel intensiver, wie das Pferd reagiert. mich stören Steigbügel und Sattel eher beim Reiten. Bei meinen ersten Reitstunden bin ich häufig ohne Sattel an der Longe geritten und es war herrlich, wieviel man von den kleinsten Bewegungen des Pferdes mitbekommt! Aber allein und auf Schulpferden traue ich mich noch nicht an diese Art von Reiten heran, da brauche ich wohl erst selbst noch mehr Sicherheit und auch Vertrauen. Vielleicht könnt ihr ja auch mal einen Artikel über die Beziehung zwischen Reitschülern und Schulpferden arrangieren? Also, wie man innerhalb kurzer Schnupperzeit beim Putzen etc sich schon das Vertrauen des Pferdes erarbeiten und seinen Gemütszustand kennenzulernen?

_______________________

Hallo Jenny,

ja, das ist mit Schulpferden wohl tatsächlich nicht so einfach zu erreichen. Bis zu diesen Bildern von Anthony und sind fast drei Jahre gemeinsame Zeit und Beziehungsarbeit vergangen. Ich denke, in verantwortungsvollen Reitställen, wo Schulpferde respektvoll behandelt werden und die Reitlehrer/innen Wert auf einen pferdegerechten Umgang legen und vor allem, wo die Pferde so etwas auch schon mal erlebt haben, kann man sich da auch herantasten. Aber in vielen Ställen entstehen ja wirklich leider nur wenige Bindungen zwischen Schülern und Pferden.

Herzlich,
Tania

 

Von ilvy • 18. Dezember 2009

Hallo Tania,
Also erstmal ein ganz dickes Lob, das schaut echt toll aus bei euch!
Dann hätte ich eine Frage zum Stehenbleiben… Du schreibst, dass du das Becken abkippst, aber zumindest für mich war vom Foto nicht klar ersichtlich, in welche Richtung, also ob nach „vorne“ oder „hinten“…?
Ich mach das nämlich auch total gerne, bin dadurch erst draufgekommen dass ich total passiv gesessen bin und mich viel zu sehr aufs Gebiss verlassen hab, und zum Halten kipp ich das Becken immer ein bissl nach hinten ab, also dass ich im Extremfall ins Hohlkreuz komm, was natürlich nicht der Plan ist 😉 mit dem Gedanken, dass mein Becken dann irgendwie die Bewegung von vorne abstoppt. Meinst du ist das fürs Pferd logisch? Es hat bis jetzt immer recht gut funktioniert, aber man weiß ja nie 😛 und weils funktioniert heißts ja nicht gleich dass es richtig so ist ;D

Die Gerte nehm ich ab und zu auch noch dazu, wenn sie grad wieder ihre eigenen Einfälle hat, aber irgendwann werden wir ganz total ohne alles reiten 😉 Mein großes Ziel ^^

Lg
Eva

_________________________

Hi Eva,

das ist ja immer gar nicht so einfach mit den Beschreibungen. Am besten lässt sich die Bewegung, die ich mache, so nachvollziehen: Setz Dich auf einen Stuhl und zwar auf die vordere Kante. Wenn Du den Stuhl nun nach vorne zum kippeln bringen willst (er also hinten hochkommen soll), machst Du genau die Bewegung die ich meine. Das wäre also das Abkippen des Beckens genau im Gegenteil zum Hohlkreuzmachen. Probiers mal so aus.

Herzlich,
Tania

 

Von ilvy • 22. Dezember 2009

Hey Tania,

Ja, ich versteh sogar was du meinst ;)und ich habs auch schon ausprobiert, hat recht gut funktioniert 😀
Es würd mich halt noch interessieren, wie das so vom physikalischen oder anatomischen her beim Pferd ankommt, dass es dadurch veranlasst wird stehenzubleiben…?
Aber schon mal danke für den Tipp ^^

Ganz liebe Grüße
Eva

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Naja, dieses Becken-Abkippen ist ja auch das, was wir beim Anhalten vom Pferd wollen, zumindest, wenn es mit der Hinterhand anhält und nicht mit der Vorhand bremst. 😀
Tania

 

Von ilvy • 23. Dezember 2009

Aaaah okay ^^ ich glaub jetzt hab ichs kapier 😀
Danke danke danke Tania 😀
Lg

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Gerne 😀
Tania

 

Von Eva • 16. Juli 2012

Hallo,
zum Anhalten vlt. noch ein kleiner Tipp: Ausatmen hilft und überdeutlich ist es auch ein zusätzliches „Geräusch“-Signal fürs Pferd. 🙂
Lg

 

Von Mari • 25. Januar 2016

@ Jenny
Es ist erstaunlich, wie gut auch ein “ normales“ Schulpferden in einem “ klassischen Schulbetrieb“ seine einzelnen Reitschüler kennt!
Dort, wo ich reite, gab es mal eine neue Stute, die einem gleich drohend den Hintern zudrehte und sich, wenn das nicht reichte, im Kreis drehte, wenn man mit dem Sattel kam.
Als ich sie das erste mal ritt, habe ich sie eben vor dem Satteln angebunden.
Das nächste mal war ich auf “ den Tanz“ gefasst und habe ihr beim Versuch, sich zu drehen, immer einfach den Weg abgeschnitten – ohne Worte und ohne sonstige Drohungen.
So habe ich den Sattel drauf bekommen, ohne sie anzubinden.
Ich habe das Pferd dann ein Jahr lang jede Woche 1x bekommen, und es kam mir immer freundlich und bereitwillig entgegen!
Ob das nun so ganz die Methode der Kurse hier trifft, weiß ich nicht genau.
Aber es zeigt jedenfalls, dass Pferde ihre “ Mitmenschen“, genau so auseinander halten können wie wir.

Das Gebet eines Schulpferdes:
“ Gib mir bitte dann und wann, einen Reiter, der es kann…“

 

 

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