Das Pferdemaul ist heilig oder: Wie ein Pferd Vertrauen zum Gebiss bekommt

Wer träumt nicht von einem Pferd mit sensiblem Maul, welches vertrauensvoll an die Hand tritt, welches das Gebiss sucht, das leicht damit spielt und auf jede Hilfe prompt reagiert?

Nur, wie viele Pferde kennen Sie, die so auf ein Gebiss im Maul reagieren? Ist es nicht eher eine Ausnahme auf ein Pferd zu treffen, das nicht mehr oder weniger verdorben im Maul ist?

Damit ein Pferd echtes Vertrauen zur Reiterhand und zum Gebiss entwickelt, darf das Gebiss niemals Schmerzen verursachen. Ein Pferd, das mit Schmerzen durch das Gebiss rechnet, wird sein Maul nicht weich machen. Es wird versuchen, durch Anspannen der Zunge (indem es die Zunge z.B. hochzieht, über das Gebiss legt oder rausstreckt), durch Verkrampfen des Kiefergelenkes oder auch durch Festbeißen des Gebisses, der Gefahr eines eventuellen Schmerzes vorzubeugen.

Bedenken Sie: Losgelassenheit ist nicht zu erzwingen!

Stellen Sie sich folgende Situation vor:

Sie kommen mich täglich auf meinem Hof besuchen. Wir kennen uns gut und mögen uns. Ich begrüße Sie jeden Tag mit einem Lächeln und einer freundschaftlichen Umarmung. Eines Tages aber haue ich Ihnen zur Begrüßung kräftig auf die Nase. Am nächsten Tag gehe ich dann wieder auf Sie zu, um sie zu begrüßen…

Was werden Sie erwarten? Werden Sie es schaffen, irgendwann nicht mehr mit einen Hieb von mir zu rechnen, auch wenn ich Sie die nächsten 30 Tage lang wieder liebevoll umarme? Dieses Beispiel illustriert ganz gut, wie es einem Pferd geht, dem Sie Ihre Wünsche über das Gebiss vermitteln wollen. Wenn Sie ihm einmal damit Schmerzen zufügen, wird es sich nicht mehr sicher sein können, dass nicht die nächste Einwirkung bereits wieder wehtut.

Was können Sie also tun, um sich das Vertrauen Ihres Pferdes zum Gebiss zu erarbeiten?

Tipp 1: Erklären Sie Ihrem Pferd ruhig und geduldig, was welche Signale am Gebiss bedeuten und zwar nicht vom Sattel aus, sondern durch klassische Bodenarbeit, indem Sie Abkau- und Stellübungen an der Hand einsetzen.

Tipp 2: Solange Ihr Pferd beim Führen noch nicht sehr folgsam an der Hand ist, so dass Sie auch mal stärker einwirken müssen, führen Sie am Kappzaum oder Halfter und nicht am Trensenzügel.

Tipp 3: Seien Sie immer weich und nachgiebig mit Ihrer Hand, egal welche Arbeit Sie machen. Führen Sie alle notwendige Korrekturen mit 4 Zügeln durch, wobei 2 Zügel an einem Kappzaum bzw. einer anderen gebisslosen Zäumung befestigt werden und zwei am Gebiss. So können Sie alles, was mehr Krafteinsatz erfordert, über die gebisslose Zäumung laufen lassen.

4zuegel.jpg

Tipp 4: Longieren Sie nicht am Gebiss weder mit Longierbrille noch direkt, sondern nutzen Sie möglichst einen gut sitzenden Kappzaum.

Tipp 5: Und ganz wichtig: Strafen Sie niemals durch harte Paraden am Zügel!

5. August 2008 von Babette Teschen • Kategorie: Ausrüstung 9 Kommentare »

 

9 Reaktionen zu “Das Pferdemaul ist heilig oder: Wie ein Pferd Vertrauen zum Gebiss bekommt”

 

Von Iris • 5. August 2008

Liebe Babette,

vielen Dank für dieses anschauliche und eindrückliche Beispiel mit der Begrüßung! Wie sich Grobheiten im Pferdemaul auswirken, durfte ich schon selbst erfahren. Letztes Jahr ritt jemand anderes mein Pferd, es trug dabei das Ledergebiss, mit dem es nie Probleme gegeben hatte. Dieser Jemand nahm nun mein armes Pferd „mal so richtig ran“, der „Erfolg“ war, dass es seitdem die Annahme des Ledergebisses durch Zukneifen des Mauls schlichtweg verweigerte. Erst jetzt seit kurzem konnte ich Nora mit viel Leckerlis dazu bringen, es mal wieder zu probieren, und wir arbeiten uns langsam wieder ran…

Liebe Grüße,

Iris
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Liebe Iris,
die Reaktion kann man Deinem Pferd nicht übel nehmen, oder?
Ich wünsche Dir viel Erfolg für das Wiederherstellen des Vertrauens,
alles Liebe, Babette

 

Von Andrea • 5. August 2008

Liebe Babette,
das ist ein toller Artikel !
Er passt gerade zu mir, da meine junge Stute zwar in der Halle wunderbar auf ein ‚Steh!‘ hört, aber im Gelände leider noch nicht zuverlässig. Da schaudert’s mir schon immer sehr, wenn ich ihr das Stehenbleiben an zB einer Strasse mit mehr ‚Einsatz‘ zeigen muss, als mir lieb ist.
Da ist dein Tipp 3 ja super und ich werd ihn gleich heut abend beherzigen!
Vielen Dank!
Liebe Grüsse,
Andrea
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Liebe Andrea,
ich hoffe, dass ich Euch damit etwas weiterhelfen konnte. Ein kleiner Tipp noch: Trainiere das Reiten mit 4 Zügeln erst in der Bahn bevor Ihr Euch ins Gelände begebt.
Alles Liebe, Babette

 

Von Almut • 5. August 2008

Hallo Babette,
ich kann mich nur anschließen, das ist mal wieder ein toller Artikel – danke! – Deine anschaulichen Beispiele sind einfach klasse und die Tipps auch.
Aber was, wenn man trotz bester Vorsätze und Beherzigung aller dieser Regeln mal im Zügel „hängt“, z.B., wenn sich das (eigentlich schon sichere) Pferd an der Hand erschrickt und wegspringt und man nicht schnell oder weit genug nachgeben kann? Hast Du einen Tipp, wie man so etwas wieder „ausbügelt“?
Danke und herzliche Grüsse,
Almut
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Liebe Almut,
ja, das passiert leider. Und nicht jedes Pferd ist anschliessend traumatisiert und benötigt eine Korrektur- glücklicherweise!!! Wenn Du den Eindruck hast das Dein Pferd ein neues Heranführen an das Gebiss nötig hat, würde ich das über Abkauübungen an der Hand machen.
Liebe Grüße, Babette

 

Von Anna-K. • 23. Oktober 2008

Hallo Babette,
das Beispiel mit der Begrüßung gefällt mir. Zu Ihrem Beitrag fällt mir Folgendes ein: ein Pferdemaul IST weich (davon muss man nicht träumen;-). Ich glaube nicht daran, dass irgendein Pferd „das Gebiss sucht“ oder „damit spielt“ weil es das Ding im Maul ansatzweise angenehm finden könnte – wie sollte es auch?? Was so hart ist wie ein Metallgebiss, kann NIE weich wirken! Sie schreiben: „damit ein Pferd echtes Vertrauen … zum Gebiss entwickelt, darf ein Gebiss niemals Schmerzen verursachen“. Stimmt sicher – aber wie soll man es schaffen, dass das Gebiss niemals Schmerzen verursacht?? Das Gebiss wurde ursprünglich erfunden, damit man das Pferd über Schmerzzufügung gefügig macht. Aber heute müssten wir Reiter es doch besser wissen, als „in der grauen Vorzeit“. Die Methode der Gebissreiterei ist grundsätzlich falsch und es ist höchste Zeit, dass das auch so gesehen und diskutiert wird! Leider spielt die mächtige Industrie dahinter (Gebisshersteller, die Verantwortlichen bei FN usw.)(noch) nicht mit. Seien wir doch ehrlich: Wenn z. B. sich das Pferd im Gelände erschrickt, reisst jeder Reiter automatisch die Hände hoch und tut in dem Moment mit dem Gebiss dem Pferd im Maul weh! Die Situation hatte ich erst neulich und war froh, dass mein „Dicker“ kein Gebiss im Maul hatte! Es passiert so blitzschnell, dass es unmöglich ist darauf zu achten, dass man die Hände still hält. Man kann in einer solchen Situation nicht mehr überlegt reagieren, sondern es passiert einfach impulsiv. Und wie wäre es, wenn man das Gebiss einfach weg lässt? Genug Alternativen dafür gibt es ja mittlerweile. Und alleine schon in Ihren Beiträgen kann man so schön lesen, dass jeder, der es möchte, sein Pferd auch ohne Gebiss reiten kann. Es gibt doch unwiderlegbare wissenschaftliche Untersuchungen (z.B. von Dr. Cook), die belegen, dass das Gebiss an sich schon schädlich für das Pferd ist! Und wenn man „den Amis“ nicht glauben möchte, gibt es auch deutsche und Schweizer Untersuchungen, die dasselbe belegen. Leider werden die Ergebnisse gerne verschwiegen, weil’s offenbar zu viel Staub aufwirbeln würde… Aber es bleibt jedem einzelnen von uns überlassen, ob wir das unseren Pferden noch antun wollen, was „schon immer so war“ oder ob wir uns selber informieren und entscheiden es anders – besser – zu machen.
Ihre Seite gefällt mir schon sehr gut. Allerdings vermisse ich hier ein bißchen die Konsequenz zu sagen, dass man getrost auf ein Gebiss verzichten könnte. Natürlich muss dafür erst einmal viel an der Vertrauensbasis gearbeitet werden, aber das sollte man doch ohnehin als Reiter, oder? Schließlich weiß JEDER von uns, dass wir unsere Pferde mit Gebiss oder ohne schlußendlich NICHT halten können, wenn’s darauf ankommt. Also sollten wir dafür sorgen, dass es gar nicht erst soweit kommt, oder? Aber natürlich verstehe ich auch, dass Sie Ihre Kundschaft (diejenigen, die schon immer mit Gebiss geritten sind und auch keine Veranlassung sehen daran was zu ändern) nicht „vergraulen“ wollen 😉
Vielleicht sind das harte Worte, aber die Wahrheit ist oft unbequem… und dennoch ist es die Wahrheit…
Nichts für ungut! Freundliche Grüße Anna-K.
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Liebe Anna-K.,
vielen Dank für Ihren Kommentar! Ihre Meinung ist sehr radikal und ich stimme Ihnen in vielen Punkten zu. Aber so radikal wie Ihre ist meine Einstellung zum Gebiss nicht. Ich reite sowohl mit, als auch ohne Gebiss. Ich reite sogar, wenn ich es für sinnvoll erachte, mit Kandare. Ich bin beim gebisslosen Reiten bei einigen Pferden an Grenzen gekommen. Da mein Ziel die Gesunderhaltung der Pferde trotz Reiten ist, muss ich im Einzelfall entscheiden welche Hilfsmittel ich einsetze. Wenn ich ein Pferd unter dem Sattel nicht korrekt gestellt bekommen, es sich dadurch nicht die Schulter anheben lässt und auf der Vorhand läuft, setze ich Hilfsmittel ein die mir helfen, meine Ziele zu erreichen. Und das ist für mich oftmals ein Gebiss/eine Kandare. Auch gibt es zum Glück genug Pferde, die in meinen Augen keine Probleme oder Abneigungen gegen das Gebiss haben. Ich glaube von mir sehr empatisch zu sein was die Gefühle der Pferde angeht. Ich habe großen Respekt vor Ihrer konsequenten Haltung,
alles Liebe, Babette

 

Von Charlotte • 1. Mai 2010

Danke für diesen Beitrag!
Ich muss ehrlichgesagt zugeben, das auch ich dann und wann von unserern Schulpferden genervt bin,die sich total auf den Zügel legen und mit weichen Hilfen nichts (mehr) anfangen können..Gibts da irgendeine Möglichkeit, auch auf verdorbenen Schulpferden weicher zu reiten? Lohnt sich das überhaupt, wenn sie doch in der nächsten Stunde wieder so hart geritten werden?
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Liebe Charlotte,
lohnt es sich einen geprügelten Hund zu streicheln???
Du wirst dem im Maul harten Pferd vielleicht „nur“ eine schmerzfreie Reitstunde schenken, aber das wäre mir die Sache wert! Und nur weil alle anderen dem Pferd ja auch weh tun, wäre ich trotzdem nicht bereit dazu es ebenso zu tun 🙁 .
Liebe Grüße,
Babette

 

Von Charlotte • 4. Mai 2010

Oh mein Gott, das meinte ich nicht! Als ob ich, nur weil die anderen das machen, dem Pferd im Maul herumreiße!! Das hab ich wohl unglücklich ausgedrückt: Ich bemühe mich wirklich, das Pferd feiner zu reiten, als es das gewohnt ist, das Problem ist eben, das es das nicht gewohnt ist und nicht reagiert! Ich meinte: Lohnt es sich, dem Pferd etwas anderes zu vermitteln, bzw. beizubringen?
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Ein Versuch ist es immer wert. Allerdings kann ich Dir nicht viel Hoffnung machen, dass das Pferd dadurch viel sensibler wird… 🙁
Liebe Grüße,
Babette

 

Von Martina • 1. Februar 2012

Liebe Babette!

Toller Beitrag! Gefällt mir sehr gut. Ich reite alle meine Pferde mit einem Gebiss. Und ich habe ihnen leider sicher schon sehr oft damit wehgetan. Mir wäre es auch am liebsten, wenn man die Pferde zu jeder Zeit – auch auf Turnieren gebisslos reiten könnte. Aber wie du richtig bei Anna-K. geantwortet hast. – Man braucht das Gebiss in vielerlei Hinsicht um das Pferd so korrekt wie möglich zu reiten. Aber die Idee mit dem Gebiss plus Kappzaum finde ich sehr gut! Vorallem bei einem jungen Pferd ist der Kappzaum sicher nicht schlecht um dem Pferd besser vermitteln zu können in welche Richtung man möchte 🙂
Hast junge Pferde so angeritten und ausgebildet? Ab wann hast du den Kappzaum weggelassen?
Bin schwer am Überlegen, es bei meinem bald 4 jährigen Wallach im Frühjahr auszuprobieren..

Herzliche Grüße
Martina

 

Von Miriam • 14. April 2012

Liebe Babette,

auf der Suche nach einem Vier-Zügel-System bin ich auf deine Seite gestoßen – und bin sehr begeistert 🙂
Nun wollte ich fragen, ob du mir einen Kappzaum mit Gebisseinhängung empfehlen kannst?
Ich suche ein passendes Reithalfter für eine 4-jährige Norikerstute, die zwar sehr brav auf Stimme reagiert, mit Schenkel- und Gewichtshilfen aber leider starke Probleme hat (oft habe ich das Gefühl sie spürt den Unterschied überhaupt nicht … sie im Trab auf einem einfachen Zirkel zu halten wird damit beinahe unmöglich). Nun möchte ich aber die fehlende Annahme dieser Hilfen auf keinen Fall über Zügelhilfen ausgleichen! Bis jetzt tritt sie brav an das Gebiss heran, lässt sich gut parieren und stellen. Aber wenn sie auf einer gebogenen Linie nach außen ausbricht kann ich ihr kaum den Weg nach innen zeigen.
Daher wäre mir ein sehr weicher Kappzaum sehr lieb, mit dessen Hilfe ich ihr die Richtung sanfter Weisen kann.
Also, hast du vielleicht eine Empfehlung für mich?

Ganz liebe Grüße,

Miriam

 

Von Raaga • 23. Oktober 2018

Liebe Miriam,

Mit einem ähnlichen Problem bin auch ich konfrontiert. Ich bin total unschlüssig.
Mein Pferd sagt, dass es gebißlose Zäumungen besser findet und ich habe deshalb eine alte Trense in eine gebißlose Trense umgebaut. Der kleine Mann läuft damit auch glücklicher als vorher, der Druck auf die Nase, den ich mit dem Nasenriemen ohne jeden Hebel ausübe, dürfte ja auch minimal sein.
Allerdings habe ich jetzt ein Problem damit, ihn ordentlich über den Rücken zu reiten. Damit bin ich nicht glücklich! Ich bin nicht schwer und kurzfristig ist das Ganze sicherlich nicht schlimm, aber so möchte ich ihn auf Dauer nicht reiten.
Der Plan ist deshalb, erst einmal verschiedene gebißlose Varianten auszuprobieren und dann eventuell eine Variante zu finden oder zu basteln, mit der ich mit zwei Zügeln reite: mit einem durchhängenden „Gebißzügel“ und einem gebißlosen Zügel in der Verbindung.(Ist das verständlich?). Die große Frage ist jetzt, was da die ideale Variante sein könnte. Es wäre eine große Hilfe, wenn mir hier jemand raten oder von eigenen Erfahrungen berichten könnte.

Es wäre natürlich schön, wenn ich reiterlich so gut wäre, dass ich ihn komplett über den Sitz korrigieren könnte und gar keine Zügel bräuchte, aber daran arbeite ich noch.

Ratlose Grüße,

Raaga

 

 

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