Der Kampf zum nächsten Grashalm – so vermeiden Sie ihn auf elegante Weise

Sie kennen sicherlich auch diese armen, bemitleidenswerten Geschöpfe (auch Pferd/Pony genannt 😉 ) , die kurz vor dem Hungertod stehen und deswegen der Meinung sind, dass der Mensch am Ende des Strickes nur ein lästiges Anhängsel ist, welches ohne Rücksicht auf Verluste mitgeschleift werden darf, hin zu einem grünen Stück Naturboden? Ja, ich rede von den Exemplaren der Gattung Equus, die es in Perfektion gelernt haben, sich beim Führen vom Menschen loszureißen, um die Nase in das nächste saftige Grasbüschel zu versenken. Wer glaubt, das passiert nur schwächlichen Mädchen, täuscht sich sehr. Ich habe schon gestandene Mannsbilder wie ein Fähnchen im Winde hinter ihren Pferden herwehen sehen…

Der „normale“ Weg mit diesem Problem umzugehen, ist fast immer ein Weg des Kampfes

Vielfach beginnt dann auf der Seite des Menschen das große Aufrüsten: Es werden Führketten über Pferdenasen geschnallt, an Trensen oder sogar auf Kandare gezäumt geführt, Steigergebisse und ähnliches Zubehör mehr verwendet, um mit dem Problem mehr schlecht als recht fertig zu werden. Dabei sieht man oftmals unschöne Szenen, bei denen scharf an Halftern/Trensen geruckt, hektisch mit Gerten vor Pferdenasen gewedelt oder diese auch massiv gegen das Pferd eingesetzt werden, alles mit dem häufigen Ergebnis: Der Mensch hat ein paar Brandwunden mehr an den Händen und sein Pferd steht ein paar Meter weiter mit der Nase im Gras …

Das darf nicht sein!

Keine Frage: Ein Pferd, welches sich losreißt, gefährdet sowohl sich als auch seine Umwelt immens! Und ja, hier gilt es Abhilfe zu schaffen und das Losreißen des Pferdes zuverlässig zu unterbinden. Ich habe in diesem Blogbeitrag schon mal ausführlich geschrieben, wie mein Weg aussehen würde, so ein  „Losreißprofipferd“ umzuerziehen und Tania hat hier bereits ihre Tipps zum Thema „Gras fressen“ aufgeschrieben.

Was aber tun, wenn man nicht bereit ist diesen Weg zu gehen oder/und die Zeit drängt?

Nun bin ich nicht so naiv zu glauben, dass jeder bereit ist, diese doch zugegebenermaßen etwas aufwändigeren und längeren Wege der Grunderziehung und Kommunikationsarbeit mit (s)einem Pferd zu gehen. Oftmals ist es ja nicht mal das eigene Pferd, welches der Mensch von A nach B führen muss. So ist mit Sicherheit z.B. kaum ein Stallbesitzer/Stallmitarbeiter, der täglich mehrere Pferde von Einstellern auf die Weide und zurückbringen muss, bereit, das Pferd eines anderen zeitaufwändig zu erziehen.

Was also soll man tun? Doch den unschönen Weg des Aufrüstens und Gewalteinsatzes gehen? Doch zu Zubehör wie Führkette & Co greifen und bereit sein, diese Gegenstände massiv einzusetzen in der Hoffnung, dass das Pferd dann irgendwann sein Verhalten einstellt?

Bei der Vorstellung verkrampft sich mein Magen…

Es gibt noch eine andere Alternative, die ich Ihnen hier vorstellen möchte. Dieser Tipp stammt von einer Nutzerin und diese hat ihn von Linda Tellington-Jones auf einem Seminar mitgenommen. Ich fand diesen Tipp so gut, dass ich Ihnen diesen hier gerne vorstellen möchte, und ich gebe zu, ich wäre selbst wohl nie im Leben auf diese pfiffige Idee gekommen. 🙂

„Grasen“ während des Führens erlauben und ermöglichen, aber nicht vom Boden aus

Sie brauchen dafür eine so genannte Fressbremse. Das sind korbartige Plastikvorrichtungen, die über das Maul verschnallt werden und durch die die Pferde immer nur einige Halme Gras zupfen können.  Nun legen Sie in diese Fressbremse eine Handvoll Gras (Aber Achtung! Stopfen Sie die Fressbremse bitte nicht so voll, dass Ihr Pferd am leckeren Grün erstickt ;-)) . Führen Sie dann Ihr Pferd mit der Fressbremse vor dem Maul, sodass es auf dem Weg das Gras aus der Fressbremse verspeisen kann.

Der Clou: Sie geben dem Pferd auf diese Weise das, was es gerade so sehr begehrt. Die Motivation des Pferdes, sich losreißen zu wollen, wird dadurch genommen.

Soweit die Idee hinter diesem Tipp 🙂

Darf man das Problem einfach vermeiden?

Ich kann mir vorstellen, dass einige von Euch jetzt skeptisch überlegen, ob man das Problem wirklich einfach mit diesem „Trick“ vermeiden darf, denn das waren auch meine Gedanken. Ich für mich kam zu dem Entschluss:  Ja, man darf!

Sicherlich wäre für mich der Königsweg mit einem solchen Problem umzugehen der grundsätzliche Erziehungsweg (oder sagen wir lieber Beziehungsweg). Aber zum einen ging es ja vor allem um das Problem, dass oft Leute Pferde führen müssen, die keine Zeit und keine Lust haben, die Pferde zu erziehen. Aber selbst beim eigenen Pferd: Was spricht dagegen, auch gerade in der Zeit, wo man idealerweise parallel an dem Problem mittels Führtraining, Clickertraining, Ausbildung, Beziehungsarbeit usw. arbeitet, die Wege von A nach B auf diese Weise sicher, stressfrei und so positiv wie irgendwie möglich zu gestalten? Diesen „Trick“ anzuwenden schließt ja nicht aus, gleichzeitig an allem anderen zu arbeiten, im Gegenteil!

Ist nicht alles gut und erlaubt, was uns einen gewaltfreieren und sichereren Umgang mit dem Pferd ermöglicht und die Beziehung zwischen Pferd und Mensch verbessert?

Der Tipp im Praxistest

Wenn ich Ihnen einen solchen Tipp hier vorstelle, möchte ich ja zu mindestens ausprobiert haben, wie praxistauglich dieser Tipp in der Anwendung ist. Auch wenn ich zum Glück gerade kein Pferd habe, welches mich vor ein Losreißproblem stellt, so habe ich trotzdem versucht, mit Pepe die Szene nachzustellen.

Ich habe also etwas Gras in eine Fressbremse getan:

Pepe diese angezogen:

Und habe Pepe dann so geführt, was auch problemlos funktionierte. Nur war das Gras in der Fressbremse sehr schnell aufgefuttert. Sehr weit kommt man also mit einer Füllung nicht. Um hier gerüstet zu sein, wären für mich zwei Lösungswege denkbar:

  • Einen Jutebeutel voll mit Gras für unterwegs mitnehmen, um die Fressbremse immer wieder von der Seite her nachfüllen zu können.
  • Einen Futterbeutel zum Umhängen, anstatt der Fressbremse verwenden.

Falls Sie also mit Ihrem Pferd diesen Tipp mal ausprobieren sollten, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie hier einen Kommentar hinterlassen und unseren Lesern und mir ein Feedback geben, ob dieser Tipp Ihnen geholfen hat und wie Ihre Erfahrungen verlaufen sind.

5. Juli 2011 von Babette Teschen • Kategorie: Umgang 6 Kommentare »

 

6 Reaktionen zu “Der Kampf zum nächsten Grashalm – so vermeiden Sie ihn auf elegante Weise”

 

Von Jayanthi • 11. Juli 2011

Hallo, tolle Idee.
Ich hatte vor Kurzem ein ähnliches Problem. Meine Stute frass immer die Rinde vom Baum, an dem ich sie angebunden hatte, weil ich noch keinen festen Anbinder habe. Auch beim Führen und beim Auftrensen war ihr Kopf sehr schnell im Gras. Ich wollte erstmal unseren guten Apfelbaum schützen und habe ihr kurzerhand den Fresseimer meines Wallachs umgehängt. Ich habe früher für ihn einen Eimer mit einer dicken Schnur präpariert, als er in einem anderen Stall stand, damit er ungestört fressen kann und nichts ausschüttet.
So war mein Problem schnell gelöst und mit dieser Idee des Führens mit Gras ist das auch mit dem Eimer möglich, da passt sogar mehr rein 🙂
Übrigens eine gute Möglichkeit bei Futterneid unter Pferden, wenn sie ihr Müsli bekommen und es keine andere Möglichkeit gibt, getrennt zu füttern.

 

Von Silke • 11. Juli 2011

Ein Problem sehe ich aber doch bei dieser Idee: Gerade die Stallbetreiber die die unerzogenen Pferde auf die Weide und zurück führen müsssen, werden sich vermutlich nicht die Zeit nehmen erstmal Gras zu rupfen, die Fressbremse zu füllen und sie dem Pferd anzuziehen. Da ist es ja häufig schon ein Problem die Pferde zu halftern (aus Zeitgründen) so das die Pferde dauerhaft mit Halfter stehen müssen.

 

Von Claudia • 11. Juli 2011

Guten Morgen zusammen,

ich mache das „im Notfall“ mit meinem Wallach ähnlich. Er bekommt Rübenstückchen wenn er brav neben mir bleibt beim Führen. Das klappt ganz gut und die Karotten haben in dem einen oder anderen Fall schon mal als Notbremse fungiert.

Allerdings muss ich Silke Recht geben. Bis jetzt ist es den Stallbesitzern zu aufwändig, an meinen Schrank zu gehen, 2-3 Rüben zu holen und beim Führen zu füttern. Sie nehmen im Falle eines „lustigen“ Pferdes lieber die Kette. Man könnte natürlich auch einen Eimer mit ein paar Rüben vor der Box deponieren…. denn wo ein Wille ist, sind auch Karotten.

Ich habe manchmal das Gefühl, dass es Menschen ab und zu etwas zu anstrengend ist, sich neue Wege zu überlegen und auszuprobieren und vielleicht über eine etwas aufwändigere Übung dann doch zur perfekten Lösung zu kommen.

Liebe Grüsse
Claudia

 

Von Steffi • 11. Juli 2011

Hallo! Ich als Stallbetreiberin, Trainerin und Pferdebesitzerin agiere bei Führproblemen ähnlich wie Babette beim Longenkurs. Ich ziehe es vor, über Führtraining mit Lob und sanften Berührungen den Pferden ein Körpergefühl, Vertrauen und Respekt zu vermitteln, so dass sie sich angewöhnen, in meiner Nähe ihre Vor- und Hinterhand (jedes einzelne der vier Beine) kontrolliert einzusetzen, egal ob sie in ihrer Umwelt etwas stark negatives (Ungeheuer) oder stark positives (Gras) wahrnehmen. Dies erfordert jedoch natürlich eine klare Absicht, Konsequenz und auch Durchsetzungsvermögen, aber am allermeisten den richtigen Schalter im Kopf: nämlich Vertrauen zu sich und dem (auch oft wildfremden) Gegenüber. Hierbei hatte ich noch keinerlei Probleme, wobei ich dazu sagen muss, dass ich es nicht ablehne, dem Pferd meine persönliche gesschützte Intimsphäre auch mit verlängertem Arm, z.B. Gerte, deutlich zu machen, so wie es Pferde untereinander auch tun, wenn sie sich neu kennenlernen, dh über Körpersprache/Bewegungen des ganzen Körpers, Mimik und Gestik. Wichtig finde ich hierbei v.a., dass Pferde immer ehrlich sind im Gegensatz zu Menschen, wenn Pferde ja oder nein meinen, meinen sie es auch, Menschen wissen oft selbst nicht, was sie eigentlich gerade fühlen und dem Pferd vermitteln wollen. Das spürt ein Pferd, daher funktionieren Führtraining/Beziehungstraining m. E. oftmals nicht. Wenn Pferde traumatisiert sind und nicht offen mir gegenüber, dann arbeite ich genauso wie Babette an der Motivation, mich interessant/positiv zu finden. Die Idee mit den Fresskörben finde ich ähnlich symptombehandelnd wie Führketten, harter Gerteneinsatz usw., allerdings habe ich bisher zum Glück nur positive Erfahrungen mit büffelnden, hengstigen, panischen Pferden usw. sammeln können, ohne auf solche Hilfsmittel zurückgreifen zu müssen, dafür würde auch mir wohl oft die Zeit fehlen! Danke für deinen schönen Beitrag!

 

Von Lia • 29. Juli 2011

An sich eine tolle Idee,
aber zeigt man dem Pferd so nicht das Gras fressen zum Führen dazu gehört. Ich glaube wenn man diesen trick regelmässig vrewendet und dann einmal keine Fressbremse zur Hand hat(Turnier)das Problem schlimmer ist als vorher. Aber im notfall ist der Trick bestimmt hilfreich. Auch wenn man zum Beispiel ein junges Pferd das erste mal in den Hänger oder auf der Strasse führt könnte man die schreckhaftigkeit verringern.

 

Von Kerstin • 16. April 2013

Hallo!

Ich finde den Tipp überhaupt nicht hilfreich. An der Hand wird nicht gefressen – und aus. Das müssen die Pferde lernen!

Ich gebe zu, ein harter, langer, steiniger Weg – auch eine erwachsenes Pferd fragt dann und wann mal nach „ob es keine Ausnahmen gibt“ aber da muss man/frau durch.

Ob das Pferd einen Korb mit Gras um hat oder sich das Futter selbst schnappt – ich glaube dem Pferd ist es egal, es kennt keinen Unterschied sondern will einfach fressen.

Der Vorschlag behandelt das Symptom „Ziehen“, indem er das Pferd in seinem Begehren unterstützt aber ohne die Ursache (Wer bestimmt wann gefressen wird?) zu behandeln bzw. zu beheben.

Für tiefergehende Arbeit, z.B. Reitpädagogik oder entspannende Spaziergänge nicht geeignet.

 

 

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