Die Ausbildung zum Verlasspferd – ein Beispiel aus meiner Praxis

Von Babette Teschen

Wer wünscht sich das nicht: Ein Pferd, welches

  • brav am Putzplatz steht, ohne uns auf die Füße zu trampeln,
  • freudig und interessiert mit uns zusammenarbeitet,
  • mit uns angstfrei und gelassen ins Gelände geht,
  • ohne Stress willig mit uns auf den Hänger geht und
  • mit uns durch dick und dünn geht?

Diese Liste lässt sich sicherlich noch verlängern, aber ich denke, die meisten Pferdebesitzer wären schon froh, wenn ihr Pferd nur die oben genannten Punkte erfüllen würde.

Nur: Wie lässt sich das erreichen?

Es gibt Leute, die behaupten, dass ein Verlasspferd eine Sache der Gene ist, also vorherbestimmt. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass ganz andere Faktoren entscheidend sind, und ich möchte mit diesem Artikel einmal meinen Ausbildungsweg aufzeigen.

Ein Beispiel aus der Praxis: Der 5-jährige Hannoveranerwallach Ronaldo

Ronaldo haben Sie schon in diesem Video kennen gelernt. Als Ronaldo zu mir in die Ausbildung kam, erfüllte er nicht einen der oben genannten Punkte. Er wurde sediert zu mir gebracht, da ein Verladen anders nicht möglich war. Er wurde immer an zwei Seiten angebunden, da an Stillstehen beim Putzen nicht zu denken war. Er war sehr schreckhaft und im Umgang schwierig. Ein besonderes Angstproblem für Ronaldo waren, laut den Besitzern, Planen. An diesen war Ronaldo kaum vorbei zu führen.

  • Welchen Weg gibt es nun, aus solch einem Pferd ein Verlasspferd zu machen?
  • Inwieweit ist dieses Ziel überhaupt realisierbar?
  • An welche Faktoren muss ich denken und was muss alles verändert werden, z.B. an seiner Haltung, Fütterung und an dem Umgang mit ihm?

Die Haltung

Ronaldo ist ein Pferd mit einem enormen Bewegungsdrang und einem sehr großen Bedürfnis nach Sozialkontakt. Hält man ein solches Pferd in einer Box, kann man diese Einschränkung seiner Bedürfnisse kaum kompensieren.

Somit ist das für mich ein ganz wichtiger Punkt, der in der Haltung von Ronaldo erfüllt werden muss, damit er die Chance hat ein verlässliches, ausgeglichenes Pferd zu werden: Ronaldo braucht viel Auslauf in einer stabilen Herdengemeinschaft. Er braucht eine Familie aus Artgenossen, mit denen er toben, spielen und schmusen kann.

Die Fütterung

Ronaldo ist sehr schwerfuttrig und hat einen enormen Energiebedarf. Trotz seiner „Spinnigkeit“ würde ich bei ihm nicht das Kraftfutter reduzieren, wie es vielleicht bei anderen Pferden mit ähnlicher Hyperaktivität angezeigt wäre.

Er bekommt bei mir weiter seinen Hafer und da er trotz der gleichbleibend hohen Kraftfuttergabe immer ruhiger wird, halte ich es bei ihm für den richtigen Weg.

Raufutter sollte Ronaldo immer zur Verfügung stehen. Das ist bei Pferden wie Ronaldo besonders wichtig, da Pferde wie Ronaldo durch den Stress, den sie ständig haben, sehr leicht zu Magengeschwüren neigen. Die ständige Futteraufnahme hat einen beruhigenden Effekt auf Magen und Psyche.

Der Umgang

Ronaldo braucht dringend eine Bezugsperson, der er sich anschließen kann und die sich die Zeit nimmt, diesem sensiblen Pferd die Menschenwelt in Ruhe zu zeigen und zu erklären. Ronaldo hat viele Grundbegriffe seiner Erziehung und des normalen Umganges noch nicht verstanden. Wenn er etwas nicht versteht, macht er sofort „zu“ und hat Stress. In diesem Zustand ist Lernen jedoch nicht möglich.

Ronaldo hat ein großes Potential an Neugierde, Intelligenz und Spielfreude. Wenn er bereit ist, auf freiwilliger Basis mitzumachen, lernt er unglaublich schnell.

Ronaldos Ausbildung

Da Ronaldo auch für mich eine besondere Herausforderung darstellt (bei seiner Körpergröße von schlappen 180 cm und seinem Temperament komme auch ich an meine Grenzen) und ich auch gar nicht vorhersehen konnte, wie sich Ronaldo entwickeln wird, habe ich uns viel bei unserer alltäglichen Arbeit gefilmt. Aus diesen Mitschnitten habe ich Ihnen hier ein Video zusammengestellt.

Ich möchte Ihnen damit zeigen, wie vielfältig ein Weg zu einem verlässlichen Pferd aussehen kann und was mit diesem Weg zu erreichen ist.

Die ersten vier Wochen: eine Vertrauensbasis entsteht

Die ersten vier Wochen Ronaldos Zeit bei mir, die Sie in diesem Film mitverfolgen können, haben wir uns ausschließlich in unserem „sicheren“ Bereich der Halle aufgehalten, um uns hier eine gute Basis für die Welt „draußen“ zu erarbeiten. Wir haben viel an der Grunderziehung gearbeitet, z.B. sich anständig führen zu lassen und still stehen zu können.

Ein besonderes Anliegen war es mir, Ronaldo seine Angst vor dem Pferdeanhänger zu nehmen, denn ich wollte ihm stressreiches Verladen in Zukunft ersparen. Ich habe mir hier viel Zeit genommen, in der er entdecken konnte, dass in den Hänger zu gehen, nichts Schlimmes ist, sondern Spaß machen kann. In diesem Video können Sie den Erfolg sehen.

Ein weiterer großer Schwerpunkt ist die Gymnastizierung, hierbei insbesondere das Longieren. Meiner Erfahrung nach werden Pferde, die ihre körperliche Balance finden, auch mental viel stabiler. Auch hier sehen Sie in diesem Video Ausschnitte unserer Arbeit.

Die Bedeutung des Spielens

In diesem Video können Sie außerdem sehen, dass ich viel mit Ronaldo „spiele“. Das, was hier so wenig nach „ernsthafter Pferdeausbildung“ aussieht und mir tatsächlich einige Lachtränen beschert hat, ist tatsächlich sehr sinnvoll! Durch diese Spiele lernt das Pferd völlig ohne Druck, sich mit so vielen Sachen des Menschenalltages auseinanderzusetzen.

Sie sehen, dass ich Ronaldo dabei, wenn immer es möglich ist, frei arbeite, also ohne Halfter und Strick. Es ist somit alleine seine Entscheidung, wann sein Mut und seine Neugierde groß genug sind, sich mit Klappersäcken, Bällen, Flattertoren und Planen auseinanderzusetzen.

Meine Aufgabe dabei ist es, diese Neugierde zu fördern, Ronaldo zu begeistern, ihn zu motivieren und das ist bei ihm ein Kinderspiel. So kann Ronaldos Mut und Selbstbewusstsein wachsen und er gewöhnt sich mehr und mehr an schnelle Bewegungen, rascheln, rappeln und was sonst alles ein Pferd so sehr erschrecken und ängstigen kann.

Die nächsten Schritte können gemacht werden

Mein Vertrauen zu Ronaldo und seines zu mir ist nun so groß und stabil, dass wir den nächsten Schritt angehen können.

Die ersten Spaziergänge in die große Welt hinein haben wir erfolgreich und recht entspannt hinter uns gebracht.

Wie lange Ronaldo noch bei mir sein wird, ist noch unklar. Auch die nächsten Schritte werde ich mit der Kamera begleiten und Ihnen die weitere Entwicklung nicht vorenthalten.

Wie weit es mir gelingt, aus Ronaldo auch im Gelände und auch in Stresssituationen wirklich zu einem Verlasspferd zu machen, kann ich im Moment natürlich noch nicht sagen. Tatsache ist, dass dieses Pferd heute schon ein ganz anderes ist als das, was ich vor vier Wochen kennen gelernt habe und ich denke, es gibt eine realistische Chance, dass Ronaldo, in den richtigen Händen, ein Freund wird, der mit einem gelassen durch dick und dünn gehen wird.

Und so geht es weiter

Die Fortschritte von Ronaldos Ausbildung können Sie nun hier verfolgen.

Haben Sie Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie mir.

 

 

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