Auf der Suche nach der Magie – ein persönlicher Seminarbericht

22.7. – 23.7.08, Jean François Pignon in Schmelz, Saarland

Von Tania Konnerth

Vielleicht haben Sie selbst schon Jean François Pignon erleben können?

Jean François Pignon ist der Franzose, der zu Messen oder Galas mit einer kleinen Pferdeherde anreist und diese dann frei die spektakulärsten Dinge ausführen lässt. Kein Kunststück scheint zu gewagt, keine Aufgabe zu schwierig – und seine Tiere folgen ihm wie durch Zauberhand selbst auf große Entfernungen.

Und genau dieser Mann bot nun ein Seminar an. Von mir aus gesehen fast am anderen Ende des Landes, aber ich machte mich auf den Weg, um erleben und vielleicht auch ein Stück weit erlernen zu können, wie Jean François Pignon arbeitet.

Auf der Suche nach der Magie

Über 600 Kilometer Reise, um einen mit Pferden spielenden Mann zu sehen – das nimmt man nur auf sich, wenn man große Erwartungen hat. Selbst wenn man nicht vorhat, auf blankem Pferderücken sitzend über ein liegendes Pferd zu springen, träumt wohl jede/r, die/der einen Kurs bei Jean François Pignon bucht davon, den einen oder anderen Funken Magie mit seinem eigenen Pferd zu erreichen – sei es, ein Pferd, das einem frei wie an einem unsichtbaren Führstrick folgt, sei es, dass es auf winzige Zeichen um einen herumtrabt oder gar galoppiert und auch wieder anzuhalten ist oder sei es gar, dass es sich auf Kommando ablegen lässt oder zu einem eindrucksvollen Steigen erhebt.

Und so hatte sich an diesem Montagmorgen eine bunt gemischte Gruppe von Pferdebesitzern im Zelt von Stephan Valentin zusammengefunden, der diesen Kurs organisiert hat. 11 Pferdebesitzer und etliche Zuschauer.

Was gemacht wurde – der Seminarablauf

Zum Beginn gab es eine theoretische Einführung, in der Jean François Pignon die Basis seines Modells vorstellte, wie

  • seine Grundannahmen über Pferde und Folgerungen daraus (wie z.B., dass Pferde keine intelligenten Tiere sind und unter dem Menschen stehen, der Mensch also eine natürliche Dominanz hat, die er trainieren kann u.ä.),
  • die 4 Grundpfeiler seiner Arbeit: Ruhe (steht über allem), Konsequenz, Gerechtigkeit (im Sinne von Angemessenheit) und Liebe als grundlegende Motivation,
  • die Skala zwischen angenehm und unangenehm (von 1-10), über die jede Einwirkung mit der Gerte erfolgt und
  • die Grundübungen, die er im Seminar mit den Teilnehmern erarbeitet (1. Respektübung, 2. „Rechts-links-Übung“, 3. Das Auf-einen-zukommen).

Nach der Theorie arbeitete er mit einem Pferd, das die Methode nur in wenigen Zügen kannte und demonstrierte, was die Teilnehmer/innen im Kurs lernen sollten. Er begann mit Übungen am Führstrick und zeigte auch erste Ansätze der Freiarbeit.

Nach der Mittagspause erfolgte dann die erste praktische Arbeit mit den Teilnehmern. Diese wurden in Zweier-Pärchen aufgeteilt – immer einer mit Pferd und der andere als Beobachter, später wurde dann gewechselt. Nun erarbeitete er reihum sowohl die Respektübung als auch die ersten Ansätze der Rechts-Links-Übung. Danach wurde gewechselt und die anderen Pferde kamen ran.

Am nächsten Tag war der Ablauf ähnlich: Start mit einer Fragerunde und weiterem theoretischen Input, dann praktische Arbeit in den bestehenden Gruppen.

Am Ende des ersten Tages durften wir ihm dann noch bei der Arbeit mit seinen Pferden zuschauen und bekamen eine komplette Show geboten.

Sechs freie Pferde, die rennen und kommen, springen und tanzen, steigen und sich hinlegen, die Kreise ziehen und Formatierungen gehen.

Hin und wieder schwingt sich Jean François Pignon auf den Pferderücken und demonstriert sitzend wie stehend, was mit seiner Methode möglich ist und begeistert die kleine Schar, die zuschaut.

Wir, die wir ohne Pferd zum Seminar gekommen waren, konnten während des Kurses alles verfolgen und auch jederzeit Fragen stellen. Die Übersetzung durch Andrea Krux war exzellent, wenngleich ich die Sprachbarriere manchmal doch sehr bedauert habe, weil eine direkte Kommunikation nicht möglich war.

Persönliche Gedanken – ein Versuch der Einordnung

Keine Frage, Jean François Pignon ist ein ganz Großer. Seine physische Präsenz ist bei aller Bescheidenheit, mit der er auftritt, enorm. Eine Präsenz, die ihm nicht nur bei der Arbeit mit Pferden hilft, sondern auch in der Vermittlung seines Weges.

Hoch anzurechnen ist ihm, dass er von Beginn an klarstellt, dass es nicht darum geht, dass wir Teilnehmer seinen Weg übernehmen sollen. Es geht darum, kennen zu lernen, wie er arbeitet, um sich dann herauszusuchen, was für einen selbst passt. Er will ausdrücklich keine „Schüler von Pignon“ produzieren, sondern der wirkungsvollste Weg für jeden von uns kann immer nur unser eigener sein. Das lädt zum Hinterfragen und Reflektieren ein – hoffentlich auch bei allzu begeisterten Nacheiferern.

Die Methode heißt Konditionierung

Die Methode selbst ist schnell erklärt: Pignons System setzt auf Konditionierung, auf Dressur. Der Mensch bestimmt, das Pferd führt aus und darüber gibt es keine Diskussion.

Das muss man wissen, wenn man vorhat, wie er zu arbeiten. Ziel dieser Arbeit ist nicht das selbstständig denkende Pferd, das eigene Ideen für die Lösung von Aufgaben entwickelt, sondern Ziel ist ein Pferd, das sich auf mehrere hundert Meter durch Zeichen zuverlässig dirigieren lässt. Um das zu erreichen, ist widerspruchsloser Gehorsam nötig und der wird ohne Wenn und Aber durchgesetzt.

Die Konditionierung erreicht Jean François Pignon, indem er Unerwünschtes unangenehm macht. Dabei arbeitet er durch Einwirkung mit der Gerte auf einer Skala von 1-10, die es idealerweise stufenlos und vor allem emotionslos zu steigern gilt bis die erwünschte Reaktion da ist. Dann erfolgt die Pause (das Angenehme).

Im Gegensatz zu z.B. einem System wie dem von Pat Parelli wird hier zwar auch mit punktuellem Druck, aber weitestgehend ohne Stress gearbeitet. Das wird durch den Einsatz von Pausen möglich und dadurch, das in Mini-Schritten vorangegangen wird.

Schlüsselfaktor Pausen

Die Pausen sind nach Jean François Pignons Ansicht das Wichtigste. Er arbeitet ohne direkte Belohnung durch Futter oder Streichellob und nutzt auch kaum seine Stimme, sondern setzt die Ruhephasen als Belohnung ein und gibt dem Pferd in ihnen die Möglichkeit, das Geschehene zu verarbeiten. Zu Beginn reichen kleinste richtige Reaktionen, dann wird das Pferd sofort in Ruhe gelassen.

Entscheidend hierbei ist, dass auch der Mensch die Pause lebt, also selbst vollkommen entspannt ist (und nicht z.B. schon gedanklich beim nächsten Durchlauf oder einer anderen Übung). Das Pferd darf in den Pausen grasen, in die Gegend schauen, aber es darf sich nicht entfernen und auch keinen Körperkontakt zum Menschen suchen (dieser wird grundsätzlich rigoros abgestraft, denn es ist für Jean François Pignon respektlos, wenn ein Pferd von sich aus einen Menschen berührt).

Die Basis ist innere Ruhe

Die Basis für diese Arbeit ist nach Jean François Pignon die innere Ruhe.

Nur Übungen, die mit Ruhe ausgeführt werden (Ruhe beim Menschen und beim Pferd) sind wertvoll. Es geht ihm nicht darum, ein Pferd einzuschüchtern (das ist einfach, aber was uns das Pferd dann gibt, nimmt es auch wieder, wenn es die Chance dazu erhält), sondern es geht um Verstehen. Nur ein Pferd, was versteht, wird das Geforderte zuverlässig zeigen, ein Pferd, das nur gezwungen (oder auch durch Leckerlies zu einer Handlung gelockt wird), zeigt die Übungen nicht zuverlässig abrufbar auch auf Entfernung. Und tatsächlich wirkten alle von ihm gearbeiteten Pferde am Ende gelassen und ruhig. Wenn auch der Weg dahin nicht immer harmonisch war, so war der Blick der Pferde letztlich immer gut.

Nicht weg, sondern hin zum Druck

Interessanterweise arbeitet er mit einem Prinzip, das zunächst unlogisch erscheint, aber das offenbar sehr zuverlässig wirkt: Er konditioniert die Pferde darauf, auf das Unangenehme zuzugehen. Konkretes Beispiel: schon in der zweiten Übung lernt das Pferd, auf die touchierende Gerte zuzugehen (die bei der ersten Reaktion sofort aufhört zu touchieren).

Auf diesem Prinzip baut er alles auf – die ersten Führübungen, den Apell, die Freiarbeit. In der Praxis kommen die Pferde dann zu ihm, wenn er mit der Peitsche auf den Boden schlägt. Funktionieren tut das, weil das Pferd zuvor erfahren hat, dass Weglaufen unangenehm ist und Kommen angenehm.

Liebe als Grundmotivation

Jean François Pignon spricht viel von Liebe. Davon, dass wir alles, was wir tun, mit Liebe tun sollen. Er sagt auch, dass Wut Liebe ausschließt. Dass wir also lernen müssen, unsere Gefühle zu unterscheiden, zu trennen und zu kontrollieren.

Nicht behandelt wurde, dass es auch andere Gefühle gibt, die Liebe ausschließen können, wie z.B. Ehrgeiz oder Machtstreben oder auch ein Ziel, das von außen kommt. Und hier lauern Fallen für uns alle, auch für einen Seminarleiter. So ging es am Ende darum, ein Pferd zu verladen. Das in der Methode noch ungeübte und unsichere Pferd sollte die Rampe hinauf zu sich in den Hänger zu holen sein, es sollte dann für ein Stück wieder hinausschickbar sein, um es danach wieder hereinholen zu können – es sollte also jeder Schritt kontrollierbar werden. Und da wurden dann die Pausen deutlich kürzer, der Druck wurde deutlich stärker und die Stimmung gespannter. Auf mein kritisches Nachfragen räumte Jean François Pignon ein, dass er normalerweise langsamer vorgegangen wäre, aber dass er dem Eigentümer des Pferdes etwas mitgeben wollte (eben ein Pferd, das sich so verladen lässt). Hier ging es also nicht mehr in erster Linie um das Pferd, sondern um den Zweck.

Offene Fragen

Der Knackpunkt ist, wie wohl immer, die Frage, wie man damit umgeht, wenn ein Pferd nicht tut, was es soll. Und genau an dieser Stelle dürften sich, wie so oft, die Geister scheiden.

Jean François Pignon hat ein sehr einfaches und für Pferde unmittelbar verständliches System erschaffen, das aber kaum Raum für Eigeninitiative oder Selbstständigkeit der Pferde bietet (allenfalls später, wenn die Basisübungen wirklich sitzen). Fehlverhalten wird konsequent mit einer Einwirkung durch die Gerte auf der von 1 auf 10 ansteigenden Skala beantwortet, richtiges Verhalten durch Pausen belohnt. Sein System erfordert eine enorme Selbstbeherrschung und die Bereitschaft, immer wieder zu reflektieren, ob man die Methode noch im Sinne des Pferdes einsetzt oder nicht.

Bei einem so wirkungsvollen, aber eben auch phasenweise hartem System, das dem Tier einen eigenen Willen abspricht, stellt sich auch die Frage, was wir tatsächlich verlangen und durchsetzen wollen. Nicht jeder von uns wird sechs Pferde in einer Arena zu spektakulären Stunts bringen wollen und deshalb wird es für die meisten von uns weder notwendig noch angemessen sein, ein Pferd mit einer ähnlichen Konsequenz zu konditionieren wie Jean François Pignon es mit seinen Pferden tut.

Persönliches Fazit

Zwei Tage Jean François Pignon waren zwei aufregende, intensive und volle Tage. Es gab viel zu schauen, zu staunen und Grund genug, beeindruckt zu sein.

Ich habe aus diesem Seminar viel gezogen. Vor allem ist es Stoff für meine ganz persönliche Selbstreflexion. Die Gefahr bei einer Methode, die auf reine Konditionierung setzt, besteht für mich darin, dass man leicht über das Wesen Pferd, über seine Persönlichkeit (sofern man ihnen denn eine zugesteht) hinweggehen kann, um sein Ziel zu erreichen.

Es ist verständlich, dass jemand, der spektakuläre Stunts mit seinen Pferden ausführt, Tiere braucht, die punktgenau funktionieren. Aber will ich das auch? Will ich wirklich ein Pferd, das mir in dieser Form gehorcht? Verlange ich unbedingten Respekt und bin ich bereit, ihn durchzusetzen? Oder nehme ich einfach die eine oder andere Unart in Kauf, und bewahre mir meinen Glauben, dass zwischen Mensch und Pferd doch auch so etwas wie eine partnerschaftliche Beziehung möglich ist?

Für mich war das ein Seminar, das einen höchst wirkungsvollen Weg zur (Freiheits-)Dressur von Pferden zeigt.

Es war ein Seminar in dem deutlich wurde, dass Magie seine Wurzeln in fast schon banaler Grundlagenarbeit und simplen verhaltenspsychologischen Mechanismen hat.

Und es war auch ein Seminar, das daran erinnerte, wie wichtig es ist, dass wir alle – ob Freizeitreiter oder Showartist – immer wieder aufpassen müssen, bei all unseren Zielen und Anforderungen nicht unsere Pferde aus den Augen zu verlieren…

 

 

Haben Sie Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie mir.

Infos zu Jean François Pignon

www.jfpignon.com

 

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