Wenn Pferde kauen und lecken – ist das gut oder schlecht?

Vor kurzem wurde mir folgende Frage gestellt:

Wenn ich mein Pferd longiere (was ich sehr selten tue), fängt sie (eine Stute) schon nach zwei Runden an zu kauen, nimmt den Kopf runter und leckt. Sie empfindet also das Longieren als eine Art Join up „Maßregelung“ meinerseits. Haben Sie einen Tip für mich, wie ich das ändern kann? Das Longieren soll ja für sie keine Strafe sein.

Auf diese Frage möchte ich an dieser Stelle eingehen.

Ein Verhalten – viele Interpretationsmöglichkeiten

Das Kauen und Lecken des Pferdes als reine Unterwerfungsgeste zu interpretieren, halte ich für falsch. Für mich bedeutet es viel mehr und ich interpretiere das Kauen und Lecken je nach Situation sehr unterschiedlich.

Schauen Sie sich zum Vergleich einen Hund an, der mit dem Schwanz wedelt. Die meisten Menschen interpretieren ein Schwanzwedeln beim Hund automatisch als Ausdruck von Freude. Das stimmt auch oft, aber manchmal ist es das aber nicht. Es kann nämlich z.B. auch ein Ausdruck von Unsicherheit oder Erregung sein und so kann es durchaus vorkommen, dass ein Hund mit dem Schwanz wedelt und in die nach ihm greifende Hand beißt … In diesem Fall hat der Mensch den Fehler gemacht, nicht auch die Körperhaltung und den Augenausdruck zu beachten, der ihn hätte das Schwanzwedeln anders interpretieren lassen. Es gilt also immer, den Gesamteindruck des Tieres zu sehen und zu deuten, egal ob beim Hund oder Pferd.

Situationsbeispiele

Ich sehe das Lecken und Kauen beim Pferd in den meisten Fällen als sehr positives Zeichen und übersetze es je nach Situation so:

Beim Reiten im Gelände

Fast jeden Morgen gehe ich mit meinem Pepe und meinen Hunden in den Wald. Zu 90% sind wir dabei gebisslos unterwegs. Wir haben ein paar Lieblingsstecken, auf denen ich Pepe gerne mal „gehen“ lasse. Er darf also so richtig Gas geben und das macht er sehr, sehr gerne :-). Am Ende der Strecke angekommen, pariert er in der Regel von allein durch. Ich muss ihn also nicht über Zügeleinwirkung bremsen und da, kein Gebiss im Maul liegt, schließe ich eine Mobilisierung des Kiefers durch Gebisseinwirkung als Auslöser des Kauens aus. Doch kaum ist Pepe im Schritt, schleckt und kaut er wie ein Weltmeister und das ohne Leckerligabe meinerseits. Sein Blick nach so einem Galopp ist einfach toll. Nie im Leben würde ich auf die Idee kommen, dieses Lecken und Kauen negativ zu interpretieren. Für mich heißt es in diesem Fall: „Das war ein Mordsgaudi„!

Bei Behandlungen wie Massage, Akupunktur, Energiearbeit u.ä.

Wenn meine Pferdephysiotherapeutin Maike eines meiner Pferde behandelt und auf einen Problembereich, also eine so genannte Blockade trifft und diese mittels Massagetechniken bearbeitet, sieht man fast immer als Reaktion auf ihr Tun das Kauen und Lecken. Ebenso sieht man eigentlich immer ein Kauen und Lecken des Pferdes, wenn Patrizia ihren Laserstab an einen Akupunkturpunkt hält, der ihr zuvor durch eine Energiestörung aufgefallen ist. Oder machen Sie mal diese Schweifübung bei Ihrem Pferd.

Auch hier bleibt so gut wie kein Pferdemaul stumm und wenn doch, mache ich mir darüber mehr Gedanken, als wenn mein Pferd schleckend reagiert. In diesen Fällen interpretiere ich das Kauen und Lecken als Zeichen, dass ich am richtigen Ort das Richtige mache (bzw. machen lasse) um etwas positiv in Bewegung zu bringen. Ich sehe dabei kein Unwohlsein oder negative Gefühle beim Pferd – ganz im Gegenteil, es ist für mich ein Zeichen dafür, dass sich etwas löst, dass etwas in Bewegung kommt.

Bei der gymnastizierenden Arbeit

Wenn ich die Pferde an der Hand mit den Übungen „Führen in Stellung“ und „Übertretenlassen“ aufwärme, so wie ich es im Longenkurs beschreibe, oder auch beim Reiten von Seitengängen, beobachte ich die Pferde sehr genau, ob sie dabei anfangen zu lecken und zu kauen. Wenn sich ein Pferd korrekt stellt und biegt, wird nämlich eine Muskelfunktionskette aktiviert, die von der Hinterhand bis in die Region der Kiefergelenke reicht. Lässt das Pferd die Biegung durch seinen Körper durch, wird die Zugenbeinmuskulatur angeregt. Die Folge: Das Pferd leckt und kaut. (Wer sich für die genaue Funktionskette interessiert empfehle ich die Lektüre der überarbeiteten Version unseres Longenkurses, die in Kürze erscheint. Darin erklärt Maike ausführlich die Biomechanik, die hinter diesem Phänomen steht.)

Aus diesem Grund freue ich mich bei gymnastizierenden Übungen immer darüber, egal ob an der Hand oder beim Reiten, wenn mein Pferd ein entspanntes Lecken und Kauen zeigt.

An der Longe

Wenn ein Pferd noch unausbalanciert und verspannt an der Longe läuft, beobachte ich häufig ein verspanntes Maul zusammen mit einem gestressten Gesichtsausdruck. So ein Pferd presst die Kiefer zusammen, beißt also im wahrsten Sinne des Wortes die Zähne zusammen. Verspannte Kiefergelenke blockieren das Genick des Pferdes, womit ich kaum Stellung erreichen kann. Wenn das Pferd aber anfängt sich zu lösen, lässt sich das Pferd aus dem Widerrist heraus fallen. Und oftmals beginnt das Pferd in diesem Moment an zu kauen und zu lecken. Es ist also ein gutes Zeichen! Ich würde nicht auf die Idee kommen, dass mein Pferd sich in einem solchen Moment von mir „unterworfen und gestraft“ fühlt.

Schauen Sie sich Pepe auf dem folgenden Bild an. Haben Sie das Gefühl, dass er sich gerade schlecht fühlt?

Und so gebe ich der Fragestellerin zur Antwort, dass sie sich freuen soll, wenn ihr Pferd sich schon nach ein paar Runden an der Longe löst und abkaut und diese Reaktion in meinen Augen kein Grund ist auf das Longieren zu verzichten. Ähnlichkeiten zu einem „Unterwerfungskauen“, wie es beim „Join up“ zu sehen und erwünscht ist, sehe ich nicht.

Beobachten Sie Ihr Pferd und fühlen Sie hin

Dies sind nur einige Beispiele, aber im Alltag erlebe ich etliche Situationen, in denen Pferde lecken und kauen und ich es als positives Zeichen interpretiere. Sicherlich gibt es auch das „Stresskauen“ des Pferdes, welches aber gut vom entspannten Kauen und Lecken zu unterscheiden ist.

Schauen Sie immer genau hin: Wie sieht das Auge des Pferdes aus? Wie ist die Körperhaltung? Was empfinden Sie, wenn Sie Ihr Pferd anschauen? Schulen Sie Ihre Empathie und bewerten Sie dann, ob es sich um ein „gutes“ oder ein „schlechtes“ Kauen und Lecken handelt.

4. Oktober 2011 von Babette Teschen • Kategorie: Longieren, Sonstiges, Verhalten 11 Kommentare »

 

11 Reaktionen zu “Wenn Pferde kauen und lecken – ist das gut oder schlecht?”

 

Von Daniela • 4. Oktober 2011

Wir haben eine sehr ängstliche, zur Hysterie neigende Stute. Manchmal kommen wir in für sie beängstigende Situationen, vor denen sie alleine sicherlich flüchten würde. Steht ihr aber ein Vertrauter beiseite (egal ob Mensch oder Pferdekumpel)und überwindet sie sich und guckt sich die Schreckenssituation an, „begreift“ diese als gar nicht so schrecklich, geht sie weg (das braucht sie, um ihre Anspannung „abzulaufen“) – und kaut und leckt dabei. Eine identische Situation wird nie wieder als schrecklich empfunden. (Ach ja, die Stute wird in diesen beschriebenen Situationen nicht gezwungen, sie kann sich also jederzeit entziehen!)

Bei meinem sehr selbstbewußten Wallach, beobachte ich das Kauen/Lecken nachdem er etwas neues gelernt hat (beim longieren oder reiten oder…).

Ich persönlich empfinde das Kauen/Lecken also eher als etwas sehr positives. Für mich hat es so den Anschein, daß das Neue jetzt „gegessen“ ist und wir den nächsten Schritt machen können.

LG, Daniela

 

Von Angelina • 4. Oktober 2011

Mir wurde oft bei der Arbeit mit dem Pferd am Boden erklärt, dass wenn ein Pferd etwas neues gelernt hat und dann entspannt kaut, dass es dann darüber „nachdenkt“ und man diese Denkpausen dem Pferd immer geben sollte.

 

Von Bernhard • 4. Oktober 2011

Danke für diesen informativen Beitrag!Vermutlich ist es so, wie Sie schreiben. Bei dem einen Pferde ist diese Geste ein Zeichen von Unterwürfigkeit, beim anderen Pferd kann es ganz anders gedeutet werden. Sicher ist es wichtig, das Verhalten des Pferdes in der Ganzheit zu betrachten und zu beobachten, in welchen Situation dieses Verhalten noch vorkommt.

 

Von Laerke • 6. Oktober 2011

Danke für den interessanten Beitrag. Ich habe in den letzten Tagen mal darauf geachtet und darüber nachdenkt. Meine Stute schleckt meistens, wenn sie von Physio oder Osteo therapiert wird, gern mit halbgeschlossenen Augen. Oder beim reiten, wenn ich das Gefühl habe, wir sind beide warmgelaufen und die Arbeit beginnt gerade. Das sind für mich alles „gute Zeichen“.
Gestern hingegen hatten wir einen anstrengenden Ausritt. Wir beide waren viel angespannt und nervös. zurück im Stall, kaum war das Kopfstück ab, begann sie zu kauen und schlecken und gähnen. Ich glaube sie wollte sagen: „Gut, wieder zu Hause zu sein!“ Das war wohl für uns beide Kräfte zehrend.

 

Von Sabine • 11. Oktober 2011

Schönen guten Tag!

Da ich die Fragestellenden zu dem Thema Longieren und Lecken und Kauen war, hier mein Kommentar dazu:

Auch mein Pferd leckt und kaut nach einem herrlichen Galopp und wenn sie so richtig entspannt und gelockert ist. Sie kaut auch, wenn ihr Gehirn etwas verarbeitet.

Ihr Gesichtsausdruck beim Longieren ist aber ein ganz anderer. Er zeigt eindeutig, dass sie sich nicht wohl fühlt. Und somit habe ich immer noch das Problem, dass Longieren nicht mit Spaß (für uns beide) verbunden ist.

 

Von Anne • 16. Oktober 2011

Mein Pony kaut und leckt ebenfalls oft während der Arbeit, auch hier gilt, wie sie bereits geschrieben haben, dass Gesamtbild des Pony zu beachten. Ich kenne mein Pony nun 18 Jahre und weiß sehr genau, was entspanntes Kauen/Lecken ist und was verunsichertes/ängstlichs ist. Wenn z.B der TA kommt kaut mein Pony auffällig stark (ähnlich Fohlenkauen) und ist alles andere als Entspannt.

 

Von Tamara • 3. November 2011

Habe dasselbe beobachtet wie Daniela: meine etwas ängstliche Stute leckt und kaut immer ausgiebig, wenn sie eine angstmachende Situation aus eigener Kraft überwunden hat.

 

Von Leonie • 14. März 2012

Liebe Babette,

ich lese deine Beiträge sehr gerne und da ich spät eingestiegen bin, habe ich noch Haufenweise Einträge nachzuholen. Finde immer wieder toll, wie deine Beiträge mich zum nachdenken, reflektieren und natürlich manchmal auch zu Einstellungsänderungen anregen.
So möchte ich dennoch auch einmal etwas zurückgeben, was mir immer wieder negativ auffällt an deinen Stoppelfeldfotos. Dein Sattelgurt ist mindestens 20cm -wenn nicht mehr- zu kurz.. der Kurzgurt sollte bis an die Kante der Satteldecke/Schabracke gehen, damit die Schnallen nicht im Bewegungsbereich der empfindlichen Ellbogen liegen (aua aua). Vielleicht hast du ja heute einen Kurzgurt, der lang genug ist.. falls nicht, konnte ich dich vielleicht auf die Idee bringen, die Tage einen neuen Kurzgurt zu kaufen ;).

Liebe Grüße
Leonie
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Liebe Leonie,
ich danke Dir für Deinen richtigen und wichtigen Hinweis!
Liebe Grüße,
Babette

 

Von Jenny • 27. Januar 2013

Es gibt scheinbar verschiedene Kauformen, die z.T. in der Literatur durcheinandergehen:
z.B. bei Marlitt Wendt wird Kauen grundsätzlich mit einer Beschwichtigungsgeste gleichgesetzt.
(Quelle: http://www.pferdsein.de/?p=2233)

1.) Beschwichtigungsgeste (meist NICHT als Leerkauen bezeichnet):

= starkes öffnen des Mauls und (statt des seitwärtskauens) Zähne aufeinanderschlagen; meist von Fohlen ausgeführt

„Eine Sonderform des Leerkauens stellt die sogenannte Unterlegenheitsgebärde (UG)
dar (ZEEB 1959b). Es handelt es sich um eine „vertikale Bewegung“ der Unter- und
Oberkiefer voneinander weg und aufeinander zu (Abbildung 2). Ihre Funktion ist die
Beschwichtigung.“ Quelle: Marion Wickert(2012) Die Bedeutung des Leerkauens bei Pferden aus Sicht der Physiologie und der Ethologie, Seite 2 (s. auch Abbildung auf dieser Seite, der online verfügbaren Dissertation: http://www.diss.fu-berlin.de/diss/servlets/MCRFileNodeServlet/FUDISS_derivate_000000011988/Wickert.pdf;jsessionid=36CF3B2B3EBC206E2F04E53535928176?hosts=).

2.) Leerkauen als leichtes (seitwärtsbewegendes) Kauen, bei geschlossenem Mund, das NICHT als Beschwichtigungsgesete eingesetzt wird – wohl aber sehr häufig (aber keinesfalls nur!!) in Zusammenhang mit Stress/nach Stress gezeigt wird (vgl. ebd. Seite 77ff).

Nun ist die Frage, ab wann der Stress, dessen Aufhören z.T. als Leerkauen sichtbar ist, problematisch ist. Das Stress aufhört und das Pferd sich löst ist sicher positiv – die Frage ist allerdings wie viel Stress man dem Pferd vorher zufügt…

Auch hier im Blog wird immer wieder wird positives und negatives Kauen unterschieden.
Z.B. „Sicherlich gibt es auch das ‚Stresskauen‘ des Pferdes, welches aber gut vom entspannten Kauen und Lecken zu unterscheiden ist.“ (Quelle: http://www.wege-zum-pferd.de/praxisblog/2011/10/04/wenn-pferde-kauen-und-lecken/)

Noch mehr Hilfen (am besten mit Bildern/Videos), wie mensch den Unterschied erkennt, wären toll!!

Überhaupt wären mehr Bilder zur Mimik (wie sieht ein Angstgesicht aus, wann sieht ein Pferd glücklich aus) wirklich ein wichtiger Schritt für den Pferdeschutz! Ich habe echt große Schwierigkeiten, die Mimik von Perden, die ja eben stumm leiden, zu lesen. Und ich fürchte, ich bin nicht die einzige.

Mit herzlichen Grüßen,
Jenny

 

Von Lisa Albiez • 9. März 2018

Zum Longieren: Ich habe auch ein Pferd, das sich unterworfen fühlt, wenn ich es in der Mitte stehend auf den Kreis rausschicke. Er leckt die Lippen und senkt den Kopf und leidet, wenn ich ihn nicht sofort wieder erlöse. Die Lösung dazu ist folgende: Nicht in der Mitte stehenbleiben und das Pferd alleine rausschicken, sondern mit ihm mitlaufen. Langsam den Abstand zum Pferd vergrössern. So empfindet es den Kreis nicht mehr als Strafe. Grüsse

 

Von Anke Henneberg • 2. April 2018

Anmerkung zum vorhergehenden Beitrag Longieren: Pferd aus der Mitte auf den Kreis schicken. Ich empfinde sehr viel Achtsamkeit und es wurde eine gute Lösung gefunden. Sicherlich passiert das nicht bei jedem Pferd so und ich frage mich, warum passiert das? Ich würde noch etwas weitergehen und diverse Lösungen ausprobieren, z.B. das Pferd auf der Kreislinie in eine Pause schicken. Ein weiterer Gesichtspunkt wäre, wie stark schicke ich das Pferd auf die Kreislinie: ist es ein Wegtreiben, mit Einsatz von Hilfsmitteln, wie ist meine Körperkommunikation, oder ist es eine Wegweisung. Liebe Grüsse

 

 

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