Was will mir mein Pferd sagen?

Leute wie ich werden oft von Menschen gerufen und um Rat gefragt, die konkrete und zum Teil umfassende Probleme mit ihren Pferden haben. Meist suchen sie einen Weg, auf dem sie sich ihrem Pferd besser mitteilen können. Und schon an dieser Stelle muss ich das Bild korrigieren, denn für mich geht es in der Arbeit mit Pferden zunächst nicht darum, was wir Menschen dem Pferd sagen wollen, sondern viel wichtiger finde ich, was sie uns mitteilen wollen

Ein grundsätzlich anderer Zugang, der alles ändert

Dieser Ansatz unterscheidet sich ganz wesentlich vom herkömmlichen Umgang mit Pferden, der ja in der Regel so aussieht: Der Mensch entscheidet, was getan wird und das Pferd soll eben genau das dann tun. Die Skala geht dann von einem liebevoll-freundlichen Miteinander bis hin zu gewaltvollem Durchsetzen des eigenen Willens gegenüber dem Pferd mit allen Abstufungen dazwischen, je nachdem, wie das Pferd auf den Menschenwillen reagiert. 

Viele Mensch-Pferd-Paare finden auf dieser Basis auch durchaus ein mehr oder weniger gut funktionierendes Miteinander, bei dem, zumindest solange keiner dran rüttelt, alles wie gehabt läuft. Rüttelt aber doch mal jemand oder ändern sich die Umstände, dann zeigt sich oft plötzlich, dass das, was so verlässlich erschien, leider brüchiger ist als gedacht. 

  • Laura hat seit sechs Jahren eine Hannoveranerstute, mit der sie dreimal die Woche Dressur in der Halle reitet, an zwei Tagen wird das Pferd longiert und am Wochenende geht’s auch mal ins Gelände. Als sie mit der Stute nach einem langwierigen Hufgeschwür wieder das Training aufnehmen will, klappt gar nichts mehr – das Pferd verweigert die Arbeit in der Bahn genauso wie die an der Longe und im Gelände flippt es regelrecht aus. 
  • Bodo ist mit seinem Araber-Wallach in einen anderen Stall gezogen. Vorher stand das Pferd nachts in einer Box und kam tagsüber auf einen Paddock. Nun hat Bodo einen gut geführten Laufstall gesucht, um seinem Pferd 24 Stunden Pferdegesellschaft zu bieten. Während sein Wallach im alten Stall schon wieherte, wenn er die Stallgasse betrat, scheint er sich nun kaum noch für seinen Menschen zu interessieren. Bodo hat sogar Schwierigkeiten, ihn einzufangen. 
  • Ulrike pflegt mit ihrem Isländer ein inniges Verhältnis. Als sie einen Mann kennenlernt, der sich auch für Pferde interessiert, beschließt sie, sich ein zweites Pferd zu kaufen, um auch mit ihm ihr Hobby teilen zu können. Von dem Tag an, an dem Ulrike den neu gekauften Tinker zum Stall bringt, verändert sich ihr Isländer und wird vom ruhigen Verlasspferd zu einem fahrigen Nervenbündel.  

Pferde kommunizieren über ihr Verhalten

Pferde können nicht sprechen, sondern sie kommunizieren über ihr Verhalten mit uns. Sie wollen uns natürlich nicht mit allem, was sie tun, etwas sagen (so wichtig sind wir meist gar nicht ;-), aber manches in ihrem Verhalten enthält ganz konkrete Aussagen. Und die müssen wir erkennen, um entscheiden zu können, wie sich auftretende Probleme lösen lassen. 

  • Lauras Stute stand wegen des Hufgeschwürs eine ganze Weile allein und von einem Tag auf den anderen wurde nichts mit ihr gemacht, da sie so stark lahmte. Während sich Laura nach dem Abheilen des Hufgeschwürs nun darauf freut, wieder mit ihrer Stute zu arbeiten, hat sich für diese in der Zwischenzeit die Welt geändert. Die starken Schmerzen haben sie misstrauisch werden lassen und die Isolation hat die Stute ängstlich gemacht. Es ist dem Pferd nicht möglich, so zu sein wie vorher, da es erst wieder neues Vertrauen entwickeln muss. 
  • Dass Bodos Wallach nicht mehr zu ihm kommt, nimmt Bodo persönlich. Er erkennt nicht, dass sein Pferd durch die neue Situation nun erst einmal andere Prioritäten setzt. Für ihn ist die neue Herde eine große Herausforderung, denn er ist gerade dabei, sich seine Position zu erarbeiten und Freundschaften aufzubauen. Für Bodo hat der Wallach einfach keinen Kopf. 
  • Der sensible Isländer von Ulrike erfährt durch das neue Pferd Veränderungen, die Ulrike nicht bewusst sind. In der Herde ist der Tinker ranghöher und jagt den Isländer gerne weg. Viel von Ulrikes Aufmerksamkeit bekommt nun der Tinker, während sie mit ihrem eigenen Pferd aus Zeitmangel oft nur kurz etwas macht. All das verunsichert den sensiblen Isländer sehr.  

Die aufgeführten Beispiele zeigen, wie komplex das Verhalten unserer Pferde betrachtet werden kann. Wir, die wir meist nur für eine kurze Zeit am Tag zu unseren Pferden kommen, beachten oft weder die Wirkung unseres eigenen (vielleicht veränderten) Verhaltens unserem Pferd gegenüber, noch all die vielen anderen Einflussfaktoren. Wenn wir aber verstehen wollen, was uns unser Pferd sagen will, müssen wir den Blick weiten und mehr als nur das herausgelöste („Fehl-„)Verhalten sehen.

Ganz oft ist die Frage: „Wie kann ich mein Pferd zu XYZ bringen?“ oder „Wie erreiche ich, dass mein Pferd Verhalten XYZ sein lässt?“ der falsche Ansatz, denn wir müssen uns erst einmal fragen, WARUM unser Pferd etwas tut oder nicht mehr tut und was es damit möglicherweise ausdrückt

Keine Frage, hier können wir vieles auch missinterpretieren. Das aber sollte uns nicht davon abhalten, zu versuchen, unser Pferd zu verstehen. Die Alternative, nämlich unerwünschtes Verhalten einfach zu bestrafen oder auf Veränderungen beim Pferd nicht einzugehen, führt häufig zu einer Verschlimmerung der Situation, da die Gründe nicht abgestellt werden. Für mich geht es also viel weniger oft um die Frage „Wie?“ als um das „Warum?“.

Pferdeverhalten

24. April 2018 von Tania Konnerth • Kategorie: Erkenntnisse, Umgang, Verhalten 5 Kommentare »

 

5 Reaktionen zu “Was will mir mein Pferd sagen?”

 

Von Helen Michel • 30. April 2018

Guten Morgen Tania und Babette

Herzlichen Dank für diesen tollen Beitrag, auch wenn ich nie ein Pferd besass, dafür mit vielen fremden Pferden arbeiten darf, sehe ich solche Situationen, öfters, wo sich der Besitzer fragt, warum macht mein Pferd dies oder das, so plötzlich ?…. Wenn ich dann nachfrage kommen solche Geschichten zum vorschein. Als aussenstehende, sehe ich anscheinend schneller die zusammenhänge. Nun bin ich sehr froh, um diesen Bericht, denn das bestätigt meine Wahrnehmungen. Die meistens nicht immer bis zum Besitzer durchdringen, weil der, der Meinung ist, das hat er/sie noch nie gemacht..das kann nicht sein. ..
Vielen Dank. Helen

 

Von Anke Henneberg • 30. April 2018

Seit ein paar Jahren lebt eine 24-jährige Araberstute als Gesellschaftspferd bei uns. Sie hat einen eigenen Kopf und ist leider wohl mit Altlasten bestückt, so daß sie sich gegen jede Maßnahme(Impfen, Wurmkur, Führen, früher auch Aufhalftern) widersetzt hat. Es wurde mit ihr Bodenarbeit gemacht, reiten ist ein Risiko. Nun denn: jetzt habe ich einen Auffrischkurs im Longieren besucht und dies auch „intensiver“ mit Nayla umgesetzt. Unser darauffolgender harmonischer, gemeinsamer Spaziergang (1. Mal seit sie hier ist) wurde gleich mit einem Baumstämmeauflader an der Straße in Frage gestellt. Und oh Wunder, sie war sehr gesittet und ging ruhig an diesem Ungeheuer vorbei. Augenscheinlich hat sie mit mir großes Vertrauen aufgebaut. Hätte ich nicht so ruhig, konsequent und liebevoll mit ihr gearbeitet, wäre es anders ausgegangen.

 

Von Antje • 30. April 2018

Das freut mich jetzt, das zu lesen. Wir sind mit unserem Pony in einen anderen Stall gezogen und seitdem ist sie viel ausgeglichener. Im Gelände ist sie sicherer und am Platz ist sie die Ruhe selbst. Ich glaube, daß sie sich in dieser Herde sehr wohl fühlt. In der alten Herde stand sie oft abseits und hat in die Ferne geguckt. Danke für den Beitrag, es bestätigt uns, daß wir etwas richtig gemacht haben. Grüße Antje

 

Von Gabi • 30. April 2018

ich könnte wenigstens ein halbes Buch darüber schreiben 🙂 meine Stute ist sicher schon fast dran verzweifelt das die Menschen um sie herum nicht erkannten das sie ein Problem hatte/hat versuche es kurz zu halten, dort wo ich sie her habe wurde sie enger geritten sie war hektisch unausbalanciert nach 20 Min war sie nur noch spannig ( daran „arbeite“ ich noch immer)als ich mit ihr umzog hoffte ich auf ein gutes Training und Besserung, statt dessen wurde unser Verhältnis schlechter und sie immer zickiger (es war die gesamte Grundstimmung die dort herrschte ich hatte Stress mit zwei anderen Pferdebesitzerinnen, war selber ständig angespannt und gereizt)dann kam ein erneuter Wechsel in einem mir schon bekannten Stall wo ich Ruhe fand und natürlich auch meine Stute so konnte ich mich mit ihren Problemen besser auseinandersetzen Sattel und Trense und mich wieder überdenken und meine Stute konnte all ihre wehwechen „ausleben“ was zu einer großen Reitpause führte (welche noch anhält) in dieser Zeit sind wir uns allerdings viel näher gekommen es ist nicht alles gut aber ich ahne woran ich arbeiten muss uns ja dabei hilft mir auch das ich endlich mal in einem Longenkurs von Babette Teschen dabei war 🙂 auch wenn unser Weg noch lang ist (und das soll er auch sein) lg

 

Von Sabine Erich • 9. Mai 2018

Ich habe mir unter der Überschrift „Was will mir mein Pferd sagen?“ vorgestellt, dass ihr ein paar Verhaltensweisen nennt und was sie evtl. zu bedeuten haben, wie z.B. Schweifschlagen, Gähnen, Blinzeln, Kauen, Lecken, Schnauben, Grunzen usw. Sicher weiß jeder Pferdebesitzer, dass Schweifschlagen ein Zeichen für Unbehagen ist, aber es kann auch noch mehr aussagen. Und Gähnen ist sicher nicht nur ein Zeichen von Müdigkeit ….. Habt ihr vielleicht darüber schon einmal einen Beitrag verfasst? Der würde mmich interessieren. Ich habe nämlich noch nicht soooo lange mit Pferden zu tun, bin Späteinsteiger und daher an allem interessiert! Liebe Grüße Sabine

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Hallo Sabine,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Das Problem bei solch eher schematischen Deutungen von Pferdeverhalten sehe ich darin, dass sie meist zu kurz greifen. Ein Pferd „spricht“ ja nicht nur mit seinen Ohren oder seinem Schweif, sondern immer als ganzes Wesen. Deshalb geht es in diesem und vieler anderer unserer Beträge um eher komplexes Verhalten und was es bedeuten kann. Ich möchte dafür sensibilisieren, dass wir uns viel mehr in Pferde einfühlen müssen, um sie zu verstehen.

Herzlich,
Tania

 

 

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