Was ist ein pferdegerechter Umgang?

Von Babette Teschen

Wo immer wir etwas über Pferde lesen oder sprechen, fällt über kurz oder lang der Begriff „pferdegerecht“. Das Thema bewegt und berührt, denn wer will denn mit seinem Pferd nicht pferdegerecht umgehen?

Aber was genau heißt denn eigentlich „pferdegerecht“?

Die vier Faktoren eines pferdegerechten Umgangs

Für mich haben sich über die Jahre vor allem vier Faktoren herausgebildet, die eine gute Basis für einen pferdegerechten Umgang bilden:

  1. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse des Pferdes.
  2. Eine motivierende Arbeit mit dem Pferd.
  3. Eine gute Kommunikation, also eine gemeinsame Sprache, die Voraussetzung für Vertrauen und Verständnis schafft und die mich berechenbar für mein Pferd macht.
  4. Die Schaffung von optimalen Lernbedingungen.

Die Grundbedürfnisse des Pferdes

Das Pferd ist ein Herdentier und es ist ein Beutetier. Um sich in unserer Gegenwart geschützt zu fühlen (was eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass das Pferd sich uns anschließt und lernfähig ist), braucht es verschiedene Grundvoraussetzungen:

  1. ausreichend Nahrung und Wasser,
  2. ausreichend Bewegung,
  3. ausreichende Sozialkontakte mit Artgenossen,
  4. ausreichend frische Luft,
  5. ausreichende Pflege und medizinische Versorgung,
  6. passendes und keine Schmerzen verursachendes Zubehör (Zäumung, Sattel etc.) und
  7. das Gefühl von Sicherheit.

Ich als sein Mensch und Lehrer habe die Verantwortung, diese Grundvoraussetzungen zu schaffen! Tragen Sie deshalb als Basis immer Sorge für die Erfüllung der Grundbedürfnisse des Pferdes.

Doch das ist nicht alles!

Neben den genannten Grundbedürfnissen hat sich aus meiner Erfahrung gezeigt, dass drei weitere Faktoren für einen pferdegerechten Umgang ganz entscheidend sind und zwar:

  1. dass wir unsere Pferde ausreichend und möglichst vielfältig fördern,
  2. dass wir in unseren Handlungen berechenbar für das Pferd werden und
  3. dass wir für gute Lernbedingungen sorgen.

Motivieren Sie Ihr Pferd durch eine vielfältige Ausbildung

In meinen Augen werden viele Pferde zu einseitig ausgebildet. Sie lernen geführt zu werden, Hufe zu geben, sich verladen zu lassen, longiert zu werden, einen Reiter zu tragen… – das normale Pferdepflichtprogramm.

Wie auch bei unseren Kindern in der Schule vermisse ich, dass doch der erste Schritt sein sollte, das Lernen zu lernen und das mit Begeisterung und Motivation!

  • Wie kann ich mein Pferd ermutigen, eigene Ideen zu entwickeln, mir Angebote zu machen, kreativ zu werden?
  • Wie kann ich mit meinem Pferd in eine positive Kommunikation kommen, so dass die Ausbildung auf einem Fundament des gegenseitigen Verstehens wächst und nicht das Eindrillen von Kommandos darstellt?
  • Wie kann ich aus meinem Pferd einen zuverlässigen, vielfältig ausgebildeten, intelligenten Freund machen?

Für mich bildet die Grundlage einer guten Mensch-Pferdbeziehung die Bodenarbeit. Mit Hilfe meiner Körpersprache, Signale am Halfter bzw. Kappzaum, Stimmkommandos und Gertensignale erkläre ich meinem Pferd, was ich von ihm möchte. Dabei wird anfangs jeder richtige Ansatz den mein Pferd macht, von mir positiv bestärkt. Diese positive Verstärkung erfolgt über das Loben mit Futter, Stimme und Streichel- und Spieleinlagen.

Unerwünschtes Verhalten wird, soweit wie möglich, ignoriert.

Schaffen Sie Vertrauen durch Berechenbarkeit und positive Verstärkung

Ein Punkt, der bisher nur selten zu lesen oder zu hören ist, ist der, dass es für Pferde sehr wichtig ist, dass wir Menschen für sie berechenbar sind.

Nur so können sie vertrauen zu uns fassen und vor allem verstehen, was wir von ihnen wollen.

Ein Beispiel

Ein Pferd scharrt am Anbindebalken während es geputzt wird …

Wie reagiert sein Mensch?

Ich schildere mal eine Beobachtung, wie ich sie schon so oft erlebt habe:

Der Mensch sagt: „Lass das!“

Das Pferd hört kurz auf – fängt wieder an …

Der Mensch ignoriert das Verhalten eine Weile, dann folgt ein genervter Klaps auf das scharrende Bein mit dem Wortlaut: „Jetzt hör aber mal auf!“

Das Pferd hört kurz auf, fängt aber wieder an …

Der Mensch geht weg (Sattel holen).

Der Mensch kommt wieder, Sattel wird aufgelegt, das Pferd wird für das Satteln gelobt (scharren tut es freilich immer noch …).

Kennen Sie ähnliche Situationen wie diese von sich selbst?

Wie wir es unseren Pferden oft schwer machen…

Für das Pferd gestaltet sich die Situation so:

Es bekommt für ein und dasselbe Verhalten etliche unterschiedliche Reaktionen, von Strafen über Nichtbeachtung, bis zur Belohnung ist alles enthalten. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird dieses Pferd sein Fehlverhalten nicht abstellen und der Mensch wird jedes Mal schon beim Putzen wegen des Verhaltens seines Pferdes genervt sein.

So machen wir es uns und unserem Pferd unnötig schwer.

Die Lösung: werden Sie berechenbar für Ihr Pferd

Ein Pferd versteht und lernt, wenn es auf ein Verhalten immer die gleiche Reaktion erzielt. Und es lernt gerne und mit Begeisterung, wenn wir unseren Blickwinkel auf das gewünschte Verhalten richten und dieses Verhalten positiv verstärken.

Aus meiner Erfahrung heraus, kann ich sagen: ein berechenbarer Mensch ist ein Grundbedürfnis des Pferdes, denn nur ein berechenbarer Mensch gibt dem Pferd einen sicheren Rahmen.

Das bedeutet in unserem Beispiel:

  • Ich (und auch die anderen Menschen in unserem Umfeld) entziehe dem Pferd sofort meine Aufmerksamkeit und entferne mich in dem Moment, wenn es anfängt zu scharren und
  • reagiere mit positiver Aufmerksamkeit und Lob in den Momenten, wenn es ruhig steht.

Dann wird mein Pferd mit großer Wahrscheinlichkeit lernen, ruhig zu stehen – vorausgesetzt, es herrschen gute Lernbedingungen.

Sorgen Sie für gute Lernbedingungen

Gute Lernbedingungen beinhalten vor allem, dass sich das Pferd in der Umgebung sicher und wohl fühlt.

Solch eine Umgebung zu schaffen, ist unsere Aufgabe.

Ein Beispiel:

Wenn wir ein Jungpferd aus seiner vertrauten Herde führen wollen und von ihm erwarten, dass es außerhalb des Sichtfeldes anderer Pferde ruhig steht, werden wir es  mit großer Wahrscheinlichkeit mit einem zappeligen und nervösen Tier zu tun haben. Denn wir bringen das Pferd aus seiner Sicht in eine Lage, die höchst bedrohlich für sein Leben ist.

Seine Instinkte werden ihm sagen:

  1. Ich bin getrennt von meiner Herde und damit bin ich Gefahren schutzlos ausgeliefert.
  2. Ich könnte leicht gefressen werden.

Sich mit diesem Glauben im Hinterkopf zu entspannen, ist sicherlich schwer!

Eine bessere Chance, ein gutes Ergebnis zu erzielen, ist beispielsweise, das Jungpferd in Gegenwart eines vertrauten, am besten ranghohen Pferdes langsam an das Herausgeführtwerden und das Getrenntsein zu gewöhnen. Auf diese Weise erfüllen Sie das oben aufgeführte Grundbedürfnis an Sicherheit, was Lernen überhaupt erst möglich macht.

Fazit

Wenn Sie mit Ihrem Pferd pferdegerecht umgehen möchten, ist es also immer wichtig zu überprüfen,

  • ob die Grundbedürfnisse Ihres Pferdes befriedigt sind,
  • ob Sie die Arbeit für Ihr Pferd spannend, abwechslungsreich und positiv gestalten,
  • ob Sie in Ihrer Kommunikation verständlich und in Ihrem Verhalten berechenbar für Ihr Pferd und
  • ob gute Lernbedingungen vorhanden sind.

Indem Sie kontinuierlich diese vier Aspekte selbstkritisch reflektieren, werden Sie zahlreiche Ansatzpunkte bekommen, den Umgang mit Ihrem Pferd immer pferdegerechter zu gestalten.

 

Fragen oder Anregungen? Dann schreiben Sie mir.

 

 

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