Ein Traber lernt laufen – ein Erfahrungsbericht zum Longenkurs
Von Birgit
Ich habe seit 6,5 Jahren einen jetzt 15-jährigen Traber-Wallach, der 2jährig nach einem Unfall auf der Bahn in private Hände abgegeben wurde. Bei diesem Unfall hat er sich mit dem Sulky überschlagen und dabei eine schwere Kopfwunde davon getragen. Die Kopfwunde wurde ärztlich versorgt. Unversorgt blieben die linke Schulter, bei der durch den Sulky im oberen Bereich Knorpel abgeschlagen wurde und die Kuppe, die wohl ebenfalls einen heftigen Schlag abbekommen hatte. Die Probleme in der Schulter und der Kuppe wurden – soweit ich weiß – nie behandelt, die seltsame Gangart wurde auf seine Rasse geschoben (Traber können nicht richtig laufen).
Zu allem Unglück erblindete er auch noch mit 13 Jahren auf dem linken Auge, was eine weitere Beeinträchtigung bedeutete. Er hat neben den 3 Grundgangarten eine starke Töltveranlagung und bis Anfang dieses Jahres ging er regelmäßig Pass.
Ausgangspunkt: eine trabende Katastrophe 😉
Zu Beginn unserer gemeinsamen Zeit hat er alle Gangarten gemischt und fast zeitgleich angeboten, zusätzlich war es ihm nicht möglich, auf einem Zirkel zu laufen ohne sich völlig zu verdrehen und nach innen zu kippen.
Er hatte ein unglaublich hohes Grundtempo und war nur schwer in der Bahn zu reiten. Die Probleme mit der Mischung der Gangarten und dem überhöhten Tempo haben wir über Bodenarbeit, Reitunterricht und viel Geduld recht gut beseitigen können, jedoch haben wir keine Möglichkeit gefunden, dass er auf dem Zirkel normal und langsam laufen konnte. Alle Versuche, dieses Problem in den Griff zu bekommen, sind gescheitert. Weder von oben noch von unten war es mir möglich, ihm dieses Verdrehen und Nach-innen-drängeln abzugewöhnen.
Ein paar Mal bin ich dem Rat gefolgt, ihn beim Longieren auszubinden, damit er lernt, vorwärts abwärts zu laufen. Davon habe ich sehr schnell wieder Abstand genommen, da die Arbeit mit meinem Pferd auf freiwilligem Geben und sofortiger Belohnung für das richtige Verhalten basiert und diese Art der Arbeit machte ihn nicht nur unwillig, sondern uns beide auch sehr unglücklich.
Irgendwann war auch ich – wie alle in meinem Umfeld – davon überzeugt, dass er wohl nie vernünftig laufen wird und hatte ich mich damit abgefunden, dass er auf dem Platz nicht anders laufen kann. Da ich mich sehr viel im Gelände aufhalte, fand ich das vertretbar und gab mich auf dem Platz mit sehr großen Runden in nicht so schöner Haltung zufrieden.
Ein Versuch mit dem Longenkurs
Durch Zufall bin ich im Internet auf das Forum „Wege zum Pferd“ gestoßen und habe den dort oft erwähnten Longenkurs von Babette Teschen zunächst nicht beachtet, bzw. für mich und meinen Traber als nicht umsetzbar eingestuft. Durch die vielen Beiträge im Forum, die sich mit dem Longenkurs befassen, wurde ich dann doch neugierig und habe den Kurs vor ziemlich genau 1 Jahr bestellt. Im Grunde war ich hoffnungslos, aber ich dachte mir, dass ich schon mehr Geld für weniger Sinnvolles ausgegeben hatte und ein Versuch konnte schließlich nicht schaden.
Der Longenkurs war eine angenehme Überraschung, denn hier hatte ich endlich eine Lektüre gefunden, die kleinteilig den Leser zum Ziel führt. Es wird sehr detailliert erklärt, warum es so und nicht anders sein soll und wie man in kleinen Schritten dem Pferd die Wünsche verständlich machen kann. Bereits nach kurzer Zeit stellten sich die ersten kleinen Erfolge ein, was Pferd und Besitzer gleichermaßen motivierte. Ich verstand auf einmal, warum mein Pferd bisher so schlecht gelaufen war und mit der Anleitung über den Longenkurs wurde ich in die Lage versetzt, meinem Pferd zu erklären, was ich wollte und vor allen Dingen, wie man dort hinkommt.
Ein Rückschlag…
Ungefähr 6 Wochen, nachdem ich mit dem Kurs begonnen hatte und immer mal wieder nach der Anleitung gearbeitet hatte, ging mein Pferd nach einem Wanderritt lahm und wir mussten feststellen, dass sich der abgeschlagene Knorpel in der Schulter aus seiner Verkapselung gelöst und zu wandern begonnen hatte. Die herbeigerufene Osteopathin stellte neben diesem Problem noch einige Verspannungen und verschobene Wirbel fest, beseitigte diese Störungen und erteilte uns für mind. 3 Wochen Reitverbot. Ich durfte longieren und spazieren gehen, mehr sollten wir nicht machen und es wurde ein Kontrolltermin 4 Wochen nach der Erstbehandlung vereinbart. Zu diesem Termin sollte auch die Hinterhand noch einmal untersucht werden, weil sie auch dort ein Problem vermutete.
Das Reitverbot nutzte ich, mich verstärkt mit dem Longenkurs zu beschäftigen und in kleinen Schritten kamen wir vorwärts. Ich hatte es nicht eilig, hatten wir uns doch schon 6 Jahre erfolglos um eine Lösung für das Problem bemüht.
… der sich als Glücksfall entpuppte
Bei der Kontrolluntersuchung nach 4 Wochen war die Osteopathin sehr überrascht, wie gut er sich erholt hatte und vor allen Dingen, wie gut er an den richtigen Stellen Muskeln aufgebaut hatte. Ihr Kommentar dazu: egal was Du in den letzten 4 Wochen gemacht hast, mache es weiter, so eine positive Entwicklung hätte ich niemals erwartet. Wenn Du ihn weitere 4 Wochen nicht reitest, sondern nur longierst, tust du ihm einen großen Gefallen. Seine Hinterhand musste nicht mehr behandelt werden, da sie dort kein Problem mehr feststellen konnte.
Auch unter dem Sattel veränderte er sich zusehends, Anfang Januar stellte ich fest, dass er endlich keinen Pass mehr ging und mein Flachläufer entwickelte einen Schwung, den ich von ihm nie erwartet hätte. Der Galopp wurde weich und rund und schien ihm auf einmal Spaß zu machen.
Ein Kurs mit Babette
Im Juli dieses Jahres hatte ich Gelegenheit mit ihm an einem Kurs bei Babette teilzunehmen. Die gute theoretische Vorbereitung und die praktische Unterweisung haben uns seit dem in kürzester Zeit weitergebracht.
Er läuft jetzt auf beiden Seiten einen sauberen Zirkel, links herum ist das Laufen in Stellung kein Problem mehr, auf der rechten Seite sind wir noch nicht ganz so gut, aber kein Vergleich mehr zu dem Bewegungsmuster vor einem Jahr. Er läuft federnd und im angenehmen Tempo mit schwingendem Rücken, er hebt die Hufe und wirbelt fast keinen Staub mehr auf.
Auf dem Kurs habe ich gelernt, dass man bei Gangpferden erstmal den Tölt annehmen soll, ganz oft gibt sich das im Laufe der Zeit. Inzwischen – gut 2 Monate nach dem Kurs – springt er beim Traben auf Distanz überwiegend sofort in einen normalen Trab, nur das „Schraten“ ist bei uns noch vermehrt ein „Schrölten“. Er nimmt zusehends Gewicht auf der Hinterhand auf und stoppt nur noch in Ausnahmefällen auf der Vorhand.
Fazit
Für meinen Traber ist der LK ein Glücksfall, weil wir endlich eine Methode gefunden haben, seine körperlichen Defizite auszugleichen, bzw. zu beseitigen. Für mich ist der LK ein Glücksfall, weil er sich harmonisch in meine bisherige Arbeit einreiht. Hier wird nicht mit Zwang und Druck gearbeitet, sondern die kleinen, logisch aufeinander aufgebauten Sequenzen führen ihn und mich in verständlichen Schritten zum Ziel. Er war vorher bestimmt nicht unzufrieden mit dem, was wir in unseren gemeinsamen Jahren erreicht haben, aber jetzt wirkt er stolz, wenn er läuft und mittlerweile gehört der LK zu unserem normalen Programm bei der Bodenarbeit.
Obwohl wir noch einige Zeit brauchen, bis er wirklich durchgängig gut läuft, sprechen unsere Erfolge für sich und inzwischen arbeiten mehrere aus meinem Bekanntenkreis nach dem LK, damit ihre Pferde auch mal so laufen lernen.
Hier noch einmal der direkte Vergleich von früher und heute:
Wer hätte das von 6 Jahren jemals gedacht…..
12. August 2011 von Gastautor • Kategorie: Erfahrungsberichte, Longieren • 2 Kommentare »