Rückenprobleme – Reiten, ja oder nein?

Eigentlich sollte es diesen Blogbeitrag gar nicht geben müssen und es macht mich traurig, dass ich ihn dennoch schreiben muss… Auf meinen Kursen stellen sich bei vielen Pferden Rückenprobleme heraus und in diesem Zusammenhang kommt meist sofort die Frage nach der Reitbarkeit. Auch per Mail werden mir oft deutliche Symptome von Rückenbeschwerden beschrieben, oft verbunden mit der Frage, welcher Hilfszügel am besten hilft, damit das Pferd beim Reiten den Kopf nicht so hochreißt oder was man dagegen machen kann, wenn das Pferd unter dem Sattel buckelt. Deshalb hier also meine ganz klare Antwort auf die folgende Frage:

Kann ich ein Pferd mit Rückenproblemen reiten?

Nein! Ein Pferd mit Rückenschmerzen, oder auch nur mit dem Verdacht auf solche, darf meiner Ansicht nach genauso wenig geritten werden, wie ein Pferd, das lahmt.

Bei Rückenschmerzen tut Gerittenwerden weh

Eigentlich ist es so offensichtlich, dass man es nicht zu erklären braucht, aber da Pferde selbst mit heftigen Rückenproblemen tatsächlich geritten werden, ist es wohl doch nötig: Als Reiter sitzen wir mit unserem gesamten Gewicht (das oft nicht gerade wenig ist) GENAU auf der schmerzenden Stelle, nämlich dem Rücken. Da sollte es doch auf der Hand liegen, wie viel Leid das Reitergewicht für ein Pferd bedeutet, das Rückenschmerzen hat. 

Pferde mit Rückenproblemen haben, wenn sie geritten werden, Schmerzen, manchmal leichte, oft aber starke. Würden Pferde winseln, wimmern oder auch schreien können, könnten sie uns vielleicht deutlicher machen, was ihnen eine Qual ist. Die einzige Lautäußerung bei Schmerzen ist meist ein Stöhnen. Und wie reagieren viele Reiter/innen darauf, wenn ihr Pferd tatsächlich beim Reiten stöhnt? Sie lachen darüber und machen Witze alá „Ach, du Armer, du hast es aber auch schwer!“

Pferde haben keinen Schmerzlaut, sie äußern Schmerzen anders: Manche versuchen sich durch eine bestimmte Haltung Linderung zu verschaffen: nehmen also vielleicht den Kopf hoch und drücken den schmerzenden Rücken weg oder sie verkriechen sich hinter dem Zügel. Andere verweigern die Mitarbeit, indem sie immer langsamer werden oder auch stehen bleiben. Wieder andere zeigen das, was man so gerne als „Widersetzlichkeiten“ bezeichnet: Buckeln, Losstürmen oder auch Steigen. 

All diesen Reaktionen ist fast immer eines gemein: Sie sind Ausdruck von Not.

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Da Pferde still leiden, müssen wir die (leisen) Zeichen für Schmerzen erkennen lernen und diese genauso ernst nehmen wie eine Lautäußerung, wie z.B. ein Winseln. Wir dürfen nicht einfach über sie hinweggehen und weiter machen, wie bisher bzw. nach Hilfsmitteln suchen, damit wir weiter machen können.  Reißt ein Pferd den Kopf beim Reiten hoch, kann die Antwort nicht sein, den Kopf mit Hilfszügeln in die „richtige“ Position zu bringen, sondern es muss nach der Ursache gesucht werden. Dasselbe gilt für das Buckeln, Steigen, eine deutliche Trägheit und andere Anzeichen für Rückenschmerzen. 

Was tun bei Rückenschmerzen? 

Für mich sieht der pferdegerechte Weg bei Rückenproblemen so aus:

  • Beim Verdacht auf Rückenprobleme (s. diese Checkliste) sollte das Pferd als erstes gründlich von einem guten Tierarzt untersucht und eine sichere Diagnose gestellt werden (z.B. müssen Erkrankungen wie z.B. Kissing Spines ausgeschlossen werden). Zusätzlich rate ich zu Behandlungen von guten Physiotherapeuten/Osteopathen. 
  • Gibt es keine tierärztlichen Bedenken gegen das Training, sollte das Pferd durch gute, gymnastizierende Bodenarbeit (s. Longenkurs und Aufbaukurs) behutsam trainiert werden und das solange, bis das Pferd eine gute Laufmanier gelernt und eine gute, lockere Muskulatur entwickelt hat.
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  • Erst dann sollte sich nach einer ausreichend langen Lösephase an der Hand der Reiter für eine kurze Zeitspanne wieder auf das Pferd setzen (zu Beginn nicht länger als 10 Minuten!).
  • Wenn alles gut läuft, sieht das Ergebnis dann so aus, dass das Pferd unter dem Reiter am langen Zügel den Hals entspannt fallen lässt und locker losmarschiert. Erst von dieser Basis aus können dann langsam die Zügel aufgenommen und damit begonnen werden, dem Pferd auch unter dem Sattel eine gute Laufmanier zu vermitteln, die weiteren Rückenproblemen vorbeugt.

Leider wird das fast überall noch „anders“ gemacht. Mir ist bewusst, dass viele Menschen sich ein Pferd zum Reiten anschaffen und dass sich der Weg, den ich hier vorschlage, lang anhört. Für mich aber ist selbstverständlich, dass jeder, dem das Wohl seines Pferdes am Herzen liegt, bereit sein muss, bei Schmerzen auf das Reiten zu verzichten – und das gilt nicht nur, wenn das Pferd z.B. lahmt, sondern eben auch bei Schmerzen, die es nicht so klar zuordbar zeigen kann.

6. Juni 2017 von Babette Teschen • Kategorie: Engagement und Pferdeschutz, Gesundheit, Longieren, Reiten 7 Kommentare »

 

7 Reaktionen zu “Rückenprobleme – Reiten, ja oder nein?”

 

Von Anke Hermes • 6. Juni 2017

Liebe Tania, ja, es ist traurig, dass du das ausführen musst, aber ich finde es gut und wichtig, dass du es betonst. Und meiner Meinung nach sind auch einige Menschen schlichtweg zu schwer für ihr Pferd. Das Pferd sollte maximal 15% seines eigenen Gewichts tragen müssen. Dem Gewichtsverhältnis wird zu wenig Beachtung geschenkt. Reiten um jeden Preis. Eure Seite und Blogbeiträge verfolge ich regelmäßig. Auch arbeite ich mit eurem Longenkurs. Danke, dass es Menschen wie euch gibt. Mangelware in der Reiterwelt. Weiter so! Ganz liebe Grüße, Anke

_______________

Ups, da war der Artikel falsch zugeordnet – der ist von Babette 🙂 (ist jetzt geändert)

Herzlichen Dank für Deinen wichtigen Kommentar!!!
Tania & Babette

 

Von Tine • 12. Juni 2017

Das wichtigste Thema überhaupt, der Rücken! Leider wird ihm zu wenig Beachtung geschenkt. Ein Pferd kommt mit einem gesunden Rücken auf die Welt und wird dann von uns ruiniert. Man sollte von Anfang an Rückengymnastik ins Training integrieren und das geht am Besten vom Boden aus. Leider sind die meisten Leute aufs reiten fixiert. Auch bin ich der Meinung man sollte den Rücken nicht zu lange am Stück mut dem Reitergewicht belasten. Sonst sind Verspannungen vorprogrammiert.

 

Von Regina • 12. Juni 2017

Leider immer wieder ein wichtiges Thema und eine klare Haltung dazu, Danke.
Eine Anmerkung: Pferde haben Schmerzlaute, es stimmt nicht, dass sie immer still leiden, wohl oft. Ich habe es selbst erlebt, z.B. mehrfach bei Pferden, die an einen Elektrozaun mit viel Ladung gekommen sind. Jaulen können sie, fiepen, quieken, winseln, jammern, minutenlang. Es geht einem echt nah, sie so zu hören (und sehen kann man ja eh genug, um es ernst zu nehmen!) Ja, andere fliehen und sind lange verschreckt, aber es gibt eben auch die, die sich stimmlich äußern. Und selbst in so einer Situation habe ich Menschen in meiner Umgebung erlebt, die darüber spotteten, das fand ich dann wirklich krass, genau so, wie du die Reaktion auf ein Stöhnen beschreibst.

 

Von Monika • 12. Juni 2017

Liebe Babette!
Jeder Pferdemensch sollte sich selbst mal fragen, wie er es empfindet, wenn er Rückenschmerzen hat, was er dagegen tut (Packungen, Massagen, Wohlfühlprogramm, Ruhe)und wie lange die Schmerzen oftmals anhalten. Ob er in dieser Zeit schwere Sachen trägt oder sich lieber schont? Und ob er mit Rückenschmerzen auf`s Pferd steigt? Eher wohl nicht. Und was tut er für sein Pferd??? Nicht viel oder gar nichts. Das Pferd hat einfach zu funktionieren. Leider.
Mein Traum vom eigenen Pferd und Reiten so oft ich möchte endete mit seinem Sturz als 2jähriger. Mehrere Rückenwirbel raus, der in der Sattellage nicht mehr vollständig reparabel. Reitbar? Niemals.
Leider habe ich mich damals aus Unwissenheit überreden lassen, ihn trotzdem von einer Bereiterin angucken zu lassen. Sie wischte meine Erklärungen weg und meinte, das muss gehen (geht nicht gibt`s nicht). Sie legte ihm einen Sattel drauf, zog fest und die Peitsche knallte. Ich habe noch nie ein Pferd so schreien hören. Sie können es!!! Ich habe sofort abgebrochen und die Dame vom Hof geschickt. Mein Lehrgeld: das Vertrauen zu meinem Kleinen war lange Zeit gestört. Aber meine Konsequenz: nicht aufgeben, ihn nicht weggeben, nicht zum Schlachter (wie mir wirklich viele geraten haben – unfassbar), einfach die Entscheidung für mein Pferd: Niemals Reiten. Das ist jetzt 10 Jahre her. Ich vermisse das Reiten nicht mehr und erfreue mich jeden Tag am Leben mit meinem Pferd.
Also, auch mal eine Entscheidung zu Gunsten des Pferdes treffen und den Egoismus mal ausschalten.

Liebe Grüße
Monika

 

Von Marion • 12. Juni 2017

Hallo Babette,
ich verfolge euren Blog schon seit 2 Jahren und bin sehr von eurem Longenkurs überzeugt.
Dieser Kurs hat meinem Balou und mich wirklich gerettet, denn mein süßer hatte durch einen Weideunfall massive Probleme im Rücken .
Auch ich musste mir viele schlaue Sprüche anhören
Aber ich bin meinen Weg mit euren Kurs gegangen und ihm geht es jetzt deutlich besser
Danke dafür und macht bitte weiter so.
Ihr seit spitze.
Liebe Grüße
Marion

 

Von Manfred • 13. Juni 2017

Liebe Babette,

ich freue mich, dass Du diesen Blogbeitrag veröffentlicht hast. Sehr viele Pferde haben unter diesem Problem zu leiden. Wir können gar nicht oft genug darauf hinweisen, dass sie von Natur aus nicht zum Tragen von Lasten auf dem Rücken geschaffen sind und dafür grundsätzlich sehr viel Gymnastizierung benötigen, welche immer erst vom Boden aus erfolgen sollte bevor der Rücken überhaupt belastet wird.

Die meisten Rückenprobleme sind meiner Meinung nach auf mangelnde Vorbereitung und zu frühzeitige Belastung zurückzuführen. Aber es gibt auch sehr häufig angeborene anatomische Probleme Probleme, die oftmals erst viel zu spät erkannt werden, meist erst durch entstandene Schwierigkeiten beim Reiten. Da hat das Pferd dann schon sehr gelitten und weiß sich nicht mehr anders zu helfen.

Aber ich habe inzwischen auch schon sehr viele Fälle miterleben dürfen, bei denen die Menschen durch ihr Einfühlungsvermögen bereits solche Probleme schon früh erkennen und auch gelernt haben dem Tier dann Wege zu zeigen, damit besser leben zu können. Leute wie ihr, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit anderen Pferdemenschen teilen.

Schön, dass es euch gibt
Manfred

 

Von Birgit • 28. Juni 2017

Hallo Babette,
immer wieder gerne lese ich eure Beiträge und fühle mich bestätigt und bestärkt in meinem Denken. Wenn man auf seine Intuition und das Pferd hört, trifft man oft die besseren Entscheidungen. Und oft schreibt ihr auch genau darüber, was mich gerade beschäftigt und macht mir Mut, meine Ansichten weiter zu verfolgen bzw. bekomme ich positive Anregungen von euch.
Zu dem obigen Thema ist auch der Sattel maßgeblich wichtig. Bei Rückenproblemen sollte auch der Sattel einer Überprüfung unterzogen werden. Und ob Reitfehler gemacht werden, auch das kann dauerhaft zu Problemen führen. Ansonsten kann ich dem Beitrag nur zustimmen.
Macht weiter so, ich freue mich jede Woche auf euren Blog!
Viele Grüße
Birgit

 

 

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