Das Abspulen – ein typisches Problem bei der Freiarbeit

Ich bin immer sehr dankbar, wenn ich auch mal mit einem anderen als meinen eigenen Pferden arbeiten darf, denn dadurch lerne ich sehr viel. Neulich hatte ich eine kleine Freiarbeit-Einheit mit Babettes Ronni machen dürfen, die mich gleich zu einem neuen Blogbeitrag inspiriert hat. 

Ronni gerät sehr schnell in Stress. Er möchte alles richtig machen und reagiert unter Druck schnell panisch. Als ich ihn zur Freiarbeit einlud, zirkelte er sofort um mich herum, trabte in Stellung, galoppierte an und zeigte sein ganzes Repertoire. Das war sehr hübsch anzuschauen und auch rührend, wie er da als kleiner Oberstreber um mich herumschwebte und es wäre verlockend gewesen, das anzunehmen. Statt dessen brach ich die Einheit aber sehr schnell ab und führte ihn noch einige Runden am Strick herum, lobte ihn dafür und brachte ihn wieder hinaus. 

Der Grund, warum ich nicht weiterarbeitete, war der, dass mir Ronni nicht zuhörte. Er tat das, was ich „Abspulen“ nenne und tatsächlich ist das ein häufiges Phänomen in der Freiarbeit: Besonders unsichere Pferde bieten das, was ihnen „sicher“ erscheint, ohne dabei aber auf den Menschen und seine Signale zu achten. Ronni kannte durch Babette schon die Freiarbeit und kann sehr viel. Das alles bot er mir an, aber in dieser Situation nicht aus Freude, sondern vor allem aus Unsicherheit. Es ist wichtig, das zu erkennen. (Eine andere, häufigere Version des Abspulens ist die, dass das Pferd einfach nur auf dem Hufschlag Runde um Runde herumläuft und sich nicht zum Verkleinern einladen lässt, manchmal sogar schwer anzuhalten ist. Es läuft und läuft und läuft – nicht weil es stur ist, sondern weil es unsicher ist und das das einzige ist, was ihm in diesem Moment einfällt.)

Miteinander heißt aufeinander zu reagieren

Mein Ziel bei der Freiarbeit ist ein Miteinander. Ich möchte in Kommunikation mit dem Pferd treten, möchte, dass es auf mich reagiert und wünsche mir, eine Art Dialog zu führen. Mit einem Pferd, das nur abspult, kann ich nicht kommunizieren, schlicht und einfach, weil es nicht bereit zum Zuhören ist. 

Wenn ein Pferd Runde um Runde einfach nur läuft, ohne auf meine Signale zu hören, ist das Abspulen relativ leicht zu erkennen. Aber bei einem Pferd wie Ronni, das ganz vieles anbietet, ist es schwieriger. In der Freiarbeit begrüßen wir ja auch eigene Ideen und Vorschläge vom Pferd, wie erkenne ich also, ob ein Pferd aus Eigeninitiative einen Galopp vorschlägt oder weil es glaubt, das jetzt tun zu sollen? Indem ich sehr genau auf das Pferd achte. 

Ich frage mich immer: 

  • Kann ich das Pferd fühlen? Sind wir in Kontakt?
  • Fühlt es sich nach einem echten Miteinander an oder eher so, als würde jeder „sein Ding“ machen?
  • Hat das Pferd eine freudige, kraftvolle Energie oder zeigt sein Blick Sorge oder Stress oder wirkt es in sich gekehrt?
  • Wirkt das Pferd konzentriert und engagiert oder eher gelangweilt und lustlos oder gar gestresst und besorgt?
  • Reagiert das Pferd auf meine Signale oder ignoriert es mich?

Wenn ich mit einem Pferd wie Ronni arbeite, ist das im ersten Moment beglückend, weil alles  gleichsam wie von selbst klappt. Aber genau das ist für mich nicht Sinn der Freiarbeit. Ich will keine Maschine, ich möchte Kontakt – gerade in der Freiarbeit! Ich möchte spüren, was das Pferd mag, was ihm schwer fällt, wo es sich anstrengen muss und was es ganz locker kann. Ich möchte mich einstellen können auf die Hilfengebung und möchte das Gefühl von Zweisamkeit haben. Ich ziele darauf, mit dem Pferd gemeinsam zu tanzen und nicht, dass es vortanzt. 

Mein Anthony hat mich gut in Sachen Verbindung geschult: Er fordert bei der Freiarbeit voll und ganz meine Präsenz. Wenn ich nur halb anwesend bin, macht er schnell sein eigenes Ding. Bin ich nachlässig, stellt Anthony sich dann beispielsweise nach außen oder läuft ganze Bahn, wechselt die Richtung usw. Wenn ich hingegen wirklich da und mit ihm in Kontakt bin, lässt er sich mit minimalem Einsatz wundervoll in Stellung und Biegung arbeiten, vom Tempo und der Gangart regulieren und wir können ganz butterweich Volten vergrößern und verkleinern oder Handwechsel machen. 

Hier ist schön zu sehen, wie er mit einem Ohr ganz bei mir ist – eine solche Aufmerksamkeit ist für mich die Basis einer gelungenen Freiarbeit (beim Pferd, aber auch beim Menschen!).

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Berichtet doch mal, ob Ihr das, worüber ich hier schreibe, auch selbst kennt. Mein Eindruck ist, dass das Abspulen nicht nur ein Phänomen der Freiarbeit ist, aber da zeigt es sich für mich ganz besonders deutlich. Denn was oft so „magisch“ aussieht und vielfach bewundert und bestaunt wird, nämlich ein Pferd das scheinbar mit Gedanken gelenkt wird und perfekt funktioniert, macht zu Showzwecken sicher etwas her, aber genau das hat für mich eben nur wenig bis gar nichts mit FREIarbeit zu tun.

Lesetipp: Tanias Freiraum-Training

17. Mai 2016 von Tania Konnerth • Kategorie: Freiarbeit, Verhalten 9 Kommentare »

 

9 Reaktionen zu “Das Abspulen – ein typisches Problem bei der Freiarbeit”

 

Von Michaela Madlmair • 17. Mai 2016

Ich habe leider auch so eine Stute die ein solches Verhalten beim Clickern zeigt. Was ist dein Vorschlag wenn ein "Abspulen" auftritt? Wie sollte man reagieren?

Lg, Michaela

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Hallo Michaela,

das ist leider nicht ganz so leicht zu beantworten, weil es meiner Erfahrung nach, viel Fingerspitzengefühl erfordert, ein zum Abspulen bereites Pferd so da herauszuholen, dass es nicht frustriert ist. Es denkt ja, es tut das, was gewollt ist! Ich werde mir da nochmal Gedanken machen, ob und wie ich konkrete Lösungen dazu beschreiben kann.

Herzlich,
Tania

 

Von Katharina • 17. Mai 2016

Hallo Tania,

seit kurzem habe ich eine neue Reitbeteiligung auf einer erfahrenen Stute. Sie ist definitiv erfahrener als ich und bis jetzt habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich sie erstmal überzeugen muss bevor sie mit mir arbeitet. Dies ist auch bei der Freiarbeit geschehen. Sie kennt Freiarbeit als etwas Bestimmtes was ihre Vorbesitzerin mit ihr gemacht hat, aber sie hat kaum auf meine Signale zum Gangartwechsel oder Richtungswechsel gehört und diese auch oft einfach alleine gemacht. Ich würde mich auch sehr über Tipps freuen wie ich damit umgehen kann. Die Besitzerin sagte mir, dass sie an der Longe sehr gut auf die Stimme hört. Wäre dann die Lösung erstmal an der Longe zu arbeiten bevor ich wieder mit der Freiarbeit beginne?

Ich freue mich auf deine Antwort.

Viele Grüße

Katharina

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Liebe Katharina,

es ist irre schwer, da generelle Tipps zu geben, weil Pferde aus unterschiedlichen Gründen abspulen und man erstmal erkennen muss, was da eigentlich abläuft. Ich werde mir mal Gedanken über einen weiteren Artikel machen, vielleicht kann ich da einiges herausarbeiten.

Fürs Erste denke ich, ist der Impuls, erstmal einfach was anderes zu machen und sich der Sache dann wieder neu zu nähern, sehr gut.

Herzlich,
Tania

 

Von Alice • 17. Mai 2016

Hallo Michaela,
ich hab auch so einen Kandidaten, der gerne Übungen abspult. Wenn ich das bemerke, unterbreche ich sein abspulen, indem ich ihn aus der Situation heraushole (zB einfach ein paar Schritte geradeaus führen) und lasse ihn dann ersteinmal auf Kommando eine andere Lektion ausführen. Wenn ich merke, dass er wieder „bei mir ist “ und mir zuhört, lasse ich ihn die Lektion auf Kommando ausführen, die er beim Abspulen vorher gezeigt hat. So ist er nicht frustriert und ich kann ihn aus seiner „Schleife“ herausholen.

 

Von Luna • 19. Mai 2016

Ich hatte bei dem Artikel eig. was anderes erwartet (mehr in Richtung zu wenig Abwechslung bei der Freiarbeit), aber das hier passt noch besser zu mir und meinem Pferd. Wir machen zwar keine Freiarbeit, aber sie hat genau das Verhalten anfangs beim Longieren gezeigt und einfach immer weiter getrabt, weil sie dachte, das würde ich gerade so erwarten. Sie ist genauso wie du Ronni beschreibst, unsicher, aber bemüht, alles richtig zu machen. Geholfen hat aber einfach die Zeit – ich habe versucht, mir die Aufmerksamkeit zurückzuholen und sobald wie sie mir auch nur eine Sekunde "zugehört" hat, wurde sie belohnt. Inzwischen ist ihr inneres Ohr permanent auf mich gerichtet und wenn sie unsicher wird, gehen wir einfach in den Schritt, bis sie wieder gelassener geworden ist.

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Ja, das Abspulen zeigt sich auch in anderen Bereichen. Für mich klingt es wunderschön, wie Du es löst!

Ganz herzlich,
Tania

 

Von Edmund Kolowicz • 23. Mai 2016

Hallöchen,
habe in der letzten Woche genau das gleiche erlebt. Der Hengst mit dem ich Unterricht habe reagiert wie gewünscht, wenn ich meine Signale deutlich gebe. Nun bekam ich einen anderen Hengst zu üben. Der zeigte genau die gleichen Symtome wie bei euch beschrieben. Die Besitzerin meinte nachher: „Der muss sich erst an dich gewöhnen“. Ich werde es also weiter versuchen und bin gespannt auf seine Reaktion.

Edmund

 

Von Britta • 23. Mai 2016

Liebe Tania,

ein toller Beitrag, in dem du deine Gedanken und die von dir erkannten Problematiken sehr bildlich dargestellt hast. Ich konnte dir sehr gut folgen und unterschreibe alles, was dir dazu durch den Kopf ging.

Ich (bzw. mein Pflegepferd) bin noch nicht so weit, dass ich mit Freiarbeit nach dem Longenkurs arbeiten könnte, aber mich erinnerte das ein wenig an die Übersprungshandlungen in anderen Bereichen der Bodenarbeit, wenn ein Pferd unsicher ist. (Kennt ihr sicher auch vom Clickertraining.)

Mein verstorbener Pflege-Isi hat zum Beispiel oft die Tricks und „Verabredungen“ zwischen uns angeboten (abgespult), wenn er nicht genau wusste, was ich von ihm wollte oder wenn er nicht wusste, was jetzt kommt. Wenn er in für ihn aus der Reihe fallenden Momenten warten musste etc.

Auf der anderen Seite durfte ich mit verschiedenen Pflegepferden auch schon immer mal für kurze Momente diese „magische Verbundenheit“ wahrnehmen, wenn wir – es klingt immer komisch, aber ist ja tatsächlich so – wie eine Einheit (ko-)operierten und alles lief, und das ohne scheinbare Anstrengung oder große Gesten.

Auch deinen Gedanken bzgl. Showdarstellungen im Hinblick auf „Abspulen“ finde ich richtig und wichtig, denn genau so funktioniert es ja leider oft. Und das kann man in den Gesichtern der beteiligten Pferde ja deutlich ablesen…

Liebe Grüße

Britta

 

Von Silvia Suckow • 23. Mai 2016

Eine verblüffende Erfahrung zum Thema Scheuen.
Vor gut 30 Jahren ritt ich bei einem Händler diverse
Pferde. Ein Fuchs scheute beim ersten Ausritt mächtig
( Engpass mit Bundesstr. und Bahnlinie). Im Gelände
ging er super, auf dem Rückweg durch die Stadt stand
mir wieder der Schweiß auf der Stirn.
Kommentar des Händlers: Das Pferd fahr ich dir mit
Heuwender durch den Berufsverkehr, der hat keine
Angst. Gib ihm einen kräftigen Schlag mit der Gerte
und gut ist es.
Am nächsten Tag – gesagt – getan.
Der Fuchs lief entspannt die Straße entlang.
Lkw, Intercity, Autos – alles egal!!!
Sicher kein Patentrezept – aber interessant, oder?

Hallo Silvia,

für mich ein mehr als trauriges Beispiel von nicht pferdegerechtem Verhalten und es zeigt wieder einmal, wie wichtig unsere Arbeit hier ist (… denn auch wenn Deine Geschichte 30 Jahre her ist, halten viele solch ein Verhalten Pferden offenbar gegenüber immer noch für angemessen). Schlagen als Antwort auf Angst… – vielleicht magst Du meine Zeilen zum Thema Gewalt gegenüber Pferden lesen: http://www.wege-zum-pferd.de/2015/08/11/was-ist-gewalt/

Tania

 

Von Karin • 23. Mai 2016

Hallo Tania,
das mit dem Abspulen kenne ich auch: ich arbeite die nun 22-jährige Stute seit gut 2 Jahren. Sie ist auch der eher unsichere Typ.
Wenn ich Freiarbeit mit ihr machen möchte, schalte ich immer erst mal Führtraining voraus, damit sie versteht, dass sie jetzt auf mich achten soll. Danach geht es etwas besser.
Neulich zeigte sie genau, wie Du es beschrieben hast, das "perfekte" Pferd. Und das, obwohl plötzlich einige Leute zu Besuch da waren, was sie normalerweise stets ablenkt. Nachdem ich mich jedoch zunächst voll auf das eingelassen habe, was sie mir angeboten hat und sie dabei positiv bestärkt habe, dann konnte sie ruhiger werden und mehr auf mich achten. Als sie dann von sich aus in den Galopp ging (den fordere ich normalerweise nicht, da Galopp für sie immer noch gleichbedeutend mit Flucht ist)und ihn und vor allem auch das Durchparieren zurück in den Trab gelobt habe, merkte ich, dass sie staunte. Als ich anschließend doch den Galopp anfragte, ging sie in den schönsten ruhigen und gesetzten Galopp, den ich je bei ihr gesehen habe! Sie war bei mir und entspannt! Und ich war stolz wie Bolle auf uns! – Natürlich habe ich sie mit Lob überschüttet!!!
Und nun auch ein ganz dickes Lob für Euch, Eure Arbeit und Eure immer wieder aktuellen Tipps! Es ist erstaunlich, aber ich nehme jede Woche etwas mit in den Stall – DANKE!!!

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Klingt richtig schön, Karin, und lieben Dank für das tolle Feedback,
Tania

 

Von Cecile • 24. Mai 2016

Liebe Tania,
genau das war das Verhalten unseres Friesen, den wir vor gut einem Jahr gekauft haben. Alle meinten immer wie schön der doch auf dem Platz alleine läuft. Schritt, Trab, Galopp. Nur das Anhalten war ein Problem. Und ich empfand das Gerenne nur als abgestumpft. Wahrscheinlich ist er genau so jahrelang gearbeitet worden. Stumpf im Kreis ohne ein Miteinander. Es hat lange gedauert, bis er anfing zu zu hören und Lust zu bekommen mit uns zu arbeiten. Er ist ein sehr unsicheres Pferd, der bei zu viel Druck sofort losrast und sich kaum einfangen lässt. Ich kann nur allen raten .. Geduld zu haben und sich mehr auf das Pferd einzulassen. Schön ist es dann zu sehen, wenn die Pferde wieder aufwachen und ganz entspannt und mit gespitzten Ohren auf einen zukommen 🙂 Danke für den schönen Bericht! Der mich mal wieder in meinem Denken und Handeln unterstützt.

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Ja, ja, ja!!!
Danke für Deine Zeilen, Tania

 

 

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