Vorsicht: Fehlinterpretationen lauern überall!

Neulich bei der Hufpflege: Anthony hatte keine Lust und zeigte das anthony-typisch sehr deutlich. Er quengelte und nörgelte, zog weg und hampelte herum. Mein Hufpfleger bewies eine Engelsgeduld und blieb vollkommen ruhig und gelassen. Der Kleine fügte sich und machte dann recht gut mit. Beim letzten Hinterhuf fing er allerdings wieder an, rumzuzicken, und zwar richtig. Wollte nicht stehen, wollte den Huf nicht oben lassen und zog kräftig gegen. Mein Hufpfleger ließ darauf den Huf herunter – und, siehe da: Anthony musste äppeln.

Viele hätten in derselben Situation sicher gesagt: „Der braucht mal eine klare Ansage, so ungezogen wie der ist“, und hätten geschimpft oder auch zugelangt. „Das kann man einem Pferd nicht durchgehen lassen“, hört man dann oft.

In diesem Fall wäre das aber (wie wahrscheinlich sehr, sehr oft) eine komplette Fehlinterpretation gewesen und darüber hinaus höchst unfair: Denn, obwohl Anthony keine Lust auf die Hufpflege hatte, hatte er sich gefügt und wirklich ziemlich brav mitgemacht. Hätten wir ihn nun für das Gehampel beim letzten Hinterhuf gestraft oder gar geschlagen, hätte er – zu Recht – die Welt nicht mehr verstanden! Was für eine Botschaft wäre das für ihn gewesen? Ich möchte behaupten, dass wir ihn damit die Hufpflege garantiert nicht schmackhafter gemacht hätten …

Nach dem Äppeln stand er wieder ruhig und ich war einmal mehr froh, meine alten Verhaltensmuster durchbrochen zu haben und den Kleinen nicht bestraft zu haben.

Achtet mal bewusst darauf, wie oft Ihr davon ausgeht, dass Euer Pferd „ungezogen“ ist und Ihr das unterbinden müsst, Fragt Euch in diesen Momenten lieber einmal mehr als einmal zu wenig, ob es vielleicht einen guten Grund haben könnte. Es ist, zugegebenermaßen, nicht immer so offensichtlich wie in dem geschilderten Beispiel, aber je mehr ich darauf achte, desto öfter finde ich die Ursache für vermeintliche „Unartigkeiten“ bei den Menschen, nicht bei den Pferden…

26. Mai 2011 von Tania Konnerth • Kategorie: Umgang 11 Kommentare »

 

11 Reaktionen zu “Vorsicht: Fehlinterpretationen lauern überall!”

 

Von Iris • 26. Mai 2011

Liebe Tania,

wieder mal ein dickes Dankeschön für diesen wichtigen Blogbeitrag! Seit ich einiges über Verhaltensbiologie und -psychologie gelesen habe, ist mir klar geworden, dass ein Pferd praktisch nie „unartig“ ist, denn „unartig“ kann nur der sein, der eine Absicht verfolgt. Pferde handeln aber instinktiv und gefühlsmäßig und haben nie die Absicht, uns durch ihr Verhalten zu ärgern. Natürlich tappe ich trotzdem gelegentlich in die Falle, Noras Verhalten persönlich zu nehmen (wer nicht?), aber seit ich mehr über natürliches Pferdeverhalten weiß, gelingt es mir immer besser, das zu vermeiden.

LG, Iris

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Jep, das geht mir ganz genauso!
Tania

 

Von Beate • 29. Mai 2011

Ich hab gestern auch mit meinem Pony geschumpfen, wiel er beim Putzen immer rumgehampelt ist (Und er ist mir dabei auf den Fuß getreten, der hat sich doch gerade eben erst vom letzten mal draufhüpfen (–> Bluterguss) erholt *lach*.
Jedenfalls hab ich mir dann überlegt, warum er so für ihn untypisch rumhampelt. Dabei ist mir aufgefallen, das keienr unserer anderen Jungs in Sichtweite war. Hab dann also kurz einen unserer anderen geholt und dann war Ruhe 🙂

Hätte vielleicht auch schon vorher übers ‚warum‘ denken sollen 🙁

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Na, gut ist doch, dass Du es jetzt erkennen kannst. Das hilft dabei, beim nächsten Mal übers Warum nachzudenken!

Herzlich,
Tania

 

Von Petra • 29. Mai 2011

Hallo Tania,

da bin ich doch mal wieder voll Deiner Meinung aich ich habe mit meiner Püppi ähnliche Situationen erlebt.

Einmal wollte Sie absolut nicht unseren üblichen Reitweg einschlagen, also habe ich mich für einen kleinen Umweg entschieden und bin einen parallelen Weg geritten.

Ich habe ziemlich blöd geschaut, als ich bemerkt habe, dass auf dem Weg den wir ursprünglich gehen wollte ein paar Kühe spazieren gingen. Ich war mir zuerst nicht ganz sicher ob das ein Zufall war aber ich denke eher nicht.

Liebe Grüße
Petra

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Nein, das halte ich auch nicht für Zufall. Pferde können extrem gut riechen – schon allein der Geruchssinn dürfte sie da also vorgewarnt haben; wenn sie darüber hinaus die Anwesenheit der Kühe nicht aus so spüren konnte. Schlaues Pferd und schön, dass Du so auf sie eingangen bist!
Tania

 

Von Almut • 30. Mai 2011

Oh, ja! Das deckt sich sehr mit meinen Erfahrungen. Unsere Maible ist noch nicht ganz 2 Jahre alt und hampelt entsprechend öfter mal bei der Hufbearbeitung. Anfangs haben wir das eher als „jugendliche Ungeduld“ abgetan und einfach ruhig weitergemacht.
Sie wurde dann jedoch teilweise sehr massiv, riss sich los – und musste einfach äppeln! Und das tut sie nicht am Putzplatz! Anschließend kam sie immer brav wieder und stand dann ruhig.
Inzwischen hören wir auf sie und machen sie los, bevor sie mit solchen heftigen Hampeleien beginnt. Und jedes Mal steckt ein Bedürfnis dahinter: Äppeln, Durst…
Seit wir das so handhaben, hat sie es nicht mehr nötig, so massiv zu werden. Sie zeigt uns sanfter, dass es gerade nicht mehr geht und kommt immer anschließend freiwillig zurück, damit es weitergehen kann. Sehr angenehm für beide Seiten!

Liebe Grüße
Almut

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Super und Hut ab!
Tania

 

Von Conny • 30. Mai 2011

Mir ist das leider auch mal vor Jahren passiert. Pferd ist ständig rumgehampelt beim putzen. Natürlich habe ich es auch immer wieder korrigiert und grade hingestellt. Und er fing immer wieder an zu wandern. Irgendwann wurde es mir zu blöd und ich brachte ihn wieder auf den Paddock. Kaum nahm ich das Halfter runter, machte er sich lang und pieselte mit einem genussvollen Stöhnen. Glaub mir, ich hab mich tausendmal bei ihm entschuldigt 😉

Was mir bei einem anderen Pferd auch schon passiert ist: es zappelte beim Putzen auch ständig hin und her. Irgendwann kam ich dann auf die glorreiche Idee, ihn einfach NICHT anzubinden und den Strick über den Hals zu legen. Und siehe da, er stand wie ne Eins, ohne die neugewonnene Freiheit auszunutzen und sich davon zu machen. Er bleibt sogar stehen, wenn ich kurz im Stübchen verschwinde.

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Schön, dass Du beides so erkennen konntest!
Tania

 

Von Lisa • 30. Mai 2011

Hallo Almut, dein Pferd geht zum Äppeln also wie wir Menschen auch auf sein persönliches „stilles Örtchen“, wie genial…:D
Aber wer kanns dem Pferd verdenken, dass es nicht noch ewig in seinem eigenen Mist stehen und diesen auch noch die ganze Zeit über riechen will…^^

Ich bin auch so ein Kandidat, der immer erst losschimpft, wenn irgendwas nicht stimmt… grad beim Putzen, wenn Madame nicht stillstehen will…Dass sie nur versucht, sich einer nervigen Bremse zu entledigen oder wirklich mal muss, daran denke ich in solchen Momenten auch nie…
Aber eigentlich haben wir Menschen doch dieselben Bedürfnisse…wenns juckt, kratzen wir halt, obwohl wir grad beim Frisör sitzen und stillhalten sollten, und wenn ich mal aufs Klo muss, lass ich meine Arbeit ja auch kurz liegen…:D

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Na, wie sagt man so schön: Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung 🙂
Tania

 

Von Schnurzel • 31. Mai 2011

Liebe Tanja,

dazu fällt mir was eher Lustiges ein:

Mein Wallach pinkelt bei JEDEM Ausritt und zwar am liebsten, wenn wir auf dem Rückweg sind und es bergab geht (was bei uns im Schwarzwald eigentlich immer der Fall ist).
Bei Strecken, die er gut kennt, pinkelt er dann auch am liebsten ungefähr an die gleiche Stelle.

Jetzt ist es aber so, dass er ja nicht immer gleich dringend pinkeln MUSS, er will einfach, noch bevor er zum Stall zurück kommt, seine Blase leeren.
Da dauert es dann manchmal ewig, bis er wirklich pinkeln kann und dazu bleibt er dann alle paar Meter stehen, setzt das „Pipi-Gesicht“ auf (Ohren seitlich, nach innen gerichteter Blick), konzentriert sich uuuuuuuuund ne, geht noch nicht. Ein paar Schritte weiter bleibt er wieder stehen „Pipigesicht“…….ne geht noch nicht usw.
Und dann endlich stellt er sich mit breiten Hinterbeinen hin, schiebt die Vorderbeine so weit wie möglich nach vorne, hebt ein Vorderbein an und pinkelt erleichtert.

Jemand, der ihn nicht kennt, könnte auch meinen, er bleibt einfach so dauernd stehen und könnte ihn weitertreiben wollen.
Dabei hat er doch ein wichtiges Anliegen.
Ich liebe diese Schrulle an ihm :o))

Liebe Grüße
Anja

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😀
Tania

 

Von Veronika • 14. Oktober 2013

Liebe Tania,

ich denke auch, dass wir eigentlich mehr unseren Verstand einschalten sollten.
Mein junger Isländer-Wallach geht auf dem Weg von und zur Koppel sehr gerne relativ dicht neben mir her. Er ist dabei in aller Regel vollkommen tiefenentspannt und manchmal stupst er mich ganz zart mit der Nase an der Hand an. Landläufig zwei Verhaltensweisen, die so nicht sein dürfen, schließlich müssen Pferde Respekt haben, Abstand halten usw. Und wenn nicht, muss das abgestraft werden. Ist das nicht eine absolut einseitige, monotone und nichts hinterfragende Sichtweise? Mein Pony weiß und bekommt es auch von mir sofort mitgeteilt, dass er mich nicht anrempeln, überholen und keinesfalls zwicken darf. Aber er ist ein Lebewesen und kein Pferd kann man mit einem anderen vergleichen. Das muss sich aus meiner Sicht auch bei der Erziehung wiederspiegeln. Er zeigt mit einfach nur, dass er gerne neben mir herschlendert und mich mal sanft berüht. Ich habe ihn dafür noch nie weggestossen oder gar gestraft und er dankt es mir.
Also hin und wieder mal überlegen, ob man nur abstraft, weil es so sein muss bzw. es in irgendeiner Reitschule mal so gelernt wurde oder ob es die richtig Reaktion, im richtigen Moment und genau das Pferd, das vor mir steht, ist. Damit würden beide Seiten gewinnen!

Viele Grüße,
Veronika

 

Von Inga • 14. Oktober 2013

Hallo zusammen,

ich finde es manchmal echt unheimlich, wie Pferde auf sich und ihre Bedürfnisse aufmerksam machen können.
Meine Stute scharrt beim Boxenmachen vor der Karre, wenn sie dringend mal muss und ich ihr den Weg in Box versperre. Neulich hatten wir Probleme an der Aufsteighilfe – ich dachte, dass wäre längst erledigt und merkte schon, wie die Ungeduld in mir hochstieg – nach dem dritten Wegdrehen habe ich erst einmal ordentlich am Sattel geruckelt, wie man das halt macht, wenn man Aufsteigen übt… der Gurt war lose und ich wäre gnadenlos „abgschmiert“. Gleiches ein paar Tage später beim Reiten: erstes Antraben, meine Kleine läuft „wie ein Bund Wurzeln“ – kein Leichtraben, kein Aussitzen, keine Temporegulierung möglich… hmm, da war guter Rat teuer. Aus lauter Verzweifelung habe ich erst mal nachgegurtet…. eigentlich lag der Sattel nur drauf, der Gurt war so lose, das eine Hand quer zwischen Bauch und Gurt passte… Seit ein paar Tagen können wir auf der linken Hand nur noch schräg rückwärts gehen und bei jedem zweiten Schritt fängt Madame an zu scharren – in einer Woche kommt eine Osteopathin, auf der anderen Hand geht es schließlich anstandslos. Inzwischen gibt es viele Beispiele, mit denen ich die Reihe fortsetzen könnte, wenn man nur manchmal ein kleines bisschen auf sein Pferd achtet, entstehen viele Probleme erst gar nicht. Die Erfahrungen haben ja alle anderen hier auch gemacht 😉

Leider müssen viele andere Pferde die üblichen Unterstellungen ertragen: „…die testet doch nur, die ver*** Dich, klopp mal drauf, dann geht das wieder…“ Ich denke, die Floskeln kennen wir alle zu Genüge.
Und dann stelle ich mir immer wieder die Frage, wie das Freizeitspaß sein kann, wenn ausschließlich dem Pferd Fehler und Absicht unterstellt werden, wenn man seinen Freizeitpartner verhaut, im Maul zerrt, dass Handschuhe inkl. Fingern durchscheuern, mit Hacken und Sporen traktiert, schweißgebadet und vor Anstrengung und Wut zornesrot im Gesicht absteigt – kann das Spaß und Vergnügen sein? Dabei pochen doch immer alle drauf, dass sie „erwachsene Leute“ seien, warum reicht der Horizont dann aber nicht dafür, sich die Frage zu stellen, ob das Spaß ist, ob das nicht eigentlich auch anders gehen kann und muss? Und das allerschlimmste daran: Diese Leute und leider auch deren Pferde sind keine Ausnahme, sondern die Regel.

Das musste ich mal loswerden. Ich bin sicher keine Heilige im Umgang mit meinem Pferd, aber ich finde, wenn jemand überhaupt merkt, dass Verhauen, zusammenschnüren und anschreien nicht der richtige Weg ist, ist er schon einen großen Schritt weiter!

LG
Inga

 

Von Leonie Froese • 28. Oktober 2013

Das Verhalten des Pferdes ist nie falsch! 🙂 es ist immer nur seine ganz natürliche/instinktive Reaktion auf unsere Aktion. Wenn es sich zum Beispiel störrisch verhält, dann meist eben doch nur aus angst, auch wenn wir Menschen meinen unser Pferd gut genug zu kennen, um es anders zu deuten. Und selbst wenn es wirklich ein grobes verhalten an dem Tag legt, dann doch nur weil wir es bewusst und unbewusst dazu erzogen/ konditioniert haben! Alles was zählt ist die Beziehung zwischen mir und dem Pferd, es ist mein größter Lehrmeister! 🙂

 

Von Karin • 28. Oktober 2013

Liebe Tania,

ich habe ebenfalls durch eine Trainerin gelernt mit meinem Pflegepferd sehr strikte Regeln einzuhalten, was uns auf Dauer beide frustriert hat. Vielleicht lag es auch daran, dass ich erst ein Gefühl dafür entwickeln musste, was in dem Moment für MICH richtig ist, nicht was einem gesagt wird was man tun soll in Form von Sanktionen/Betrafungen.

Es gab eine Situation an die ich mich gut erinnere.
Ich habe meinen Wallach nach der Bodenarbeit öfters an allen 4 Beinen gedehnt und es hat ihm gut getan.

Unabhängig davon hat er mir eines Tages beim putzen mehrmals das rechte Hinterbein hingehalten, was zuerst so aussah als wollte er mir drohen. Seine ganze Körpersprache und Mimik passte jedoch nicht dazu. Zuerst wollte ich ihn wegschicken, bis ich begriff, dass er mich dazu bewegen wollte, dass ich genau dieses Bein dehne, da er weiß dass ich es kann, hat er einfach mal angefragt.
Das fand ich eine sehr süße Geste, dass er bei mir Hilfe sucht.
Noch vor ein paar Monaten hätte ich ihn aus Unwissenheit vielleicht bestraft.

Du hast Recht mit deinem Artikel, Augen auf und ein Gespür dafür entwickeln was das Pferd einem sagen will.
Ich denke auch Pferde wissen genau was wir verstehen, werden wir feiner, werden sie ebenfalls aufmerksamer gegenüber uns. 🙂

Liebe Grüße
Karin

 

 

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