Ist die Arbeit nach unserem Longenkurs auch für kranke Pferde geeignet?
Letzte Woche habe ich über meine Erfahrungen und über meine Einstellung zu der Arbeit nach dem Longenkurs mit alten Pferden geschrieben. Nun erhalte ich auch viele Anfragen, ob die Longenkursarbeit auch für kranke Pferde geeignet ist, und ich will versuchen, diese recht schwierige Frage zu beantworten.
Wichtig: Halten Sie immer Rücksprache mit Ihrem behandelnden Tierarzt und Physiotherapeuten
Ich rate generell dazu, dass Sie jegliches Training Ihres kranken Pferdes immer mit dem behandelnden Tierarzt besprechen sollten und bei jeglichen Erkrankungen des Bewegungsapparates bitte zusätzlich auch mit einem Physiotherapeuten.
Um welche Erkrankungen geht es?
Zunächst ist zu klären, um welche Erkrankungen es geht. Natürlich reden wir hier nicht von Koliken, akuten Erkrankungen u.Ä., sondern meist sind es Erkrankungen des Bewegungsapparates, bei denen die Frage aufkommt, ob eine Arbeit nach dem Longenkurs sinnvoll ist oder nicht. Wir sprechen also z.B. über Lahmheiten durch Gelenkserkrankungen oder über Rückenerkrankungen wie den sogenannten Kissing Spines. An dieser Stelle auf einzelne Erkrankungen einzugehen, würde den Rahmen hier sprengen, aber ich will versuchen, Ihnen eine allgemeine Einschätzung zu ermöglichen.
Wichtig ist zu unterscheiden, ob es sich um eine akute Verletzung oder Entzündung handelt oder um einen chronischen Verlauf.
Akute Erkrankungen
Allgemein gilt, dass bei akuten Verletzungen und Entzündungen in den meisten Fällen die Einhaltung von Ruhe angezeigt ist. Hier fällt in der Regel auf jeden Fall die Trab-/Galopparbeit auf dem Zirkel raus. Oftmals ist aber eine kontrollierte Schrittbewegung förderlich für den Heilungsprozess (z.B. bei Sehnenverletzungen auf hartem Boden). In so einem Falle können Sie dann z.B. während eines Spazierganges immer mal wieder das „Führen in Stellung“ auf einem Weg geradeaus einbauen.
Chronische Erkrankungen
Leidet Ihr Pferd an einer chronischen Erkrankung des Bewegungsapparates, z.B. Arthrose (degenerative Gelenkserkrankung, unter welcher früher oder später so gut wie jedes ältere Pferd leidet), ist eine kontrollierte, ruhige, regelmäßige Bewegung besonders wichtig. Gerade Arthrosepferde verschlechtern sich in der Regel, wenn sie nicht gearbeitet werden. Jegliche „harten“ Bewegungen sollten vermieden werden, da diese mit viel Wucht in die Gelenke hauen. Ein Pferd, welches im schnellen Trab vorhandlastig geradeaus läuft, setzt sich in meinen Augen mehr schädlichen Kräften aus als ein Pferd, welches sich in einer gesunden Körperhaltung mit weichen, ruhigen Bewegungen auf einer großen Kreislinie bewegt.
Bei Pferden mit Arthrosen sollten Sie die Schrittphase zu Beginn der Arbeit auf bis zu 20 Minuten ausdehnen, damit das Pferd ausreichend Zeit hat, sich einzulaufen und die Gelenke gut mit Gelenkschmiere versorgt werden.
Longieren ist nicht gleich longieren!
Wenn Sie nun Ihren Tierarzt und Physiotherapeuten fragen, ob Sie longieren dürfen, werden Sie oftmals ein „Nein“ als Antwort erhalten, denn viele Tierärzte und Physiotherapeuten werden davon ausgehen, dass Sie beim Longieren Ihr Pferd auf einem großen Kreis in mehr oder weniger starker Schieflage in einem meistens recht hohen Tempo arbeiten werden. Da eine solche Ausführung der Longenarbeit eine meist hohe Belastung für den Körper des Pferdes darstellt, also stark auf „die Knochen geht“, werden viele Behandler mit diesem Bild vom Longieren vorm inneren Auge, vom Longieren abraten.
Die Arbeit nach dem Longenkurs baut sich aber ganz anders auf. Diese Arbeit zielt auf ein ruhiges, zu Beginn sogar untertouriges Tempo, bei dem ein Pferd durch die Übungen lernt, sich optimal auf einer gebogenen Linie zu bewegen. Da das mit dem herkömmlichen Longieren sehr wenig zu tun hat, sollten Sie Ihren Tierarzt lieber fragen, ob Sie ruhige Bodenarbeit mit Ihrem Pferd machen dürfen, bei der es darum geht, die Muskulatur zu lockern, die Schulter aufzurichten und das Pferd kontrolliert und langsam zu bewegen.
Schonende Krankengymnastik
In meinen Augen ist die Arbeit nach dem Longenkurs mit das Schonendste, was Sie mit Ihrem Pferd machen können. Gerade Pferden, die möglichst ruhig stehen sollen, können wir so oft wenigstens ein bisschen (und dazu noch eine sinnvolle) Abwechslung verschaffen. Wenn Ihr krankes Pferd, weil es nicht mit seinen Kumpels zusammen auf die Wiese darf, unruhig und unausgelastet in der Box hin- und herrennt und dabei in einer Tour enge Kreise auf kleinstem Raum ausführt, ist das für die Heilung deutlich schlechter.
Und tatsächlich empfehlen inzwischen viele Tierärzte und Physiotherapeuten auch bzw. gerade bei kranken Pferden ausdrücklich die Arbeit nach dem Longenkurs. Ich hatte schon viele Tierärzte und Physiotherapeuten in meinen Praxiskursen und wir bekommen immer wieder von diesen Fachkompetenzen sehr positives Feedback zu dieser Art, das Pferd zu arbeiten:
- Lesen Sie dazu z.B. den Kommentar von Dr. Stodulka, Fachtierarzt im Bereich Biomechanik für Pferde in der Cavallo 2/2009.
- Eine Tierärztin hat mit ihrem Pferd, was seit vielen Jahren einen sehr starken Hahnentritt zeigt, an einem Praxiskurs teilgenommen. Innerhalb zwei Einheiten war deutlich zu erkennen, wie viel besser das Pferd lief, wenn es in der angestrebten Longenkurshaltung lief.
- Eine andere Tierärztin aus der Schweiz organisiert nach zwei Kursbesuchen nun selbst einen Kurs mit mir.
- Maike Knifka, osteopatische Physiotherapeutin für Pferde, mit der ich schon lange eng zusammenarbeite, unterrichtet an einer renommierten Ausbildungsstätte für Physiotherapeuten die Longenarbeit am Kappzaum nach unseren Grundlagen und trainiert Therapiepferde nach dem Longenkurs.
Bisher haben wir noch von keiner einzigen Fachkompetenz die Kritik bekommen, dass unsere Arbeit schädlich für Pferde wäre. Im Gegenteil, wir bekommen gerade von Fachkompetenzen immer wieder sehr positives Feedback gerade über den Muskelaufbau und die positiven Bewegungsentwicklungen der Pferde. Und da auch ich selbst nur gute Erfahrungen mit dieser Arbeit bei kranken Pferden gemacht habe, bin ich zwar nach wie vor achtsam und vorsichtig, aber ich zögere nicht mehr, diese Arbeit auch bei kranken Pferden zu empfehlen, denn sie ist für viele Pferde wirklich eine exzellente Krankengymnastik.
Erkrankungen, die das händige Vorderbein betreffen
Es ist bekannt, dass viele Erkrankungen der Vorderbeine, z.B. die Erkrankung der Hufrolle, Arthrosen und Sehnenerkrankungen, welche auf Überlastung zurückzuführen sind, verstärkt das händige Vorderbein betreffen. Das ist auch logisch, da das händige Vorderbein viel mehr Belastungen ausgesetzt ist (besonders auf Kreislinien) als das Vorderbein der nicht-händigen Seite. So zeigen viele Pferde deutliche Taktstörungen/Lahmheiten auf dem händigen Vorderbein.
Durch die Arbeit nach dem Longenkurs entlasten Sie das händige Vorderbein und tragen somit mit dieser Arbeit aktiv zur Gesunderhaltung bzw. Gesundung Ihres Pferdes bei.
Ich habe es schon häufige Male selber erlebt, dass ein Pferd, welches an der Longe auf die innere, händige Schulter fällt, deutlich lahmt und dass diese Lahmheit in dem Moment um vieles besser wird oder gar ganz aufhört, in dem das Pferd die Last von der inneren Schulter wegnimmt und sich aufrichtet (also aus der Motorrad-Haltung raus geht). Hier ist für mich die Arbeit nach dem Longenkurs mehr als Training. Sie ist für mich eine sinnvolle Therapie, die in der Lage ist, die Ursache der Krankheit zu beheben.
Regeln für die Arbeit mit kranken Pferden
Damit Sie Ihrem Pferd mit der Longenkursarbeit etwas Gutes tun, gilt es, einige Sonderregeln zu beachten.
Beginnen Sie die Arbeit mit wenigen Minuten und kontrollieren Sie vor und nach der Arbeit Ihr Pferd sorgfältig:
- Sind Sehnen/Bänder/Gelenke geschwollener oder klarer als vor Beginn der Arbeit?
- Bewegt sich Ihr Pferd nach der Arbeit besser?
- Wirkt es während der Arbeit schmerzgeplagt und gequält?
Schauen Sie sich Ihr Pferd am nächsten Tag wieder genau an. Hat sich etwas verschlechtert, hat Ihrem Pferd die Arbeit wahrscheinlich nicht gutgetan und Sie sollten die Arbeit mit Ihrem Pferd weniger oder gar nicht ausführen. Es ist Ihre Aufgabe zu lernen, Ihr Pferd ganz genau zu beobachten und herauszufinden, was Ihrem Pferd guttut und was nicht. Wenn Ihrem Pferd die Arbeit guttut, steigern Sie behutsam die Anforderungen. Sobald sich etwas verschlechtert, gehen Sie wieder mit Ihren Anforderungen zurück.
Wählen Sie die Elemente aus dem Kurs aus, die für Sie und Ihr Pferd passen. Wandeln Sie den Kurs so um, dass er für Sie und Ihre Situation bzw. für die Krankheit Ihres Pferdes förderlich ist. Lassen Sie ggf. einzelne Übungen aus, die Sie gerade nicht ausführen können oder sollten. Viele Weg führen nach Rom – entscheidend ist, was funktioniert und was guttut.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Gedanken ein wenig Hilfestellung leisten, ob Sie Ihr krankes Pferd nach dem Longenkurs arbeiten möchten oder nicht und wünsche Ihnen und Ihrem Pferd gute Gesundheit. 🙂
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29. März 2011 von Babette Teschen • Kategorie: Gesundheit, Longieren • 8 Kommentare »